Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die Bedeutung der Presse für die Kultur Depeschen zu veröffentlichen, sondern es haben, wenigstens die englischen Blätter, Die fast ins unglaubliche gesteigerte Schnelligkeit der Berichterstattung hat Die Bedeutung der Presse für die Kultur Depeschen zu veröffentlichen, sondern es haben, wenigstens die englischen Blätter, Die fast ins unglaubliche gesteigerte Schnelligkeit der Berichterstattung hat <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0653" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296664"/> <fw type="header" place="top"> Die Bedeutung der Presse für die Kultur</fw><lb/> <p xml:id="ID_3344" prev="#ID_3343"> Depeschen zu veröffentlichen, sondern es haben, wenigstens die englischen Blätter,<lb/> schon lange vor der Zeit der Eisenbahnen und der Telegraphen für die mög¬<lb/> lichste technische Beschleunigung der Berichterstattung große Kosten aufgewandt.<lb/> Die limös zahlten ihren Kurieren 2000 Franken für jede Reise, die in<lb/> Stunden von Marseille nach Calais zurückgelegt sein mußte, und überdies<lb/> eine Prämie von 50 Franken für jede ersparte Stunde, und zwar nur, um eine<lb/> ganz kurze Übersicht über die Meldungen der indischen Post ein paar Stunden<lb/> früher zu erhalten, als die Königliche Post in London ankam. Ebenso ist es<lb/> bekannt, daß der Berichterstatter der limss im deutschen Hauptquartier im<lb/> Jahre 1870 einen eignen Extrazug nahm, um seinem Blatte den Bericht über<lb/> die Schlacht von Sedan zu übersenden. In den zwanzig Jahren von 1871<lb/> bis 1891 ist in England der Umfang der Zeitungsdepeschen von 21 Millionen<lb/> auf 600 Millionen Worte im Jahre gestiegen, und was das bedeuten will,<lb/> wird uns klar werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß zum Beispiel noch<lb/> zu Ende des Jahres 1848 in Österreich die Benutzung des Telegraphen nur<lb/> für Staatszwecke vorbehalten war. Heute wird man sich den ganzen Organismus<lb/> unsers öffentlichen Lebens, des politischen wie des wirtschaftlichen, ohne eine<lb/> umfassende telegraphische Berichterstattung der Zeitungen nicht mehr denken<lb/> können. Die russische Presse hat in den letzten Wochen mehrfach einen solchen<lb/> telegraphenlosen Zustand durchgemacht. Würde ein solcher einmal wieder für<lb/> längere Zeit dauernd werden, so müßten sich nicht nur die Zeitungen, sondern<lb/> viele Dinge in unserm öffentlichen Leben wesentlich anders einrichten und zu<lb/> technischen Hilfsmitteln der Vergangenheit, zum Beispiel zum optischen Tele¬<lb/> graphen zurückgreifen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3345" next="#ID_3346"> Die fast ins unglaubliche gesteigerte Schnelligkeit der Berichterstattung hat<lb/> nun allerdings zwei Übelstände gezeitigt: Erstens häuft sich die Zahl der un¬<lb/> richtigen Nachrichten in nicht unbedenklicher Weise, und es wächst der Mi߬<lb/> brauch, der mit solchen getrieben wird; wir brauchen dabei nur an die Börse<lb/> zu denken. Aber auch die politische Spekulation bedient sich dieses Mißbrauchs<lb/> in wachsendem Maße. Irgendeine falsche Behauptung, die heute in einer größern<lb/> Zeitung Londons erscheint, wird durch den Telegraphen verbreitet und drängt<lb/> auf Kosten des Landes, dem sie gilt, die öffentliche Meinung andrer Länder<lb/> in eine falsche Richtung, die dann durch ein Dementi nicht immer wieder<lb/> korrigiert und rückläufig gemacht werden kann. Die böse Saat ist einmal ge¬<lb/> streut, und sie geht auf. Ein zweiter Mißstand ist jedenfalls der, daß durch<lb/> das Überwiegen der telegraphischen Berichterstattung die schriftstellerische Leistung<lb/> immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird. Der für den Telegraphen be¬<lb/> stimmte Bericht muß wesentlich anders gefaßt sein als der, der in Gestalt eines<lb/> Briefes durch die Post befördert wird, und bei dem täglich wachsenden Nachrichten¬<lb/> material, das auch den tüchtigsten Zeitungsredaktionen die Erhaltung der Über¬<lb/> sichtlichkeit in hohem Grade erschwert, bleibt für die schriftliche Korrespondenz<lb/> kaum noch Raum. Sogar Zeitungen, bei denen noch vor zehn Jahren der<lb/> gutgeschriebne Artikel die Hauptsache war, haben dem sich überstürzenden<lb/> Nachrichtenwesen immer mehr Konzessionen machen müssen, auch typographisch<lb/> haben die Zeitungen dadurch ein andres Aussehen erhalten. Noch zu Ende</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0653]
Die Bedeutung der Presse für die Kultur
Depeschen zu veröffentlichen, sondern es haben, wenigstens die englischen Blätter,
schon lange vor der Zeit der Eisenbahnen und der Telegraphen für die mög¬
lichste technische Beschleunigung der Berichterstattung große Kosten aufgewandt.
