Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Adalbert Stifter von Stifter avancieren, aber die Ausstattung, die er seiner lieben Tochter mit¬ Das Paar mietete in dem Stadtteil "Landstraße" eine Hofwohnung von "Den Weihekuß der dichterischen Muse" hatte er schon zeitig empfangen, Natürlich hat Stifter die Schriftstellern nicht ohne innern Trieb begonnen; Adalbert Stifter von Stifter avancieren, aber die Ausstattung, die er seiner lieben Tochter mit¬ Das Paar mietete in dem Stadtteil „Landstraße" eine Hofwohnung von „Den Weihekuß der dichterischen Muse" hatte er schon zeitig empfangen, Natürlich hat Stifter die Schriftstellern nicht ohne innern Trieb begonnen; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296494"/> <fw type="header" place="top"> Adalbert Stifter</fw><lb/> <p xml:id="ID_2548" prev="#ID_2547"> von Stifter avancieren, aber die Ausstattung, die er seiner lieben Tochter mit¬<lb/> gab, bestand außer in seinem väterlichen Segen nur — „in zwei Bildern der<lb/> Familie Jesu Christi, die er einst vor Jahren aus Italien mitgebracht hatte."<lb/> Amalie, die Stifter auf einem Familientanzvergnügen kennen gelernt zu haben<lb/> scheint, hatte in Wien bei einer Frau Lazzer mitsamt ihrer Schwester Josephine<lb/> Anweisung in Handarbeiten genommen, um sich eine Existenz zu gründen. Sie<lb/> konnte also zum Haushalt nicht direkt beitragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2549"> Das Paar mietete in dem Stadtteil „Landstraße" eine Hofwohnung von<lb/> zwei Zimmern. Josephine, die man mit ins Haus genommen hatte, starb an<lb/> der Schwindsucht. Die zwei Stuben erhielt aber Amalie sauber und ordentlich.<lb/> Da Stifter keine Anstellung hatte, blieb es bei den elenden Privatstunden und<lb/> den Versuchen, durch die Bilder etwas zu verdienen. Das Paar lebte äußerst<lb/> dürftig. Da, schon fünfunddreißig Jahre alt, im Jahre 1840, hatte er in ein<lb/> paar freien Stunden ein kleines Schriftstück fertig gebracht, das bei einem Be¬<lb/> suche aus seiner Tasche hervorsah. Man zog neugierig die Rolle heraus und<lb/> hatte die kleine Erzählung „Kondor" vor sich, die einem Redakteur gegeben,<lb/> von ihm in der Wiener Zeitschrift abgedruckt und mit zwanzig Gulden bezahlt<lb/> wurde. Von nun an war es Stifter leicht, andre Sachen in Wiener Zeit¬<lb/> schriften unterzubringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2550"> „Den Weihekuß der dichterischen Muse" hatte er schon zeitig empfangen,<lb/> als er auf der Schule hübsche Verse gemacht hatte. Aber seine lyrischen Ge¬<lb/> dichte verschwinden neben der Prosa, und von seinen dramatischen Plänen<lb/> (z. B. Nansikcia) kam nichts zur Ausführung. Schade, daß er nicht ein<lb/> biblisches Drama schrieb, dessen Aufführungsverbot seinen Wert märchenhaft,<lb/> von Null Grad auf sechzig Grad, gesteigert haben würde. Die zwei ersten<lb/> Bünde seiner „Studien" erschienen 1844 und hatten einen sehr großen Erfolg.<lb/> Der Titel der Novellensammlung ist, wie Hein bemerkt, dem Wörterbuch des<lb/> Malers entnommen. Als Maler habe Stifter gewußt, daß die Studie, für den<lb/> Schaffenden zumal, an Freiheit, Ursprünglichkeit und Lebendigkeit die umsichtig<lb/> und gewissenhaft durchgebildete Ausführung des in allen Teilen vollendeten<lb/> Werkes meist weit überragt. Später (1866) erklärte der Dichter einmal: „Mir<lb/> ist jedes Streben nach Schriftstellerruhm vollkommen fremd, wie jedes Streben<lb/> nach Ruhm überhaupt. Aber für eine Art Beifall war ich von Kindheit an<lb/> sehr empfänglich, ja ich geizte danach, für den Beifall, recht getan zu haben,<lb/> aber dabei anch zu wissen, daß es wahr ist. Sehr bald entwickelte sich in<lb/> mir eine Liebe für das Wundervolle und Hohe und ein Widerwille für das<lb/> Gegenteil, was mich in meiner ersten Jugend öfter zu überschwenglichen An¬<lb/> schließen oder Aburteilen hinriß. Dabei wirkte Schönheit, besonders der mensch¬<lb/> lichen Gestalt, zauberhaft auf mich; sehr bald trat dies mir auch in der Kunst<lb/> und äußern Natur entgegen, wie ich denn kaum im zehnten Lebensjahr durch<lb/> die »Schöpfung« von Haydn in ein ahnungsreiches und wonnevolles Wunder¬<lb/> land versetzt wurde und oft schon damals die schönen Linien und die Färbung<lb/> unsrer Wälder betrachtete."</p><lb/> <p xml:id="ID_2551" next="#ID_2552"> Natürlich hat Stifter die Schriftstellern nicht ohne innern Trieb begonnen;<lb/> aber mindestens zunächst war es das Brot, wofür er arbeitete, nicht der Ruhm.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0483]
Adalbert Stifter
von Stifter avancieren, aber die Ausstattung, die er seiner lieben Tochter mit¬
gab, bestand außer in seinem väterlichen Segen nur — „in zwei Bildern der
Familie Jesu Christi, die er einst vor Jahren aus Italien mitgebracht hatte."
