Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Warum? ihn bei den Händen und führten ihn in die Schulstube, wo ein schmaler, hoher Er erklärte sich gesättigt, und sie suchten nach andern Genüssen für ihn und Nun verkürzten sie sich die Geduldprobe durch Turnen an den Geräten, die Stumm vor Verwunderung stand Montzchen. Als der Ältesten Blick beim Moritzchen wäre gern unten gewesen, um seine Wohltäterin jedoch nicht zu Du hättest gern länger dürfen, sagte der Sohn des Hauses höflich. Wir Doch schon ließ der siebenjährige Blondkopf das niedrig gestellte Trapez im In dieser Stunde, wo drinnen das selige Geheimnis bereitet wurde, übertraf Endlich hörten sie hinter der Paradiesestür Schritte. Sie wurde einen Spalt Warum? ihn bei den Händen und führten ihn in die Schulstube, wo ein schmaler, hoher Er erklärte sich gesättigt, und sie suchten nach andern Genüssen für ihn und Nun verkürzten sie sich die Geduldprobe durch Turnen an den Geräten, die Stumm vor Verwunderung stand Montzchen. Als der Ältesten Blick beim Moritzchen wäre gern unten gewesen, um seine Wohltäterin jedoch nicht zu Du hättest gern länger dürfen, sagte der Sohn des Hauses höflich. Wir Doch schon ließ der siebenjährige Blondkopf das niedrig gestellte Trapez im In dieser Stunde, wo drinnen das selige Geheimnis bereitet wurde, übertraf Endlich hörten sie hinter der Paradiesestür Schritte. Sie wurde einen Spalt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0677" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296688"/> <fw type="header" place="top"> Warum?</fw><lb/> <p xml:id="ID_3507" prev="#ID_3506"> ihn bei den Händen und führten ihn in die Schulstube, wo ein schmaler, hoher<lb/> Holzkorb stand, der leer war. Dort setzten sie ihn hinein und schoben ihn. seinen<lb/> Widerspruch als Bescheidenheit übertäubend, unter ihres Vaters alten Schreibtisch.<lb/> Er konnte sich nun gar nicht rühren und auf keine Weise herauskommen, es sei<lb/> denn, daß er sich einen so starken Ruck gab, daß der Korb umkippte. Aber auch<lb/> dazu bot der Ort nicht genügend Platz. Alle vier Kinder standen davor und<lb/> beobachteten ihn gütig. Er empfand undeutlich, daß es eine hohe Ehre und Freude<lb/> war, die er genoß, und mochte deshalb keine Klage anstimmen. So hockte er in<lb/> gleicher Enge wie einige Stunden vorher, und seine schwarzen Augen glänzten<lb/> ängstlich unter dem niedern Dach hervor. Hast du genug? fragte Elsbeth nach<lb/> einiger Zeit. Sollen wir dich um wieder herausziehn?</p><lb/> <p xml:id="ID_3508"> Er erklärte sich gesättigt, und sie suchten nach andern Genüssen für ihn und<lb/> für sich. Aus der Weihnachtsstube waren sie verbannt. Vater und Mutter hatten<lb/> sich schon dorthin zurückgezogen zu unergründlichen Tun und sogar das Schlüssel¬<lb/> loch vou innen mit Watte verstopft. Sie liefen an die Fenster, deren Läden hier<lb/> nicht geschlossen waren, drückten ihre Gesichter an die Scheiben und starrten mit<lb/> der ganzen Wonne des Geborgenseins in den Graus. Mit feinem Trommeln warf<lb/> der Wind noch ganze Ladungen von Schneekörnern gegen das Glas.</p><lb/> <p xml:id="ID_3509"> Nun verkürzten sie sich die Geduldprobe durch Turnen an den Geräten, die<lb/> es im Schulzimmer gab, und erfüllten dabei den Raum mit beträchtlichem Freuden¬<lb/> geschrei. Rudi zog sich mit den Händen an schrägen Stangen in die Höhe, Fritz<lb/> hing am Trapez, das Kleinste versuchte, auf alltägliche Art eine Leiter zu er¬<lb/> klimmen, und Elsbeth sauste an den Ringen durch die Luft.</p><lb/> <p xml:id="ID_3510"> Stumm vor Verwunderung stand Montzchen. Als der Ältesten Blick beim<lb/> Schwinge« jedoch auf ihn fiel, machte sie plötzlich ein nachdenkliches Gesicht, sprang<lb/> ab, daß die Eisenreifen aneinander klirrten, und sagte mit schmeichelnder Stimme:<lb/> Willst du nicht auch turnen, Moritz? Turme doch auch. Und ehe er sich dessen<lb/> versah, hob sie ihn hinan. Er klammerte sich fest und hing mit ängstlicher Miene<lb/> droben. Sie aber setzte ihn in sanfte Schwingungen. Ist das nicht schön? fragte<lb/> sie wohlwollend. Das geht doch fein!</p><lb/> <p xml:id="ID_3511"> Moritzchen wäre gern unten gewesen, um seine Wohltäterin jedoch nicht zu<lb/> verletzen, unterdrückte er diesen Wunsch, bis er sich wirklich nicht mehr halten<lb/> konnte. Sie nahm ihn dann herab. Und nun kam Rudi herbei, und der ernste<lb/> Wille, dem kleinen Judenjungen Gutes zu erweisen, lag in seinen Mienen. Er<lb/> führte ihn zu der schrägen Leiter, zeigte ihm, wie er sich durch Seitenschwingung<lb/> aufwärts bewegen müsse, und hob ihn hinan. Wieder hing Moritz oben und<lb/> fürchtete sich. Nach kurzem Pendeln siel er auch schon auf die Füße.</p><lb/> <p xml:id="ID_3512"> Du hättest gern länger dürfen, sagte der Sohn des Hauses höflich. Wir<lb/> haben ja noch die andern Geräte. Willst du noch einmal?</p><lb/> <p xml:id="ID_3513"> Doch schon ließ der siebenjährige Blondkopf das niedrig gestellte Trapez im<lb/> Stich, an dem er sich vergnügt hatte, und rief mit engelgleichen Gesichtsausdruck:<lb/> Willst du hier mal hängen? Und Elsbeths starke Arme hoben den Gast zu dem<lb/> Handgriff empor.</p><lb/> <p xml:id="ID_3514"> In dieser Stunde, wo drinnen das selige Geheimnis bereitet wurde, übertraf<lb/> die Menschenliebe der Lehrerkinder sich selbst. Es war kaum etwas, womit sie<lb/> Moritzchen nicht gern erfreut hätten. Er war schon ganz bleich und erschöpft, aber<lb/> sobald er an einem Gerät erlahmte, wurde er liebreich zu einem andern geführt<lb/> und hinangehoben.</p><lb/> <p xml:id="ID_3515" next="#ID_3516"> Endlich hörten sie hinter der Paradiesestür Schritte. Sie wurde einen Spalt<lb/> breit aufgetan — der Mutter halbes Gesicht erschien — und ein Heller Lichter¬<lb/> schein fiel mit heraus. Die Kinder sprangen von den Geräten und standen in<lb/> lautlosem Schweigen und wußten nicht, daß sie in Kinderweise das Höchste sahen,<lb/> was Menschen auf Erden zu sehen bekommen: einen Schimmer der ewigen Herrlich¬<lb/> keit als durch einen Spalt hereinfallend, durch den man doch nicht hineinblicken</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0677]
Warum?
ihn bei den Händen und führten ihn in die Schulstube, wo ein schmaler, hoher
Holzkorb stand, der leer war. Dort setzten sie ihn hinein und schoben ihn. seinen
Widerspruch als Bescheidenheit übertäubend, unter ihres Vaters alten Schreibtisch.
Er konnte sich nun gar nicht rühren und auf keine Weise herauskommen, es sei
denn, daß er sich einen so starken Ruck gab, daß der Korb umkippte. Aber auch
dazu bot der Ort nicht genügend Platz. Alle vier Kinder standen davor und
beobachteten ihn gütig. Er empfand undeutlich, daß es eine hohe Ehre und Freude
war, die er genoß, und mochte deshalb keine Klage anstimmen. So hockte er in
gleicher Enge wie einige Stunden vorher, und seine schwarzen Augen glänzten
ängstlich unter dem niedern Dach hervor. Hast du genug? fragte Elsbeth nach
einiger Zeit. Sollen wir dich um wieder herausziehn?
Er erklärte sich gesättigt, und sie suchten nach andern Genüssen für ihn und
für sich. Aus der Weihnachtsstube waren sie verbannt. Vater und Mutter hatten
sich schon dorthin zurückgezogen zu unergründlichen Tun und sogar das Schlüssel¬
loch vou innen mit Watte verstopft. Sie liefen an die Fenster, deren Läden hier
nicht geschlossen waren, drückten ihre Gesichter an die Scheiben und starrten mit
der ganzen Wonne des Geborgenseins in den Graus. Mit feinem Trommeln warf
der Wind noch ganze Ladungen von Schneekörnern gegen das Glas.
Nun verkürzten sie sich die Geduldprobe durch Turnen an den Geräten, die
es im Schulzimmer gab, und erfüllten dabei den Raum mit beträchtlichem Freuden¬
geschrei. Rudi zog sich mit den Händen an schrägen Stangen in die Höhe, Fritz
hing am Trapez, das Kleinste versuchte, auf alltägliche Art eine Leiter zu er¬
klimmen, und Elsbeth sauste an den Ringen durch die Luft.
Stumm vor Verwunderung stand Montzchen. Als der Ältesten Blick beim
Schwinge« jedoch auf ihn fiel, machte sie plötzlich ein nachdenkliches Gesicht, sprang
ab, daß die Eisenreifen aneinander klirrten, und sagte mit schmeichelnder Stimme:
Willst du nicht auch turnen, Moritz? Turme doch auch. Und ehe er sich dessen
versah, hob sie ihn hinan. Er klammerte sich fest und hing mit ängstlicher Miene
droben. Sie aber setzte ihn in sanfte Schwingungen. Ist das nicht schön? fragte
sie wohlwollend. Das geht doch fein!
Moritzchen wäre gern unten gewesen, um seine Wohltäterin jedoch nicht zu
verletzen, unterdrückte er diesen Wunsch, bis er sich wirklich nicht mehr halten
konnte. Sie nahm ihn dann herab. Und nun kam Rudi herbei, und der ernste
Wille, dem kleinen Judenjungen Gutes zu erweisen, lag in seinen Mienen. Er
führte ihn zu der schrägen Leiter, zeigte ihm, wie er sich durch Seitenschwingung
aufwärts bewegen müsse, und hob ihn hinan. Wieder hing Moritz oben und
fürchtete sich. Nach kurzem Pendeln siel er auch schon auf die Füße.
Du hättest gern länger dürfen, sagte der Sohn des Hauses höflich. Wir
haben ja noch die andern Geräte. Willst du noch einmal?
Doch schon ließ der siebenjährige Blondkopf das niedrig gestellte Trapez im
Stich, an dem er sich vergnügt hatte, und rief mit engelgleichen Gesichtsausdruck:
Willst du hier mal hängen? Und Elsbeths starke Arme hoben den Gast zu dem
Handgriff empor.
In dieser Stunde, wo drinnen das selige Geheimnis bereitet wurde, übertraf
die Menschenliebe der Lehrerkinder sich selbst. Es war kaum etwas, womit sie
Moritzchen nicht gern erfreut hätten. Er war schon ganz bleich und erschöpft, aber
sobald er an einem Gerät erlahmte, wurde er liebreich zu einem andern geführt
und hinangehoben.
Endlich hörten sie hinter der Paradiesestür Schritte. Sie wurde einen Spalt
breit aufgetan — der Mutter halbes Gesicht erschien — und ein Heller Lichter¬
schein fiel mit heraus. Die Kinder sprangen von den Geräten und standen in
lautlosem Schweigen und wußten nicht, daß sie in Kinderweise das Höchste sahen,
was Menschen auf Erden zu sehen bekommen: einen Schimmer der ewigen Herrlich¬
keit als durch einen Spalt hereinfallend, durch den man doch nicht hineinblicken
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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