Die limös zahlten ihren Kurieren 2000 Franken für jede Reise, die in
Stunden von Marseille nach Calais zurückgelegt sein mußte, und überdies
eine Prämie von 50 Franken für jede ersparte Stunde, und zwar nur, um eine
ganz kurze Übersicht über die Meldungen der indischen Post ein paar Stunden
früher zu erhalten, als die Königliche Post in London ankam. Ebenso ist es
bekannt, daß der Berichterstatter der limss im deutschen Hauptquartier im
Jahre 1870 einen eignen Extrazug nahm, um seinem Blatte den Bericht über
die Schlacht von Sedan zu übersenden. In den zwanzig Jahren von 1871
bis 1891 ist in England der Umfang der Zeitungsdepeschen von 21 Millionen
auf 600 Millionen Worte im Jahre gestiegen, und was das bedeuten will,
wird uns klar werden, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß zum Beispiel noch
zu Ende des Jahres 1848 in Österreich die Benutzung des Telegraphen nur
für Staatszwecke vorbehalten war. Heute wird man sich den ganzen Organismus
unsers öffentlichen Lebens, des politischen wie des wirtschaftlichen, ohne eine
umfassende telegraphische Berichterstattung der Zeitungen nicht mehr denken
können. Die russische Presse hat in den letzten Wochen mehrfach einen solchen
telegraphenlosen Zustand durchgemacht. Würde ein solcher einmal wieder für
längere Zeit dauernd werden, so müßten sich nicht nur die Zeitungen, sondern
viele Dinge in unserm öffentlichen Leben wesentlich anders einrichten und zu
technischen Hilfsmitteln der Vergangenheit, zum Beispiel zum optischen Tele¬
graphen zurückgreifen.
Die fast ins unglaubliche gesteigerte Schnelligkeit der Berichterstattung hat
nun allerdings zwei Übelstände gezeitigt: Erstens häuft sich die Zahl der un¬
richtigen Nachrichten in nicht unbedenklicher Weise, und es wächst der Mi߬
brauch, der mit solchen getrieben wird; wir brauchen dabei nur an die Börse
zu denken. Aber auch die politische Spekulation bedient sich dieses Mißbrauchs
in wachsendem Maße. Irgendeine falsche Behauptung, die heute in einer größern
Zeitung Londons erscheint, wird durch den Telegraphen verbreitet und drängt
auf Kosten des Landes, dem sie gilt, die öffentliche Meinung andrer Länder
in eine falsche Richtung, die dann durch ein Dementi nicht immer wieder
korrigiert und rückläufig gemacht werden kann. Die böse Saat ist einmal ge¬
streut, und sie geht auf. Ein zweiter Mißstand ist jedenfalls der, daß durch
das Überwiegen der telegraphischen Berichterstattung die schriftstellerische Leistung
immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird. Der für den Telegraphen be¬
stimmte Bericht muß wesentlich anders gefaßt sein als der, der in Gestalt eines
Briefes durch die Post befördert wird, und bei dem täglich wachsenden Nachrichten¬
material, das auch den tüchtigsten Zeitungsredaktionen die Erhaltung der Über¬
sichtlichkeit in hohem Grade erschwert, bleibt für die schriftliche Korrespondenz
kaum noch Raum. Sogar Zeitungen, bei denen noch vor zehn Jahren der
gutgeschriebne Artikel die Hauptsache war, haben dem sich überstürzenden
Nachrichtenwesen immer mehr Konzessionen machen müssen, auch typographisch
haben die Zeitungen dadurch ein andres Aussehen erhalten. Noch zu Ende
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