Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.Marokko und das Gleichgewicht im lNittelmeer sächlich von dem Karawanenhandel nach dem Zentralsudan. Auf Tripolitcmien Eine Verschiebung all dieser Verhältnisse ging nun von Ostasien aus. Nun hat sich abermals die Szene von Grund aus verändert. Nußland ist Marokko und das Gleichgewicht im lNittelmeer sächlich von dem Karawanenhandel nach dem Zentralsudan. Auf Tripolitcmien Eine Verschiebung all dieser Verhältnisse ging nun von Ostasien aus. Nun hat sich abermals die Szene von Grund aus verändert. Nußland ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/297263"/> <fw type="header" place="top"> Marokko und das Gleichgewicht im lNittelmeer</fw><lb/> <p xml:id="ID_501" prev="#ID_500"> sächlich von dem Karawanenhandel nach dem Zentralsudan. Auf Tripolitcmien<lb/> als seinen Anteil an der Erbschaft des kranken Mannes hatte sich Italien<lb/> Hoffnung gemacht, und nun gab England dessen Hinterland an Frankreich<lb/> preis. Italien war im höchste» Grade erbittert und entschloß sich, der Gegnerschaft<lb/> gegen Frankreich ein Ende zu machen. Damit lockerte sich dessen Zugehörigkeit<lb/> zum Dreibünde, und England mußte sich als isoliert ansehen. Insbesondre ver¬<lb/> pflichtete sich noch Frankreich, eine Erwerbung Tripolitaniens durch Italien nicht<lb/> zu stören, wogegen Italien sein Desinteressement in Marokko erklärte.</p><lb/> <p xml:id="ID_502"> Eine Verschiebung all dieser Verhältnisse ging nun von Ostasien aus.<lb/> Nußland machte dort große Fortschritte. Es verlangte für seine den Chinesen<lb/> gegen die Japaner geleistete diplomatische Hilfe die Legung der sibirischen<lb/> Eisenbahn durch die Mandschurei und sodann die „Pachtung" der Südspitze<lb/> der Halbinsel Liaotong mit Port Arthur und Dalny. Ja im weitern Ver¬<lb/> laufe glaubte man allgemein, daß es die ganze Mandschurei behalten werde.<lb/> Darin sah England eine enorme Gefahr. Es braucht hier nur angezogen zu<lb/> werden, daß England nun seine Stellung zu den Angelegenheiten im vorder»<lb/> Orient änderte. Es hatte schon seit längerer Zeit die Türkei als nicht reform¬<lb/> fähig aufgegeben und sich begnügt, seine Mittelmeerposition durch Deckung<lb/> Ägyptens zu schützen. Aus Cypern, das es sich im Jahre 1878 als Entgelt<lb/> für seine der Türkei gegebne (wohl immer als locker betrachtete) Gebiets¬<lb/> garantie hatte übergeben lassen, hatte es keine Kriegsstcllung zu machen für<lb/> nötig erachtet. Es wollte die Türkei ihrem Schicksal überlassen, ja es ging<lb/> weiter und begünstigte ein russisches Eingreifen, womit es die moskowitische<lb/> Macht vom fernen Orient abzuziehn gedachte. Man beschuldigte es sogar<lb/> (offenbar mit Unrecht), daß es die armenischen Unruhen angezettelt habe, um<lb/> Rußland zu engagieren. Das gelang ihm aber nicht. In Petersburg hatte<lb/> man sich entschlossen, die weitere Auflösung der Türkei nicht zu befördern, da<lb/> man keine lebensfähigen Nationalstaaten wollte. So begünstigte man denn<lb/> mich Griechenlands Aktion infolge des kretischen Aufstandes durchaus nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_503" next="#ID_504"> Nun hat sich abermals die Szene von Grund aus verändert. Nußland ist<lb/> von Japan empfindlich geschlagen worden und gar nicht imstande, in der nächsten<lb/> Zeit eine große Rolle in der Orientpolitik zu spielen. England hat jetzt kein<lb/> Interesse mehr daran, ihm die Türkei auszuliefern, es hat sogar seinem Ver¬<lb/> bündeten Japan zuliebe von der Hohen Pforte nachdrücklich verlangt und auch<lb/> erreicht, daß die Meerengen für die russische Kriegsflotte gesperrt blieben. Ein<lb/> paar Kreuzer, „Smolensk" und „Petersburg" von der „freiwilligen Flotte,"<lb/> hatten sich nicht daran gekehrt und im Roten Meer auf Kriegskonterbande,<lb/> englische und deutsche, Jagd gemacht. Nun wurde die Schließung der Meer¬<lb/> engen wieder vollständig. Die zweite wichtige Folge war, daß Nußland an<lb/> Wert als Bundesgenosse für Frankreich so sehr einbüßte, daß der Zweibund<lb/> als aufgetrocknet angesehen werden kann. Schon lange war Frankreichs<lb/> Hoffnung auf russische Hilfe zur Wiedererlangung Elsaß-Lothringens schwächer<lb/> und schwächer geworden. Nun kamen im Frühjahr 1904 freundliche Aner¬<lb/> bietungen von England. Man wollte eine ganze Reihe alter Differenzpunkte<lb/> dnrch gütliche Verständigung begraben. Minder bedeutsam waren die über die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0131]
