Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die Tage von Champizny und villiers geführt hatte, waren wir dank der heimatlichen Fürsorge und den überraschend Da wir -- ich kehre fürs erste mit meiner Erzählung zum 108. Regiment Die Tage von Champizny und villiers geführt hatte, waren wir dank der heimatlichen Fürsorge und den überraschend Da wir — ich kehre fürs erste mit meiner Erzählung zum 108. Regiment <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296484"/> <fw type="header" place="top"> Die Tage von Champizny und villiers</fw><lb/> <p xml:id="ID_2509" prev="#ID_2508"> geführt hatte, waren wir dank der heimatlichen Fürsorge und den überraschend<lb/> erfolgreichen Leistungen der Ersatzbataillone sowie der Etappen- und Proviant¬<lb/> ämter mit warmen Sachen und kräftigender Nahrung oft besser versorgt als<lb/> die vom eignen Lande, was Kleidung und soliden Proviant anlangte, vielfach<lb/> vernachlässigten, obendrein zum Teil noch sehr jungen französischen Truppe».<lb/> Desungeachtet soll nicht in Abrede gestellt werden, daß auch für den völlig er¬<lb/> wachsenen und gekräftigten Soldaten, wenn ihm stundenlanges Posten- und in<lb/> Bereitschaftstehn nicht erspart werden kann, kein Witteruugsungemach empfind¬<lb/> licher und lähmender ist als starker, das Thermometer bis zu acht und zehn<lb/> Grad unter Null heruntertreibender Frost. Auch das zu Pferde stillhalten ist<lb/> dann, wenn der Frost stark ist, eine Art von unvermeidlicher Tortur, und wen»<lb/> man, namentlich bei scharfem Nordostwind, zum Schutze der Zehen nichts tun<lb/> kann, als von Zeit zu Zeit absteigen, um den Blutumlauf durch heftiges Hiu-<lb/> undhertreten wieder einigermaßen in Gang zu bringen, so suchen die Gedanken<lb/> des für König und Vaterland frierenden Deutschen den heimatlichen Kachelofen<lb/> mit besondrer Sehnsucht auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_2510" next="#ID_2511"> Da wir — ich kehre fürs erste mit meiner Erzählung zum 108. Regiment<lb/> zurück — am 30. November früh eine Bereitschaftstellung in unmittelbarster<lb/> Nähe von Livry einzunehmen gehabt hatten, so machten wir hier unsre ersten<lb/> kleinen, nichtssagenden Frosterfahrungen. Das an sich durchaus normale und<lb/> logische System der Linksschiebnngen, das den Zcruierungsabschnitt zwischen<lb/> Champigny und Gournay durch die vom rechten Marneufer herübergeholte»<lb/> Truppen zu verstärken bestimmt war und unsrer ohnehin zu langdauernden Be¬<lb/> schaulichkeit in Sevran ein plötzliches Ende bereitete, hatte, wie so manche andre<lb/> zweckmäßige Auskunftsmittel, seine zwei Seiten, von denen für uns die weniger<lb/> anmutige die war, daß wir, wie Findlinge, mit einemmale nicht mehr recht<lb/> wußten, wohin wir gehörten, und daß die zweite Gardcdivisivn nicht bloß in<lb/> unsern bisherigen Quartieren und den uns gewohnt und lieb gewordnen Vvr-<lb/> Pvstenstellungen als einzig berechtigte Inhaberin schaltete und waltete, sondern<lb/> daß sie sich auch anschickte, unsern Nibelungenhort, das vergrabne Riesenwein-<lb/> lager, durch die litzeugeschmückte Gurgel zu jagen. Wenn der Oberst, wie<lb/> ich sagte, Befürchtungen gehabt hatte, die Entdeckung des Weinlagers könne die<lb/> Wachsamkeit unsrer auf Soutieu stehenden Mannschaften beeinträchtigen, so mußte<lb/> er zufrieden sein, denn das ich weiß nicht aus wieviel tausend Flaschen bestehende<lb/> Lager war erst kurz vor der Ankunft der Garde entdeckt worden und mußte ihr<lb/> — das machte sie uns als den zweifellos richtigen Brauch klar — ebenso gut<lb/> überlassen werden wie die Pvudrettenvorräte, auf die wir, beiläufig gesagt,<lb/> weniger Wert legten. Ein kleiner Konsolationscmteil war uns zwar kamerad¬<lb/> schaftlicherweise gewährt worden, aber es ging uns wie dem Derwisch in Tausend<lb/> und einer Nacht: mit einem Kamele war uns nicht gedient, unser Durst ver¬<lb/> langte sie alle hundert. Schlimmer als diese kleine Enttäuschung war für uns<lb/> das Gefühl, daß wir in der Luft schwebten und in der Tat kaum wußten, ob<lb/> wir noch, wie bisher, zur 23. Division gehörten und nicht vielmehr schon zur 24.,<lb/> da wir aufs „falsche" Marneufer hinüberrücken sollten; kluge Leute wollten<lb/> sogar wissen, der kommandierende General werde unmittelbar über uns ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0473]
Die Tage von Champizny und villiers
geführt hatte, waren wir dank der heimatlichen Fürsorge und den überraschend
erfolgreichen Leistungen der Ersatzbataillone sowie der Etappen- und Proviant¬
ämter mit warmen Sachen und kräftigender Nahrung oft besser versorgt als
die vom eignen Lande, was Kleidung und soliden Proviant anlangte, vielfach
vernachlässigten, obendrein zum Teil noch sehr jungen französischen Truppe».
