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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Adalbert Stifter

den der Frauen ist? Amalie wird also für ihren Mann nicht die „langweilige
Person" gewesen sein, als die sie einem Jugendfreunde, Franz Mugerauer, vor¬
kam, der zu viel Ansprüche an sie und zu wenig Verständnis für sie hatte.

Wie war doch der Dichter zu ihr gekommen? Da müssen wir auf seine
frühe Zeit zurückgreifen, nach Wien. Mit einundzwanzig Jahren, also 1826,
kam der in dem Marktflecken Oberplan in Südböhmen geborne, von den
Benediktinern in Kremsmünster für die Universität vorbereitete mittellose Sohn
eines verstorbnen Leinewebers mit zwei Freunden nach Wien. Die zärtlich
geliebte und verehrte Mutter, Tochter eiues Fleischhauers, lebte noch. Stifter
wollte nicht mehr, wie als Kind, Pfarrer werden, sondern Jurist. Noch mehr
als in der Schülerzeit mußte er in Wien daran denken, sein Leben durch Privat¬
unterricht zu fristen. Daneben malte er fleißig (er ist ja der Malerpvet genannt
worden), besonders Landschaften, und verkaufte auch mitunter etwas von seinen
Bildern. In Kremsmünster war er ein Musterschüler gewesen und hatte Fähig¬
keit wie Interesse für alle Gegenstände gezeigt. Besonders scheint er Mathematik,
Physik und Botanik geliebt zu haben. Diese Vielseitigkeit kam ihm in Wien
sehr zustatten für seine Schüler und Schülerinnen. Natürlich waren ihm diese
Stunden oft „bis zur Kehle," denn gerade die dümmsten glaubten wie ge¬
wöhnlich ihre Geringschätzung nicht verbergen zu dürfen. Immerhin fehlte es
dieser Studentenzeit nicht ganz an Heiterkeit und Humor, die in seinen Schriften
mir spärlich vertreten sind.

Etwa 1830 begann sich bei ihm die Frage zu regen: „Wo ist die, die
deine Geliebte und dein Freund zugleich ist?" Er hatte nämlich auf Ferien¬
reisen in Friedberg ein hübsches, liebenswürdiges und wohlhabendes Mädchen,
Fanny Greipl, kennen lernen; einige an sie 1828 bis 1835 gerichtete Briefe
sind erhalten. Ihre Eltern erwogen jedoch nicht mit Unrecht, daß Stifter einst¬
weilen durchaus nicht in der Lage sei, zu heiraten. So mußte er mit tiefem
Schmerz auf die Geliebte verzichten. Er hatte 1833 einen Versuch gemacht,
sich vom Staate anstellen zu lassen, um in Prag Physik zu lehren. Er bestand
die schriftliche Prüfung aufs glänzendste; aber unbegreiflich war es, daß er am
Tage der mündlichen Prüfung nicht erschien. Noch einmal, als er heiraten
wollte, bereitete er sich 1837 darauf vor, als Professor der Botanik an die
Forstlehranstalt zu Mariabrunn zu kommen. Aber — er wurde krank und
mußte den Prüfungstermin versäumen.

Als nun Fanny für ihn verloren war, anscheinend bloß wegen seiner
Armut, suchte er hastig, wie das öfter geschieht, in einer neuen Verbindung das
Glück, das die alte, erste versagte, und spiegelte dem so verwaisten Gefühle vor:
„Wie bist du ja geliebt und glücklich ..." Ein andermal gesteht er, er habe
sich Amalien in vorsätzlicher Selbstverhärtung und aus gekränkter Eitelkeit zu¬
gewandt. Ehe er sie heiratete, hatte er ihr sogar noch einmal gestanden, daß
er eigentlich Fanny noch liebe. . . . Amalie habe ihm für seine Aufrichtigkeit
gedankt und ihn nicht bei seinem Versprechen festhalten wollen. Aber es kam
zur Heirat. Leider war das Mädchen noch ärmer als unser Dichter. Der
Bater lebte irgendwo in Ungarn als Leutnant a. D. Er ließ zwar einmal in
einem Briefe seinen künftigen Schwiegersohn wie zum Ersatz zum Herrn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/482>, abgerufen am 25.01.2025.