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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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zu fallen und im offnen Widerspruche mit den angeführten Bestimmungen
des ungarischen Ausgleichsgesetzes der provisorischen Inkraftsetzung dieser Vor¬
lagen durch eine kaiserliche Verordnung zuzustimmen. Nun wurden auch die
letzten Freunde der dualistischen Verfassung in Österreich wankend; das "Los
von Ungarn" tönte immer stärker aus den Reihen der parlamentarischen
Parteien Österreichs; trotzdem wäre es aber doch noch vielleicht gelungen, den
Riß zwischen beiden Reichshälften noch einmal zu verkleistern, wenn nicht in
Ungarn eine Wendung zum Schlimmen eingetreten wäre.

Nach dem Sturze des Ministeriums Thun waren für die Deutschen wieder
bessere Zeiten gekommen; die starke Spannung der innerpolitischen Atmosphäre
hatte nachgelassen; ein Gefühl der Ermattung machte sich allenthalben geltend,
und nachdem es dem Ministerium Koerber gelungen war, die slawisch-klerikal¬
feudale Majorität im österreichischen Abgeordnetenhause, den sogenannten eisernen
Ring aufzulösen, faßten die Deutschen wieder Vertrauen zur Regierung und
zeigten sich auch wegen der Erneuerung des wirtschaftlichen Ausgleichs mit
Ungarn entgegenkommender. Das in Österreich im Vcrordnungswege in Kraft
gesetzte Ausgleichsprovisorium sollte unter Mitwirkung der beiderseitigen Parla¬
mente durch ein Definitionen ersetzt, und zugleich sollte die Erneuerung der
Handelsverträge vorbereitet werden. Nach langwierigen Verhandlungen kam
auch in der Silvesternacht des Jahres 1902 zwischen dem Ministerium Szell
und dem Ministerium Koerber eine Vereinbarung zustande, in der es Koerber
gelungen war, die Härten zu beseitigen, die der Banffy-Badenische Ausgleich
für Österreich enthalten hatte. Die öffentliche Meinung in Österreich acceptierte
im allgemeinen dieses Abkommen, und die Situation war so, daß es mit leichter
Mühe gelungen wäre, den Ausgleich im österreichischen Parlament zur Er¬
ledigung zu bringen, und zwar unter Führung der Deutschen. So erbittert
sie gegen die Magyaren waren, so zeigten sie sich doch im Interesse der
Machtstellung der Monarchie bereit, ein Auge zuzudrücken; es war der letzte
Versuch, auf der Grundlage der dualistischen Verfassung von 1867 mit den
Magyaren zu einem Einvernehmen zu gelangen. Die Pessimisten behielten
jedoch Recht. Mitten in die friedliche, versöhnliche Stimmung schlug die von
der ungarischen Opposition erhobne Forderung der Einführung der magyarischen
Kommandosprache in den ungarländischen Regimentern wie eine Bombe ein.
An die Stelle der Obstruktion im österreichischen Abgeordnetenhause trat die
Obstruktion im ungarischen, das Ministerium Szell fiel, und die Möglichkeit
einer Erledigung des Ausgleichs rückte in immer weitere Ferne, denn neben
der magyarischen Kommandosprache stand auch die Zolltrennung der beiden
Reichshülften auf dem Programm der ungarischen Opposition. Was sollten
die Deutschen Österreichs nun tun? Sollten sie versuchen, mit der ungarischen
Opposition auf Grund von deren Programm zu paktieren? In Deutschland
scheint man vielfach dieser Meinung gewesen zu sein, und darum ist es not¬
wendig, die Wirkungen zu erörtern, die die Erfüllung der Forderungen der
ungarischen Opposition auf die Lage der Deutschen in Österreich ausüben würde.