Desungeachtet soll nicht in Abrede gestellt werden, daß auch für den völlig er¬
wachsenen und gekräftigten Soldaten, wenn ihm stundenlanges Posten- und in
Bereitschaftstehn nicht erspart werden kann, kein Witteruugsungemach empfind¬
licher und lähmender ist als starker, das Thermometer bis zu acht und zehn
Grad unter Null heruntertreibender Frost. Auch das zu Pferde stillhalten ist
dann, wenn der Frost stark ist, eine Art von unvermeidlicher Tortur, und wen»
man, namentlich bei scharfem Nordostwind, zum Schutze der Zehen nichts tun
kann, als von Zeit zu Zeit absteigen, um den Blutumlauf durch heftiges Hiu-
undhertreten wieder einigermaßen in Gang zu bringen, so suchen die Gedanken
des für König und Vaterland frierenden Deutschen den heimatlichen Kachelofen
mit besondrer Sehnsucht auf.
Da wir — ich kehre fürs erste mit meiner Erzählung zum 108. Regiment
zurück — am 30. November früh eine Bereitschaftstellung in unmittelbarster
Nähe von Livry einzunehmen gehabt hatten, so machten wir hier unsre ersten
kleinen, nichtssagenden Frosterfahrungen. Das an sich durchaus normale und
logische System der Linksschiebnngen, das den Zcruierungsabschnitt zwischen
Champigny und Gournay durch die vom rechten Marneufer herübergeholte»
Truppen zu verstärken bestimmt war und unsrer ohnehin zu langdauernden Be¬
schaulichkeit in Sevran ein plötzliches Ende bereitete, hatte, wie so manche andre
zweckmäßige Auskunftsmittel, seine zwei Seiten, von denen für uns die weniger
anmutige die war, daß wir, wie Findlinge, mit einemmale nicht mehr recht
wußten, wohin wir gehörten, und daß die zweite Gardcdivisivn nicht bloß in
unsern bisherigen Quartieren und den uns gewohnt und lieb gewordnen Vvr-
Pvstenstellungen als einzig berechtigte Inhaberin schaltete und waltete, sondern
daß sie sich auch anschickte, unsern Nibelungenhort, das vergrabne Riesenwein-
lager, durch die litzeugeschmückte Gurgel zu jagen. Wenn der Oberst, wie
ich sagte, Befürchtungen gehabt hatte, die Entdeckung des Weinlagers könne die
Wachsamkeit unsrer auf Soutieu stehenden Mannschaften beeinträchtigen, so mußte
er zufrieden sein, denn das ich weiß nicht aus wieviel tausend Flaschen bestehende
Lager war erst kurz vor der Ankunft der Garde entdeckt worden und mußte ihr
— das machte sie uns als den zweifellos richtigen Brauch klar — ebenso gut
überlassen werden wie die Pvudrettenvorräte, auf die wir, beiläufig gesagt,
weniger Wert legten. Ein kleiner Konsolationscmteil war uns zwar kamerad¬
schaftlicherweise gewährt worden, aber es ging uns wie dem Derwisch in Tausend
und einer Nacht: mit einem Kamele war uns nicht gedient, unser Durst ver¬
langte sie alle hundert. Schlimmer als diese kleine Enttäuschung war für uns
das Gefühl, daß wir in der Luft schwebten und in der Tat kaum wußten, ob
wir noch, wie bisher, zur 23. Division gehörten und nicht vielmehr schon zur 24.,
da wir aufs „falsche" Marneufer hinüberrücken sollten; kluge Leute wollten
sogar wissen, der kommandierende General werde unmittelbar über uns ver-
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