Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nach der Mhnersuche

Äuglein listig anblinzelte. Lache du nur, Bestie, dachte ich, in spätestens fünf
Stunden ist der Hirsch mein, und wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Obwohl der Professor den Versuch machte, mir das Album sogleich wieder
aus den Handen zu rücken, gelang es mir doch, ein paar Blätter unizuwenden
und die Namen einiger Schicksalsgefährten zu lesen. Ich befand mich in der Tat
in guter Gesellschaft; Leute wie Anton Freiherr von Perfall, Ludwig Ganghofer
und die beiden Skowronneks hatten es nicht verschmäht, die Autographensammlung
des Schloßherrn zu bereichern.

Wie kommt es, daß ich diese Herren nicht hier unter der Gesellschaft finde?
fragte ich.

Weil sie ihre Unterschriften nicht hier in Hcllental gegeben haben, erklärte
Eberhard. Der Herr Baron pflegt alljährlich eine große Rundreise zu unternehme»
und Leuten, auf deren Besuch hier im Schloß er nicht rechnen kann, sein Album
vorzulegen. In diesem Bande finden Sie zum Beispiel nur Männer von der
Feder, die zugleich passionierte Jäger sind.

Ich hatte, während der kleine Professor sprach, langsam zurückgeblättert und
war im Begriff, das Titelblatt des Bandes aufzuschlagen, als mir Eberhard das
Buch mit seltsamem Ungestüm aus der Hand riß.

Die Zeit drängt, sagte er, und der Hirsch zieht mitunter schon um sieben Uhr
auf Äsung. Halten Sie sich deshalb nicht noch länger auf. Um sechs müsse» Sie
spätestens im Galgenwald sein, eine gute Stunde brauchen Sie für den Weg, und
bis Sie sich fertig gemacht haben, ists fünf. Also Weidmannsheil und Arm- und
Beinbruch!

Er stellte den Band wieder in den Glasschrank, wobei ich genau acht gab,
welchen Platz das Buch in der Reihe — es war die dritte von unten — ein¬
nahm. Ich konnte mir die Stelle, wo es stand, schon merken, denn gerade darüber
war eine Lücke oder schien wenigstens eine solche zu sein, da der Band, der dort¬
hin gehörte, zu weit nach hinten geschoben worden und nur bei genaueren Zusehen
noch wahrzunehmen war. Im übrigen hatte der gute Professor mit seiner Mahnung,
nicht zu viel Zeit zu vertrödeln, Recht; die Zeit verging, und je eher ich draußen
im Walde war, desto besser war es.

Ich reichte also dem Bibliothekar die Hand und verließ das Gemach. Da
kam Eberhard eilig hinter mir her und fragte, ob es mir recht sei, wenn er mich
begleite. Ich lehnte dieses Anerbieten höflich aber bestimmt ab, indem ich darauf
hinwies, daß ich mich grundsätzlich niemals auf einem Pürschgange begleiten ließe,
wie ich auch beinr Ansitz keine Gesellschaft liebte.

Schade, sagte der Professor kleinlaut, ich hätte Ihnen unterwegs die Geschichte
von meinem Hirsch erzählen können, wissen Sie — das hatte ich Ihnen doch
versprochen.

Von diesem Versprechen kann ich Sie auch nicht entbinden, erwiderte ich, um
den guten kleinen Herrn zu trösten, obgleich mir an seiner Geschichte nicht das
geringste lag, und zum Erzähle» wird sich wohl heute Abend uoch ein Stündchen
finden. Morgen muß ich nämlich auf alle Fälle wieder nach Hause.

Wenn Sie aber heute nicht zu Schuß kommen? fragte Eberhard.

Nun, darauf glaube ich doch bestimmt rechnen zu köunen, erwiderte ich. Und
sollte es wirklich nicht klappen, so gebe ich vielleicht einen Tag zu.

Und wenn es klappt?

Dann fahre ich morgen früh mit dem Zuge, der neun Uhr fünfzig in Leipzig
eintrifft.

Nein, Verehrter, so geben Sie erst recht noch einen Tag zu, und dann noch
einen und noch einen und immer noch einen, bis Sie überhaupt gar nicht mehr
an die Heimreise denken. I/»pMt visot on maiixotmt, und wenn der Hirsch liegt,
so fragen Sie nach dem zweiten. So ists noch allen ergangen, die nach Hellental
gekommen sind, und so wirds Ihnen auch gehn.


Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/505
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/505>, abgerufen am 24.01.2025.