Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Nach der Hichnersuche Darüber wollen wir jetzt nicht streiten, sagte ich, die Hauptsache ist, daß ich Damit ließ ich den Professor auf dem Korridor stehn, flog die Treppe hinauf Der Wind war inzwischen nach Norden umgeschlagen und schien, wie ich aus Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich gerade hier, wo ich ihn am aller¬ Ruhe! Kaltblütigkeit -- nur eine einzige Minute noch! Er mußte ja weiter¬ Und er zog weiter. Jetzt wurde der Kopf sichtbar -- jetzt der Hals -- Ich legte an und nahm die Stelle aufs Korn, wo sich das Blatt in der Sakra! Wieder umsonst! Von Schreck, Ärger, Enttäuschung und Ermüdung Doch was war das? Vom Anschuß her tönte ein Geräusch zu mir herüber, Vorsichtig das Gewehr aufgenommen, den Hahn gespannt, der nun auf den Ich blieb wie angewurzelt stehn, legte das Gewehr an die Backe und zielte Nach der Hichnersuche Darüber wollen wir jetzt nicht streiten, sagte ich, die Hauptsache ist, daß ich Damit ließ ich den Professor auf dem Korridor stehn, flog die Treppe hinauf Der Wind war inzwischen nach Norden umgeschlagen und schien, wie ich aus Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich gerade hier, wo ich ihn am aller¬ Ruhe! Kaltblütigkeit — nur eine einzige Minute noch! Er mußte ja weiter¬ Und er zog weiter. Jetzt wurde der Kopf sichtbar — jetzt der Hals — Ich legte an und nahm die Stelle aufs Korn, wo sich das Blatt in der Sakra! Wieder umsonst! Von Schreck, Ärger, Enttäuschung und Ermüdung Doch was war das? Vom Anschuß her tönte ein Geräusch zu mir herüber, Vorsichtig das Gewehr aufgenommen, den Hahn gespannt, der nun auf den Ich blieb wie angewurzelt stehn, legte das Gewehr an die Backe und zielte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296517"/> <fw type="header" place="top"> Nach der Hichnersuche</fw><lb/> <p xml:id="ID_2691"> Darüber wollen wir jetzt nicht streiten, sagte ich, die Hauptsache ist, daß ich<lb/> zunächst einmal den Dreißigender zur Strecke bringe. Das weitere wird sich finden.<lb/> Und nun auf Wiedersehen!</p><lb/> <p xml:id="ID_2692"> Damit ließ ich den Professor auf dem Korridor stehn, flog die Treppe hinauf<lb/> in mein Zimmer, nahm Gewehr und Rucksack und verließ das Schloß.</p><lb/> <p xml:id="ID_2693"> Der Wind war inzwischen nach Norden umgeschlagen und schien, wie ich aus<lb/> den Bewegungen der Wetterfahne auf dem Turme schließen konnte, Neigung zu<lb/> haben, nach Osten umzuspringen. Die Luft war weit klarer als am Morgen und<lb/> für die Jahreszeit schon recht kühl. Ich schlug zunächst den Weg ein, den ich in<lb/> Martins Gesellschaft gegangen war. Als ich aber den Wald vor mir hatte, mußte<lb/> ich einen großen Bogen machen, wenn ich mit gutem Winde auf den Wechsel kommen<lb/> wollte. Während aber der Wald auf der rechten Seite und in der Mitte vor¬<lb/> wiegend alte Kiefernbestände und Stangenholz aufwies, zeigte es sich, daß er auf<lb/> der linken Seite größtenteils aus Buschholz bestand. Hier brauchte ich natürlich<lb/> nicht auf Rotwild zu rechnen, hier konnte im besten Fall ein Rehbock liegen, und<lb/> den würde ich heute keines Blickes gewürdigt haben. Ich ging also, und zwar<lb/> nicht einmal besonders behutsam, weiter und bahnte mir, so gut es gehn wollte,<lb/> meinen Weg durch Birkengestrüpp und verkümmertes Nadelholz.