Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.I>er Kampf um die Adria Und gerade so wie einer italienischen Expansion nach dem Osten mußte Beide Ufer der Adria, das heißt die Adria selbst, dürfen nicht einem Schon früh hatte Venedig Einfluß auf die romanische Küstenbevölkerung Es kam aber eine Zeit, wo sich die lokalen Unwetter, die Venedigs Stellung I>er Kampf um die Adria Und gerade so wie einer italienischen Expansion nach dem Osten mußte Beide Ufer der Adria, das heißt die Adria selbst, dürfen nicht einem Schon früh hatte Venedig Einfluß auf die romanische Küstenbevölkerung Es kam aber eine Zeit, wo sich die lokalen Unwetter, die Venedigs Stellung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297322"/> <fw type="header" place="top"> I>er Kampf um die Adria</fw><lb/> <p xml:id="ID_834"> Und gerade so wie einer italienischen Expansion nach dem Osten mußte<lb/> Venedig, aus demselben Grunde, einer griechischen Expansion nach dem Westen<lb/> entgegentreten. Als um die Mitte des zwölften Jahrhunderts eine solche<lb/> vorübergehend zu befürchten stand, als der griechische Kaiser Manuel der Erste<lb/> die Politik Justinians gegenüber Italien zu wiederholen versuchte, da machte<lb/> Venedig sofort eine Schwenkung, verließ die traditionellen Bundesgenossen, die<lb/> Grieche«, und trat in Freundschaft und Bündnis mit den bisherigen Gegnern,<lb/> den Normannen Unteritaliens. Das Gelingen der griechischen Absicht auf<lb/> Italien hätte für Venedig dieselbe Gefahr der Einsperrung in der Adria be¬<lb/> deutet wie das Gelingen der normannischen Absicht auf die Balkanhalbinsel.<lb/> Die Ursache der Abschwenkuug Venedigs zu den Normannen in diesem Falle<lb/> war also dieselbe, die vorher und nachher die Republik zu den Gegnern der<lb/> Normannen gemacht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_835"> Beide Ufer der Adria, das heißt die Adria selbst, dürfen nicht einem<lb/> Herrn gehören: das war der oberste Grundsatz der venezianischen Adriapolitik.<lb/> Oder — und das ist die Ergänzung dieses Grundsatzes — dieser eine Herr<lb/> beider Ufer, das heißt der Adria, darf nur Venedig selber sein; es war zugleich<lb/> das beste Mittel, Bestrebungen, die von andrer Seite kamen, unschädlich zu<lb/> machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_836"> Schon früh hatte Venedig Einfluß auf die romanische Küstenbevölkerung<lb/> Dalmatiens gewonnen, zu einer Zeit schon, als beide noch im Verband des<lb/> oströmischen Kaiserreichs standen; um das Jahr 1000 hatte dann der Doge<lb/> Peter der Zweite Orseolo eine Art Oberhoheit über die dalmatinischen Städte<lb/> und Inseln etabliert und dem Titel des Dogen den eines Herzogs von Dal-<lb/> matien hinzugefügt. Aber von einer wirklichen Herrschaft konnte noch keine<lb/> Rede sein, zumal da die Politik Orseolos zunächst keine Fortsetzung fand.<lb/> Das wurde anders, als zum erstenmal jene normannische Gefahr auftrat,<lb/> die wir gezeichnet haben, im Jahre 1076, wo sich normannische Scharen in<lb/> Dalmatien festzusetzen suchten. Um das zu verhindern, griff Venedig auf die<lb/> Politik Orseolos zurück und errichtete seine Herrschaft an der dalmatinischen<lb/> Küste. Dabei geriet es aber in dauernden Gegensatz zu den Völkern im Hinter¬<lb/> kante Dalmatiens, zuerst zu den Kroaten und dann zu deren Bezwingern, den<lb/> Magyaren. Diese hatten ein berechtigtes Interesse, sich den Zugang zum<lb/> Meere offen zu halten. Wechselvolle Kämpfe waren die Folge, die schließlich im<lb/> zwölften Jahrhundert zu einem Zustande der Teilung führten, und zwar in der<lb/> Weise, daß Venedig die Stadt Zara und die ihr vorgelagerten Inseln, Ungarn<lb/> den ganzen südlich davon liegenden Teil Dalmatiens besetzt hielten.</p><lb/> <p xml:id="ID_837" next="#ID_838"> Es kam aber eine Zeit, wo sich die lokalen Unwetter, die Venedigs Stellung<lb/> von zwei Seiten her, von Unteritalien und von Ungarn aus, fast ununterbrochen<lb/> bedrohten, zu einer einzigen unheilschwangern Wolke zusammenzuballen schienen.<lb/> Das Haus Anjou von Neapel kam auch in den Besitz der Stephanskrone.<lb/> Die beiden Anjoukönige, die von 1310 bis 1382 in Ungarn herrschten, waren<lb/> die berechtigten Erben der Krone Neapels und haben auch nie daran gedacht,<lb/> auf ihre Ansprüche auf Neapel zu verzichten. So war die große Gefahr nahe<lb/> gerückt, daß Venedig die Früchte seiner ganzen bisherigen Adriapolitik verlieren,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
