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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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der Gesinnung, von der Gemütsbeschaffenheit, vom Charakter des Menschen
ab, und eben das ist der Kern des Christentums, ist das, was das Christen¬
tum von: Heidentum und vom Judentum unterscheidet. Die katholische Kirche
braucht nur aus dem Schmarotzergewächs, mit dem die historische Entwicklung
den Kern überwuchert hat, diesen, den sie sich bewahrt hat, herauszuschälen,
und die Reform, die große, die Radikalrefvrin ist vollbracht. Ein Mit¬
arbeiter der im 23. Heft empfohlnen Friedensblütter dringt darauf, daß
alle ohne Ausnahme nach der oorckritio streben und sich mit der Utrillo, der
durch Höllenfurcht verunreinigten Liebe und Reue, nicht begnügen sollen, weist
jedoch als unbegründet das Bedenken zurück, daß daun die Absolution und
der Ablaß überflüssig würden. Aber diese beiden kirchlichen Einrichtungen sind
in der Tat überflüssig, sobald das Richtige und -- wie wir eben gesehen
haben -- glücklicherweise anch noch das dogmatisch Feststehende praktische
Geltung erlangt. Was die heutige katholische Theologie an dieses Richtige
anfügt, kann eben nicht zugegeben werden, nämlich daß die Absolution er¬
gänzend eintrete, wenn es der Pönitent nicht zur eoutritio bringt, sondern
in der g-ttiitio stecken bleibt. Das heißt doch mit andern Worten, der Mensch
kann nicht allein durch seine Gesinnung, sondern auch durch eine Zeremonie,
durch eine rituelle Handlung, eine rituelle Formel Gott wohlgefällig werden,
und eben dies ist das Heidnisch-jüdische, zu dem das Christentum in grund¬
sätzlichen Widerspruch tritt. Es ist kindisch, sich die das Diesseits und das
Jenseits umfassende göttliche Weltregierung als eine kaufmännische Nechcustube
zu denken, in der jeder Gläubige sein Konto hat, und die Passiva, die Sünden,
bei den einen durch gute Werke ^ oorckritio, bei den andern durch gute Werke
^ attritioabsolutio getilgt werden, bei den ersten wohl auch noch ein
Überschuß der Aktiva herauskommt, der durch den Ablaß einzelnen von der
zweiten Klasse gut geschrieben wird. Die Frucht der Gebete und der Me߬
opfer kompliziert dann die Rechnung noch mehr.

Gewiß verleihen die beiden Stellen in Matthäus und Johannes der
römischen Lehre von der Absolution einen Schein von Recht, aber dieser
Schein zerrinnt bei einem Blick auf das Ganze der neutestamentlichen Lehre;
wie immer die beiden Stellen, die übrigens auch Einschiebungen einer spätern,
schon hierarchisch gewordnen Zeit sein können, gemeint sein mögen, in einem
dem offenkundiger Geiste des Neuen Testaments widersprechenden Sinne dürfen
sie nicht ausgelegt werden. Die Absolution kann, wenn sie beibehalten wird,
nur den Sinn einer Wunsch- oder Trostformel haben: Sünden vergeben oder
behalten mit der Wirkung, daß dadurch dem Pönitenten der Himmel erschlossen
oder die ewige Verdammnis dekretiert würde, das kann kein Mensch, und würde
eine so furchtbare Gewalt einem fühlenden und denkenden Menschen angeboten,
so -- würde er sie ablehnen. Ich bin fest überzeugt: kein katholischer Geist¬
licher glaubt im Ernste, daß er mit seinem Spruch im Beichtstuhl einen andern
Menschen selig mache oder verdamme; keiner faßt das sZo w absolvo, das er
unzähligemal ausspricht, im strengen Sinne.

