Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Cosme Freien auf der Satteldecke geschlafen. Doch ich lies; mir das weiche Lager Den nächsten Vormittag verbrachten wir noch in Cosme, Nachmittags, Sind diese Menschen auf einem Irrwege? Wieder tauchte die Frage vor Aber auch Cosme selbst hat seine Mängel. Wer in die Gemeinschaft ein¬ Cosme Freien auf der Satteldecke geschlafen. Doch ich lies; mir das weiche Lager Den nächsten Vormittag verbrachten wir noch in Cosme, Nachmittags, Sind diese Menschen auf einem Irrwege? Wieder tauchte die Frage vor Aber auch Cosme selbst hat seine Mängel. Wer in die Gemeinschaft ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297296"/> <fw type="header" place="top"> Cosme</fw><lb/> <p xml:id="ID_649" prev="#ID_648"> Freien auf der Satteldecke geschlafen. Doch ich lies; mir das weiche Lager<lb/> schließlich ganz gern gefallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_650"> Den nächsten Vormittag verbrachten wir noch in Cosme, Nachmittags,<lb/> nachdem die größte Hitze vorüber war, wollten wir uns wieder auf den Weg<lb/> machen. Zuvor jedoch mußten wir bei unsern Gastgebern noch einen „kleinen<lb/> Bissen" zu uns nehmen. Aber wie sah der „kleine Bissen" aus! Der Tisch<lb/> stand übervoll von Schüsseln und Platten, so reichlich waren zum Abschied die<lb/> herrlichen Dinge aufgetragen: kaltes Fleisch und Fleischpastete, Brote verschiedner<lb/> Art, gebackne Bananen, Bananenkuchen und andre Kuchen, Weintrauben und<lb/> Orangen, dazu Mate mit Zitronenscheiben. Das Bild erinnerte mich an eine<lb/> Stelle in Washington Jrvings L1<ZSM Rolle^v, die die nahrhaften Herrlichkeiten<lb/> eines Kolonistenhauses schildert, und deren Wirkung auf den Leser mir als<lb/> das höchste dessen erschienen ist, was poetische Illusion auf dem Gebiete des<lb/> Gaumenreizes hervorzubringen vermag. Nachdem dem „Bissen" alle ihm ge¬<lb/> bührende Ehre widerfahren war, sagten wir unsern liebenswürdigen Gastfreunden<lb/> Lebewohl und stiegen in den Sattel. Man hatte mich in der herzlichsten Weise<lb/> aufgefordert, noch länger zu bleiben, doch meine Zeit drängte.</p><lb/> <p xml:id="ID_651"> Sind diese Menschen auf einem Irrwege? Wieder tauchte die Frage vor<lb/> mir auf. Bei allen Schönheiten, die das Bild von Cosme zeigt, glaube ich, sie<lb/> bejahen zu müssen. Ein beschränkter Kreis guter und kluger Menschen mag<lb/> nach den Grundsätzen des Cosmeismus leben können. Für eine große Gesamtheit<lb/> mit ihren ungeheuern Verschiedenheiten der Fähigkeiten, der Anschauungen und<lb/> der Wünsche, ihren Gegensätzen von Starken und Schwachen, Herrscher- und<lb/> Sklavennatureu ließen sich diese Grundsätze nimmermehr durchführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_652" next="#ID_653"> Aber auch Cosme selbst hat seine Mängel. Wer in die Gemeinschaft ein¬<lb/> tritt, der opfert ihr alles, was er bis dahin sein eigen nannte. Und wer von<lb/> dannen zieht, dem steht kein Recht an dem Anteil zu, den er eingebracht hat.<lb/> Die Gegenstände seines persönlichen Bedarfs, die sein Eigentum geblieben sind,<lb/> und ein Anspruch auf den noch rückständigen Anteil am gemeinsamen Einkommen<lb/> sind alles, was er hat. Im übrigen ist er auf die Barmherzigkeit der Gemeinde<lb/> angewiesen, von der er sich lossagt. Die Freizügigkeit, um die einst in Deutsch¬<lb/> land der leibeigne Bauer gekämpft hat, ist in Cosme, das ein Asyl der Freiheit<lb/> sein will, so beschränkt wie auf einem mittelalterlichen Feudalgut. Ja man<lb/> kann sagen: der Einzelne ist nichts andres als ein Leibeigner der Gesamtheit.<lb/> Dabei ließe sich wohl denken, daß der oder jener, auch wenn er jahrelang<lb/> glücklich in der Kolonie gelebt hat, doch wieder aus ihr hiuausstrebte. Es ist<lb/> ja wahr, ein behagliches, sorgenfreies Dasein ist ihm gesichert. Aber machen<lb/> nicht gerade Wünschen und Streben, befriedigte und enttäuschte Hoffnungen das<lb/> Dasein zum Leben? Und wird nicht eben dieser Grundlage des Lebens durch<lb/> den Cosmeismus allzu viel Boden entzogen? Doch sei dem. wie ihm sei, unter<lb/> allen Umständen heischt das Losstreben von der Selbstsucht, das sich in den<lb/> Bestrebungen des Cosmeismus äußert, Bewunderung. Zumal wenn man es<lb/> mit dem Geiste vergleicht, der unter den deutschen Kolonisten des benachbarten<lb/> Jegros herrscht. An Stelle einer langen Ausführung nur eine kleine Geschichte.<lb/> Die paraguayische Regierung hatte in der ersten Zeit der Kolonie Degros den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
Cosme
Freien auf der Satteldecke geschlafen. Doch ich lies; mir das weiche Lager
schließlich ganz gern gefallen.
