Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die Bedeutung der Presse für die Kultur der achtziger Jahre konnte mir mein verehrter Vorgänger an der Allgemeinen Die Bedeutung der Presse für die Kultur der achtziger Jahre konnte mir mein verehrter Vorgänger an der Allgemeinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0654" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296665"/> <fw type="header" place="top"> Die Bedeutung der Presse für die Kultur</fw><lb/> <p xml:id="ID_3346" prev="#ID_3345" next="#ID_3347"> der achtziger Jahre konnte mir mein verehrter Vorgänger an der Allgemeinen<lb/> Zeitung zu München, Otto Braun, mit einem Anflug von sittlicher Entrüstung<lb/> über meine Neuernngsversuche sagen, daß es bei der Allgemeinen Zeitung nicht<lb/> üblich sei, Worte zu unterstreichen. Die Leser der Allgemeinen Zeitung wüßten<lb/> selbst, worauf es ankomme, und brauchten nicht erst darauf aufmerksam gemacht<lb/> zu werden. Es war das noch ein Hauch des Geistes, den ihr seinerzeit Johann<lb/> Friedrich Cotta bei der Gründung der Allgemeinen Zeitung im Jahre 1798<lb/> eingehaucht hatte, und der sich mitten im vollen Zeitalter der französischen<lb/> Revolution gegen jeden Subjektivismus in der Presse erklärte, Er verlangte<lb/> von der Redaktion, die er bekanntlich zuerst Schiller angetragen hatte: „die<lb/> Weltereignisse in leidenschaftsloser, wohlunterrichteter und kongenialer Bericht¬<lb/> erstattung zu begleiten, Weltgeschichte des Tages in zuverlässigen Urkunden<lb/> und Regesten niederzuschreiben, das Amt des Chors in der griechischen Tragödie<lb/> für die Gegenwart zu versehen," Und schon ein Jahrhundert zuvor, im<lb/> Jahre 1695, heißt es in der „Zeitungslust" des von Kaspar von Stieler<lb/> herausgegebnen „Spaten": „Denn man usee die Zeitungen darumb nicht, daß<lb/> man daraus gelehrt und in Beurtheilung der Sachen geschickt werden, sondern<lb/> daß utan allein wissen wolle, was hier und dar begiebet. Derowegen die<lb/> Zeitungsschreiber, mit ihrem unzeitlichen Richten zu erkennen geben, daß sie<lb/> nicht viel Neues zu berichten haben, sondern bloß das Blatt zu erfüllen, einen<lb/> Senf darüber hermachen, welcher zu nichts anderes dienet, als daß man die<lb/> Naseweisheit derselben verlachet, und gleichsam mit Füßen tritt, weil sie aus<lb/> ihrer Sphäre sich verirren, wo sie nicht anders als straucheln und versinken<lb/> können!" Ähnliche Stimmen finden sich um jene Zeit in verschiedensten<lb/> Ländern. La Bruyere, der Lebensphilosoph aus der zweiten Hälfte des sieb¬<lb/> zehnten Jahrhunderts, verwahrte sich dagegen, daß die Anzeigen von Büchern<lb/> auch noch mit einer Kritik begleitet würden, der van^ (üourant, in London,<lb/> seit dem 11. März 1702 Englands erstes Tagesblatt (Frankreich erhielt ein<lb/> solches erst 1777 im -lourlml as ?aris), zeigte an, er werde sich auf die<lb/> Wiedergabe der auswärtigen Nachrichten ohne jeden Kommentar beschränken,<lb/> da er von der Voraussetzung ausgehe, daß andre Leute Verstand genug hätten,<lb/> sich selbst eine» zu machen. Ähnliche Stimmen liegen aus Wien, aus Peters¬<lb/> burg, wo sie allerdings weniger verwunderlich sind, usw. vor, aber auch die<lb/> Kölner Stadtbehörde erteilte unterm 16, Juli 1794 den Zeitungsschreibern<lb/> einen Verweis, worin es hieß: „Da ein Hochweiser Rat aus hiesigen Zeitungs-<lb/> blüttern mißfällig ersehen, daß dieselben, unerachtet mehrmaliger obrigkeitlicher<lb/> Warnungen, über die Grenzen der einem Zeitungsschreiber bloß zustehenden<lb/> Geschichtserzählung mit allerlei unpassenden und anzüglichen Zusätzen, Ver-<lb/> nünfteleien und Ausschweifungen hinausgehen, hochgeachteter Rat aber solches<lb/> nicht zugeben kann, als werden sämtliche hiesige Zeitungsschreiber sich dessen<lb/> gänzlich zu enthalten hiemit ernstlich mit der ferneren Warnung erinnert, daß<lb/> im Betrctungsfcille gegen dieselben rin willkürlichen Strafen und nach Befund<lb/> mittelst zu bewirkender Einziehung ihrer Privilegien Verfahren werden soll."<lb/> So steht der Rat der Stadt Köln 1794 mitten in der Revolutionszeit noch<lb/> auf dem Standpunkte der päpstlichen Bullen von 1572. Wir brauchen jedoch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0654]
