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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Herrenmenschen

Ansiedlern Unterstützungsgelder bewilligt, die als Darlehen gegeben wurden.
Als deren Rückerstattung den Kolonisten später erlassen werden sollte, da war
einer, der wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen. Warum? Er hatte
selber Schulden genug an den Staat, aber -- sein Nachbar hatte mehr.

Noch etwas andres fällt in der Kolonie Cosme günstig auf. Es ist ihr
Festhalten am Angelsachsentum. Jeder Paraguayer, der in die Kolonie kommt,
wird gastfreundlich aufgenommen, aber ein vertrauter Verkehr mit den farbigen
Landeseinheimischen ist ganz und gar ausgeschlossen. Die Aufnahme irgend¬
eines von ihnen in die Gemeinschaft, ebenso wie die Verheiratung eines Kolonie¬
mitglieds mit eiuer Frau farbiger Nasse ist verboten. Die Einwohner von
Cosme bestreben sich im Interesse ihres eignen Gemeinwesens, die offizielle
Landessprache, das Spanische, zu erlernen. Für die Erwachsnen bestehn zu
diesem Zweck Kurse, die Kinder erhalten spanischen Unterricht in der Schule.
Aber nirgendwo läßt sich unter der Nachkommenschaft auch nnr ein Hauch der
Neigung verspüren, die englische Sprache aufzugeben. Der Geist der Kinder¬
erziehung und des Lebens der erwachsnen Kolonieinsassen schließt das völlig aus.

Und in Uegros? Dort sprechen die Kinder der deutschen Kolonisten unter¬
einander die Jndinnersprache ihrer paraguayischen Umgebung, das Guarani,
und bezeichne" ihre Eltern verächtlich als Landfremde, als ZrinZos. Wahr¬
haftig, ein solches Deutschtum könnte sich an den Sozialisten in Cosme ein
Beispiel nehme"!




Herrenmenschen
R Fritz Anders (Max Attila) oman von(Fortsetzung)

amender hob Mary auf und bettete sie auf das Sofa. Sie sah
sogleich, daß es sich hier um mehr handle als um einen Schwäche-
nufall, nämlich um einen innern Zusammenbruch, etwa so, wie
wenn die zu straff gespannten und übet behandelten Saiten eines
Musikinstruments reißen. Als wohlerfahren in der Behandlung von
allerlei Krankheitsfällen griff sie sogleich ein, kochte Baldriantee und
legte der Kranken kühle Kompressen auf die Stirn. Dann setzte sie sich neben
Mary und nahm deren schmale, zuckende Finger zwischen ihre vollen beruhigenden
Hände und fing an leise zu erzählen. Gleichgiltige Dinge, alte Geschichten, die mit
der gegenwärtigen Not gar nichts zu tun hatten. Aus ihrer Kindheit, von ihren
Verwandten und von Tante Rosalie mit ihren sieben Töchtern, von denen jede
ihre eigne Geschichte hatte. Das war ihr Lieblingsthema, und manchmal schon
hatten diese endlosen und uninteressanter Geschichten Mary Anlaß gegeben, Protest
z" erheben; aber jetzt waren sie das reine Labsal. Mary verfiel in einen Zustand
halben Schlafes und halber Betäubung, und die Tante zog ihre Hände zurück,
hob den Brief auf, den Groppoff hatte fallen lassen, und las ihn. Es war der
Brief, worin Stackelberg um Auskunft über die Sicherheit der Hypothek gebeten
hatte. Tauenden wußte, daß es sich dabei um das Kapital handle, mit Hilfe dessen
einst das Gut gekauft worden war, und das die Verwandten vorgestreckt hatten. Wenn
dieses Kapital gekündigt wurde, dann war alles verloren. Also auch das noch!


Grenzboten II 1905 21
Herrenmenschen

Ansiedlern Unterstützungsgelder bewilligt, die als Darlehen gegeben wurden.
Als deren Rückerstattung den Kolonisten später erlassen werden sollte, da war
einer, der wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen. Warum? Er hatte
selber Schulden genug an den Staat, aber — sein Nachbar hatte mehr.

Noch etwas andres fällt in der Kolonie Cosme günstig auf. Es ist ihr
Festhalten am Angelsachsentum. Jeder Paraguayer, der in die Kolonie kommt,
wird gastfreundlich aufgenommen, aber ein vertrauter Verkehr mit den farbigen
Landeseinheimischen ist ganz und gar ausgeschlossen. Die Aufnahme irgend¬
eines von ihnen in die Gemeinschaft, ebenso wie die Verheiratung eines Kolonie¬
mitglieds mit eiuer Frau farbiger Nasse ist verboten. Die Einwohner von
Cosme bestreben sich im Interesse ihres eignen Gemeinwesens, die offizielle
Landessprache, das Spanische, zu erlernen. Für die Erwachsnen bestehn zu
diesem Zweck Kurse, die Kinder erhalten spanischen Unterricht in der Schule.
Aber nirgendwo läßt sich unter der Nachkommenschaft auch nnr ein Hauch der
Neigung verspüren, die englische Sprache aufzugeben. Der Geist der Kinder¬
erziehung und des Lebens der erwachsnen Kolonieinsassen schließt das völlig aus.

Und in Uegros? Dort sprechen die Kinder der deutschen Kolonisten unter¬
einander die Jndinnersprache ihrer paraguayischen Umgebung, das Guarani,
und bezeichne» ihre Eltern verächtlich als Landfremde, als ZrinZos. Wahr¬
haftig, ein solches Deutschtum könnte sich an den Sozialisten in Cosme ein
Beispiel nehme»!




