Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die Bedeutung der Presse für die Kultur haben sich sogar liberale Staatsrechtslehrer wie Holtzendorff gegen "die Knecht¬ Auch die publizistische Arbeit, die wir Presse nennen, und der wir eine so Die Bedeutung der Presse für die Kultur haben sich sogar liberale Staatsrechtslehrer wie Holtzendorff gegen „die Knecht¬ Auch die publizistische Arbeit, die wir Presse nennen, und der wir eine so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0715" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296726"/> <fw type="header" place="top"> Die Bedeutung der Presse für die Kultur</fw><lb/> <p xml:id="ID_3687" prev="#ID_3686"> haben sich sogar liberale Staatsrechtslehrer wie Holtzendorff gegen „die Knecht¬<lb/> schaft des Leitartikels," gegen „die Vereidigung auf die Parteilehren der Tages¬<lb/> presse" erhoben. Die Publizistik soll gewissermaßen der Niederschlag aller<lb/> Kulturmittel des Staatslebens sein, sie darf nicht, indem sie diese unbeachtet läßt,<lb/> die Beherrschung der Geister einseitig usurpieren. Ebenso waren Fürsten und<lb/> Staatsmänner im Unrecht, die, wenn ihre Entschließungen schief gingen, die<lb/> Schuld nicht selten der Presse beigemessen haben. Tatsächlich war die Schuld<lb/> die ihre, weil sie der Presse nicht rechtzeitig das Gleichgewicht zu halten, ihr<lb/> Wege und Ziele zu weisen vermocht hatten. Es ist für einen Staatsmann,<lb/> einen Politiker oder sonst eine an einem hervorragenden Platze im öffentlichen<lb/> Leben stehende Persönlichkeit sicherlich sehr angenehm, sich von der öffentlichen<lb/> Meinung getragen zu wissen, und kein Kelch schmeckt besser als der der Popu¬<lb/> larität. Aber man muß Herr darüber bleiben, wohin und wie weit es geht.<lb/> Pön rmäg, Q6v rsZitur.</p><lb/> <p xml:id="ID_3688"> Auch die publizistische Arbeit, die wir Presse nennen, und der wir eine so<lb/> ungeheure Bedeutung für die Kultur zuerkennen, ist, wie alles im Leben, nur<lb/> ein Produkt der gegebnen Verhältnisse. Eine weise Staatskunst muß deshalb<lb/> darüber wachen, daß die Verhältnisse das Produkt nicht zu ungünstig beein¬<lb/> flussen, weil sich in weiterer Fortsetzung diese Einflüsse leicht ins maßlose ver¬<lb/> größern. Denn schließlich bleibt das Wort richtig, daß jedes Land die Presse<lb/> hat, die es verdient. Darum ist eine der wachsenden Bedeutung entsprechende<lb/> Hebung des journalistischen Berufs nicht nur die Pflicht aller, die darin tätig<lb/> sind, sondern sie ist ein gewichtiges öffentliches Interesse. Unsre heutige Pre߬<lb/> freiheit ist überwiegend eine gewerbliche; sie muß mehr eine geistige werden.<lb/> Eine eingehende Erörterung dieser Frage würde uns aber hier zu weit führen,<lb/> liegt auch wohl außerhalb unsers Themas. Auch eine Betrachtung über die<lb/> Einflüsse, denen die Presse unterliegt, so interessant und verlockend das wäre,<lb/> müssen wir uns versagen, weil wir damit weit in das politische Gebiet sowie<lb/> in das des eigentlichen Journalismus hinein kämen. Der verstorbne Reichs¬<lb/> kanzler Fürst Hohenlohe sagte gelegentlich einmal im Reichstage: „Wer hätte<lb/> heutzutage nicht einen Freund in der Presse?" Es ist ganz selbstverständlich,<lb/> daß sich mit der Vervielfältigung des Kulturlebens, der immer größer werdenden<lb/> Breite des politischen wie des öffentlichen Lebens, auch die Beziehungen der<lb/> Presse vervielfältigen. Sie werden von der Presse selbst überall gesucht, ebenso<lb/> wie diese von Staatsmännern, Politikern aller Parteien, Behörden sowie von<lb/> allen Persönlichkeiten aufgesucht wird, die die Öffentlichkeit für irgend etwas<lb/> interessieren wollen. Außer persönlichen und Parteieinflüssen aller Art machen sich<lb/> dann auch noch geschäftliche Einflüsse der Verleger, ja sogar solche von Inserenten<lb/> geltend. Ist es eine politisch einflußreiche Zeitung, und ist der Besitzer oder<lb/> der Vorsitzende des Aufsichtsrats eine entsprechende Persönlichkeit, so werden<lb/> auch diese einen Einfluß auf die Haltung des Blattes üben. Man kann darum<lb/> die Frage, wer eigentlich den Journalisten ihr Mandat erteile, sehr wohl dahin<lb/> beantworten, daß dieses Mandat nicht nur vom Publikum, sondern von dem<lb/> gesamten öffentlichen Interesse täglich erneuert wird, wenn nicht persönlich, so<lb/> doch jedenfalls an die Adresse der Zeitung.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0715]