Mit dem 6Z0 es avsolvci fällt auch das Richteramt des Beichtvaters und
das ganze eorum irckerimm, soweit dieses eine kirchliche Institution ist. Im


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der Gesinnung, von der Gemütsbeschaffenheit, vom Charakter des Menschen
ab, und eben das ist der Kern des Christentums, ist das, was das Christen¬
tum von: Heidentum und vom Judentum unterscheidet. Die katholische Kirche
braucht nur aus dem Schmarotzergewächs, mit dem die historische Entwicklung
den Kern überwuchert hat, diesen, den sie sich bewahrt hat, herauszuschälen,
und die Reform, die große, die Radikalrefvrin ist vollbracht. Ein Mit¬
arbeiter der im 23. Heft empfohlnen Friedensblütter dringt darauf, daß
alle ohne Ausnahme nach der oorckritio streben und sich mit der Utrillo, der
durch Höllenfurcht verunreinigten Liebe und Reue, nicht begnügen sollen, weist
jedoch als unbegründet das Bedenken zurück, daß daun die Absolution und
der Ablaß überflüssig würden. Aber diese beiden kirchlichen Einrichtungen sind
in der Tat überflüssig, sobald das Richtige und — wie wir eben gesehen
haben — glücklicherweise anch noch das dogmatisch Feststehende praktische
Geltung erlangt. Was die heutige katholische Theologie an dieses Richtige
anfügt, kann eben nicht zugegeben werden, nämlich daß die Absolution er¬
gänzend eintrete, wenn es der Pönitent nicht zur eoutritio bringt, sondern
in der g-ttiitio stecken bleibt. Das heißt doch mit andern Worten, der Mensch
kann nicht allein durch seine Gesinnung, sondern auch durch eine Zeremonie,
durch eine rituelle Handlung, eine rituelle Formel Gott wohlgefällig werden,
und eben dies ist das Heidnisch-jüdische, zu dem das Christentum in grund¬
sätzlichen Widerspruch tritt. Es ist kindisch, sich die das Diesseits und das
Jenseits umfassende göttliche Weltregierung als eine kaufmännische Nechcustube
zu denken, in der jeder Gläubige sein Konto hat, und die Passiva, die Sünden,
bei den einen durch gute Werke ^ oorckritio, bei den andern durch gute Werke
^ attritioabsolutio getilgt werden, bei den ersten wohl auch noch ein
Überschuß der Aktiva herauskommt, der durch den Ablaß einzelnen von der
zweiten Klasse gut geschrieben wird. Die Frucht der Gebete und der Me߬
opfer kompliziert dann die Rechnung noch mehr.

Gewiß verleihen die beiden Stellen in Matthäus und Johannes der
römischen Lehre von der Absolution einen Schein von Recht, aber dieser
Schein zerrinnt bei einem Blick auf das Ganze der neutestamentlichen Lehre;
wie immer die beiden Stellen, die übrigens auch Einschiebungen einer spätern,
schon hierarchisch gewordnen Zeit sein können, gemeint sein mögen, in einem
dem offenkundiger Geiste des Neuen Testaments widersprechenden Sinne dürfen
sie nicht ausgelegt werden. Die Absolution kann, wenn sie beibehalten wird,
nur den Sinn einer Wunsch- oder Trostformel haben: Sünden vergeben oder
behalten mit der Wirkung, daß dadurch dem Pönitenten der Himmel erschlossen
oder die ewige Verdammnis dekretiert würde, das kann kein Mensch, und würde
eine so furchtbare Gewalt einem fühlenden und denkenden Menschen angeboten,
so — würde er sie ablehnen. Ich bin fest überzeugt: kein katholischer Geist¬
licher glaubt im Ernste, daß er mit seinem Spruch im Beichtstuhl einen andern
Menschen selig mache oder verdamme; keiner faßt das sZo w absolvo, das er
unzähligemal ausspricht, im strengen Sinne.

Mit dem 6Z0 es avsolvci fällt auch das Richteramt des Beichtvaters und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/659>, abgerufen am 15.01.2025.