</p><lb/> <p xml:id="ID_2694"> Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich gerade hier, wo ich ihn am aller¬<lb/> wenigsten vermutet hatte, meinen Dreißigender Plötzlich vor mir sah ! Keine sechzig<lb/> Gänge von mir entfernt stand er zwischen den Büschen, die ihn fast ganz ver¬<lb/> deckten, sodaß eigentlich nur das Geweih, das sich scharf gegen den Abendhimmel<lb/> abhob, seine Gegenwart verriet. Vor Aufregung am ganzen Körper zitternd, ließ<lb/> ich mich leise auf das rechte Knie nieder, stellte den rechten Hahn auf Kugel, stach<lb/> und wartete mit fieberhafter Spannung auf den Augenblick, wo der Hirsch weiter¬<lb/> ziehn und mir zwischen zwei Büschen, hinter denen er vorbei mußte, sein Blatt<lb/> zeigen würde. Die Paar Sekunden, die ich so zubrachte, beuchten mich eine Ewig¬<lb/> keit, die Zunge klebte mir am Gaumen, und vor meinen Augen begannen die<lb/> beiden Kronen, die mit ihren weiß gefegten Enden da über dem gelblichen Birken¬<lb/> laub schimmerten, förmlich zu tanzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2695"> Ruhe! Kaltblütigkeit — nur eine einzige Minute noch! Er mußte ja weiter¬<lb/> ziehn, er konnte ja nicht noch eine zweite Ewigkeit so unbeweglich stehn bleiben!</p><lb/> <p xml:id="ID_2696"> Und er zog weiter. Jetzt wurde der Kopf sichtbar — jetzt der Hals —<lb/> nun langsam das Gewehr hoch: jeden Augenblick mußte das Blatt zum Vorschein<lb/> kommen!</p><lb/> <p xml:id="ID_2697"> Ich legte an und nahm die Stelle aufs Korn, wo sich das Blatt in der<lb/> nächsten Viertelsekunde zeigen mußte. Aber — mein zitternder Finger hatte den<lb/> Stecher zu früh berührt, und der Schuß fuhr heraus.</p><lb/> <p xml:id="ID_2698"> Sakra! Wieder umsonst! Von Schreck, Ärger, Enttäuschung und Ermüdung<lb/> überwältigt, brach ich förmlich zusammen, wühlte die Hände in den Sand und<lb/> preßte das Gesicht in das harte, kalte Heidelbeerlaub, um nur nicht sehen zu müssen,<lb/> wie der Kapitale in hohen Fluchten abging.</p><lb/> <p xml:id="ID_2699"> Doch was war das? Vom Anschuß her tönte ein Geräusch zu mir herüber,<lb/> das nnr das Blut in den Adern gerinnen machte. Ware es denn möglich? Sollte<lb/> der Hirsch dennoch im Feuer gestürzt sein? Ich wagte kaum, mich zu erheben, aus<lb/> Furcht, mich getäuscht zu haben. Aber das Geräusch wiederholte sich; kein Zweifel:<lb/> er lag und schlug mit den Läufen, daß das gelbe Birkenlaub wie ein goldner<lb/> Regen von den schlanken Stämmchen und Zweigen stob.</p><lb/> <p xml:id="ID_2700"> Vorsichtig das Gewehr aufgenommen, den Hahn gespannt, der nun auf den<lb/> mit groben Posten geladner rechten Flintenlauf eingeschaltet war, und dann<lb/> vorwärts! Nichts zu sehen — nein, es mußte auch weiter nach rechts sein! —<lb/> noch ein paar Schritte — wahrhaftig, da lag er!</p><lb/> <p xml:id="ID_2701" next="#ID_2702"> Ich blieb wie angewurzelt stehn, legte das Gewehr an die Backe und zielte<lb/> auf den Hals, um dem Hirsche den Fangschuß zu geben, wenn er noch einmal hoch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0506]
Nach der Hichnersuche
Darüber wollen wir jetzt nicht streiten, sagte ich, die Hauptsache ist, daß ich
zunächst einmal den Dreißigender zur Strecke bringe. Das weitere wird sich finden.
Und nun auf Wiedersehen!
Damit ließ ich den Professor auf dem Korridor stehn, flog die Treppe hinauf
in mein Zimmer, nahm Gewehr und Rucksack und verließ das Schloß.
