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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

habe, um desto sicherer Österreich einstecken zu können! Vor ungefähr dreißig Jahren
konnte man einmal schreiben, es gebe keine Dummheit in der Politik, die so groß
sei, daß sie in Frankreich nicht geglaubt würde. Die Richtigkeit dieses Satzes be¬
wahrheitet sich immer wieder von neuem. Zugegeben mag werden, daß unsre
"alldeutschen" politischen Programme dein Auslande wenigstens einen gewissen
Anhalt zu Verdächtigungen bieten. Wenn deutsche Zeitungen und Redner Trieft
als das "Hamburg im deutscheu Süden" bezeichnen, so darf man den Stimmen
in Frankreich, Italien und England, die dem Deutschland der Zukunft einen großen
Mittelmeerehrgeiz anhängen, kaum den Vorwurf der Illoyalität machen, wenn sie
sich die Sache auf ihre Art zurechtlegen. Aber in Österreich-Ungarn sollten doch
wenigstens die Staatsmänner und die politischen Parteien, die an Umwälzungen
in Europa kein Interesse haben, auf die jetzt unverhüllt hervortretenden französischen,
englischen und großitalienischen Theorien genauer achtgeben, die auf den "Zerfall
der Habsburgischen Monarchie" mit wachsender Zuversicht rechnen und bei dieser
Gelegenheit die Karte von Europa revidieren möchten. Hierin liegt auch der
Schlüssel zu der Verlegung des italienischen militärischen Schwergewichts von der
Westgrenze an die Ostgrenze, verbunden mit den die Finanzen Italiens so sehr be¬
tastenden und dennoch willig getragnen Rüstungskrediten. Das ist französische Aus¬
saat, die dort aufgeht. Man kann sich danach ungefähr vorstellen, wie mißfällig in
Frankreich die Shmpathiebeweise aufgenommen werden, die dem deutschen Kaiser in
diesen beiden letzten Jahren so reichlich wieder in Italien zuteil geworden sind.

An dem "Zerfall Österreichs" haben sich schon viele Leute -- die Finger
abgeschrieben. Zu Anfang der sechziger Jahre brachte die Berliner Volkszeitung
eine lange Serie von Artikeln, in denen der bevorstehende "Zerfall" Österreichs
haarscharf nachgewiesen war. Seitdem ist bald ein halbes Jahrhundert mit mancher¬
lei schweren Krisen über die habsburgische Monarchie dahingegangen, und sie steht
immer noch aufrecht. Ja mehr als das. Seit jener Zeit hat sich bei allen ein¬
sichtigen Deutschen die Erkenntnis befestigt, daß das Vorhandensein eines
lebenskräftigen Österreich-Ungarns ein Bedürfnis für Deutschland ist.
Bismarck hat diesem Gedanken in den Worten Ausdruck verliehen: "Wenn Österreich
nicht existierte, müßte man es schaffen . . .," und in seinen hinterlassenen Schriften,
den "Gedanken und Erinnerungen," hat er sich über dieses Thema noch eingehender
ausgesprochen. Der "Rausch," den Deutschland zu machen hätte, wenn jemals in
Österreich-Ungarn Erbschaftswirrcu ausbrechen sollte", richtiger wohl: von außen
hervorgerufen werden sollten, wäre der, daß Deutschland mit allen Mitteln
für die Erhaltung der habsburgischen Monarchie einzustehn hätte, wie
sie heute ist. In diesem Sinne hat sich schon vor mehreren Jahren ein süd¬
deutscher Souverän zu dem besorgten Präsidenten der Zweiten Kammer seines
Landes rin großer Bestimmtheit ausgesprochen.

Gegenüber allen feindlichen Tendenzen ist Österreich-Ungarns Integrität ge¬
deckt durch das Bündnis mit Deutschland sowie durch das Interesse Rußlands an
der Stetigkeit, Ruhe und Ordnung in der großen Donaumonarchie. Beide Mächte
würden einem plötzlich zerfallenden Österreich-Ungarn gegenüber in eine große
Verlegenheit geraten, weil das mit einem Hervorbrechen aller expansiven Tendenzen
in Europa gleichbedeutend wäre. Die italienische Aktionspnrtei wünscht Ver¬
größerung Italiens um Südtirol, Trieft usw., Frankreich möchte gar zu gern
Wieder "europäische" Politik machen, wozu es seit dem Verlust von Metz und
Straßburg nicht mehr in der Lage ist, daher seine fortgesetzte Miniernngsarbeit und
das Ausstrecken seiner Fühler nach allen möglichen Bündnissen, und -- England
k"um bekanntlich jede festländische Verwicklung gebrauchen. Doch zu dem Interesse
Deutschlands und Rußlands an der Erhaltung des stAws ano in Österreich-Ungarn,
an seiner Verbesserung durch eine starke Regierungsautorität gesellt sich auch
die Einsicht aller besonnenen Italiener, die eine ehrliche Fortdauer des italienisch-
österreichischen Bündnisses vorziehn und sich nicht verhehlen, daß sein Aufhören