Die Bedeutung der Presse für die Kultur
der achtziger Jahre konnte mir mein verehrter Vorgänger an der Allgemeinen
Zeitung zu München, Otto Braun, mit einem Anflug von sittlicher Entrüstung
über meine Neuernngsversuche sagen, daß es bei der Allgemeinen Zeitung nicht
üblich sei, Worte zu unterstreichen. Die Leser der Allgemeinen Zeitung wüßten
selbst, worauf es ankomme, und brauchten nicht erst darauf aufmerksam gemacht
zu werden. Es war das noch ein Hauch des Geistes, den ihr seinerzeit Johann
Friedrich Cotta bei der Gründung der Allgemeinen Zeitung im Jahre 1798
eingehaucht hatte, und der sich mitten im vollen Zeitalter der französischen
Revolution gegen jeden Subjektivismus in der Presse erklärte, Er verlangte
von der Redaktion, die er bekanntlich zuerst Schiller angetragen hatte: „die
Weltereignisse in leidenschaftsloser, wohlunterrichteter und kongenialer Bericht¬
erstattung zu begleiten, Weltgeschichte des Tages in zuverlässigen Urkunden
und Regesten niederzuschreiben, das Amt des Chors in der griechischen Tragödie
für die Gegenwart zu versehen," Und schon ein Jahrhundert zuvor, im
Jahre 1695, heißt es in der „Zeitungslust" des von Kaspar von Stieler
herausgegebnen „Spaten": „Denn man usee die Zeitungen darumb nicht, daß
man daraus gelehrt und in Beurtheilung der Sachen geschickt werden, sondern
daß utan allein wissen wolle, was hier und dar begiebet. Derowegen die
Zeitungsschreiber, mit ihrem unzeitlichen Richten zu erkennen geben, daß sie
nicht viel Neues zu berichten haben, sondern bloß das Blatt zu erfüllen, einen
Senf darüber hermachen, welcher zu nichts anderes dienet, als daß man die
Naseweisheit derselben verlachet, und gleichsam mit Füßen tritt, weil sie aus
ihrer Sphäre sich verirren, wo sie nicht anders als straucheln und versinken
können!" Ähnliche Stimmen finden sich um jene Zeit in verschiedensten
Ländern. La Bruyere, der Lebensphilosoph aus der zweiten Hälfte des sieb¬
zehnten Jahrhunderts, verwahrte sich dagegen, daß die Anzeigen von Büchern
auch noch mit einer Kritik begleitet würden, der van^ (üourant, in London,
seit dem 11. März 1702 Englands erstes Tagesblatt (Frankreich erhielt ein
solches erst 1777 im -lourlml as ?aris), zeigte an, er werde sich auf die
Wiedergabe der auswärtigen Nachrichten ohne jeden Kommentar beschränken,
da er von der Voraussetzung ausgehe, daß andre Leute Verstand genug hätten,
sich selbst eine» zu machen. Ähnliche Stimmen liegen aus Wien, aus Peters¬
burg, wo sie allerdings weniger verwunderlich sind, usw. vor, aber auch die
Kölner Stadtbehörde erteilte unterm 16, Juli 1794 den Zeitungsschreibern
einen Verweis, worin es hieß: „Da ein Hochweiser Rat aus hiesigen Zeitungs-
blüttern mißfällig ersehen, daß dieselben, unerachtet mehrmaliger obrigkeitlicher
Warnungen, über die Grenzen der einem Zeitungsschreiber bloß zustehenden
Geschichtserzählung mit allerlei unpassenden und anzüglichen Zusätzen, Ver-
nünfteleien und Ausschweifungen hinausgehen, hochgeachteter Rat aber solches
nicht zugeben kann, als werden sämtliche hiesige Zeitungsschreiber sich dessen
gänzlich zu enthalten hiemit ernstlich mit der ferneren Warnung erinnert, daß
im Betrctungsfcille gegen dieselben rin willkürlichen Strafen und nach Befund
mittelst zu bewirkender Einziehung ihrer Privilegien Verfahren werden soll."
So steht der Rat der Stadt Köln 1794 mitten in der Revolutionszeit noch
auf dem Standpunkte der päpstlichen Bullen von 1572. Wir brauchen jedoch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |