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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Warum?

jetzt -- geh auf dem Gang auf und nieder; die Herren treiben Spaß, den du
noch nicht verstehst.

Der Kleine stand gehorsam auf, aber der Bauer fing ihn im Arm ein. Was
willst du draußen in der Kälte, kleiner Handelsmann? Wir wollen gemütlich mit¬
einander sein -- verstehst du denn keinen Spaß? Das wirst du noch lernen müssen,
wenn du mit Band und Schürzen gehst. Warum hast du dich auch Plutus taufen
lassen?

Der Hausierer sprang auf und richtete sich ganz gerade, während er vom
Kopf bis zu den Füßen vor Erregung zitterte. Er wird es nicht zu lernen
brauchen! stieß er hervor. Das ist zuviel! Sein Name ist gut genug! Sein
Name ist groß und hoch gewesen, als an die Herren noch gar nicht gedacht wurde!
Sein Name ist auch mit auf dem Sinai aufgerufen wordeu -- und wird wieder
aufgerufen werden, wenn der Kommende sein Reich einnimmt -- wenn die Herren
lange vergessen sind!

Oho! rief der Bauer und schlug auf den Tisch. Will er da hinaus? Blöde
ist der Jude nicht.

Wir brauchen uns nicht verspotten zu lassen um unsern Namen -- das ist
zuviel! Ich dank Ihnen, meine Herren WMläter, aber wir wollen weiter gehn.
Jemand sonst im Dorf wird uns gnädig sein für die Nacht. Er verbeugte sich
hastig gegen den Bauern und seine Frau, die ihn nun fast ärgerlich ansah, und
zog den Jungen mit sich hinaus -- von einem unwilligen Gemurmel verfolgt.
Ersticken soll er -- der Galgan! stieß er draußen mit wulentstelltem Gesicht heraus,
schämte sich aber sofort vor seinem Sohne, der ihn erschrocken ansah. Nein nein,
verbesserte er sich fast weinend, wir fluchen dem nicht, der uns Brot gegeben hat!
Möge der Einige ihn segnen -- ihn und sein Haus. Aber wir betreten es nicht
wieder.

Er nahm rasch auf dem Gang den fast leeren Tragkorb auf den Rücken, und
sie traten wieder in das Unwetter hinaus.

Es dämmerte schou. Der Schneesturm fegte um die Gebäude und überfiel
sie urplötzlich an deu Ecken und drohte, sie umzuwerfen. Ein Wirtshaus hatte der
Ort nicht. Plutus dachte nach, wohin sich wenden; die Gehöfte alle waren ihm
gleich vertraut und gleich fremd, und in jedem stand ein Weihnachtsbaum geschmückt,
der nun bald angezündet werden sollte. Das nächste Haus war die Schule. Er
kannte die Familie nur wenig. Sie waren schlechte Kunden sür ihn, denn den
häuslichen Bedarf beim Hausierer zu decken -- dazu hatten sie es nicht.

Doch ihm war, als werde ein Lehrerhaus auf jene verirrte Art am frömmsten
Weihnachten feiern -- und als würden dort, wo man am frömmsten Weihnachten
feiert, auch Leute Israels in der Not am besten aufgehoben sein. Sie fanden
dann gewiß einen Winkel, in den sie sich zurückziehn konnten.

Ohne Zögern wandte er sich diesem Hause zu. Die Fensterläden waren ge¬
schlossen -- auf der einen Seite des Hauses draug durch ihre herzförmigen Aus¬
schnitte Lampenlicht. Er drückte die Haustür auf, und ein Windstoß drang mit
ihnen hinein und warf eine Ladung Schnee auf die Steinfliesen des Flurs. Der
Weihnachtsmann! schrie eine Kinderstimme voll Angst und Jubel, und eilige, kurze
Tritte verhallten hinter einer ins Schloß geworfnen Tür. Die wenigen Minuten
vom Bauernhof bis hier hatten beide aufs neue mit einer Schicht belegt und seinen
Bart weiß gemacht. Hier erst konnten sie den Schnee abschütteln.

Eine einfache schöne, dunkelhaarige Frau kam aus der Stube, und hinter ihren,
Rock sahen zwei Kinderköpfe hervor.

Geben Sie uns Obdach bis morgen, Frau Lehrer. Gott wird es Ihnen
lohnen -- Wir können nicht mehr nach Hause. Sie werden mich soviel kennen,
daß ich ein ehrlicher Handelsmann bin und kein Schnorrer. Ich bin zufrieden mit
einem Stuhl und wenn Sie für mein Kind eine alte Decke haben! Der Einige
wird Sie versiegeln mit einem guten neuen Jahr. ,


Warum?

jetzt — geh auf dem Gang auf und nieder; die Herren treiben Spaß, den du
noch nicht verstehst.

