Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die Entwicklung der Familie als soziologisches Problem Es Wäre nun niber, wie mir scheinen will, ein Fehler, wünschte mein die Denn der Mensch ist nicht bloß Objekt, sondern auch Subjekt der Ent¬ Die Entwicklung der Familie als soziologisches Problem Es Wäre nun niber, wie mir scheinen will, ein Fehler, wünschte mein die Denn der Mensch ist nicht bloß Objekt, sondern auch Subjekt der Ent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0422" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296433"/> <fw type="header" place="top"> Die Entwicklung der Familie als soziologisches Problem</fw><lb/> <p xml:id="ID_2333"> Es Wäre nun niber, wie mir scheinen will, ein Fehler, wünschte mein die<lb/> Entwicklung der Naturforschung in ihren Ergebnissen möglichst rückgängig zu<lb/> machen, wollte man zurücktauchen in die mit Aberglauben und metaphysischen<lb/> Vorurteil behaftete Wissenschaft des rationalistischen und vorrationalistischen<lb/> Zeitalters. Die Ergebnisse der modernen Naturforschung sind praktisch und<lb/> theoretisch zu einem hohen Gute der Kulturmenschheit geworden. Die exakte<lb/> Naturbetrachtung und -Untersuchung, der ja noch eine Fülle komplizierter Probleme<lb/> zu lösen bleibt, wird sich, so kann man hoffen, in der Ausbildung ihrer be¬<lb/> währten Methoden von kurzsichtigen Wünschen ihrer Gegner nicht beirren lassen.<lb/> Aber wenn ich auch der Überzeugung bin, daß insbesondre der Evolutionismus<lb/> eine Wahrheit ist, so kann doch nicht genug betont werden, daß er nur eine<lb/> einseitige Erfassung von Welt und Menschen ist. Seine Theorien gipfeln in<lb/> den Sätzen von der Entstehung höherer Arten aus niedern, ferner in der Lehre<lb/> von der Anpassung und Auslese. Die in dem zuerst genannten Gedanken enthaltne<lb/> Leugnung der Sonderschöpfung muß anerkannt werden. Bei Anpassung und<lb/> Auslese, den beiden verursachenden Tatsachen der Entwicklung, wird nun das<lb/> Agens der Evolution völlig in die umgebende Natur verlegt; denn es handelt<lb/> sich bei der naturwissenschaftlichen Auffassung der Anpassung immer nur um<lb/> eine Anpassung innerer Beziehungen an äußere. Sie zu vollziehn, sei die<lb/> eigentliche und ausschließliche Funktion des Seelenlebens, deren einfachstes Bild<lb/> ist: ein äußerer Reiz löst die Empfindung aus, diese ruft die Bewegung her¬<lb/> vor, und die häufige, gleichartige Bewegung nach gleichartigen Reizen bewirkt<lb/> allmählich durch Übung organische Umwandlungen, die dem den Reiz aus¬<lb/> übenden „Milieu" entsprechen. Beim Überleben des Passendsten liegen eben¬<lb/> falls äußere Lebensbedingungen, und zwar solche zugrunde, die so hart sind,<lb/> daß nur eine beschränkte Zahl von biologisch besonders wertvollen Organismen<lb/> nicht zugrunde geht, während die ungeeigneter» vernichtet werden, ehe sie zur<lb/> Fortpflanzung und dadurch zur Vererbung ihrer mindern Qualitäten gelangen.<lb/> Die Natur ist also hier ebenfalls, um es bildlich zu sagen, die große Züchterin.<lb/> Sie ist wie bei der Anpassung das eigentliche Subjekt der Entwicklung, dem<lb/> die Lebewesen, insbesondre der Mensch, passiv gegenüberstelln. Die Menschheit<lb/> ist dagegen nach naturwissenschaftlicher Auffassung Objekt der Entwicklung.<lb/> Das ist nun ohne weiteres an sich zuzugeben, und Wissenschaften, die dem<lb/> Studium des Zusammenhangs der äußern Natur, der Materie gewidmet sind,<lb/> können und dürfen zu keinem andern Ergebnis kommen. Der Fehler liegt in<lb/> der Folgerung, daß man mit den genannten Gesetzen alle Erscheinungen des<lb/> Lebens und der menschlichen Betätigung erklären zu können glaubt, wohingegen<lb/> tatsächlich, je höher sich der Mensch entwickelt, je größer seine Rolle auf der<lb/> Erde wird, die naturwissenschaftlichen Gesetze an Bedeutung und Wirksamkeit<lb/> für ihn verlieren zugunsten einer zweiten aus dem menschlichen Innen¬<lb/> leben stammenden Entwicklungsreihe.</p><lb/> <p xml:id="ID_2334" next="#ID_2335"> Denn der Mensch ist nicht bloß Objekt, sondern auch Subjekt der Ent¬<lb/> wicklung. Während die äußern Einflüsse nach dem Schema der erwähnten<lb/> Naturgesetze auf ihn bildend wirken, entfaltet sich in ihm nach bestimmten<lb/> Beweguugsgesetzen sein Triebleben, die ihm immanente Urkraft des Willens.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0422]
