Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.saxonica Gleichwohl liegt die Wurzel des ingrimmigen Hasses, mit dem die Sozial- Auch der oberflächlichste Blick auf das Verhalten der sächsischen Behörden saxonica Gleichwohl liegt die Wurzel des ingrimmigen Hasses, mit dem die Sozial- Auch der oberflächlichste Blick auf das Verhalten der sächsischen Behörden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297435"/> <fw type="header" place="top"> saxonica</fw><lb/> <p xml:id="ID_1378"> Gleichwohl liegt die Wurzel des ingrimmigen Hasses, mit dem die Sozial-<lb/> demokratie gerade Sachsen verfolgt, nicht in diesen Umständen. Sie liegt<lb/> vielmehr vorwiegend in dem Verhalten, das Regierung und Stände in Sachsen<lb/> zur Abwehr der zerstörenden Wirksamkeit der Sozialdemokratie auf deu Ge¬<lb/> bieten des Vereins- und Versammlungsrechts und der Zusammensetzung des<lb/> Volksvertretuugskörpers zu beobachten sich genötigt gesehen habe». Es ist<lb/> ohne weiteres durch die Natur des Kampfes, deu die Sozialdemokratie überall,<lb/> wo sie auftritt, dem Staate aufnötigt, und der um nichts geringeres als<lb/> dessen Existenz geführt wird, gegeben, daß gerade ans den genannten Ge¬<lb/> bieten die bei diesem Kampfe unvermeidlichen Konflikte die schärfste Zuspitzung<lb/> erhalten; und es ist ferner in der ganzen Sachlage begründet, daß hier nicht<lb/> schwächliches Nachgeben beim Staate, sondern nur ein entschiednes lind nach¬<lb/> drückliches Auftreten von Erfolg sein kann. Ein solches Auftreten mußte<lb/> sich die sächsische Regierung denn auch zur Pflicht machen. Man würde<lb/> aber die sächsische Negierung und die sächsischen Verhältnisse wenig kennen,<lb/> wenn mau annähme, daß sich die Regierung nicht trotz aller Entschiedenheit<lb/> ihres Auftretens bei diesem Kampfe streng innerhalb der Schranken gehalten<lb/> hätte, die ihr Gesetz und Recht vorschreiben, oder daß die Regierung und die<lb/> Stunde hierbei etwa gar, wie es die Sozialdemokratie mit so zäher Ausdauer<lb/> der Welt glauben zu machen sucht, mit bewußter Härte und Willkür, an denen<lb/> ein politisch beschränkter Horizont ebensoviel Anteil habe wie die Lust am<lb/> Konflikte, jede freiere Regung der Volksseele niederzuhalten liebte. Wer solchen<lb/> Behauptungen Glauben schenkt, der kaun niemals das Verhalten der sächsischen<lb/> Behörden beobachtet haben, noch weniger aber kann er Kenntnis von den<lb/> Eigentümlichkeiten des sächsischen Charakters haben. Wenn irgend etwas, so<lb/> liegt dem sächsischen Charakter brutale Willkür und Gewaltmeuschcutum fern.<lb/> Der Sachse erstrebt alles andre, als in der Eigenschaft eines Champions im<lb/> Ringkampfe mit der Sozialdemokratie zu posiere», er liebt im Gegenteil mehr<lb/> als irgendein andrer deutscher Stamm den Frieden, und könnte er diesen mit<lb/> Nachgiebigkeit erkaufen, so würde er vielleicht hierzu mehr bereit sein als jemand<lb/> sonst. Es ist darum völlig ausgeschlossen, daß die Regierung und die Gesell¬<lb/> schaft in Sachsen den Kampf ans purem Übermut und ans Freude am Streite<lb/> führten. Worin sich das Vorgeh» in Sachse» von dem andrer Staaten allein<lb/> unterscheidet, das ist, daß in Sachsen infolge des früher» und allgemeiner»<lb/> Auftretens der Umsturzpartei die Konflikte mit ihr früher und häufiger einge¬<lb/> treten sind und eintreten mußten und, wir wollen das nicht in Abrede stellen,<lb/> U'folge des größern Ungestüms der sozialdemokratischen Angriffe anch zu ent-<lb/> schieducrer Abwehr nötigten als in ander» Staate». Das ist i» der Tat aber<lb/> auch alles, wori» sich der Kampf gegen die Sozialdemokratie in Sachsen von<lb/> dem in andern Ländern unterscheidet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1379" next="#ID_1380"> Auch der oberflächlichste Blick auf das Verhalten der sächsischen Behörden<lb/> ^ dieser Hinsicht wird das bestätigen. Da ist zunächst die Handhabung des<lb/> Vereins- und Versammlungsrcchts in Sachsen. Wer die sozialdemokratischen<lb/> Blatter liest, der muß annehmen, daß den beklagenswerten sozialdemokratischen<lb/> Agitatoren infolge der sah»ödeste» Hmwcgsetzuug der Behörde» über Gesetz</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0303]