Maßgebliches und Unmaßgebliches

habe, um desto sicherer Österreich einstecken zu können! Vor ungefähr dreißig Jahren
konnte man einmal schreiben, es gebe keine Dummheit in der Politik, die so groß
sei, daß sie in Frankreich nicht geglaubt würde. Die Richtigkeit dieses Satzes be¬
wahrheitet sich immer wieder von neuem. Zugegeben mag werden, daß unsre
„alldeutschen" politischen Programme dein Auslande wenigstens einen gewissen
Anhalt zu Verdächtigungen bieten. Wenn deutsche Zeitungen und Redner Trieft
als das „Hamburg im deutscheu Süden" bezeichnen, so darf man den Stimmen
in Frankreich, Italien und England, die dem Deutschland der Zukunft einen großen
Mittelmeerehrgeiz anhängen, kaum den Vorwurf der Illoyalität machen, wenn sie
sich die Sache auf ihre Art zurechtlegen. Aber in Österreich-Ungarn sollten doch
wenigstens die Staatsmänner und die politischen Parteien, die an Umwälzungen
in Europa kein Interesse haben, auf die jetzt unverhüllt hervortretenden französischen,
englischen und großitalienischen Theorien genauer achtgeben, die auf den „Zerfall
der Habsburgischen Monarchie" mit wachsender Zuversicht rechnen und bei dieser
Gelegenheit die Karte von Europa revidieren möchten. Hierin liegt auch der
Schlüssel zu der Verlegung des italienischen militärischen Schwergewichts von der
Westgrenze an die Ostgrenze, verbunden mit den die Finanzen Italiens so sehr be¬
tastenden und dennoch willig getragnen Rüstungskrediten. Das ist französische Aus¬
saat, die dort aufgeht. Man kann sich danach ungefähr vorstellen, wie mißfällig in
Frankreich die Shmpathiebeweise aufgenommen werden, die dem deutschen Kaiser in
diesen beiden letzten Jahren so reichlich wieder in Italien zuteil geworden sind.

An dem „Zerfall Österreichs" haben sich schon viele Leute — die Finger
abgeschrieben. Zu Anfang der sechziger Jahre brachte die Berliner Volkszeitung
eine lange Serie von Artikeln, in denen der bevorstehende „Zerfall" Österreichs
haarscharf nachgewiesen war. Seitdem ist bald ein halbes Jahrhundert mit mancher¬
lei schweren Krisen über die habsburgische Monarchie dahingegangen, und sie steht
immer noch aufrecht. Ja mehr als das. Seit jener Zeit hat sich bei allen ein¬
sichtigen Deutschen die Erkenntnis befestigt, daß das Vorhandensein eines
lebenskräftigen Österreich-Ungarns ein Bedürfnis für Deutschland ist.
Bismarck hat diesem Gedanken in den Worten Ausdruck verliehen: „Wenn Österreich
nicht existierte, müßte man es schaffen . . .," und in seinen hinterlassenen Schriften,
den „Gedanken und Erinnerungen," hat er sich über dieses Thema noch eingehender
ausgesprochen. Der „Rausch," den Deutschland zu machen hätte, wenn jemals in
Österreich-Ungarn Erbschaftswirrcu ausbrechen sollte», richtiger wohl: von außen
hervorgerufen werden sollten, wäre der, daß Deutschland mit allen Mitteln
für die Erhaltung der habsburgischen Monarchie einzustehn hätte, wie
sie heute ist. In diesem Sinne hat sich schon vor mehreren Jahren ein süd¬
deutscher Souverän zu dem besorgten Präsidenten der Zweiten Kammer seines
Landes rin großer Bestimmtheit ausgesprochen.

Gegenüber allen feindlichen Tendenzen ist Österreich-Ungarns Integrität ge¬
deckt durch das Bündnis mit Deutschland sowie durch das Interesse Rußlands an
der Stetigkeit, Ruhe und Ordnung in der großen Donaumonarchie. Beide Mächte
würden einem plötzlich zerfallenden Österreich-Ungarn gegenüber in eine große
Verlegenheit geraten, weil das mit einem Hervorbrechen aller expansiven Tendenzen
in Europa gleichbedeutend wäre. Die italienische Aktionspnrtei wünscht Ver¬
größerung Italiens um Südtirol, Trieft usw., Frankreich möchte gar zu gern
Wieder „europäische" Politik machen, wozu es seit dem Verlust von Metz und
Straßburg nicht mehr in der Lage ist, daher seine fortgesetzte Miniernngsarbeit und
das Ausstrecken seiner Fühler nach allen möglichen Bündnissen, und — England
k"um bekanntlich jede festländische Verwicklung gebrauchen. Doch zu dem Interesse
Deutschlands und Rußlands an der Erhaltung des stAws ano in Österreich-Ungarn,
an seiner Verbesserung durch eine starke Regierungsautorität gesellt sich auch
die Einsicht aller besonnenen Italiener, die eine ehrliche Fortdauer des italienisch-
österreichischen Bündnisses vorziehn und sich nicht verhehlen, daß sein Aufhören


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/287>, abgerufen am 05.02.2025.