Die Entwicklung der Familie als soziologisches Problem
Es Wäre nun niber, wie mir scheinen will, ein Fehler, wünschte mein die
Entwicklung der Naturforschung in ihren Ergebnissen möglichst rückgängig zu
machen, wollte man zurücktauchen in die mit Aberglauben und metaphysischen
Vorurteil behaftete Wissenschaft des rationalistischen und vorrationalistischen
Zeitalters. Die Ergebnisse der modernen Naturforschung sind praktisch und
theoretisch zu einem hohen Gute der Kulturmenschheit geworden. Die exakte
Naturbetrachtung und -Untersuchung, der ja noch eine Fülle komplizierter Probleme
zu lösen bleibt, wird sich, so kann man hoffen, in der Ausbildung ihrer be¬
währten Methoden von kurzsichtigen Wünschen ihrer Gegner nicht beirren lassen.
Aber wenn ich auch der Überzeugung bin, daß insbesondre der Evolutionismus
eine Wahrheit ist, so kann doch nicht genug betont werden, daß er nur eine
einseitige Erfassung von Welt und Menschen ist. Seine Theorien gipfeln in
den Sätzen von der Entstehung höherer Arten aus niedern, ferner in der Lehre
von der Anpassung und Auslese. Die in dem zuerst genannten Gedanken enthaltne
Leugnung der Sonderschöpfung muß anerkannt werden. Bei Anpassung und
Auslese, den beiden verursachenden Tatsachen der Entwicklung, wird nun das
Agens der Evolution völlig in die umgebende Natur verlegt; denn es handelt
sich bei der naturwissenschaftlichen Auffassung der Anpassung immer nur um
eine Anpassung innerer Beziehungen an äußere. Sie zu vollziehn, sei die
eigentliche und ausschließliche Funktion des Seelenlebens, deren einfachstes Bild
ist: ein äußerer Reiz löst die Empfindung aus, diese ruft die Bewegung her¬
vor, und die häufige, gleichartige Bewegung nach gleichartigen Reizen bewirkt
allmählich durch Übung organische Umwandlungen, die dem den Reiz aus¬
übenden „Milieu" entsprechen. Beim Überleben des Passendsten liegen eben¬
falls äußere Lebensbedingungen, und zwar solche zugrunde, die so hart sind,
daß nur eine beschränkte Zahl von biologisch besonders wertvollen Organismen
nicht zugrunde geht, während die ungeeigneter» vernichtet werden, ehe sie zur
Fortpflanzung und dadurch zur Vererbung ihrer mindern Qualitäten gelangen.
Die Natur ist also hier ebenfalls, um es bildlich zu sagen, die große Züchterin.
Sie ist wie bei der Anpassung das eigentliche Subjekt der Entwicklung, dem
die Lebewesen, insbesondre der Mensch, passiv gegenüberstelln. Die Menschheit
ist dagegen nach naturwissenschaftlicher Auffassung Objekt der Entwicklung.
Das ist nun ohne weiteres an sich zuzugeben, und Wissenschaften, die dem
Studium des Zusammenhangs der äußern Natur, der Materie gewidmet sind,
können und dürfen zu keinem andern Ergebnis kommen. Der Fehler liegt in
der Folgerung, daß man mit den genannten Gesetzen alle Erscheinungen des
Lebens und der menschlichen Betätigung erklären zu können glaubt, wohingegen
tatsächlich, je höher sich der Mensch entwickelt, je größer seine Rolle auf der
Erde wird, die naturwissenschaftlichen Gesetze an Bedeutung und Wirksamkeit
für ihn verlieren zugunsten einer zweiten aus dem menschlichen Innen¬
leben stammenden Entwicklungsreihe.
Denn der Mensch ist nicht bloß Objekt, sondern auch Subjekt der Ent¬
wicklung. Während die äußern Einflüsse nach dem Schema der erwähnten
Naturgesetze auf ihn bildend wirken, entfaltet sich in ihm nach bestimmten
Beweguugsgesetzen sein Triebleben, die ihm immanente Urkraft des Willens.
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