Den nächsten Vormittag verbrachten wir noch in Cosme, Nachmittags,
nachdem die größte Hitze vorüber war, wollten wir uns wieder auf den Weg
machen. Zuvor jedoch mußten wir bei unsern Gastgebern noch einen „kleinen
Bissen" zu uns nehmen. Aber wie sah der „kleine Bissen" aus! Der Tisch
stand übervoll von Schüsseln und Platten, so reichlich waren zum Abschied die
herrlichen Dinge aufgetragen: kaltes Fleisch und Fleischpastete, Brote verschiedner
Art, gebackne Bananen, Bananenkuchen und andre Kuchen, Weintrauben und
Orangen, dazu Mate mit Zitronenscheiben. Das Bild erinnerte mich an eine
Stelle in Washington Jrvings L1<ZSM Rolle^v, die die nahrhaften Herrlichkeiten
eines Kolonistenhauses schildert, und deren Wirkung auf den Leser mir als
das höchste dessen erschienen ist, was poetische Illusion auf dem Gebiete des
Gaumenreizes hervorzubringen vermag. Nachdem dem „Bissen" alle ihm ge¬
bührende Ehre widerfahren war, sagten wir unsern liebenswürdigen Gastfreunden
Lebewohl und stiegen in den Sattel. Man hatte mich in der herzlichsten Weise
aufgefordert, noch länger zu bleiben, doch meine Zeit drängte.
Sind diese Menschen auf einem Irrwege? Wieder tauchte die Frage vor
mir auf. Bei allen Schönheiten, die das Bild von Cosme zeigt, glaube ich, sie
bejahen zu müssen. Ein beschränkter Kreis guter und kluger Menschen mag
nach den Grundsätzen des Cosmeismus leben können. Für eine große Gesamtheit
mit ihren ungeheuern Verschiedenheiten der Fähigkeiten, der Anschauungen und
der Wünsche, ihren Gegensätzen von Starken und Schwachen, Herrscher- und
Sklavennatureu ließen sich diese Grundsätze nimmermehr durchführen.
Aber auch Cosme selbst hat seine Mängel. Wer in die Gemeinschaft ein¬
tritt, der opfert ihr alles, was er bis dahin sein eigen nannte. Und wer von
dannen zieht, dem steht kein Recht an dem Anteil zu, den er eingebracht hat.
Die Gegenstände seines persönlichen Bedarfs, die sein Eigentum geblieben sind,
und ein Anspruch auf den noch rückständigen Anteil am gemeinsamen Einkommen
sind alles, was er hat. Im übrigen ist er auf die Barmherzigkeit der Gemeinde
angewiesen, von der er sich lossagt. Die Freizügigkeit, um die einst in Deutsch¬
land der leibeigne Bauer gekämpft hat, ist in Cosme, das ein Asyl der Freiheit
sein will, so beschränkt wie auf einem mittelalterlichen Feudalgut. Ja man
kann sagen: der Einzelne ist nichts andres als ein Leibeigner der Gesamtheit.
Dabei ließe sich wohl denken, daß der oder jener, auch wenn er jahrelang
glücklich in der Kolonie gelebt hat, doch wieder aus ihr hiuausstrebte. Es ist
ja wahr, ein behagliches, sorgenfreies Dasein ist ihm gesichert. Aber machen
nicht gerade Wünschen und Streben, befriedigte und enttäuschte Hoffnungen das
Dasein zum Leben? Und wird nicht eben dieser Grundlage des Lebens durch
den Cosmeismus allzu viel Boden entzogen? Doch sei dem. wie ihm sei, unter
allen Umständen heischt das Losstreben von der Selbstsucht, das sich in den
Bestrebungen des Cosmeismus äußert, Bewunderung. Zumal wenn man es
mit dem Geiste vergleicht, der unter den deutschen Kolonisten des benachbarten
Jegros herrscht. An Stelle einer langen Ausführung nur eine kleine Geschichte.
Die paraguayische Regierung hatte in der ersten Zeit der Kolonie Degros den
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