Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Geschichte einer Sammlung

Bild dahin tragen, wo das Wappen geblieben wäre. Der Antiquar wand sich
und machte Ausflüchte: es wäre ihm abhanden gekommen, wer weiß, wo es ge¬
blieben wäre, falls es wirklich jemals darauf gewesen wäre. Aber weil mein Vater
fest blieb, zog er vor, es zu finden, und brachte es an.

Dann kamen noch andre Sachen, bei denen mein Vater neben seiner Liebe
zur Kunst auch als Vertrauensmann angesprochen wurde, und bei denen man die
Not und den Verfall alter Familien zu ahnen bekam.

So kam einer zu meinem Vater und bat ihn, sich eines Bildes anzunehmen,
das die Familie wie einen Schatz von anders her besessen hätte. Nun war es auf
dem Leihhause, und die Besitzer konnten es nicht einlösen. So wandten sie sich
an einen, dem ein Kunstwerk am Herzen lag, und von dein sie die Diskretion eines
Va-Iimtuoino erwarten konnten. Mein Vater hat es selber vom moutg all xietk
geholt und dann dem Besitzer abgekauft.

Es ist ein Leos homo, und der Kopf fast in doppelter Lebensgröße unter der
Dornenkrone. Die Schulter gegen das seitwärts gewandte Gesicht emporgezogen,
eine Bewegung, die sehr an Correggio erinnert, wenn er Entzücken oder großen
Schmerz ausdrücken will. Das Bild ist in grünlich verfärbtes Halbdunkel getaucht,
aus dem sich die Dornenkrone, die Züge mit den geöffneten fast schwarzen Lippen
und die Augen voll Wasser herausheben.

Ich erinnere mich gut, wie es neu bei uns im Hause war, und ein Herr
Besuch machte, ein Berliner, der in Rom ansässig war. Ich bewunderte ihn sehr,
einmal weil er rötlich blonde Haare und einen lichten Schnurrbart hatte, so, wie
ich mir dachte, daß es Germanen zukäme, und dann wegen seiner Schlagfertigkeit
und seiner witzigen Zunge im Gespräch mit den Erwachsnen. Sein sicheres, vielleicht
sogar herausforderndes Auftreten und die Witze, die keinen Augenblick aufhörten,
erschienen mir kühn und bewunderungswürdig. Der stand eine ganze Weile still
vor dem Bilde -- mein kleiner Bruder und ich waren dabei --, und es war,
als ob er eine Ergriffenheit zu überwinden suchte. Schließlich fand er seine ge¬
wohnte schnöde Ausdrucksweise wieder und trat mit dem Fuß auf und sagte:

Da schmieren Müller und Meyer ihre Namen mit roter Farbe unter jeden
Fetzen, den sie bemalen, und wer das da gemacht hat, der sagt nicht, wie er heißt!

Dann wieder kam einer bei Nacht und ließ meinen Vater hinausrufen. Man
saß in dem hohen schmalen Eßzimmer rin der alten Kassettierung an der Zimmer¬
decke, die so hoch oben war, daß der Lampenschein sie kaum erreichte. Meine
Mutter sagt, sie sähe den Mann noch vor sich, einen langen Herrn mit einem
Schnurrbart, der ein kleines Bildchen unter den Rock gekröpft hatte.

Für mich ist es immer mit dem Nimbus des Geheimnisvoller umgeben ge¬
wesen, und mir scheint, mein Vater war überzeugt, daß die Not den Mann ge¬
zwungen hätte, es wegzugeben. Wenn etwas davon erwähnt wurde, war so viel
Ehrfurcht dabei, wie man sie vor dem Unglück hat. Dies ist das Bildchen, von
dem mein Vater sagte: Es ist nicht weit von Raffael entstanden, und das Senator
Morelli so lebhaft begrüßte: Er ist es, er ist es wahrhaftig! Mein Vater hat es
immer in seiner nächsten Umgebung aufbewahrt. Es wäre ja eine Kleinigkeit, es
unter dem Mantel fortzutragen, meinte er, und einmal sagte er scherzweise, der
Überbringer hätte sich sehr geschämt, ein so kostbares Bild zu verkaufen -- vielleicht
hätte er es gestohlen.