Vom rein militärisch-technischen Standpunkt aus betrachtet mag es gleich-
giltig sein, ob die ungarländischen Regimenter deutsch, magyarisch oder chinesisch


zu fallen und im offnen Widerspruche mit den angeführten Bestimmungen
des ungarischen Ausgleichsgesetzes der provisorischen Inkraftsetzung dieser Vor¬
lagen durch eine kaiserliche Verordnung zuzustimmen. Nun wurden auch die
letzten Freunde der dualistischen Verfassung in Österreich wankend; das „Los
von Ungarn" tönte immer stärker aus den Reihen der parlamentarischen
Parteien Österreichs; trotzdem wäre es aber doch noch vielleicht gelungen, den
Riß zwischen beiden Reichshälften noch einmal zu verkleistern, wenn nicht in
Ungarn eine Wendung zum Schlimmen eingetreten wäre.

Nach dem Sturze des Ministeriums Thun waren für die Deutschen wieder
bessere Zeiten gekommen; die starke Spannung der innerpolitischen Atmosphäre
hatte nachgelassen; ein Gefühl der Ermattung machte sich allenthalben geltend,
und nachdem es dem Ministerium Koerber gelungen war, die slawisch-klerikal¬
feudale Majorität im österreichischen Abgeordnetenhause, den sogenannten eisernen
Ring aufzulösen, faßten die Deutschen wieder Vertrauen zur Regierung und
zeigten sich auch wegen der Erneuerung des wirtschaftlichen Ausgleichs mit
Ungarn entgegenkommender. Das in Österreich im Vcrordnungswege in Kraft
gesetzte Ausgleichsprovisorium sollte unter Mitwirkung der beiderseitigen Parla¬
mente durch ein Definitionen ersetzt, und zugleich sollte die Erneuerung der
Handelsverträge vorbereitet werden. Nach langwierigen Verhandlungen kam
auch in der Silvesternacht des Jahres 1902 zwischen dem Ministerium Szell
und dem Ministerium Koerber eine Vereinbarung zustande, in der es Koerber
gelungen war, die Härten zu beseitigen, die der Banffy-Badenische Ausgleich
für Österreich enthalten hatte. Die öffentliche Meinung in Österreich acceptierte
im allgemeinen dieses Abkommen, und die Situation war so, daß es mit leichter
Mühe gelungen wäre, den Ausgleich im österreichischen Parlament zur Er¬
ledigung zu bringen, und zwar unter Führung der Deutschen. So erbittert
sie gegen die Magyaren waren, so zeigten sie sich doch im Interesse der
Machtstellung der Monarchie bereit, ein Auge zuzudrücken; es war der letzte
Versuch, auf der Grundlage der dualistischen Verfassung von 1867 mit den
Magyaren zu einem Einvernehmen zu gelangen. Die Pessimisten behielten
jedoch Recht. Mitten in die friedliche, versöhnliche Stimmung schlug die von
der ungarischen Opposition erhobne Forderung der Einführung der magyarischen
Kommandosprache in den ungarländischen Regimentern wie eine Bombe ein.
An die Stelle der Obstruktion im österreichischen Abgeordnetenhause trat die
Obstruktion im ungarischen, das Ministerium Szell fiel, und die Möglichkeit
einer Erledigung des Ausgleichs rückte in immer weitere Ferne, denn neben
der magyarischen Kommandosprache stand auch die Zolltrennung der beiden
Reichshülften auf dem Programm der ungarischen Opposition. Was sollten
die Deutschen Österreichs nun tun? Sollten sie versuchen, mit der ungarischen
Opposition auf Grund von deren Programm zu paktieren? In Deutschland
scheint man vielfach dieser Meinung gewesen zu sein, und darum ist es not¬
wendig, die Wirkungen zu erörtern, die die Erfüllung der Forderungen der
ungarischen Opposition auf die Lage der Deutschen in Österreich ausüben würde.

Vom rein militärisch-technischen Standpunkt aus betrachtet mag es gleich-
giltig sein, ob die ungarländischen Regimenter deutsch, magyarisch oder chinesisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/298>, abgerufen am 15.01.2025.