I>er Kampf um die Adria
Und gerade so wie einer italienischen Expansion nach dem Osten mußte
Venedig, aus demselben Grunde, einer griechischen Expansion nach dem Westen
entgegentreten. Als um die Mitte des zwölften Jahrhunderts eine solche
vorübergehend zu befürchten stand, als der griechische Kaiser Manuel der Erste
die Politik Justinians gegenüber Italien zu wiederholen versuchte, da machte
Venedig sofort eine Schwenkung, verließ die traditionellen Bundesgenossen, die
Grieche«, und trat in Freundschaft und Bündnis mit den bisherigen Gegnern,
den Normannen Unteritaliens. Das Gelingen der griechischen Absicht auf
Italien hätte für Venedig dieselbe Gefahr der Einsperrung in der Adria be¬
deutet wie das Gelingen der normannischen Absicht auf die Balkanhalbinsel.
Die Ursache der Abschwenkuug Venedigs zu den Normannen in diesem Falle
war also dieselbe, die vorher und nachher die Republik zu den Gegnern der
Normannen gemacht hat.
Beide Ufer der Adria, das heißt die Adria selbst, dürfen nicht einem
Herrn gehören: das war der oberste Grundsatz der venezianischen Adriapolitik.
Oder — und das ist die Ergänzung dieses Grundsatzes — dieser eine Herr
beider Ufer, das heißt der Adria, darf nur Venedig selber sein; es war zugleich
das beste Mittel, Bestrebungen, die von andrer Seite kamen, unschädlich zu
machen.
Schon früh hatte Venedig Einfluß auf die romanische Küstenbevölkerung
Dalmatiens gewonnen, zu einer Zeit schon, als beide noch im Verband des
oströmischen Kaiserreichs standen; um das Jahr 1000 hatte dann der Doge
Peter der Zweite Orseolo eine Art Oberhoheit über die dalmatinischen Städte
und Inseln etabliert und dem Titel des Dogen den eines Herzogs von Dal-
matien hinzugefügt. Aber von einer wirklichen Herrschaft konnte noch keine
Rede sein, zumal da die Politik Orseolos zunächst keine Fortsetzung fand.
Das wurde anders, als zum erstenmal jene normannische Gefahr auftrat,
die wir gezeichnet haben, im Jahre 1076, wo sich normannische Scharen in
Dalmatien festzusetzen suchten. Um das zu verhindern, griff Venedig auf die
Politik Orseolos zurück und errichtete seine Herrschaft an der dalmatinischen
Küste. Dabei geriet es aber in dauernden Gegensatz zu den Völkern im Hinter¬
kante Dalmatiens, zuerst zu den Kroaten und dann zu deren Bezwingern, den
Magyaren. Diese hatten ein berechtigtes Interesse, sich den Zugang zum
Meere offen zu halten. Wechselvolle Kämpfe waren die Folge, die schließlich im
zwölften Jahrhundert zu einem Zustande der Teilung führten, und zwar in der
Weise, daß Venedig die Stadt Zara und die ihr vorgelagerten Inseln, Ungarn
den ganzen südlich davon liegenden Teil Dalmatiens besetzt hielten.
Es kam aber eine Zeit, wo sich die lokalen Unwetter, die Venedigs Stellung
von zwei Seiten her, von Unteritalien und von Ungarn aus, fast ununterbrochen
bedrohten, zu einer einzigen unheilschwangern Wolke zusammenzuballen schienen.
Das Haus Anjou von Neapel kam auch in den Besitz der Stephanskrone.
Die beiden Anjoukönige, die von 1310 bis 1382 in Ungarn herrschten, waren
die berechtigten Erben der Krone Neapels und haben auch nie daran gedacht,
auf ihre Ansprüche auf Neapel zu verzichten. So war die große Gefahr nahe
gerückt, daß Venedig die Früchte seiner ganzen bisherigen Adriapolitik verlieren,
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