Der Kleine stand gehorsam auf, aber der Bauer fing ihn im Arm ein. Was
willst du draußen in der Kälte, kleiner Handelsmann? Wir wollen gemütlich mit¬
einander sein — verstehst du denn keinen Spaß? Das wirst du noch lernen müssen,
wenn du mit Band und Schürzen gehst. Warum hast du dich auch Plutus taufen
lassen?

Der Hausierer sprang auf und richtete sich ganz gerade, während er vom
Kopf bis zu den Füßen vor Erregung zitterte. Er wird es nicht zu lernen
brauchen! stieß er hervor. Das ist zuviel! Sein Name ist gut genug! Sein
Name ist groß und hoch gewesen, als an die Herren noch gar nicht gedacht wurde!
Sein Name ist auch mit auf dem Sinai aufgerufen wordeu — und wird wieder
aufgerufen werden, wenn der Kommende sein Reich einnimmt — wenn die Herren
lange vergessen sind!

Oho! rief der Bauer und schlug auf den Tisch. Will er da hinaus? Blöde
ist der Jude nicht.

Wir brauchen uns nicht verspotten zu lassen um unsern Namen — das ist
zuviel! Ich dank Ihnen, meine Herren WMläter, aber wir wollen weiter gehn.
Jemand sonst im Dorf wird uns gnädig sein für die Nacht. Er verbeugte sich
hastig gegen den Bauern und seine Frau, die ihn nun fast ärgerlich ansah, und
zog den Jungen mit sich hinaus — von einem unwilligen Gemurmel verfolgt.
Ersticken soll er — der Galgan! stieß er draußen mit wulentstelltem Gesicht heraus,
schämte sich aber sofort vor seinem Sohne, der ihn erschrocken ansah. Nein nein,
verbesserte er sich fast weinend, wir fluchen dem nicht, der uns Brot gegeben hat!
Möge der Einige ihn segnen — ihn und sein Haus. Aber wir betreten es nicht
wieder.

Er nahm rasch auf dem Gang den fast leeren Tragkorb auf den Rücken, und
sie traten wieder in das Unwetter hinaus.

Es dämmerte schou. Der Schneesturm fegte um die Gebäude und überfiel
sie urplötzlich an deu Ecken und drohte, sie umzuwerfen. Ein Wirtshaus hatte der
Ort nicht. Plutus dachte nach, wohin sich wenden; die Gehöfte alle waren ihm
gleich vertraut und gleich fremd, und in jedem stand ein Weihnachtsbaum geschmückt,
der nun bald angezündet werden sollte. Das nächste Haus war die Schule. Er
kannte die Familie nur wenig. Sie waren schlechte Kunden sür ihn, denn den
häuslichen Bedarf beim Hausierer zu decken — dazu hatten sie es nicht.

Doch ihm war, als werde ein Lehrerhaus auf jene verirrte Art am frömmsten
Weihnachten feiern — und als würden dort, wo man am frömmsten Weihnachten
feiert, auch Leute Israels in der Not am besten aufgehoben sein. Sie fanden
dann gewiß einen Winkel, in den sie sich zurückziehn konnten.

Ohne Zögern wandte er sich diesem Hause zu. Die Fensterläden waren ge¬
schlossen — auf der einen Seite des Hauses draug durch ihre herzförmigen Aus¬
schnitte Lampenlicht. Er drückte die Haustür auf, und ein Windstoß drang mit
ihnen hinein und warf eine Ladung Schnee auf die Steinfliesen des Flurs. Der
Weihnachtsmann! schrie eine Kinderstimme voll Angst und Jubel, und eilige, kurze
Tritte verhallten hinter einer ins Schloß geworfnen Tür. Die wenigen Minuten
vom Bauernhof bis hier hatten beide aufs neue mit einer Schicht belegt und seinen
Bart weiß gemacht. Hier erst konnten sie den Schnee abschütteln.

Eine einfache schöne, dunkelhaarige Frau kam aus der Stube, und hinter ihren,
Rock sahen zwei Kinderköpfe hervor.