Der Wind war inzwischen nach Norden umgeschlagen und schien, wie ich aus
den Bewegungen der Wetterfahne auf dem Turme schließen konnte, Neigung zu
haben, nach Osten umzuspringen. Die Luft war weit klarer als am Morgen und
für die Jahreszeit schon recht kühl. Ich schlug zunächst den Weg ein, den ich in
Martins Gesellschaft gegangen war. Als ich aber den Wald vor mir hatte, mußte
ich einen großen Bogen machen, wenn ich mit gutem Winde auf den Wechsel kommen
wollte. Während aber der Wald auf der rechten Seite und in der Mitte vor¬
wiegend alte Kiefernbestände und Stangenholz aufwies, zeigte es sich, daß er auf
der linken Seite größtenteils aus Buschholz bestand. Hier brauchte ich natürlich
nicht auf Rotwild zu rechnen, hier konnte im besten Fall ein Rehbock liegen, und
den würde ich heute keines Blickes gewürdigt haben. Ich ging also, und zwar
nicht einmal besonders behutsam, weiter und bahnte mir, so gut es gehn wollte,
meinen Weg durch Birkengestrüpp und verkümmertes Nadelholz.
Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich gerade hier, wo ich ihn am aller¬
wenigsten vermutet hatte, meinen Dreißigender Plötzlich vor mir sah ! Keine sechzig
Gänge von mir entfernt stand er zwischen den Büschen, die ihn fast ganz ver¬
deckten, sodaß eigentlich nur das Geweih, das sich scharf gegen den Abendhimmel
abhob, seine Gegenwart verriet. Vor Aufregung am ganzen Körper zitternd, ließ
ich mich leise auf das rechte Knie nieder, stellte den rechten Hahn auf Kugel, stach
und wartete mit fieberhafter Spannung auf den Augenblick, wo der Hirsch weiter¬
ziehn und mir zwischen zwei Büschen, hinter denen er vorbei mußte, sein Blatt
zeigen würde. Die Paar Sekunden, die ich so zubrachte, beuchten mich eine Ewig¬
keit, die Zunge klebte mir am Gaumen, und vor meinen Augen begannen die
beiden Kronen, die mit ihren weiß gefegten Enden da über dem gelblichen Birken¬
laub schimmerten, förmlich zu tanzen.
Ruhe! Kaltblütigkeit — nur eine einzige Minute noch! Er mußte ja weiter¬
ziehn, er konnte ja nicht noch eine zweite Ewigkeit so unbeweglich stehn bleiben!
Und er zog weiter. Jetzt wurde der Kopf sichtbar — jetzt der Hals —
nun langsam das Gewehr hoch: jeden Augenblick mußte das Blatt zum Vorschein
kommen!
Ich legte an und nahm die Stelle aufs Korn, wo sich das Blatt in der
nächsten Viertelsekunde zeigen mußte. Aber — mein zitternder Finger hatte den
Stecher zu früh berührt, und der Schuß fuhr heraus.
Sakra! Wieder umsonst! Von Schreck, Ärger, Enttäuschung und Ermüdung
überwältigt, brach ich förmlich zusammen, wühlte die Hände in den Sand und
preßte das Gesicht in das harte, kalte Heidelbeerlaub, um nur nicht sehen zu müssen,
wie der Kapitale in hohen Fluchten abging.
Doch was war das? Vom Anschuß her tönte ein Geräusch zu mir herüber,
das nnr das Blut in den Adern gerinnen machte. Ware es denn möglich? Sollte
der Hirsch dennoch im Feuer gestürzt sein? Ich wagte kaum, mich zu erheben, aus
Furcht, mich getäuscht zu haben. Aber das Geräusch wiederholte sich; kein Zweifel:
er lag und schlug mit den Läufen, daß das gelbe Birkenlaub wie ein goldner
Regen von den schlanken Stämmchen und Zweigen stob.
Vorsichtig das Gewehr aufgenommen, den Hahn gespannt, der nun auf den
mit groben Posten geladner rechten Flintenlauf eingeschaltet war, und dann
vorwärts! Nichts zu sehen — nein, es mußte auch weiter nach rechts sein! —
noch ein paar Schritte — wahrhaftig, da lag er!
Ich blieb wie angewurzelt stehn, legte das Gewehr an die Backe und zielte
auf den Hals, um dem Hirsche den Fangschuß zu geben, wenn er noch einmal hoch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |