Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.vom Ägäischen Meere der Insel gestorben und begraben. So wurde zuerst jene Gegend -- es ist die Die Inschrift, die dieses meldet, ist das einzig beachtenswerte in jener Bald wurde uns das Dorf zu eng; Maultier oder Esel wurden gemietet, vom Ägäischen Meere der Insel gestorben und begraben. So wurde zuerst jene Gegend — es ist die Die Inschrift, die dieses meldet, ist das einzig beachtenswerte in jener Bald wurde uns das Dorf zu eng; Maultier oder Esel wurden gemietet, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0325" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296336"/> <fw type="header" place="top"> vom Ägäischen Meere</fw><lb/> <p xml:id="ID_1879" prev="#ID_1878"> der Insel gestorben und begraben. So wurde zuerst jene Gegend — es ist die<lb/> Nordostplatte, die noch heute im besondern Hagios Eustratios heißt —, später die<lb/> ganze Insel nach ihm benannt. Wie hieß sie vorher? Auf diese naheliegende<lb/> Frage soll in einem zweiten Exkurse geantwortet werden. Der türkische Eponymos<lb/> aber ist nie Fleisch und Bein gewesen; der Papas in dem Namen ist offen¬<lb/> kundig noch der Papas Eustratios, und Boz heißt „verlassen"; so kannten ja<lb/> die Türken die Insel. Erst 1540 wurde sie neu besiedelt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1880"> Die Inschrift, die dieses meldet, ist das einzig beachtenswerte in jener<lb/> Kirche des heiligen Eustratios, der vorher von ihrer Beschreibung ablockte. Sie<lb/> steht in sorgfältig ausgeführten Buchstaben auf der einst auch mit flüchtigen<lb/> Malereien geschmückten Tür, die vom Narthex in die Kirche führt, ist aber erst<lb/> 1633 bei einem Neubau eingeschnitten worden. Prächtig ist der Blick über das<lb/> Meer bis zum Athos und zu den griechischen Sporaden und über das Dorf und<lb/> die Insel. Das Dorf wächst natürlich nach Osten zu, und dort wurde auch das<lb/> erwähnte neue Schulhaus gebaut, dessen Kosten zum Teil Griechen im Vater¬<lb/> lande bestritten haben. Ich besuchte das alte und fand ein recht geräumiges<lb/> Zimmer mit je drei großen Fenstern nach Norden und nach Süden. Die vier<lb/> Klassen werden darin zu derselben Zeit unterrichtet; die erste sitzt vorn; eine<lb/> Rangordnung gibt es nicht. Ich hörte Gedichte und Prosa lesen und erklären<lb/> und Gesang, und es wollte mir scheinen, daß der Schulmeister, der aus dem<lb/> fernen Kalymnos gekommen war, seine Sache ganz leidlich machte. Einen<lb/> Medschid (3 Mark 60 Pfennige) zahlen die Ärmsten an Schulgeld jährlich, die<lb/> Reichen mehr. Der altangeborne Bildungstrieb der Griechen läßt sich auch auf<lb/> der ärmlichsten, weltentlegensten Insel nicht ersticken; die Regierung tut natürlich<lb/> für das Schulwesen noch weniger als nichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_1881" next="#ID_1882"> Bald wurde uns das Dorf zu eng; Maultier oder Esel wurden gemietet,<lb/> und der Besitzer, ein köstlicher Alter, der seinen Esel „Blitz" getauft hatte und<lb/> mich durchaus als zweiter Diener in die Ferne begleiten wollte, führte uns<lb/> bergauf bergab dnrch seine Heimat. Archäologisch war außer auf dem alten<lb/> Dorfberge nicht viel zu holen. Nach „Buchstaben," d. i. antiken Inschriften<lb/> wurde zuerst mancher vergeblicher Abstecher gemacht. Einmal schleppte uns<lb/> ein armer Teufel, dessen Rock und Hose mehr Löcher als Zeug enthielten,<lb/> fast bis zur Südspitze, wo er uns endlich triumphierend einen großen Stein<lb/> zeigte, auf dem man bei gutem Willen ein Kreuz erkennen konnte. Daß er mit<lb/> einigen „Schmeicheleien" den versprochnen Backschisch erhielt, rührte ihn tief.<lb/> Zu Beginn dieses Ausfluges war es, daß ein Saptieh, der zu Fuß lief, einem<lb/> Jungen, der von der Ostküste zur Stadt wollte, Mehl zu holen, trotz allem<lb/> Schreien einfach seineu Esel wegnahm, um sich dessen bis zum Abend zu er¬<lb/> freuen. Mittagsrast hielten wir in einem der wenigen Einzelgehöfte im Innern<lb/> der Insel. Diese wird sonst wie die meisten kleinern Inseln vom Dorfe aus<lb/> bebaut. Ein solches Gehöft (Mantra) wird nur in der guten Jahreszeit be¬<lb/> wohnt; seine Bestandteile sind ein Haus mit roh aus Steinen geschichteten<lb/> Wänden und eine vorgelegte Umhegung mit niedriger Steinmauer; in dieser<lb/> ruht das Vieh zur Nacht, in jenem haust der „göttliche Schaf- oder Ziegen¬<lb/> hirt" mit Weib und Kind. Die Bewachung ist wie einst laut bellenden, zähne-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0325]
vom Ägäischen Meere
der Insel gestorben und begraben. So wurde zuerst jene Gegend — es ist die
Nordostplatte, die noch heute im besondern Hagios Eustratios heißt —, später die
ganze Insel nach ihm benannt. Wie hieß sie vorher? Auf diese naheliegende
Frage soll in einem zweiten Exkurse geantwortet werden. Der türkische Eponymos
aber ist nie Fleisch und Bein gewesen; der Papas in dem Namen ist offen¬
kundig noch der Papas Eustratios, und Boz heißt „verlassen"; so kannten ja
die Türken die Insel. Erst 1540 wurde sie neu besiedelt.
Die Inschrift, die dieses meldet, ist das einzig beachtenswerte in jener
Kirche des heiligen Eustratios, der vorher von ihrer Beschreibung ablockte. Sie
steht in sorgfältig ausgeführten Buchstaben auf der einst auch mit flüchtigen
Malereien geschmückten Tür, die vom Narthex in die Kirche führt, ist aber erst
1633 bei einem Neubau eingeschnitten worden. Prächtig ist der Blick über das
Meer bis zum Athos und zu den griechischen Sporaden und über das Dorf und
die Insel. Das Dorf wächst natürlich nach Osten zu, und dort wurde auch das
erwähnte neue Schulhaus gebaut, dessen Kosten zum Teil Griechen im Vater¬
lande bestritten haben. Ich besuchte das alte und fand ein recht geräumiges
Zimmer mit je drei großen Fenstern nach Norden und nach Süden. Die vier
Klassen werden darin zu derselben Zeit unterrichtet; die erste sitzt vorn; eine
Rangordnung gibt es nicht. Ich hörte Gedichte und Prosa lesen und erklären
und Gesang, und es wollte mir scheinen, daß der Schulmeister, der aus dem
fernen Kalymnos gekommen war, seine Sache ganz leidlich machte. Einen
Medschid (3 Mark 60 Pfennige) zahlen die Ärmsten an Schulgeld jährlich, die
Reichen mehr. Der altangeborne Bildungstrieb der Griechen läßt sich auch auf
der ärmlichsten, weltentlegensten Insel nicht ersticken; die Regierung tut natürlich
für das Schulwesen noch weniger als nichts.
Bald wurde uns das Dorf zu eng; Maultier oder Esel wurden gemietet,
und der Besitzer, ein köstlicher Alter, der seinen Esel „Blitz" getauft hatte und
mich durchaus als zweiter Diener in die Ferne begleiten wollte, führte uns
bergauf bergab dnrch seine Heimat. Archäologisch war außer auf dem alten
Dorfberge nicht viel zu holen. Nach „Buchstaben," d. i. antiken Inschriften
wurde zuerst mancher vergeblicher Abstecher gemacht. Einmal schleppte uns
ein armer Teufel, dessen Rock und Hose mehr Löcher als Zeug enthielten,
fast bis zur Südspitze, wo er uns endlich triumphierend einen großen Stein
zeigte, auf dem man bei gutem Willen ein Kreuz erkennen konnte. Daß er mit
einigen „Schmeicheleien" den versprochnen Backschisch erhielt, rührte ihn tief.
Zu Beginn dieses Ausfluges war es, daß ein Saptieh, der zu Fuß lief, einem
Jungen, der von der Ostküste zur Stadt wollte, Mehl zu holen, trotz allem
Schreien einfach seineu Esel wegnahm, um sich dessen bis zum Abend zu er¬
freuen. Mittagsrast hielten wir in einem der wenigen Einzelgehöfte im Innern
der Insel. Diese wird sonst wie die meisten kleinern Inseln vom Dorfe aus
bebaut. Ein solches Gehöft (Mantra) wird nur in der guten Jahreszeit be¬
wohnt; seine Bestandteile sind ein Haus mit roh aus Steinen geschichteten
Wänden und eine vorgelegte Umhegung mit niedriger Steinmauer; in dieser
ruht das Vieh zur Nacht, in jenem haust der „göttliche Schaf- oder Ziegen¬
hirt" mit Weib und Kind. Die Bewachung ist wie einst laut bellenden, zähne-
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