saxonica
Gleichwohl liegt die Wurzel des ingrimmigen Hasses, mit dem die Sozial-
demokratie gerade Sachsen verfolgt, nicht in diesen Umständen. Sie liegt
vielmehr vorwiegend in dem Verhalten, das Regierung und Stände in Sachsen
zur Abwehr der zerstörenden Wirksamkeit der Sozialdemokratie auf deu Ge¬
bieten des Vereins- und Versammlungsrechts und der Zusammensetzung des
Volksvertretuugskörpers zu beobachten sich genötigt gesehen habe». Es ist
ohne weiteres durch die Natur des Kampfes, deu die Sozialdemokratie überall,
wo sie auftritt, dem Staate aufnötigt, und der um nichts geringeres als
dessen Existenz geführt wird, gegeben, daß gerade ans den genannten Ge¬
bieten die bei diesem Kampfe unvermeidlichen Konflikte die schärfste Zuspitzung
erhalten; und es ist ferner in der ganzen Sachlage begründet, daß hier nicht
schwächliches Nachgeben beim Staate, sondern nur ein entschiednes lind nach¬
drückliches Auftreten von Erfolg sein kann. Ein solches Auftreten mußte
sich die sächsische Regierung denn auch zur Pflicht machen. Man würde
aber die sächsische Negierung und die sächsischen Verhältnisse wenig kennen,
wenn mau annähme, daß sich die Regierung nicht trotz aller Entschiedenheit
ihres Auftretens bei diesem Kampfe streng innerhalb der Schranken gehalten
hätte, die ihr Gesetz und Recht vorschreiben, oder daß die Regierung und die
Stunde hierbei etwa gar, wie es die Sozialdemokratie mit so zäher Ausdauer
der Welt glauben zu machen sucht, mit bewußter Härte und Willkür, an denen
ein politisch beschränkter Horizont ebensoviel Anteil habe wie die Lust am
Konflikte, jede freiere Regung der Volksseele niederzuhalten liebte. Wer solchen
Behauptungen Glauben schenkt, der kaun niemals das Verhalten der sächsischen
Behörden beobachtet haben, noch weniger aber kann er Kenntnis von den
Eigentümlichkeiten des sächsischen Charakters haben. Wenn irgend etwas, so
liegt dem sächsischen Charakter brutale Willkür und Gewaltmeuschcutum fern.
Der Sachse erstrebt alles andre, als in der Eigenschaft eines Champions im
Ringkampfe mit der Sozialdemokratie zu posiere», er liebt im Gegenteil mehr
als irgendein andrer deutscher Stamm den Frieden, und könnte er diesen mit
Nachgiebigkeit erkaufen, so würde er vielleicht hierzu mehr bereit sein als jemand
sonst. Es ist darum völlig ausgeschlossen, daß die Regierung und die Gesell¬
schaft in Sachsen den Kampf ans purem Übermut und ans Freude am Streite
führten. Worin sich das Vorgeh» in Sachse» von dem andrer Staaten allein
unterscheidet, das ist, daß in Sachsen infolge des früher» und allgemeiner»
Auftretens der Umsturzpartei die Konflikte mit ihr früher und häufiger einge¬
treten sind und eintreten mußten und, wir wollen das nicht in Abrede stellen,
U'folge des größern Ungestüms der sozialdemokratischen Angriffe anch zu ent-
schieducrer Abwehr nötigten als in ander» Staate». Das ist i» der Tat aber
auch alles, wori» sich der Kampf gegen die Sozialdemokratie in Sachsen von
dem in andern Ländern unterscheidet.
Auch der oberflächlichste Blick auf das Verhalten der sächsischen Behörden
^ dieser Hinsicht wird das bestätigen. Da ist zunächst die Handhabung des
Vereins- und Versammlungsrcchts in Sachsen. Wer die sozialdemokratischen
Blatter liest, der muß annehmen, daß den beklagenswerten sozialdemokratischen
Agitatoren infolge der sah»ödeste» Hmwcgsetzuug der Behörde» über Gesetz
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