Amalie, die Stifter auf einem Familientanzvergnügen kennen gelernt zu haben
scheint, hatte in Wien bei einer Frau Lazzer mitsamt ihrer Schwester Josephine
Anweisung in Handarbeiten genommen, um sich eine Existenz zu gründen. Sie
konnte also zum Haushalt nicht direkt beitragen.
Das Paar mietete in dem Stadtteil „Landstraße" eine Hofwohnung von
zwei Zimmern. Josephine, die man mit ins Haus genommen hatte, starb an
der Schwindsucht. Die zwei Stuben erhielt aber Amalie sauber und ordentlich.
Da Stifter keine Anstellung hatte, blieb es bei den elenden Privatstunden und
den Versuchen, durch die Bilder etwas zu verdienen. Das Paar lebte äußerst
dürftig. Da, schon fünfunddreißig Jahre alt, im Jahre 1840, hatte er in ein
paar freien Stunden ein kleines Schriftstück fertig gebracht, das bei einem Be¬
suche aus seiner Tasche hervorsah. Man zog neugierig die Rolle heraus und
hatte die kleine Erzählung „Kondor" vor sich, die einem Redakteur gegeben,
von ihm in der Wiener Zeitschrift abgedruckt und mit zwanzig Gulden bezahlt
wurde. Von nun an war es Stifter leicht, andre Sachen in Wiener Zeit¬
schriften unterzubringen.
„Den Weihekuß der dichterischen Muse" hatte er schon zeitig empfangen,
als er auf der Schule hübsche Verse gemacht hatte. Aber seine lyrischen Ge¬
dichte verschwinden neben der Prosa, und von seinen dramatischen Plänen
(z. B. Nansikcia) kam nichts zur Ausführung. Schade, daß er nicht ein
biblisches Drama schrieb, dessen Aufführungsverbot seinen Wert märchenhaft,
von Null Grad auf sechzig Grad, gesteigert haben würde. Die zwei ersten
Bünde seiner „Studien" erschienen 1844 und hatten einen sehr großen Erfolg.
Der Titel der Novellensammlung ist, wie Hein bemerkt, dem Wörterbuch des
Malers entnommen. Als Maler habe Stifter gewußt, daß die Studie, für den
Schaffenden zumal, an Freiheit, Ursprünglichkeit und Lebendigkeit die umsichtig
und gewissenhaft durchgebildete Ausführung des in allen Teilen vollendeten
Werkes meist weit überragt. Später (1866) erklärte der Dichter einmal: „Mir
ist jedes Streben nach Schriftstellerruhm vollkommen fremd, wie jedes Streben
nach Ruhm überhaupt. Aber für eine Art Beifall war ich von Kindheit an
sehr empfänglich, ja ich geizte danach, für den Beifall, recht getan zu haben,
aber dabei anch zu wissen, daß es wahr ist. Sehr bald entwickelte sich in
mir eine Liebe für das Wundervolle und Hohe und ein Widerwille für das
Gegenteil, was mich in meiner ersten Jugend öfter zu überschwenglichen An¬
schließen oder Aburteilen hinriß. Dabei wirkte Schönheit, besonders der mensch¬
lichen Gestalt, zauberhaft auf mich; sehr bald trat dies mir auch in der Kunst
und äußern Natur entgegen, wie ich denn kaum im zehnten Lebensjahr durch
die »Schöpfung« von Haydn in ein ahnungsreiches und wonnevolles Wunder¬
land versetzt wurde und oft schon damals die schönen Linien und die Färbung
unsrer Wälder betrachtete."
Natürlich hat Stifter die Schriftstellern nicht ohne innern Trieb begonnen;
aber mindestens zunächst war es das Brot, wofür er arbeitete, nicht der Ruhm.
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