Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Ver Rainpf um die Adria Ziel der italienischen Adriawünsche sind - ihre Herrschaft auf der Balkan¬ Die andre italienische Macht, die während des Mittelalters begehrlich nach Grenzboten II 1905 24
Ver Rainpf um die Adria Ziel der italienischen Adriawünsche sind - ihre Herrschaft auf der Balkan¬ Die andre italienische Macht, die während des Mittelalters begehrlich nach Grenzboten II 1905 24
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297321"/> <fw type="header" place="top"> Ver Rainpf um die Adria</fw><lb/> <p xml:id="ID_832" prev="#ID_831"> Ziel der italienischen Adriawünsche sind - ihre Herrschaft auf der Balkan¬<lb/> halbinsel zu begründen versucht, allerdings ohne dauernden Erfolg; ihre Nach¬<lb/> folger im Königreich Neapel, die Hohenstaufen, die ersten Anjous und noch in<lb/> der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts Alfons der Fünfte von Aragon,<lb/> haben diese Politik als die natürlich gegebne fortgesetzt, doch auch sie waren<lb/> dabei nicht mehr vom Glück begünstigt als ihre normannischen Vorgänger: es<lb/> war eine Politik, die mit dazu beitrug, den europäischen Orient dauernd vom<lb/> Occident zu trennen und die Osmanenherrschaft in Europa vorzubereiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_833"> Die andre italienische Macht, die während des Mittelalters begehrlich nach<lb/> der Ostküste der Adria ausschaute, war Venedig. Venedig war Handelsmacht<lb/> geworden mit großen merkantilen Interessen im ganzen Mittelmeer, in Kon¬<lb/> stantinopel sowohl wie an der syrischen Küste und den großen Handelsplätzen<lb/> Ägyptens. Für Venedig war es demnach eine Lebensfrage, daß der Ausgang<lb/> von der Adria ins Mittelmeer jederzeit seinen Handels- und Kriegsschiffen offen<lb/> stand. Gelang aber den normannischen Königen Neapels oder ihren Nach¬<lb/> folgern die Unterwerfung der östlichen Adriccküste, dann lag es jederzeit in ihrer<lb/> Hand, als Herren beider Küsten diesen Ausgang zu sperren, zumal da sie seit¬<lb/> dem auch die dem Ausgang vorgelagerten Ionischen Inseln mit Korfu ge¬<lb/> wonnen hatten. Die Adria wäre nicht ein freies, sondern ein normannisches<lb/> Binnenmeer geworden. Der Republik Venedig war dadurch ihre Politik aufs<lb/> klarste vorgezeichnet: jede Okkupation der östlichen Adriatuste, die von einem<lb/> andern Staat als dem eignen ausging, mußte sie unter allen Umständen zu<lb/> verhindern suchen. Dementsprechend hat sie gehandelt und — von einer noch<lb/> unaufgeklärten Ausnahme im Jahre 1280 abgesehen — das griechische Reich,<lb/> obwohl aus guten Gründen oft genug mit ihm im Zwist, gegen Normannen,<lb/> Hohenstaufen, Anjous mit Erfolg unterstützt und auch noch in der Mitte des<lb/> fünfzehnten Jahrhunderts, als Alfons der Fünfte von Aragon und Neapel<lb/> nach langer Pause die Politik seiner Vorgänger auf dem Throne Neapels<lb/> wieder aufzunehmen meinte, ihren Einspruch erhoben; die Republik war dabei<lb/> in der glücklichen Lage, für die Unterstützung der Griechen, die doch ihr eigenstes<lb/> Interesse so dringend gebot, obendrein noch als Lohn dieser Unterstützung die<lb/> wertvollsten Handelskonzessionen zu erlangen. Einmal allerdings hat sich auch<lb/> Venedig an der kriegerischen Expansion des Westens nach dem europäischen<lb/> Orient beteiligt, und sogar in führender Stellung; das war im vierten Kreuz-<lb/> Auge im Jahre 1204. der zur Eroberung Konstantinopels und zur Errichtung<lb/> des lateinischen Kaiserreichs geführt hat. Aber gerade diese Ausnahme bestätigt<lb/> die Nichtigkeit unsrer Darstellung der venezianischen Politik. Denn dieser vierte<lb/> Kreuzzug war die einzige abendländische Unternehmung gegen das griechische<lb/> Reich, von dem das Königreich Neapel ausgeschlossen war; König von Neapel<lb/> war damals der Knabe Friedrich der Zweite von Hohenstaufen. und sein Vor¬<lb/> mund war Papst Jnnozcnz der Dritte, der den Zug gegen Konstantinopel mit<lb/> seiner ausgesprochnen Mißbilligung begleitete. So hatte Venedig in diesem Falle<lb/> keine Gefahr für die Freiheit der Adria zu befürchten, und es konnte nun ein¬<lb/> mal, ohne durch schwerwiegende eigne Interessen daran gehindert zu sein, seine<lb/> Abrechnung mit den Griechen vornehmen.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1905 24</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0189]
Ver Rainpf um die Adria
Ziel der italienischen Adriawünsche sind - ihre Herrschaft auf der Balkan¬
halbinsel zu begründen versucht, allerdings ohne dauernden Erfolg; ihre Nach¬
folger im Königreich Neapel, die Hohenstaufen, die ersten Anjous und noch in
der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts Alfons der Fünfte von Aragon,
haben diese Politik als die natürlich gegebne fortgesetzt, doch auch sie waren
dabei nicht mehr vom Glück begünstigt als ihre normannischen Vorgänger: es
war eine Politik, die mit dazu beitrug, den europäischen Orient dauernd vom
Occident zu trennen und die Osmanenherrschaft in Europa vorzubereiten.