Herrenmenschen
R Fritz Anders (Max Attila) oman von(Fortsetzung)

amender hob Mary auf und bettete sie auf das Sofa. Sie sah
sogleich, daß es sich hier um mehr handle als um einen Schwäche-
nufall, nämlich um einen innern Zusammenbruch, etwa so, wie
wenn die zu straff gespannten und übet behandelten Saiten eines
Musikinstruments reißen. Als wohlerfahren in der Behandlung von
allerlei Krankheitsfällen griff sie sogleich ein, kochte Baldriantee und
legte der Kranken kühle Kompressen auf die Stirn. Dann setzte sie sich neben
Mary und nahm deren schmale, zuckende Finger zwischen ihre vollen beruhigenden
Hände und fing an leise zu erzählen. Gleichgiltige Dinge, alte Geschichten, die mit
der gegenwärtigen Not gar nichts zu tun hatten. Aus ihrer Kindheit, von ihren
Verwandten und von Tante Rosalie mit ihren sieben Töchtern, von denen jede
ihre eigne Geschichte hatte. Das war ihr Lieblingsthema, und manchmal schon
hatten diese endlosen und uninteressanter Geschichten Mary Anlaß gegeben, Protest
z» erheben; aber jetzt waren sie das reine Labsal. Mary verfiel in einen Zustand
halben Schlafes und halber Betäubung, und die Tante zog ihre Hände zurück,
hob den Brief auf, den Groppoff hatte fallen lassen, und las ihn. Es war der
Brief, worin Stackelberg um Auskunft über die Sicherheit der Hypothek gebeten
hatte. Tauenden wußte, daß es sich dabei um das Kapital handle, mit Hilfe dessen
einst das Gut gekauft worden war, und das die Verwandten vorgestreckt hatten. Wenn
dieses Kapital gekündigt wurde, dann war alles verloren. Also auch das noch!


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[0165] Herrenmenschen Ansiedlern Unterstützungsgelder bewilligt, die als Darlehen gegeben wurden. Als deren Rückerstattung den Kolonisten später erlassen werden sollte, da war einer, der wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen. Warum? Er hatte selber Schulden genug an den Staat, aber — sein Nachbar hatte mehr. Noch etwas andres fällt in der Kolonie Cosme günstig auf. Es ist ihr Festhalten am Angelsachsentum. Jeder Paraguayer, der in die Kolonie kommt, wird gastfreundlich aufgenommen, aber ein vertrauter Verkehr mit den farbigen Landeseinheimischen ist ganz und gar ausgeschlossen. Die Aufnahme irgend¬ eines von ihnen in die Gemeinschaft, ebenso wie die Verheiratung eines Kolonie¬ mitglieds mit eiuer Frau farbiger Nasse ist verboten. Die Einwohner von Cosme bestreben sich im Interesse ihres eignen Gemeinwesens, die offizielle Landessprache, das Spanische, zu erlernen. Für die Erwachsnen bestehn zu diesem Zweck Kurse, die Kinder erhalten spanischen Unterricht in der Schule. Aber nirgendwo läßt sich unter der Nachkommenschaft auch nnr ein Hauch der Neigung verspüren, die englische Sprache aufzugeben. Der Geist der Kinder¬ erziehung und des Lebens der erwachsnen Kolonieinsassen schließt das völlig aus. Und in Uegros? Dort sprechen die Kinder der deutschen Kolonisten unter¬ einander die Jndinnersprache ihrer paraguayischen Umgebung, das Guarani, und bezeichne» ihre Eltern verächtlich als Landfremde, als ZrinZos. Wahr¬ haftig, ein solches Deutschtum könnte sich an den Sozialisten in Cosme ein Beispiel nehme»! Herrenmenschen R Fritz Anders (Max Attila) oman von(Fortsetzung) amender hob Mary auf und bettete sie auf das Sofa. Sie sah sogleich, daß es sich hier um mehr handle als um einen Schwäche- nufall, nämlich um einen innern Zusammenbruch, etwa so, wie wenn die zu straff gespannten und übet behandelten Saiten eines Musikinstruments reißen. Als wohlerfahren in der Behandlung von allerlei Krankheitsfällen griff sie sogleich ein, kochte Baldriantee und legte der Kranken kühle Kompressen auf die Stirn. Dann setzte sie sich neben Mary und nahm deren schmale, zuckende Finger zwischen ihre vollen beruhigenden Hände und fing an leise zu erzählen. Gleichgiltige Dinge, alte Geschichten, die mit der gegenwärtigen Not gar nichts zu tun hatten. Aus ihrer Kindheit, von ihren Verwandten und von Tante Rosalie mit ihren sieben Töchtern, von denen jede ihre eigne Geschichte hatte. Das war ihr Lieblingsthema, und manchmal schon hatten diese endlosen und uninteressanter Geschichten Mary Anlaß gegeben, Protest z» erheben; aber jetzt waren sie das reine Labsal. Mary verfiel in einen Zustand halben Schlafes und halber Betäubung, und die Tante zog ihre Hände zurück, hob den Brief auf, den Groppoff hatte fallen lassen, und las ihn. Es war der Brief, worin Stackelberg um Auskunft über die Sicherheit der Hypothek gebeten hatte. Tauenden wußte, daß es sich dabei um das Kapital handle, mit Hilfe dessen einst das Gut gekauft worden war, und das die Verwandten vorgestreckt hatten. Wenn dieses Kapital gekündigt wurde, dann war alles verloren. Also auch das noch! Grenzboten II 1905 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/165>, abgerufen am 05.02.2025.