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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Der britische Staatshaushalt

auf neunundneunzig Jahre verpflichtet, so kann man das nur als leichtsinnige
Schuldemnacherei bezeichnen. Eine solche Rente entspricht einem einfachen
Zinsfuße von dreizehn Prozent, der nur im höchsten Notfalle gerechtfertigt ist,
und in einer solchen Zwangslage ist England nie gewesen. Daß daneben auch
das von Mephistopheles dem Kaiser cmpfohlne Papiergeld nicht vernachlässigt
wurde, braucht kaum besonders erwähnt zu werden.

Unter der Königin Anna war infolge des Spanischen Erbfolgekriegs
und der Mißwirtschaft Marlboronghs und seiner Freunde an Sparsamkeit
noch weniger zu denken, und bei Ausgaben, die das Dreifache der Ein-
nahmen ausmachten, war ohne eine starke Vermehrung der Staatsschuld
nicht auszukommen. In den zwölf Jahren der Königin Anna wuchs sie auf
36 Millionen an, die für Verwaltung, Zinsen und Tilgung über 3 Millionen
jährlich beanspruchten aus einem Gesamteinkommen des Königreichs von weniger
als 6 Millionen.

Unter dein ersten Georg tauchte dann bei der Südseegescllschaft, die dein
Staate schon 10 Millionen vorgestreckt hatte, der Plan auf, die ganze Schuld
durch Umwandlung in Südseeaktien zusammenzufassen. Wo die Negierung so
leichtsinnig war, ist es nicht zu verwundern, daß auch weite Kreise des Volks
es waren und blindlings in den Strudel der Spiclwut stürzten. Die Hoffnung,
mühelos durch Spekulation reich zu werden, trieb die Aktien immer mehr in
die Höhe, bis das unvermeidliche Ende des Schwindels kam, und die Seifen¬
blase platzte. Auf solchem Wege war die Schuldenlast nicht abzuschütteln oder
zu erleichtern. Beim Tode Georgs jedoch betrug der jährliche Aufwand nur
2"^ Millionen, obgleich die Schuld selbst auf mehr als 50 Millionen ange¬
wachsen war. Die Besserung war eine Folge der Herabsetzung des hohen
Zinsfußes früherer Anleihen, der bei dem überraschend schnellen Aufblühen
des Handels und der sich daraus ergebenden Stärkung des Staatskredits
unverantwortlich war und eine gesunde Wirtschaft schlechterdings ausschloß.
Auch sonst ließen sich die Dinge besser an, und die friedliche, nur auf Förderung
von Handel und Gewerbe bedachte Verwaltung Walpoles während der ersten
Zeit Georgs des Zweiten erlaubte sogar so viel zu erübrigen, daß die Schuld
auf 46^ Millionen hinunterging. Wäre nicht die Korruption der ganzen
Regierungsmaschine gewesen, so hätte noch mehr geleistet, und bei Fortdauer
des Friedens die ganze Schuld in weniger als einem Menschenalter getilgt
werden können.

Aber auch eine langsame Abtragung wurde verhindert durch das Ende
des Friedens. Denn 1739 begann die Zeit der großen Kriege um die Herr¬
schaft über die Meere, die von Britannien zur See mit seiner Flotte, auf dem
europäischen Festlande aber vornehmlich mit seiner Kapitalkraft durch finanzielle
Unterstützung seiner Verbündeten geführt wurden. Die Hilfsgelder an diese
und die eignen Rüstungen verschlangen ungeheure Summen, und dabei blieb
die Kostspieligkeit der Verwaltung im vollen Umfange bestehn, aus Rücksicht
auf die Parlamentsmitglieder und ihren versorgungsbedürftigcn Anhang. So
mußte der Staatskredit fortwährend und in immer gesteigertem Maße in Anspruch
genommen werden.


Der britische Staatshaushalt

auf neunundneunzig Jahre verpflichtet, so kann man das nur als leichtsinnige
Schuldemnacherei bezeichnen. Eine solche Rente entspricht einem einfachen
Zinsfuße von dreizehn Prozent, der nur im höchsten Notfalle gerechtfertigt ist,
und in einer solchen Zwangslage ist England nie gewesen. Daß daneben auch
das von Mephistopheles dem Kaiser cmpfohlne Papiergeld nicht vernachlässigt
wurde, braucht kaum besonders erwähnt zu werden.

Unter der Königin Anna war infolge des Spanischen Erbfolgekriegs
und der Mißwirtschaft Marlboronghs und seiner Freunde an Sparsamkeit
noch weniger zu denken, und bei Ausgaben, die das Dreifache der Ein-
nahmen ausmachten, war ohne eine starke Vermehrung der Staatsschuld
nicht auszukommen. In den zwölf Jahren der Königin Anna wuchs sie auf
36 Millionen an, die für Verwaltung, Zinsen und Tilgung über 3 Millionen
jährlich beanspruchten aus einem Gesamteinkommen des Königreichs von weniger
als 6 Millionen.