Die andre italienische Macht, die während des Mittelalters begehrlich nach
der Ostküste der Adria ausschaute, war Venedig. Venedig war Handelsmacht
geworden mit großen merkantilen Interessen im ganzen Mittelmeer, in Kon¬
stantinopel sowohl wie an der syrischen Küste und den großen Handelsplätzen
Ägyptens. Für Venedig war es demnach eine Lebensfrage, daß der Ausgang
von der Adria ins Mittelmeer jederzeit seinen Handels- und Kriegsschiffen offen
stand. Gelang aber den normannischen Königen Neapels oder ihren Nach¬
folgern die Unterwerfung der östlichen Adriccküste, dann lag es jederzeit in ihrer
Hand, als Herren beider Küsten diesen Ausgang zu sperren, zumal da sie seit¬
dem auch die dem Ausgang vorgelagerten Ionischen Inseln mit Korfu ge¬
wonnen hatten. Die Adria wäre nicht ein freies, sondern ein normannisches
Binnenmeer geworden. Der Republik Venedig war dadurch ihre Politik aufs
klarste vorgezeichnet: jede Okkupation der östlichen Adriatuste, die von einem
andern Staat als dem eignen ausging, mußte sie unter allen Umständen zu
verhindern suchen. Dementsprechend hat sie gehandelt und — von einer noch
unaufgeklärten Ausnahme im Jahre 1280 abgesehen — das griechische Reich,
obwohl aus guten Gründen oft genug mit ihm im Zwist, gegen Normannen,
Hohenstaufen, Anjous mit Erfolg unterstützt und auch noch in der Mitte des
fünfzehnten Jahrhunderts, als Alfons der Fünfte von Aragon und Neapel
nach langer Pause die Politik seiner Vorgänger auf dem Throne Neapels
wieder aufzunehmen meinte, ihren Einspruch erhoben; die Republik war dabei
in der glücklichen Lage, für die Unterstützung der Griechen, die doch ihr eigenstes
Interesse so dringend gebot, obendrein noch als Lohn dieser Unterstützung die
wertvollsten Handelskonzessionen zu erlangen. Einmal allerdings hat sich auch
Venedig an der kriegerischen Expansion des Westens nach dem europäischen
Orient beteiligt, und sogar in führender Stellung; das war im vierten Kreuz-
Auge im Jahre 1204. der zur Eroberung Konstantinopels und zur Errichtung
des lateinischen Kaiserreichs geführt hat. Aber gerade diese Ausnahme bestätigt
die Nichtigkeit unsrer Darstellung der venezianischen Politik. Denn dieser vierte
Kreuzzug war die einzige abendländische Unternehmung gegen das griechische
Reich, von dem das Königreich Neapel ausgeschlossen war; König von Neapel
war damals der Knabe Friedrich der Zweite von Hohenstaufen. und sein Vor¬
mund war Papst Jnnozcnz der Dritte, der den Zug gegen Konstantinopel mit
seiner ausgesprochnen Mißbilligung begleitete. So hatte Venedig in diesem Falle
keine Gefahr für die Freiheit der Adria zu befürchten, und es konnte nun ein¬
mal, ohne durch schwerwiegende eigne Interessen daran gehindert zu sein, seine
Abrechnung mit den Griechen vornehmen.
Grenzboten II 1905 24
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