Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.haben, wie der ist, auf den wir bis in seine hintersten Reihen trotz allem Auch unsre gebildeten Kreise machen sich das Bild des Journalisten nicht haben, wie der ist, auf den wir bis in seine hintersten Reihen trotz allem Auch unsre gebildeten Kreise machen sich das Bild des Journalisten nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0713" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296724"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_3682" prev="#ID_3681"> haben, wie der ist, auf den wir bis in seine hintersten Reihen trotz allem<lb/> Wechsel der Zeiten stolz sein können.</p><lb/> <p xml:id="ID_3683" next="#ID_3684"> Auch unsre gebildeten Kreise machen sich das Bild des Journalisten nicht<lb/> selten nach Gustav Freytags ebenso liebenswürdigem wie berühmtem Lustspiel<lb/> zurecht. Sie sehen in dem fröhlichen, nie verlegner schlagfertigen Konrad Bolz<lb/> mit seinem kontraktlichen Frühstück von täglich fünfzig Austern und zwei Flaschen<lb/> Wein für jeden Mitarbeiter den Typus des lustigen deutschen Zeitung¬<lb/> schreibers — Vohe'mien mit Leib und Seele, bis er sich endlich durch eine gute<lb/> Partie rangiert, wie das ja in andern Berufsständeu auch vorkommt. Diesen<lb/> Typus hat es, wenn überhaupt, dann nur in den Morgenstunden des poli¬<lb/> tischen Erwachens gegeben, die für Freytags Lustspiel den Hintergrund bilden.<lb/> Heute ist jener harmlose Gesell jedenfalls längst ausgestorben. Noch mag sein<lb/> Wort gelten: „Wer zur Zunft gehört, kann den Ehrgeiz haben, witzig oder<lb/> bedeutend zu schreiben, was darüber hinausgeht, ist nicht für uns." Aber seine<lb/> weitere Äußerung: „Wer immer für den Tag arbeitet, ist es bei dem nicht<lb/> auch natürlich, daß er auch in den Tag hineinlebt?" trifft für den Journalisten<lb/> von heute nicht mehr zu. Zwei Menschenalter voller politischer Kämpfe haben<lb/> den Beruf wesentlich verändert und ihn zum mindesten viel ernster gemacht.<lb/> Konrad Bolz könnte heute nicht Chefredakteur, Vellmaus noch weniger Feuilletou-<lb/> redcikteur sein, wenngleich an Bellmünsen kein Mangel sein mag. Der Journalist<lb/> von heute arbeitet nicht nur für den Tag und wird deshalb auch nicht in den<lb/> Tag hineinleben. Auch bei unserm Beruf wandelt mehr als in manchem andern<lb/> in dem Heute schon das Morgen. Das Rad der Zeit, an dem der Journalist<lb/> drehen hilft, ist in unausgesetzter Bewegung und verlangt einen ganzen Mann.<lb/> Auch der hochentwickelte technische Betrieb stellt an die Arbeit des Journalisten<lb/> wesentlich andre Ansprüche als vor einem halben Jahrhundert, den gemütlichen<lb/> Eigentümer, Drucker und Verleger Gabriel Henning, der die Redaktion mit der<lb/> Frage aufsucht, ob es Konditor oder Knnditor heißt, wie der neue Korrektor<lb/> korrigiert hat, dürfte man heute vergebens suchen. Geblieben sind höchstens<lb/> die Schmocks, und auch diese in weit weniger erträglicher Gestalt. Wer heute<lb/> Freytags Journalisten auf der Bühne sieht, wird bei guter Rollenbesetzung einen<lb/> amüsanten Abend haben, aber das moderne Zeitungswesen hat er nicht gesehen.<lb/> Der Journalistenberuf von heute kann auch nicht mehr in dem Maße, wie es<lb/> ehedem hier und da wohl der Fall gewesen ist, als ein Nothafen für Existenzen,<lb/> die in andern Berufen gescheitert sind, angesehen werden. Wohl ist es für jede<lb/> größere Redaktion wünschenswert, in ihrem Stäbe Männer zu haben, die auf<lb/> allen möglichen Gebieten aus eigner praktischer Erfahrung Bescheid wissen, aber<lb/> die meisten Zeitungen ziehn es heutzutage doch vor, sich diese Sachverständigen<lb/> im Kreise ihrer externen Mitarbeiter und ihrer Korrespondenten zu suchen. Wer<lb/> am Redaktionstisch sitzen will, muß für diese harte und eilige Tagesarbeit<lb/> wirklich brauchbar sein. Heute trifft längst bei allen größern Blättern das<lb/> Wort zu: Viele sind berufen, aber wenige sind auserwühlet. Und was gehört<lb/> zu dieser Brauchbarkeit? Jeder Journalist, der an einer verantwortlichen Stelle<lb/> steht oder eine solche anstrebt, muß vor allen Dingen ein Stück Gottes-<lb/> gnadentum in sich tragen, etwas von dem heiligen Feuer, das der Genius dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0713]
haben, wie der ist, auf den wir bis in seine hintersten Reihen trotz allem
Wechsel der Zeiten stolz sein können.