Die Bedeutung der Presse für die Kultur
haben sich sogar liberale Staatsrechtslehrer wie Holtzendorff gegen „die Knecht¬
schaft des Leitartikels," gegen „die Vereidigung auf die Parteilehren der Tages¬
presse" erhoben. Die Publizistik soll gewissermaßen der Niederschlag aller
Kulturmittel des Staatslebens sein, sie darf nicht, indem sie diese unbeachtet läßt,
die Beherrschung der Geister einseitig usurpieren. Ebenso waren Fürsten und
Staatsmänner im Unrecht, die, wenn ihre Entschließungen schief gingen, die
Schuld nicht selten der Presse beigemessen haben. Tatsächlich war die Schuld
die ihre, weil sie der Presse nicht rechtzeitig das Gleichgewicht zu halten, ihr
Wege und Ziele zu weisen vermocht hatten. Es ist für einen Staatsmann,
einen Politiker oder sonst eine an einem hervorragenden Platze im öffentlichen
Leben stehende Persönlichkeit sicherlich sehr angenehm, sich von der öffentlichen
Meinung getragen zu wissen, und kein Kelch schmeckt besser als der der Popu¬
larität. Aber man muß Herr darüber bleiben, wohin und wie weit es geht.
Pön rmäg, Q6v rsZitur.
Auch die publizistische Arbeit, die wir Presse nennen, und der wir eine so
ungeheure Bedeutung für die Kultur zuerkennen, ist, wie alles im Leben, nur
ein Produkt der gegebnen Verhältnisse. Eine weise Staatskunst muß deshalb
darüber wachen, daß die Verhältnisse das Produkt nicht zu ungünstig beein¬
flussen, weil sich in weiterer Fortsetzung diese Einflüsse leicht ins maßlose ver¬
größern. Denn schließlich bleibt das Wort richtig, daß jedes Land die Presse
hat, die es verdient. Darum ist eine der wachsenden Bedeutung entsprechende
Hebung des journalistischen Berufs nicht nur die Pflicht aller, die darin tätig
sind, sondern sie ist ein gewichtiges öffentliches Interesse. Unsre heutige Pre߬
freiheit ist überwiegend eine gewerbliche; sie muß mehr eine geistige werden.
Eine eingehende Erörterung dieser Frage würde uns aber hier zu weit führen,
liegt auch wohl außerhalb unsers Themas. Auch eine Betrachtung über die
Einflüsse, denen die Presse unterliegt, so interessant und verlockend das wäre,
müssen wir uns versagen, weil wir damit weit in das politische Gebiet sowie
in das des eigentlichen Journalismus hinein kämen. Der verstorbne Reichs¬
kanzler Fürst Hohenlohe sagte gelegentlich einmal im Reichstage: „Wer hätte
heutzutage nicht einen Freund in der Presse?" Es ist ganz selbstverständlich,
daß sich mit der Vervielfältigung des Kulturlebens, der immer größer werdenden
Breite des politischen wie des öffentlichen Lebens, auch die Beziehungen der
Presse vervielfältigen. Sie werden von der Presse selbst überall gesucht, ebenso
wie diese von Staatsmännern, Politikern aller Parteien, Behörden sowie von
allen Persönlichkeiten aufgesucht wird, die die Öffentlichkeit für irgend etwas
interessieren wollen. Außer persönlichen und Parteieinflüssen aller Art machen sich
dann auch noch geschäftliche Einflüsse der Verleger, ja sogar solche von Inserenten
geltend. Ist es eine politisch einflußreiche Zeitung, und ist der Besitzer oder
der Vorsitzende des Aufsichtsrats eine entsprechende Persönlichkeit, so werden
auch diese einen Einfluß auf die Haltung des Blattes üben. Man kann darum
die Frage, wer eigentlich den Journalisten ihr Mandat erteile, sehr wohl dahin
beantworten, daß dieses Mandat nicht nur vom Publikum, sondern von dem
gesamten öffentlichen Interesse täglich erneuert wird, wenn nicht persönlich, so
doch jedenfalls an die Adresse der Zeitung.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |