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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Warum?

Die Lehrerfrau überwand den natürlichen leisen Schreck, den ihr zu dieser
Stunde der Eintritt zweier ungebetner und noch obenein so wesensfremder Gäste
bereiten mußte, mit Anmut und gab dem Jungen freundlich die Hand. Aber natür¬
lich -- das ist ja einfach Christenpflicht, sagte sie ohne Arg.

Der alte Meyer Plutus tat es auch, wenn er so gebeten würde, sagte der
Hausierer, in dessen Stimme die besiegte Aufregung noch zitterte.

Das glaube ich Ihnen. Wohl dem, ders kann! Wir machen für Sie beide
ein gutes Plätzchen ausfindig. Legen Sie Ihren Mantel ab -- Kleiner, du auch.
Der Korb kann hier in der Ecke stehn. Rudi -- Elsbeth helft dem kleinen Jungen.
Diese Aufforderung richtete sie an zwei größere Kinder, die ebenfalls ans der
Stube gekommen waren und die Gäste ohne besondre Freude betrachteten. Gerade
zum heiligen Abend, mantle der ältere halblaut, und Elsbeth wisperte: O weh --
der alte Bcmdpinkus! Auch gerade nun! Ein strenger Blick der Mutter setzte
sie jedoch in Bewegung. Siehst du nicht, daß er mit seiner Mütze nicht zu bleiben
weiß? Sie selbst machte Platz am Wandriegel, indem sie nach einem verstohlnen
Blick auf den fleckigen Rock des Hausierers die Mäntel der Ihren gar weiter fort¬
hängte, als nötig zu sein schien.

Er wird nasse Strümpfe haben -- bringt den Kleinen in eure Schlafstube
und gebt ihm trockne. -- Treten Sie ein, Herr Plutus, mein Mann wird Ihnen
gewiß aushelfen. Sie führte ihn hinein, aber ging gleich wieder.

Drinnen erhob sich ein schlanker, mitteljähriger Mann mit Brille und spär¬
lichem blonden Haar von einem Schemel, worauf er kleine Pakete verschnürt hatte.
Er trat, den Kopf etwas vorgebeugt, dem Hausierer entgegen und streckte ihm so
warm und freundlich, ja ehrerbietig die Hand hin, daß dieser nicht wußte, wie
ihm geschah. Meyer Plutus glaubte, Menschen zu kennen, aber diese Sorte war
ihm neu.

Sie sollen uns herzlich willkommen sein, Herr Plutus. Setzen Sie sich hier.
Wenn es Ihnen genehm ist, rin uns den heiligen Abend zu feiern, ist es uns
doppelt lieb.

Während der Hausierer eine vor Verblüffung leise und unsichre Antwort gab,
gingen draußen schmollende, bettelnde Stimmen: Darum ist aber doch heilig Abend,
Mutter? -- Darum ist aber doch gerade so Weihnacht wie sonst? Natürlich --
gerade so, antwortete die Hausfrau gedämpft und beschwichtigend. Nehmt aber
euern Besuch auf, wie sichs gehört.

Zart und rücksichtsvoll drängte der Hausherr seinem Gast ein Paar mächtige
Filzschuhe auf und trug die durchweichten Stiefel eigenhändig an den Ofen, obwohl
Plutus das nicht zugeben wollte. Sie balgten sich fast darum. Dem Gaste kam
das alles so seltsam vor wie lauge nichts. Mit solcher Hochachtung war er uoch
niemals behandelt worden.

Er saß nun zusammengesunken und vor Erschöpfung stumm im weiten, wachstuch-
bezognen Lehnstuhl nahe am Ofen und sah voll Staunen dem Lehrer zu, der sein
Werk fortsetzte, und dessen Gesicht dabei wie von innen durchsonnt erschien. Er
wußte ganz gewiß, daß auch sein Junge hier gut aufgehoben war, wenn er das
Wie auch nicht sah. Erlöst und daheim fühlte er sich hier, und ehe er sichs ver¬
sah, schlössen sich seine Augen, und der Kopf sank ihm in tiefem Schlaf auf
die Brust.

In dem Flur legte die Hausfrau indessen die Arme um ihre beiden Ältesten
und redete ihnen flüsternd ins Gewissen, wie sie den kleinen Juden als Gast ehren,
gut unterhalten, beim Spielen bevorzugen, und wie sie bedenken sollten, daß er
weder Weihnacht noch Mutter habe. Dann ging sie, um auch für ihn das Schüsselchen
mit süßem Futter herzurichten, das ihre Kinder als Grundlage der Bescherung er¬
hielten.

Auf diese wirkten die Beweisgründe der Mutter so stark, daß sie beschämt die
Köpfe hängen ließen und fortab ernstlich trachteten, ihn zu erfreuen. Sie faßten


Warum?

Die Lehrerfrau überwand den natürlichen leisen Schreck, den ihr zu dieser
Stunde der Eintritt zweier ungebetner und noch obenein so wesensfremder Gäste
bereiten mußte, mit Anmut und gab dem Jungen freundlich die Hand. Aber natür¬
lich — das ist ja einfach Christenpflicht, sagte sie ohne Arg.

Der alte Meyer Plutus tat es auch, wenn er so gebeten würde, sagte der
Hausierer, in dessen Stimme die besiegte Aufregung noch zitterte.

Das glaube ich Ihnen. Wohl dem, ders kann! Wir machen für Sie beide
ein gutes Plätzchen ausfindig. Legen Sie Ihren Mantel ab — Kleiner, du auch.
Der Korb kann hier in der Ecke stehn. Rudi — Elsbeth helft dem kleinen Jungen.
Diese Aufforderung richtete sie an zwei größere Kinder, die ebenfalls ans der
Stube gekommen waren und die Gäste ohne besondre Freude betrachteten. Gerade
zum heiligen Abend, mantle der ältere halblaut, und Elsbeth wisperte: O weh —
der alte Bcmdpinkus! Auch gerade nun! Ein strenger Blick der Mutter setzte
sie jedoch in Bewegung. Siehst du nicht, daß er mit seiner Mütze nicht zu bleiben
weiß? Sie selbst machte Platz am Wandriegel, indem sie nach einem verstohlnen
Blick auf den fleckigen Rock des Hausierers die Mäntel der Ihren gar weiter fort¬
hängte, als nötig zu sein schien.

Er wird nasse Strümpfe haben — bringt den Kleinen in eure Schlafstube
und gebt ihm trockne. — Treten Sie ein, Herr Plutus, mein Mann wird Ihnen
gewiß aushelfen. Sie führte ihn hinein, aber ging gleich wieder.

Drinnen erhob sich ein schlanker, mitteljähriger Mann mit Brille und spär¬
lichem blonden Haar von einem Schemel, worauf er kleine Pakete verschnürt hatte.
Er trat, den Kopf etwas vorgebeugt, dem Hausierer entgegen und streckte ihm so
warm und freundlich, ja ehrerbietig die Hand hin, daß dieser nicht wußte, wie
ihm geschah. Meyer Plutus glaubte, Menschen zu kennen, aber diese Sorte war
ihm neu.

Sie sollen uns herzlich willkommen sein, Herr Plutus. Setzen Sie sich hier.
Wenn es Ihnen genehm ist, rin uns den heiligen Abend zu feiern, ist es uns
doppelt lieb.

Während der Hausierer eine vor Verblüffung leise und unsichre Antwort gab,
gingen draußen schmollende, bettelnde Stimmen: Darum ist aber doch heilig Abend,
Mutter? — Darum ist aber doch gerade so Weihnacht wie sonst? Natürlich —
gerade so, antwortete die Hausfrau gedämpft und beschwichtigend. Nehmt aber
euern Besuch auf, wie sichs gehört.

Zart und rücksichtsvoll drängte der Hausherr seinem Gast ein Paar mächtige
Filzschuhe auf und trug die durchweichten Stiefel eigenhändig an den Ofen, obwohl
Plutus das nicht zugeben wollte. Sie balgten sich fast darum. Dem Gaste kam
das alles so seltsam vor wie lauge nichts. Mit solcher Hochachtung war er uoch
niemals behandelt worden.

Er saß nun zusammengesunken und vor Erschöpfung stumm im weiten, wachstuch-
bezognen Lehnstuhl nahe am Ofen und sah voll Staunen dem Lehrer zu, der sein
Werk fortsetzte, und dessen Gesicht dabei wie von innen durchsonnt erschien. Er
wußte ganz gewiß, daß auch sein Junge hier gut aufgehoben war, wenn er das
Wie auch nicht sah. Erlöst und daheim fühlte er sich hier, und ehe er sichs ver¬
sah, schlössen sich seine Augen, und der Kopf sank ihm in tiefem Schlaf auf
die Brust.

In dem Flur legte die Hausfrau indessen die Arme um ihre beiden Ältesten
und redete ihnen flüsternd ins Gewissen, wie sie den kleinen Juden als Gast ehren,
gut unterhalten, beim Spielen bevorzugen, und wie sie bedenken sollten, daß er
weder Weihnacht noch Mutter habe. Dann ging sie, um auch für ihn das Schüsselchen
mit süßem Futter herzurichten, das ihre Kinder als Grundlage der Bescherung er¬
hielten.

Auf diese wirkten die Beweisgründe der Mutter so stark, daß sie beschämt die
Köpfe hängen ließen und fortab ernstlich trachteten, ihn zu erfreuen. Sie faßten


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[0676] Warum? Die Lehrerfrau überwand den natürlichen leisen Schreck, den ihr zu dieser Stunde der Eintritt zweier ungebetner und noch obenein so wesensfremder Gäste bereiten mußte, mit Anmut und gab dem Jungen freundlich die Hand. Aber natür¬ lich — das ist ja einfach Christenpflicht, sagte sie ohne Arg. Der alte Meyer Plutus tat es auch, wenn er so gebeten würde, sagte der Hausierer, in dessen Stimme die besiegte Aufregung noch zitterte. Das glaube ich Ihnen. Wohl dem, ders kann! Wir machen für Sie beide ein gutes Plätzchen ausfindig. Legen Sie Ihren Mantel ab — Kleiner, du auch. Der Korb kann hier in der Ecke stehn. Rudi — Elsbeth helft dem kleinen Jungen. Diese Aufforderung richtete sie an zwei größere Kinder, die ebenfalls ans der Stube gekommen waren und die Gäste ohne besondre Freude betrachteten. Gerade zum heiligen Abend, mantle der ältere halblaut, und Elsbeth wisperte: O weh — der alte Bcmdpinkus! Auch gerade nun! Ein strenger Blick der Mutter setzte sie jedoch in Bewegung. Siehst du nicht, daß er mit seiner Mütze nicht zu bleiben weiß? Sie selbst machte Platz am Wandriegel, indem sie nach einem verstohlnen Blick auf den fleckigen Rock des Hausierers die Mäntel der Ihren gar weiter fort¬ hängte, als nötig zu sein schien. Er wird nasse Strümpfe haben — bringt den Kleinen in eure Schlafstube und gebt ihm trockne. — Treten Sie ein, Herr Plutus, mein Mann wird Ihnen gewiß aushelfen. Sie führte ihn hinein, aber ging gleich wieder. Drinnen erhob sich ein schlanker, mitteljähriger Mann mit Brille und spär¬ lichem blonden Haar von einem Schemel, worauf er kleine Pakete verschnürt hatte. Er trat, den Kopf etwas vorgebeugt, dem Hausierer entgegen und streckte ihm so warm und freundlich, ja ehrerbietig die Hand hin, daß dieser nicht wußte, wie ihm geschah. Meyer Plutus glaubte, Menschen zu kennen, aber diese Sorte war ihm neu. Sie sollen uns herzlich willkommen sein, Herr Plutus. Setzen Sie sich hier. Wenn es Ihnen genehm ist, rin uns den heiligen Abend zu feiern, ist es uns doppelt lieb. Während der Hausierer eine vor Verblüffung leise und unsichre Antwort gab, gingen draußen schmollende, bettelnde Stimmen: Darum ist aber doch heilig Abend, Mutter? — Darum ist aber doch gerade so Weihnacht wie sonst? Natürlich — gerade so, antwortete die Hausfrau gedämpft und beschwichtigend. Nehmt aber euern Besuch auf, wie sichs gehört. Zart und rücksichtsvoll drängte der Hausherr seinem Gast ein Paar mächtige Filzschuhe auf und trug die durchweichten Stiefel eigenhändig an den Ofen, obwohl Plutus das nicht zugeben wollte. Sie balgten sich fast darum. Dem Gaste kam das alles so seltsam vor wie lauge nichts. Mit solcher Hochachtung war er uoch niemals behandelt worden. Er saß nun zusammengesunken und vor Erschöpfung stumm im weiten, wachstuch- bezognen Lehnstuhl nahe am Ofen und sah voll Staunen dem Lehrer zu, der sein Werk fortsetzte, und dessen Gesicht dabei wie von innen durchsonnt erschien. Er wußte ganz gewiß, daß auch sein Junge hier gut aufgehoben war, wenn er das Wie auch nicht sah. Erlöst und daheim fühlte er sich hier, und ehe er sichs ver¬ sah, schlössen sich seine Augen, und der Kopf sank ihm in tiefem Schlaf auf die Brust. In dem Flur legte die Hausfrau indessen die Arme um ihre beiden Ältesten und redete ihnen flüsternd ins Gewissen, wie sie den kleinen Juden als Gast ehren, gut unterhalten, beim Spielen bevorzugen, und wie sie bedenken sollten, daß er weder Weihnacht noch Mutter habe. Dann ging sie, um auch für ihn das Schüsselchen mit süßem Futter herzurichten, das ihre Kinder als Grundlage der Bescherung er¬ hielten. Auf diese wirkten die Beweisgründe der Mutter so stark, daß sie beschämt die Köpfe hängen ließen und fortab ernstlich trachteten, ihn zu erfreuen. Sie faßten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/676>, abgerufen am 15.01.2025.