Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Warum? kann -- und das halbverhüllte Angesicht der ewigen Liebe! Die Mutter wollte Auf Umwegen ging sie zu dem alten Meyer Plutus, der schlummernd und Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, und er fuhr mit einem röchelnden In der Tür aber erschien das blasse Gesicht Moritzchens, und seine mächtigen Der Alte wandte sich ab. Es kann ein jüdisch Kind abwendig machen, sagte Meine Kinder würden traurig sein -- Traurig sollen die Kinder unsrer Wohltäter nicht sein um uns, rief er. Dann Sie wars zufrieden und lief vergnügt wie ein Kind hinaus. Moritzche, mein Gold, vermahnte er seinen Jungen rasch. Laß dein Herz Der feine Silberton einer Klingel erscholl -- der Jude und sein Sohn Ihre Augen öffneten sich unnatürlich groß, und alle Wachskerzen spiegelten Nach Minuten erst löste sich der Zauber, und die Kinder umwandelten den Meyer Plutus hatte sogleich einen Platz in der Ecke erspäht, setzte sich und Der Lehrer stimmte an: Stille Nacht -- heilige Nacht, und eine Oktave Warum? kann — und das halbverhüllte Angesicht der ewigen Liebe! Die Mutter wollte Auf Umwegen ging sie zu dem alten Meyer Plutus, der schlummernd und Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, und er fuhr mit einem röchelnden In der Tür aber erschien das blasse Gesicht Moritzchens, und seine mächtigen Der Alte wandte sich ab. Es kann ein jüdisch Kind abwendig machen, sagte Meine Kinder würden traurig sein — Traurig sollen die Kinder unsrer Wohltäter nicht sein um uns, rief er. Dann Sie wars zufrieden und lief vergnügt wie ein Kind hinaus. Moritzche, mein Gold, vermahnte er seinen Jungen rasch. Laß dein Herz Der feine Silberton einer Klingel erscholl — der Jude und sein Sohn Ihre Augen öffneten sich unnatürlich groß, und alle Wachskerzen spiegelten Nach Minuten erst löste sich der Zauber, und die Kinder umwandelten den Meyer Plutus hatte sogleich einen Platz in der Ecke erspäht, setzte sich und Der Lehrer stimmte an: Stille Nacht — heilige Nacht, und eine Oktave <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0678" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296689"/> <fw type="header" place="top"> Warum?</fw><lb/> <p xml:id="ID_3516" prev="#ID_3515"> kann — und das halbverhüllte Angesicht der ewigen Liebe! Die Mutter wollte<lb/> aber nur sehen, ob alle bereit seien, und schloß wieder die Tür.</p><lb/> <p xml:id="ID_3517"> Auf Umwegen ging sie zu dem alten Meyer Plutus, der schlummernd und<lb/> zusammengefallen in des Hausherrn Lehnstuhl hing. Sie zauderte, ob sie ihn<lb/> wecken solle, doch es schien ihr nicht recht zu sein, wenn sie des Juden Söhnchen<lb/> mit ihren Kindern zur Weihnachtsfeier holte, ohne es ihn wissen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3518"> Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, und er fuhr mit einem röchelnden<lb/> Laut auf und starrte sie aus seinen noch immer roten Augen verständnislos an.<lb/> Als er begriff, stand er aber höflich auf. Nehmen Sie es nicht übel, werte Frau.<lb/> Aber die Verführung ist zu groß für meinen Kleinen. Hab ich ihn doch mitge¬<lb/> nommen, daß er daheim nicht von Weihnacht hört — und nu soll er hier es mit<lb/> ansehen?</p><lb/> <p xml:id="ID_3519"> In der Tür aber erschien das blasse Gesicht Moritzchens, und seine mächtigen<lb/> Augen flehten und bettelten. Tränen hingen in seinen Wimpern. Es würde auch<lb/> unsern Kindern die Freude stören, wenn ein Kind im Hause nicht teilnähme, sagte<lb/> die Hausfrau.</p><lb/> <p xml:id="ID_3520"> Der Alte wandte sich ab. Es kann ein jüdisch Kind abwendig machen, sagte<lb/> er leise.</p><lb/> <p xml:id="ID_3521"> Meine Kinder würden traurig sein —</p><lb/> <p xml:id="ID_3522"> Traurig sollen die Kinder unsrer Wohltäter nicht sein um uns, rief er. Dann<lb/> gehn wir mit — aber geben Sie uns einen Stuhl in einer Ecke, damit wir still<lb/> dort bleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_3523"> Sie wars zufrieden und lief vergnügt wie ein Kind hinaus.</p><lb/> <p xml:id="ID_3524"> Moritzche, mein Gold, vermahnte er seinen Jungen rasch. Laß dein Herz<lb/> nicht lecker werden nach ihren Festen — es ist Götzenopfcr. Der Einige wolle<lb/> dir die Augen halten, daß du nichts verderbliches siehst. Du bist mein einziges<lb/> Kaddisch. Komm denn, mein Leben. Und er gedachte mit Seufzen, daß es wohl<lb/> nicht so gefährlich gewesen wäre, in dem andern Hause die Weihnachtsfeier mit<lb/> zu erleben.</p><lb/> <p xml:id="ID_3525"> Der feine Silberton einer Klingel erscholl — der Jude und sein Sohn<lb/> wußten, daß sie sich nun den Kindern anschließen mußten. In dem Flur standen<lb/> diese hochatmend und still, Rudi als der älteste ging zur Tür — nicht stürmisch,<lb/> sondern feierlich — und öffnete sie. Ein Meer von Kerzenschein strömte ihnen<lb/> entgegen, daß sie davor zurückprallten, und veranlaßte sie, einen Augenblick zu<lb/> zögern. Dann feierten im Abbilde die Lehrerkinder ihren Eintritt in den Himmels¬<lb/> saal: lauter Licht — lauter Wonne — die lächelnden Gesichter von Vater und<lb/> Mutter neben dem Baum — und Liebe über Bitten und Versteh».</p><lb/> <p xml:id="ID_3526"> Ihre Augen öffneten sich unnatürlich groß, und alle Wachskerzen spiegelten<lb/> sich darin — in jedem einzelnen Auge war ein kleiner Weihnachtsbaum. Die<lb/> Wangen glühten, und der Atem ging rasch, weil die Seligkeit die Brust zu<lb/> sprengen drohte. Sie lachten nicht, sie sprachen nicht — sie standen tiefernst im<lb/> Übermaß des Entzückens.</p><lb/> <p xml:id="ID_3527"> Nach Minuten erst löste sich der Zauber, und die Kinder umwandelten den<lb/> Baum, ihn von allen Seiten zu betrachten — ein Arm von Vater oder Mutter<lb/> legte sich ihnen dabei um den Nacken, eine kleine Hand wurde dabei von der elter¬<lb/> lichen eingefangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3528"> Meyer Plutus hatte sogleich einen Platz in der Ecke erspäht, setzte sich und<lb/> zog seinen Sohn zwischen seine Knie. Wir werden viel mehr Lichte aufstecken zum<lb/> Chcmuka, wenn wir daheim sind, raunte er ihm zu. Moritzchen wunderte sich, daß<lb/> die Kinder noch immer keinen Blick nach dem mit Geschenken belegten Tisch warfen,<lb/> den er schon lange entdeckt hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_3529"> Der Lehrer stimmte an: Stille Nacht — heilige Nacht, und eine Oktave<lb/> höher fielen die Stimmen, der vier Kinder und der Mutter ein. Blinde Nacht —<lb/> flüsterte Plutus. ..... . , , , , > ^ ,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0678]
Warum?
kann — und das halbverhüllte Angesicht der ewigen Liebe! Die Mutter wollte
aber nur sehen, ob alle bereit seien, und schloß wieder die Tür.