Geben Sie uns Obdach bis morgen, Frau Lehrer. Gott wird es Ihnen
lohnen — Wir können nicht mehr nach Hause. Sie werden mich soviel kennen,
daß ich ein ehrlicher Handelsmann bin und kein Schnorrer. Ich bin zufrieden mit
einem Stuhl und wenn Sie für mein Kind eine alte Decke haben! Der Einige
wird Sie versiegeln mit einem guten neuen Jahr. ,


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[0675] Warum? jetzt — geh auf dem Gang auf und nieder; die Herren treiben Spaß, den du noch nicht verstehst. Der Kleine stand gehorsam auf, aber der Bauer fing ihn im Arm ein. Was willst du draußen in der Kälte, kleiner Handelsmann? Wir wollen gemütlich mit¬ einander sein — verstehst du denn keinen Spaß? Das wirst du noch lernen müssen, wenn du mit Band und Schürzen gehst. Warum hast du dich auch Plutus taufen lassen? Der Hausierer sprang auf und richtete sich ganz gerade, während er vom Kopf bis zu den Füßen vor Erregung zitterte. Er wird es nicht zu lernen brauchen! stieß er hervor. Das ist zuviel! Sein Name ist gut genug! Sein Name ist groß und hoch gewesen, als an die Herren noch gar nicht gedacht wurde! Sein Name ist auch mit auf dem Sinai aufgerufen wordeu — und wird wieder aufgerufen werden, wenn der Kommende sein Reich einnimmt — wenn die Herren lange vergessen sind! Oho! rief der Bauer und schlug auf den Tisch. Will er da hinaus? Blöde ist der Jude nicht. Wir brauchen uns nicht verspotten zu lassen um unsern Namen — das ist zuviel! Ich dank Ihnen, meine Herren WMläter, aber wir wollen weiter gehn. Jemand sonst im Dorf wird uns gnädig sein für die Nacht. Er verbeugte sich hastig gegen den Bauern und seine Frau, die ihn nun fast ärgerlich ansah, und zog den Jungen mit sich hinaus — von einem unwilligen Gemurmel verfolgt. Ersticken soll er — der Galgan! stieß er draußen mit wulentstelltem Gesicht heraus, schämte sich aber sofort vor seinem Sohne, der ihn erschrocken ansah. Nein nein, verbesserte er sich fast weinend, wir fluchen dem nicht, der uns Brot gegeben hat! Möge der Einige ihn segnen — ihn und sein Haus. Aber wir betreten es nicht wieder. Er nahm rasch auf dem Gang den fast leeren Tragkorb auf den Rücken, und sie traten wieder in das Unwetter hinaus. Es dämmerte schou. Der Schneesturm fegte um die Gebäude und überfiel sie urplötzlich an deu Ecken und drohte, sie umzuwerfen. Ein Wirtshaus hatte der Ort nicht. Plutus dachte nach, wohin sich wenden; die Gehöfte alle waren ihm gleich vertraut und gleich fremd, und in jedem stand ein Weihnachtsbaum geschmückt, der nun bald angezündet werden sollte. Das nächste Haus war die Schule. Er kannte die Familie nur wenig. Sie waren schlechte Kunden sür ihn, denn den häuslichen Bedarf beim Hausierer zu decken — dazu hatten sie es nicht. Doch ihm war, als werde ein Lehrerhaus auf jene verirrte Art am frömmsten Weihnachten feiern — und als würden dort, wo man am frömmsten Weihnachten feiert, auch Leute Israels in der Not am besten aufgehoben sein. Sie fanden dann gewiß einen Winkel, in den sie sich zurückziehn konnten. Ohne Zögern wandte er sich diesem Hause zu. Die Fensterläden waren ge¬ schlossen — auf der einen Seite des Hauses draug durch ihre herzförmigen Aus¬ schnitte Lampenlicht. Er drückte die Haustür auf, und ein Windstoß drang mit ihnen hinein und warf eine Ladung Schnee auf die Steinfliesen des Flurs. Der Weihnachtsmann! schrie eine Kinderstimme voll Angst und Jubel, und eilige, kurze Tritte verhallten hinter einer ins Schloß geworfnen Tür. Die wenigen Minuten vom Bauernhof bis hier hatten beide aufs neue mit einer Schicht belegt und seinen Bart weiß gemacht. Hier erst konnten sie den Schnee abschütteln. Eine einfache schöne, dunkelhaarige Frau kam aus der Stube, und hinter ihren, Rock sahen zwei Kinderköpfe hervor. Geben Sie uns Obdach bis morgen, Frau Lehrer. Gott wird es Ihnen lohnen — Wir können nicht mehr nach Hause. Sie werden mich soviel kennen, daß ich ein ehrlicher Handelsmann bin und kein Schnorrer. Ich bin zufrieden mit einem Stuhl und wenn Sie für mein Kind eine alte Decke haben! Der Einige wird Sie versiegeln mit einem guten neuen Jahr. ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/675>, abgerufen am 15.01.2025.