Es ist ein ganz kleines Bild. Die Maria mit dem Kinde im Mittelgrund
einer Landschaft, einer Landschaft, die weit und blau zurückgeht und rechts und
links kleine aufrechte, wenig entfaltete Bäumchen hat, wie die aus Perugia sie
gern malen. Die Halswendung der Madonna, das niederblicken, ihre Hände und
die Gestalt des Bcnnbino, sogar der kleine Schleier, der sorgfältig um den Kopf
der Madonna gebunden und um den Halsausschnitt gelegt ist, und der sich an
einer Stelle zart gegen den Himmel abhebt, alles sind frappante Eigentümlichkeiten
des Raffael. Das Bildchen ist auf eine kleine Holzplatte gemalt, die zum Schutz


Geschichte einer Sammlung

Bild dahin tragen, wo das Wappen geblieben wäre. Der Antiquar wand sich
und machte Ausflüchte: es wäre ihm abhanden gekommen, wer weiß, wo es ge¬
blieben wäre, falls es wirklich jemals darauf gewesen wäre. Aber weil mein Vater
fest blieb, zog er vor, es zu finden, und brachte es an.

Dann kamen noch andre Sachen, bei denen mein Vater neben seiner Liebe
zur Kunst auch als Vertrauensmann angesprochen wurde, und bei denen man die
Not und den Verfall alter Familien zu ahnen bekam.

So kam einer zu meinem Vater und bat ihn, sich eines Bildes anzunehmen,
das die Familie wie einen Schatz von anders her besessen hätte. Nun war es auf
dem Leihhause, und die Besitzer konnten es nicht einlösen. So wandten sie sich
an einen, dem ein Kunstwerk am Herzen lag, und von dein sie die Diskretion eines
Va-Iimtuoino erwarten konnten. Mein Vater hat es selber vom moutg all xietk
geholt und dann dem Besitzer abgekauft.

Es ist ein Leos homo, und der Kopf fast in doppelter Lebensgröße unter der
Dornenkrone. Die Schulter gegen das seitwärts gewandte Gesicht emporgezogen,
eine Bewegung, die sehr an Correggio erinnert, wenn er Entzücken oder großen
Schmerz ausdrücken will. Das Bild ist in grünlich verfärbtes Halbdunkel getaucht,
aus dem sich die Dornenkrone, die Züge mit den geöffneten fast schwarzen Lippen
und die Augen voll Wasser herausheben.

Ich erinnere mich gut, wie es neu bei uns im Hause war, und ein Herr
Besuch machte, ein Berliner, der in Rom ansässig war. Ich bewunderte ihn sehr,
einmal weil er rötlich blonde Haare und einen lichten Schnurrbart hatte, so, wie
ich mir dachte, daß es Germanen zukäme, und dann wegen seiner Schlagfertigkeit
und seiner witzigen Zunge im Gespräch mit den Erwachsnen. Sein sicheres, vielleicht
sogar herausforderndes Auftreten und die Witze, die keinen Augenblick aufhörten,
erschienen mir kühn und bewunderungswürdig. Der stand eine ganze Weile still
vor dem Bilde — mein kleiner Bruder und ich waren dabei —, und es war,
als ob er eine Ergriffenheit zu überwinden suchte. Schließlich fand er seine ge¬
wohnte schnöde Ausdrucksweise wieder und trat mit dem Fuß auf und sagte:

Da schmieren Müller und Meyer ihre Namen mit roter Farbe unter jeden
Fetzen, den sie bemalen, und wer das da gemacht hat, der sagt nicht, wie er heißt!

Dann wieder kam einer bei Nacht und ließ meinen Vater hinausrufen. Man
saß in dem hohen schmalen Eßzimmer rin der alten Kassettierung an der Zimmer¬
decke, die so hoch oben war, daß der Lampenschein sie kaum erreichte. Meine
Mutter sagt, sie sähe den Mann noch vor sich, einen langen Herrn mit einem
Schnurrbart, der ein kleines Bildchen unter den Rock gekröpft hatte.

