Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Losine trafen wir ein paar Schulkinder, die saßen auf einem Zaun, ließen die nackten In den Werkstätten waren gerade ein paar Mann mit dem Auseinander¬ Den Abend verbrachten wir wiederum bei unserm Gastfreunde. Ein andres Losine trafen wir ein paar Schulkinder, die saßen auf einem Zaun, ließen die nackten In den Werkstätten waren gerade ein paar Mann mit dem Auseinander¬ Den Abend verbrachten wir wiederum bei unserm Gastfreunde. Ein andres <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297294"/> <fw type="header" place="top"> Losine</fw><lb/> <p xml:id="ID_643" prev="#ID_642"> trafen wir ein paar Schulkinder, die saßen auf einem Zaun, ließen die nackten<lb/> Beinchen baumeln und begrüßten uns in einer muntern Weise. Die Kleinen<lb/> sahen ausgezeichnet gesund und rotbackig aus, weit besser als die meist bleich-<lb/> wangigen Kinder der deutschen Kolonisten in dem benachbarten Uegros. Der<lb/> Unterschied hat wohl darin seinen Grund, daß dort die Kleinen zu schwerer<lb/> Arbeit herangezogen werden, während sie sich hier in den schulfreien Stunden reich¬<lb/> lich in Wald und Kamp tummeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_644"> In den Werkstätten waren gerade ein paar Mann mit dem Auseinander¬<lb/> legen eines mächtigen Zedernstammes beschäftigt, andre bedienten das Sägerad,<lb/> das die Stücke in Bretter schnitt. Unser Freund von heute Morgen, der<lb/> Ingenieur, arbeitete an einer kunstvollen Kerbschnitzerei; es sollte eine zum<lb/> Schmuck eines öffentlichen Gebäudes dienende Tafel werden. Die Mühle wird<lb/> mit Dampf betrieben. Sie dient außer zur Herstellung von Brettern auch zum<lb/> Mahlen des Maises und zum Betrieb eines Zuckergeschirrs. Die Schreiner¬<lb/> werkstatt ist unter demselben Dach, eine Schmiede und eine Schuhmacherwerkstatt<lb/> sind in einem Anbau. Nicht weit von den Werkstätten entfernt liegt das Speise¬<lb/> haus der Junggesellen. Dort nahmen wir die Hauptmahlzeit ein. Es war<lb/> einfache aber vortrefflich zubereitete Kost: Maisbrei mit Sirup, Rindfleisch und<lb/> Verschiednerlei Gemüse, namentlich Mandiok, dazu eine gewaltige Portion Plum-<lb/> pudding. Als Getränk gab es Mate. Der Mate wächst in Paraguay, nament¬<lb/> lich in den Wäldern des Alto-Parana, in ungeheuern Mengen. Er ist ein<lb/> Hauptausfuhrgegenstand des Landes und ein Lieblingsgetrünk seiner Bewohner.<lb/> Hier in Cosme trinkt man ihn nicht, wie die Einheimischen tun, als starken<lb/> Aufguß von vielen der gedörrten Blätter und wenig Wasser aus einer ausge¬<lb/> höhlten Kürbisfrucht mit metallner Röhre, sondern als Tee und aus der Tasse.<lb/> Tischtücher und Geschirr waren von tadelloser Sauberkeit. Von Bezahlen durfte<lb/> natürlich keine Rede sein; wir waren Gaste der Kolonie. Die Junggesellen¬<lb/> speisestube ist eine vortreffliche Einrichtung. In andern Neusiedlungen neigen<lb/> gerade die Junggesellen dazu, dem Kolonistenleben den Rücken zu kehren, weil<lb/> ihnen die Notwendigkeit, sich neben der Feldarbeit noch mit Kochen, Geschirr-'<lb/> waschen usw. zu beschäftigen, gar zu lustig wird, und weil ihnen überdies die<lb/> Geselligkeit fehlt.</p><lb/> <p xml:id="ID_645" next="#ID_646"> Den Abend verbrachten wir wiederum bei unserm Gastfreunde. Ein andres<lb/> Kolonistenehepaar war dorthin zu Besuch gekommen. Es hatte ein blond¬<lb/> haariges kleines Mädchen mitgebracht, das sich mit den Kindern des Hauses<lb/> im Garten herumtrieb. Wir nahmen auf der Veranda Platz. Gebäck und ein<lb/> teeartiger heißer Orangenaufguß von vorzüglichem Geschmack wurde herumge¬<lb/> reicht. Das Gespräch ging munter hin und her. Eine herrliche Nacht brach<lb/> herein. Vom südlich klaren Himmel funkelten die Sterne in wunderbarem<lb/> Glänze durch das schwarze Blattwerk des Gartens. Den Rosenhecken und den<lb/> Blumenbeeten, dem Reb- und dem Orangenlaub entströmte ein köstlich milder<lb/> Duft. Mir gingen allerhand Gedanken durch den Kopf. Sind die Bestrebungen<lb/> dieser Menschen nicht doch auf einem Irrwege? Haben sie nicht den Pfad ver¬<lb/> loren in dem unabsehbaren Irrgarten der menschlichen Seele, der Seele, deren<lb/> Dichten und Trachten böse ist von Jugend auf? Und suchen sie nicht ein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0162]
Losine
trafen wir ein paar Schulkinder, die saßen auf einem Zaun, ließen die nackten
Beinchen baumeln und begrüßten uns in einer muntern Weise. Die Kleinen
sahen ausgezeichnet gesund und rotbackig aus, weit besser als die meist bleich-
wangigen Kinder der deutschen Kolonisten in dem benachbarten Uegros. Der
Unterschied hat wohl darin seinen Grund, daß dort die Kleinen zu schwerer
Arbeit herangezogen werden, während sie sich hier in den schulfreien Stunden reich¬
lich in Wald und Kamp tummeln.