Auch unsre gebildeten Kreise machen sich das Bild des Journalisten nicht
selten nach Gustav Freytags ebenso liebenswürdigem wie berühmtem Lustspiel
zurecht. Sie sehen in dem fröhlichen, nie verlegner schlagfertigen Konrad Bolz
mit seinem kontraktlichen Frühstück von täglich fünfzig Austern und zwei Flaschen
Wein für jeden Mitarbeiter den Typus des lustigen deutschen Zeitung¬
schreibers — Vohe'mien mit Leib und Seele, bis er sich endlich durch eine gute
Partie rangiert, wie das ja in andern Berufsständeu auch vorkommt. Diesen
Typus hat es, wenn überhaupt, dann nur in den Morgenstunden des poli¬
tischen Erwachens gegeben, die für Freytags Lustspiel den Hintergrund bilden.
Heute ist jener harmlose Gesell jedenfalls längst ausgestorben. Noch mag sein
Wort gelten: „Wer zur Zunft gehört, kann den Ehrgeiz haben, witzig oder
bedeutend zu schreiben, was darüber hinausgeht, ist nicht für uns." Aber seine
weitere Äußerung: „Wer immer für den Tag arbeitet, ist es bei dem nicht
auch natürlich, daß er auch in den Tag hineinlebt?" trifft für den Journalisten
von heute nicht mehr zu. Zwei Menschenalter voller politischer Kämpfe haben
den Beruf wesentlich verändert und ihn zum mindesten viel ernster gemacht.
Konrad Bolz könnte heute nicht Chefredakteur, Vellmaus noch weniger Feuilletou-
redcikteur sein, wenngleich an Bellmünsen kein Mangel sein mag. Der Journalist
von heute arbeitet nicht nur für den Tag und wird deshalb auch nicht in den
Tag hineinleben. Auch bei unserm Beruf wandelt mehr als in manchem andern
in dem Heute schon das Morgen. Das Rad der Zeit, an dem der Journalist
drehen hilft, ist in unausgesetzter Bewegung und verlangt einen ganzen Mann.
Auch der hochentwickelte technische Betrieb stellt an die Arbeit des Journalisten
wesentlich andre Ansprüche als vor einem halben Jahrhundert, den gemütlichen
Eigentümer, Drucker und Verleger Gabriel Henning, der die Redaktion mit der
Frage aufsucht, ob es Konditor oder Knnditor heißt, wie der neue Korrektor
korrigiert hat, dürfte man heute vergebens suchen. Geblieben sind höchstens
die Schmocks, und auch diese in weit weniger erträglicher Gestalt. Wer heute
Freytags Journalisten auf der Bühne sieht, wird bei guter Rollenbesetzung einen
amüsanten Abend haben, aber das moderne Zeitungswesen hat er nicht gesehen.
Der Journalistenberuf von heute kann auch nicht mehr in dem Maße, wie es
ehedem hier und da wohl der Fall gewesen ist, als ein Nothafen für Existenzen,
die in andern Berufen gescheitert sind, angesehen werden. Wohl ist es für jede
größere Redaktion wünschenswert, in ihrem Stäbe Männer zu haben, die auf
allen möglichen Gebieten aus eigner praktischer Erfahrung Bescheid wissen, aber
die meisten Zeitungen ziehn es heutzutage doch vor, sich diese Sachverständigen
im Kreise ihrer externen Mitarbeiter und ihrer Korrespondenten zu suchen. Wer
am Redaktionstisch sitzen will, muß für diese harte und eilige Tagesarbeit
wirklich brauchbar sein. Heute trifft längst bei allen größern Blättern das
Wort zu: Viele sind berufen, aber wenige sind auserwühlet. Und was gehört
zu dieser Brauchbarkeit? Jeder Journalist, der an einer verantwortlichen Stelle
steht oder eine solche anstrebt, muß vor allen Dingen ein Stück Gottes-
gnadentum in sich tragen, etwas von dem heiligen Feuer, das der Genius dem
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