Für mich ist es immer mit dem Nimbus des Geheimnisvoller umgeben ge¬
wesen, und mir scheint, mein Vater war überzeugt, daß die Not den Mann ge¬
zwungen hätte, es wegzugeben. Wenn etwas davon erwähnt wurde, war so viel
Ehrfurcht dabei, wie man sie vor dem Unglück hat. Dies ist das Bildchen, von
dem mein Vater sagte: Es ist nicht weit von Raffael entstanden, und das Senator
Morelli so lebhaft begrüßte: Er ist es, er ist es wahrhaftig! Mein Vater hat es
immer in seiner nächsten Umgebung aufbewahrt. Es wäre ja eine Kleinigkeit, es
unter dem Mantel fortzutragen, meinte er, und einmal sagte er scherzweise, der
Überbringer hätte sich sehr geschämt, ein so kostbares Bild zu verkaufen — vielleicht
hätte er es gestohlen.

Es ist ein ganz kleines Bild. Die Maria mit dem Kinde im Mittelgrund
einer Landschaft, einer Landschaft, die weit und blau zurückgeht und rechts und
links kleine aufrechte, wenig entfaltete Bäumchen hat, wie die aus Perugia sie
gern malen. Die Halswendung der Madonna, das niederblicken, ihre Hände und
die Gestalt des Bcnnbino, sogar der kleine Schleier, der sorgfältig um den Kopf
der Madonna gebunden und um den Halsausschnitt gelegt ist, und der sich an
einer Stelle zart gegen den Himmel abhebt, alles sind frappante Eigentümlichkeiten
des Raffael. Das Bildchen ist auf eine kleine Holzplatte gemalt, die zum Schutz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0736" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296747"/>
          <fw type="header" place="top"> Geschichte einer Sammlung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3777" prev="#ID_3776"> Bild dahin tragen, wo das Wappen geblieben wäre. Der Antiquar wand sich<lb/>
und machte Ausflüchte: es wäre ihm abhanden gekommen, wer weiß, wo es ge¬<lb/>
blieben wäre, falls es wirklich jemals darauf gewesen wäre. Aber weil mein Vater<lb/>
fest blieb, zog er vor, es zu finden, und brachte es an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3778"> Dann kamen noch andre Sachen, bei denen mein Vater neben seiner Liebe<lb/>
zur Kunst auch als Vertrauensmann angesprochen wurde, und bei denen man die<lb/>
Not und den Verfall alter Familien zu ahnen bekam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3779"> So kam einer zu meinem Vater und bat ihn, sich eines Bildes anzunehmen,<lb/>
das die Familie wie einen Schatz von anders her besessen hätte. Nun war es auf<lb/>
dem Leihhause, und die Besitzer konnten es nicht einlösen. So wandten sie sich<lb/>
an einen, dem ein Kunstwerk am Herzen lag, und von dein sie die Diskretion eines<lb/>
Va-Iimtuoino erwarten konnten. Mein Vater hat es selber vom moutg all xietk<lb/>
geholt und dann dem Besitzer abgekauft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3780"> Es ist ein Leos homo, und der Kopf fast in doppelter Lebensgröße unter der<lb/>
Dornenkrone. Die Schulter gegen das seitwärts gewandte Gesicht emporgezogen,<lb/>
eine Bewegung, die sehr an Correggio erinnert, wenn er Entzücken oder großen<lb/>
Schmerz ausdrücken will. Das Bild ist in grünlich verfärbtes Halbdunkel getaucht,<lb/>
aus dem sich die Dornenkrone, die Züge mit den geöffneten fast schwarzen Lippen<lb/>
und die Augen voll Wasser herausheben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3781"> Ich erinnere mich gut, wie es neu bei uns im Hause war, und ein Herr<lb/>
Besuch machte, ein Berliner, der in Rom ansässig war. Ich bewunderte ihn sehr,<lb/>
einmal weil er rötlich blonde Haare und einen lichten Schnurrbart hatte, so, wie<lb/>
ich mir dachte, daß es Germanen zukäme, und dann wegen seiner Schlagfertigkeit<lb/>
und seiner witzigen Zunge im Gespräch mit den Erwachsnen. Sein sicheres, vielleicht<lb/>
sogar herausforderndes Auftreten und die Witze, die keinen Augenblick aufhörten,<lb/>
erschienen mir kühn und bewunderungswürdig. Der stand eine ganze Weile still<lb/>
vor dem Bilde &#x2014; mein kleiner Bruder und ich waren dabei &#x2014;, und es war,<lb/>
als ob er eine Ergriffenheit zu überwinden suchte. Schließlich fand er seine ge¬<lb/>
wohnte schnöde Ausdrucksweise wieder und trat mit dem Fuß auf und sagte:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3782"> Da schmieren Müller und Meyer ihre Namen mit roter Farbe unter jeden<lb/>
Fetzen, den sie bemalen, und wer das da gemacht hat, der sagt nicht, wie er heißt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3783"> Dann wieder kam einer bei Nacht und ließ meinen Vater hinausrufen. Man<lb/>
saß in dem hohen schmalen Eßzimmer rin der alten Kassettierung an der Zimmer¬<lb/>
decke, die so hoch oben war, daß der Lampenschein sie kaum erreichte. Meine<lb/>
Mutter sagt, sie sähe den Mann noch vor sich, einen langen Herrn mit einem<lb/>
Schnurrbart, der ein kleines Bildchen unter den Rock gekröpft hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3784"> Für mich ist es immer mit dem Nimbus des Geheimnisvoller umgeben ge¬<lb/>
wesen, und mir scheint, mein Vater war überzeugt, daß die Not den Mann ge¬<lb/>
zwungen hätte, es wegzugeben. Wenn etwas davon erwähnt wurde, war so viel<lb/>
Ehrfurcht dabei, wie man sie vor dem Unglück hat. Dies ist das Bildchen, von<lb/>
dem mein Vater sagte: Es ist nicht weit von Raffael entstanden, und das Senator<lb/>
Morelli so lebhaft begrüßte: Er ist es, er ist es wahrhaftig! Mein Vater hat es<lb/>
immer in seiner nächsten Umgebung aufbewahrt. Es wäre ja eine Kleinigkeit, es<lb/>
unter dem Mantel fortzutragen, meinte er, und einmal sagte er scherzweise, der<lb/>
Überbringer hätte sich sehr geschämt, ein so kostbares Bild zu verkaufen &#x2014; vielleicht<lb/>
hätte er es gestohlen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3785" next="#ID_3786"> Es ist ein ganz kleines Bild. Die Maria mit dem Kinde im Mittelgrund<lb/>
einer Landschaft, einer Landschaft, die weit und blau zurückgeht und rechts und<lb/>
links kleine aufrechte, wenig entfaltete Bäumchen hat, wie die aus Perugia sie<lb/>
gern malen. Die Halswendung der Madonna, das niederblicken, ihre Hände und<lb/>
die Gestalt des Bcnnbino, sogar der kleine Schleier, der sorgfältig um den Kopf<lb/>
der Madonna gebunden und um den Halsausschnitt gelegt ist, und der sich an<lb/>
einer Stelle zart gegen den Himmel abhebt, alles sind frappante Eigentümlichkeiten<lb/>
des Raffael.  Das Bildchen ist auf eine kleine Holzplatte gemalt, die zum Schutz</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0736] Geschichte einer Sammlung Bild dahin tragen, wo das Wappen geblieben wäre. Der Antiquar wand sich und machte Ausflüchte: es wäre ihm abhanden gekommen, wer weiß, wo es ge¬ blieben wäre, falls es wirklich jemals darauf gewesen wäre. Aber weil mein Vater fest blieb, zog er vor, es zu finden, und brachte es an. Dann kamen noch andre Sachen, bei denen mein Vater neben seiner Liebe zur Kunst auch als Vertrauensmann angesprochen wurde, und bei denen man die Not und den Verfall alter Familien zu ahnen bekam. So kam einer zu meinem Vater und bat ihn, sich eines Bildes anzunehmen, das die Familie wie einen Schatz von anders her besessen hätte. Nun war es auf dem Leihhause, und die Besitzer konnten es nicht einlösen. So wandten sie sich an einen, dem ein Kunstwerk am Herzen lag, und von dein sie die Diskretion eines Va-Iimtuoino erwarten konnten. Mein Vater hat es selber vom moutg all xietk geholt und dann dem Besitzer abgekauft. Es ist ein Leos homo, und der Kopf fast in doppelter Lebensgröße unter der Dornenkrone. Die Schulter gegen das seitwärts gewandte Gesicht emporgezogen, eine Bewegung, die sehr an Correggio erinnert, wenn er Entzücken oder großen Schmerz ausdrücken will. Das Bild ist in grünlich verfärbtes Halbdunkel getaucht, aus dem sich die Dornenkrone, die Züge mit den geöffneten fast schwarzen Lippen und die Augen voll Wasser herausheben. Ich erinnere mich gut, wie es neu bei uns im Hause war, und ein Herr Besuch machte, ein Berliner, der in Rom ansässig war. Ich bewunderte ihn sehr, einmal weil er rötlich blonde Haare und einen lichten Schnurrbart hatte, so, wie ich mir dachte, daß es Germanen zukäme, und dann wegen seiner Schlagfertigkeit und seiner witzigen Zunge im Gespräch mit den Erwachsnen. Sein sicheres, vielleicht sogar herausforderndes Auftreten und die Witze, die keinen Augenblick aufhörten, erschienen mir kühn und bewunderungswürdig. Der stand eine ganze Weile still vor dem Bilde — mein kleiner Bruder und ich waren dabei —, und es war, als ob er eine Ergriffenheit zu überwinden suchte. Schließlich fand er seine ge¬ wohnte schnöde Ausdrucksweise wieder und trat mit dem Fuß auf und sagte: Da schmieren Müller und Meyer ihre Namen mit roter Farbe unter jeden Fetzen, den sie bemalen, und wer das da gemacht hat, der sagt nicht, wie er heißt! Dann wieder kam einer bei Nacht und ließ meinen Vater hinausrufen. Man saß in dem hohen schmalen Eßzimmer rin der alten Kassettierung an der Zimmer¬ decke, die so hoch oben war, daß der Lampenschein sie kaum erreichte. Meine Mutter sagt, sie sähe den Mann noch vor sich, einen langen Herrn mit einem Schnurrbart, der ein kleines Bildchen unter den Rock gekröpft hatte. Für mich ist es immer mit dem Nimbus des Geheimnisvoller umgeben ge¬ wesen, und mir scheint, mein Vater war überzeugt, daß die Not den Mann ge¬ zwungen hätte, es wegzugeben. Wenn etwas davon erwähnt wurde, war so viel Ehrfurcht dabei, wie man sie vor dem Unglück hat. Dies ist das Bildchen, von dem mein Vater sagte: Es ist nicht weit von Raffael entstanden, und das Senator Morelli so lebhaft begrüßte: Er ist es, er ist es wahrhaftig! Mein Vater hat es immer in seiner nächsten Umgebung aufbewahrt. Es wäre ja eine Kleinigkeit, es unter dem Mantel fortzutragen, meinte er, und einmal sagte er scherzweise, der Überbringer hätte sich sehr geschämt, ein so kostbares Bild zu verkaufen — vielleicht hätte er es gestohlen. Es ist ein ganz kleines Bild. Die Maria mit dem Kinde im Mittelgrund einer Landschaft, einer Landschaft, die weit und blau zurückgeht und rechts und links kleine aufrechte, wenig entfaltete Bäumchen hat, wie die aus Perugia sie gern malen. Die Halswendung der Madonna, das niederblicken, ihre Hände und die Gestalt des Bcnnbino, sogar der kleine Schleier, der sorgfältig um den Kopf der Madonna gebunden und um den Halsausschnitt gelegt ist, und der sich an einer Stelle zart gegen den Himmel abhebt, alles sind frappante Eigentümlichkeiten des Raffael. Das Bildchen ist auf eine kleine Holzplatte gemalt, die zum Schutz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/736
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/736>, abgerufen am 15.01.2025.