Unter dein ersten Georg tauchte dann bei der Südseegescllschaft, die dein
Staate schon 10 Millionen vorgestreckt hatte, der Plan auf, die ganze Schuld
durch Umwandlung in Südseeaktien zusammenzufassen. Wo die Negierung so
leichtsinnig war, ist es nicht zu verwundern, daß auch weite Kreise des Volks
es waren und blindlings in den Strudel der Spiclwut stürzten. Die Hoffnung,
mühelos durch Spekulation reich zu werden, trieb die Aktien immer mehr in
die Höhe, bis das unvermeidliche Ende des Schwindels kam, und die Seifen¬
blase platzte. Auf solchem Wege war die Schuldenlast nicht abzuschütteln oder
zu erleichtern. Beim Tode Georgs jedoch betrug der jährliche Aufwand nur
2"^ Millionen, obgleich die Schuld selbst auf mehr als 50 Millionen ange¬
wachsen war. Die Besserung war eine Folge der Herabsetzung des hohen
Zinsfußes früherer Anleihen, der bei dem überraschend schnellen Aufblühen
des Handels und der sich daraus ergebenden Stärkung des Staatskredits
unverantwortlich war und eine gesunde Wirtschaft schlechterdings ausschloß.
Auch sonst ließen sich die Dinge besser an, und die friedliche, nur auf Förderung
von Handel und Gewerbe bedachte Verwaltung Walpoles während der ersten
Zeit Georgs des Zweiten erlaubte sogar so viel zu erübrigen, daß die Schuld
auf 46^ Millionen hinunterging. Wäre nicht die Korruption der ganzen
Regierungsmaschine gewesen, so hätte noch mehr geleistet, und bei Fortdauer
des Friedens die ganze Schuld in weniger als einem Menschenalter getilgt
werden können.

Aber auch eine langsame Abtragung wurde verhindert durch das Ende
des Friedens. Denn 1739 begann die Zeit der großen Kriege um die Herr¬
schaft über die Meere, die von Britannien zur See mit seiner Flotte, auf dem
europäischen Festlande aber vornehmlich mit seiner Kapitalkraft durch finanzielle
Unterstützung seiner Verbündeten geführt wurden. Die Hilfsgelder an diese
und die eignen Rüstungen verschlangen ungeheure Summen, und dabei blieb
die Kostspieligkeit der Verwaltung im vollen Umfange bestehn, aus Rücksicht
auf die Parlamentsmitglieder und ihren versorgungsbedürftigcn Anhang. So
mußte der Staatskredit fortwährend und in immer gesteigertem Maße in Anspruch
genommen werden.


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[0416] Der britische Staatshaushalt auf neunundneunzig Jahre verpflichtet, so kann man das nur als leichtsinnige Schuldemnacherei bezeichnen. Eine solche Rente entspricht einem einfachen Zinsfuße von dreizehn Prozent, der nur im höchsten Notfalle gerechtfertigt ist, und in einer solchen Zwangslage ist England nie gewesen. Daß daneben auch das von Mephistopheles dem Kaiser cmpfohlne Papiergeld nicht vernachlässigt wurde, braucht kaum besonders erwähnt zu werden. Unter der Königin Anna war infolge des Spanischen Erbfolgekriegs und der Mißwirtschaft Marlboronghs und seiner Freunde an Sparsamkeit noch weniger zu denken, und bei Ausgaben, die das Dreifache der Ein- nahmen ausmachten, war ohne eine starke Vermehrung der Staatsschuld nicht auszukommen. In den zwölf Jahren der Königin Anna wuchs sie auf 36 Millionen an, die für Verwaltung, Zinsen und Tilgung über 3 Millionen jährlich beanspruchten aus einem Gesamteinkommen des Königreichs von weniger als 6 Millionen. Unter dein ersten Georg tauchte dann bei der Südseegescllschaft, die dein Staate schon 10 Millionen vorgestreckt hatte, der Plan auf, die ganze Schuld durch Umwandlung in Südseeaktien zusammenzufassen. Wo die Negierung so leichtsinnig war, ist es nicht zu verwundern, daß auch weite Kreise des Volks es waren und blindlings in den Strudel der Spiclwut stürzten. Die Hoffnung, mühelos durch Spekulation reich zu werden, trieb die Aktien immer mehr in die Höhe, bis das unvermeidliche Ende des Schwindels kam, und die Seifen¬ blase platzte. Auf solchem Wege war die Schuldenlast nicht abzuschütteln oder zu erleichtern. Beim Tode Georgs jedoch betrug der jährliche Aufwand nur 2"^ Millionen, obgleich die Schuld selbst auf mehr als 50 Millionen ange¬ wachsen war. Die Besserung war eine Folge der Herabsetzung des hohen Zinsfußes früherer Anleihen, der bei dem überraschend schnellen Aufblühen des Handels und der sich daraus ergebenden Stärkung des Staatskredits unverantwortlich war und eine gesunde Wirtschaft schlechterdings ausschloß. Auch sonst ließen sich die Dinge besser an, und die friedliche, nur auf Förderung von Handel und Gewerbe bedachte Verwaltung Walpoles während der ersten Zeit Georgs des Zweiten erlaubte sogar so viel zu erübrigen, daß die Schuld auf 46^ Millionen hinunterging. Wäre nicht die Korruption der ganzen Regierungsmaschine gewesen, so hätte noch mehr geleistet, und bei Fortdauer des Friedens die ganze Schuld in weniger als einem Menschenalter getilgt werden können. Aber auch eine langsame Abtragung wurde verhindert durch das Ende des Friedens. Denn 1739 begann die Zeit der großen Kriege um die Herr¬ schaft über die Meere, die von Britannien zur See mit seiner Flotte, auf dem europäischen Festlande aber vornehmlich mit seiner Kapitalkraft durch finanzielle Unterstützung seiner Verbündeten geführt wurden. Die Hilfsgelder an diese und die eignen Rüstungen verschlangen ungeheure Summen, und dabei blieb die Kostspieligkeit der Verwaltung im vollen Umfange bestehn, aus Rücksicht auf die Parlamentsmitglieder und ihren versorgungsbedürftigcn Anhang. So mußte der Staatskredit fortwährend und in immer gesteigertem Maße in Anspruch genommen werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/416>, abgerufen am 06.02.2025.