Auf Umwegen ging sie zu dem alten Meyer Plutus, der schlummernd und
zusammengefallen in des Hausherrn Lehnstuhl hing. Sie zauderte, ob sie ihn
wecken solle, doch es schien ihr nicht recht zu sein, wenn sie des Juden Söhnchen
mit ihren Kindern zur Weihnachtsfeier holte, ohne es ihn wissen zu lassen.
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, und er fuhr mit einem röchelnden
Laut auf und starrte sie aus seinen noch immer roten Augen verständnislos an.
Als er begriff, stand er aber höflich auf. Nehmen Sie es nicht übel, werte Frau.
Aber die Verführung ist zu groß für meinen Kleinen. Hab ich ihn doch mitge¬
nommen, daß er daheim nicht von Weihnacht hört — und nu soll er hier es mit
ansehen?
In der Tür aber erschien das blasse Gesicht Moritzchens, und seine mächtigen
Augen flehten und bettelten. Tränen hingen in seinen Wimpern. Es würde auch
unsern Kindern die Freude stören, wenn ein Kind im Hause nicht teilnähme, sagte
die Hausfrau.
Der Alte wandte sich ab. Es kann ein jüdisch Kind abwendig machen, sagte
er leise.
Meine Kinder würden traurig sein —
Traurig sollen die Kinder unsrer Wohltäter nicht sein um uns, rief er. Dann
gehn wir mit — aber geben Sie uns einen Stuhl in einer Ecke, damit wir still
dort bleiben.
Sie wars zufrieden und lief vergnügt wie ein Kind hinaus.
Moritzche, mein Gold, vermahnte er seinen Jungen rasch. Laß dein Herz
nicht lecker werden nach ihren Festen — es ist Götzenopfcr. Der Einige wolle
dir die Augen halten, daß du nichts verderbliches siehst. Du bist mein einziges
Kaddisch. Komm denn, mein Leben. Und er gedachte mit Seufzen, daß es wohl
nicht so gefährlich gewesen wäre, in dem andern Hause die Weihnachtsfeier mit
zu erleben.
Der feine Silberton einer Klingel erscholl — der Jude und sein Sohn
wußten, daß sie sich nun den Kindern anschließen mußten. In dem Flur standen
diese hochatmend und still, Rudi als der älteste ging zur Tür — nicht stürmisch,
sondern feierlich — und öffnete sie. Ein Meer von Kerzenschein strömte ihnen
entgegen, daß sie davor zurückprallten, und veranlaßte sie, einen Augenblick zu
zögern. Dann feierten im Abbilde die Lehrerkinder ihren Eintritt in den Himmels¬
saal: lauter Licht — lauter Wonne — die lächelnden Gesichter von Vater und
Mutter neben dem Baum — und Liebe über Bitten und Versteh».
Ihre Augen öffneten sich unnatürlich groß, und alle Wachskerzen spiegelten
sich darin — in jedem einzelnen Auge war ein kleiner Weihnachtsbaum. Die
Wangen glühten, und der Atem ging rasch, weil die Seligkeit die Brust zu
sprengen drohte. Sie lachten nicht, sie sprachen nicht — sie standen tiefernst im
Übermaß des Entzückens.
Nach Minuten erst löste sich der Zauber, und die Kinder umwandelten den
Baum, ihn von allen Seiten zu betrachten — ein Arm von Vater oder Mutter
legte sich ihnen dabei um den Nacken, eine kleine Hand wurde dabei von der elter¬
lichen eingefangen.
Meyer Plutus hatte sogleich einen Platz in der Ecke erspäht, setzte sich und
zog seinen Sohn zwischen seine Knie. Wir werden viel mehr Lichte aufstecken zum
Chcmuka, wenn wir daheim sind, raunte er ihm zu. Moritzchen wunderte sich, daß
die Kinder noch immer keinen Blick nach dem mit Geschenken belegten Tisch warfen,
den er schon lange entdeckt hatte.
Der Lehrer stimmte an: Stille Nacht — heilige Nacht, und eine Oktave
höher fielen die Stimmen, der vier Kinder und der Mutter ein. Blinde Nacht —
flüsterte Plutus. ..... . , , , , > ^ ,
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