Marokko und das Gleichgewicht im lNittelmeer
sächlich von dem Karawanenhandel nach dem Zentralsudan. Auf Tripolitcmien
als seinen Anteil an der Erbschaft des kranken Mannes hatte sich Italien
Hoffnung gemacht, und nun gab England dessen Hinterland an Frankreich
preis. Italien war im höchste» Grade erbittert und entschloß sich, der Gegnerschaft
gegen Frankreich ein Ende zu machen. Damit lockerte sich dessen Zugehörigkeit
zum Dreibünde, und England mußte sich als isoliert ansehen. Insbesondre ver¬
pflichtete sich noch Frankreich, eine Erwerbung Tripolitaniens durch Italien nicht
zu stören, wogegen Italien sein Desinteressement in Marokko erklärte.
Eine Verschiebung all dieser Verhältnisse ging nun von Ostasien aus.
Nußland machte dort große Fortschritte. Es verlangte für seine den Chinesen
gegen die Japaner geleistete diplomatische Hilfe die Legung der sibirischen
Eisenbahn durch die Mandschurei und sodann die „Pachtung" der Südspitze
der Halbinsel Liaotong mit Port Arthur und Dalny. Ja im weitern Ver¬
laufe glaubte man allgemein, daß es die ganze Mandschurei behalten werde.
Darin sah England eine enorme Gefahr. Es braucht hier nur angezogen zu
werden, daß England nun seine Stellung zu den Angelegenheiten im vorder»
Orient änderte. Es hatte schon seit längerer Zeit die Türkei als nicht reform¬
fähig aufgegeben und sich begnügt, seine Mittelmeerposition durch Deckung
Ägyptens zu schützen. Aus Cypern, das es sich im Jahre 1878 als Entgelt
für seine der Türkei gegebne (wohl immer als locker betrachtete) Gebiets¬
garantie hatte übergeben lassen, hatte es keine Kriegsstcllung zu machen für
nötig erachtet. Es wollte die Türkei ihrem Schicksal überlassen, ja es ging
weiter und begünstigte ein russisches Eingreifen, womit es die moskowitische
Macht vom fernen Orient abzuziehn gedachte. Man beschuldigte es sogar
(offenbar mit Unrecht), daß es die armenischen Unruhen angezettelt habe, um
Rußland zu engagieren. Das gelang ihm aber nicht. In Petersburg hatte
man sich entschlossen, die weitere Auflösung der Türkei nicht zu befördern, da
man keine lebensfähigen Nationalstaaten wollte. So begünstigte man denn
mich Griechenlands Aktion infolge des kretischen Aufstandes durchaus nicht.
Nun hat sich abermals die Szene von Grund aus verändert. Nußland ist
von Japan empfindlich geschlagen worden und gar nicht imstande, in der nächsten
Zeit eine große Rolle in der Orientpolitik zu spielen. England hat jetzt kein
Interesse mehr daran, ihm die Türkei auszuliefern, es hat sogar seinem Ver¬
bündeten Japan zuliebe von der Hohen Pforte nachdrücklich verlangt und auch
erreicht, daß die Meerengen für die russische Kriegsflotte gesperrt blieben. Ein
paar Kreuzer, „Smolensk" und „Petersburg" von der „freiwilligen Flotte,"
hatten sich nicht daran gekehrt und im Roten Meer auf Kriegskonterbande,
englische und deutsche, Jagd gemacht. Nun wurde die Schließung der Meer¬
engen wieder vollständig. Die zweite wichtige Folge war, daß Nußland an
Wert als Bundesgenosse für Frankreich so sehr einbüßte, daß der Zweibund
als aufgetrocknet angesehen werden kann. Schon lange war Frankreichs
Hoffnung auf russische Hilfe zur Wiedererlangung Elsaß-Lothringens schwächer
und schwächer geworden. Nun kamen im Frühjahr 1904 freundliche Aner¬
bietungen von England. Man wollte eine ganze Reihe alter Differenzpunkte
dnrch gütliche Verständigung begraben. Minder bedeutsam waren die über die
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