In den Werkstätten waren gerade ein paar Mann mit dem Auseinander¬
legen eines mächtigen Zedernstammes beschäftigt, andre bedienten das Sägerad,
das die Stücke in Bretter schnitt. Unser Freund von heute Morgen, der
Ingenieur, arbeitete an einer kunstvollen Kerbschnitzerei; es sollte eine zum
Schmuck eines öffentlichen Gebäudes dienende Tafel werden. Die Mühle wird
mit Dampf betrieben. Sie dient außer zur Herstellung von Brettern auch zum
Mahlen des Maises und zum Betrieb eines Zuckergeschirrs. Die Schreiner¬
werkstatt ist unter demselben Dach, eine Schmiede und eine Schuhmacherwerkstatt
sind in einem Anbau. Nicht weit von den Werkstätten entfernt liegt das Speise¬
haus der Junggesellen. Dort nahmen wir die Hauptmahlzeit ein. Es war
einfache aber vortrefflich zubereitete Kost: Maisbrei mit Sirup, Rindfleisch und
Verschiednerlei Gemüse, namentlich Mandiok, dazu eine gewaltige Portion Plum-
pudding. Als Getränk gab es Mate. Der Mate wächst in Paraguay, nament¬
lich in den Wäldern des Alto-Parana, in ungeheuern Mengen. Er ist ein
Hauptausfuhrgegenstand des Landes und ein Lieblingsgetrünk seiner Bewohner.
Hier in Cosme trinkt man ihn nicht, wie die Einheimischen tun, als starken
Aufguß von vielen der gedörrten Blätter und wenig Wasser aus einer ausge¬
höhlten Kürbisfrucht mit metallner Röhre, sondern als Tee und aus der Tasse.
Tischtücher und Geschirr waren von tadelloser Sauberkeit. Von Bezahlen durfte
natürlich keine Rede sein; wir waren Gaste der Kolonie. Die Junggesellen¬
speisestube ist eine vortreffliche Einrichtung. In andern Neusiedlungen neigen
gerade die Junggesellen dazu, dem Kolonistenleben den Rücken zu kehren, weil
ihnen die Notwendigkeit, sich neben der Feldarbeit noch mit Kochen, Geschirr-'
waschen usw. zu beschäftigen, gar zu lustig wird, und weil ihnen überdies die
Geselligkeit fehlt.
Den Abend verbrachten wir wiederum bei unserm Gastfreunde. Ein andres
Kolonistenehepaar war dorthin zu Besuch gekommen. Es hatte ein blond¬
haariges kleines Mädchen mitgebracht, das sich mit den Kindern des Hauses
im Garten herumtrieb. Wir nahmen auf der Veranda Platz. Gebäck und ein
teeartiger heißer Orangenaufguß von vorzüglichem Geschmack wurde herumge¬
reicht. Das Gespräch ging munter hin und her. Eine herrliche Nacht brach
herein. Vom südlich klaren Himmel funkelten die Sterne in wunderbarem
Glänze durch das schwarze Blattwerk des Gartens. Den Rosenhecken und den
Blumenbeeten, dem Reb- und dem Orangenlaub entströmte ein köstlich milder
Duft. Mir gingen allerhand Gedanken durch den Kopf. Sind die Bestrebungen
dieser Menschen nicht doch auf einem Irrwege? Haben sie nicht den Pfad ver¬
loren in dem unabsehbaren Irrgarten der menschlichen Seele, der Seele, deren
Dichten und Trachten böse ist von Jugend auf? Und suchen sie nicht ein
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