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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Historisch - dramatisches Figurenkabinett

die von der Jungfrau berichteten noch unerklärlicher" körperlichen Erscheinungen
der Erzengel Michael und Gabriel sowie der heiligen Katharina und Margarete
haben die Welt seit dem zweiten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts viel
Kopfzerbrechen gekostet. Auch Pius der Zweite, Äneas Sylvius Piccolomini,
der auf dem Kongresse zu Arms Gelegenheit gehabt hatte, die Meinung des
Kardinals d'Estouteville zu hören -- d'Estouteville war bekanntlich als Kardinal¬
legat von Calixtus dem Dritten durch Breve vom 3. Juni 1455 beauftragt
worden, den Rehabilitieruugsprozeß einzuleiten --, hat über die Frage, ob man
diese Stimmen und Erscheinungen als Wunder im Sinne der katholischen Kirche
ansehen solle oder nicht, nicht zu entscheiden gewagt. Er sagt im sechsten Buche
seiner Memoiren: vivinuiu oxus an Kuumnum invsutnin euern, äWoile-
-Mrirmvsriui. Eines wird wohl allen, die die beiden Prozesse, den Ver-
dammungs- und den Rehabilitierungsprozeß keimen, klar geworden sein: daß
die Jungfrau von der Wirklichkeit der von ihr vernommnen Stimmen und der
himmlischen Erscheinungen, die mit ihr verkehrt haben, von ihr umarmt und
geküßt worden sein, ja "ihr sogar für Karl den Siebenten zwei reich mit Edel¬
steinen verzierte Goldkronen gebracht haben sollten, durchaus überzeugt war,
und daß sie sich nicht wissentlich zum Werkzeug eines frommen Betrugs her¬
gegeben hatte. Auch als das Opfer eines solchen wohlgemeinten Betrugs oder
gar einer hysterischen Erkrankung möchte man das kerngesunde, überaus scharf
und richtig sehende und urteilende, von jeder persönlichen Eitelkeit freie junge
Mädchen kaum ansehen. Der Versuch, die Jungfran als eine Tochter der
Königin Jsabeau und des Herzogs Ludwig von Orleans darzustellen und die
in Frage kommenden Stimmen und Erscheinungen auf natürlichem Wege durch
die Beteiligung patriotisch gesinnter Adlicher und Geistlicher zu erklären, den
P. Caze in seiner Vsrite "ur ^eaune et'^ro gemacht hat, ist zwar Überraschelid
und durch die Art, wie er geschickt an feststehende geschichtliche Tatsachen an¬
knüpft, sehr verführerisch, aber es fehlt ihm freilich, was die behauptete Kindes-
nnterschiebung in der d'Arcschen Ehe und den Anteil der angeblich beteiligt
gewesnen Parteigänger und Parteigängerinnen anlangt, an jeder beweiskräftigen
Begründung. An sich wäre ja eine solche in politischer Absicht gespickte Komödie
nicht unmöglich, und die Stimmen, die Erscheinungen, ja sogar die beiden Kronen
winden durch eine solche Annahme erklärt werden; nur war die Jungfrau, wie
wir aus ihren eignen Aussagen und aus denen der Zeugen ersehen, nicht dazu
angetan, angeputzte Menschen für himmlische Gestalten anzusehen, und da öfters,
wenn ihr die Erzeuget oder die heiligen Frauen erschienen, der Hintergrund mit
Scharen schwebender Engel erfüllt war, so bliebe doch -- auch wenn mau an
eine jedenfalls nicht leicht durchzuführende Komödie glauben wollte -- dieses
in das Kapitel der Visionen schlagende Phänomen unerklärt. Das Reich des
Übernatürlichen, zu dem nationale Begeisterung und mystische Frömmigkeit am
leichtesten Eingang verschaffen, enthält so viele ungelöste Rätsel, daß man an
reinen wundertätigen Eingriff des Höchsten zugunsten der am Abgrunde des
Untergangs zitternden französischen Krone zu glauben braucht, um es für möglich
g" halten, daß die dnrch patriotische und fromme Gefühle erregte Einbildungs¬
kraft einer ungewöhnlich begabten, dem Irdischen merkwürdig fremd gegenüber¬
stehenden Jungfrau ihr diese Visionen in dauernder Weise zu Wirklichkeiten
gemacht haben kann. Von dieser ganz allgemeinen Annahme abgesehen, wird
man sich wohl, da beide Prozesse keine erklärenden Einzelheiten zutage gefördert
haben, und da in dem vor dem Bischof von Beauvais und dem Dominikaner-
Prior Le Maitre geführten Verhör die Jungfrau, der die feindlichen Absichten
der Fragesteller klar waren, ihre Aussagen über die gehörten Stimmen und
die gehabten Erscheinungen mit äußerster Vorsicht auf das Unerläßliche beschränkt
hat, darein finden müssen, das Rätsel der Stimmen und Erscheinungen bis auf
weiteres auf sich beruhen zu lassen. Man wird sich lieber damit beschäftigen,


Historisch - dramatisches Figurenkabinett

die von der Jungfrau berichteten noch unerklärlicher» körperlichen Erscheinungen
der Erzengel Michael und Gabriel sowie der heiligen Katharina und Margarete
haben die Welt seit dem zweiten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts viel
Kopfzerbrechen gekostet. Auch Pius der Zweite, Äneas Sylvius Piccolomini,
der auf dem Kongresse zu Arms Gelegenheit gehabt hatte, die Meinung des
Kardinals d'Estouteville zu hören — d'Estouteville war bekanntlich als Kardinal¬
legat von Calixtus dem Dritten durch Breve vom 3. Juni 1455 beauftragt
worden, den Rehabilitieruugsprozeß einzuleiten —, hat über die Frage, ob man
diese Stimmen und Erscheinungen als Wunder im Sinne der katholischen Kirche
ansehen solle oder nicht, nicht zu entscheiden gewagt. Er sagt im sechsten Buche
seiner Memoiren: vivinuiu oxus an Kuumnum invsutnin euern, äWoile-
-Mrirmvsriui. Eines wird wohl allen, die die beiden Prozesse, den Ver-
dammungs- und den Rehabilitierungsprozeß keimen, klar geworden sein: daß
die Jungfrau von der Wirklichkeit der von ihr vernommnen Stimmen und der
himmlischen Erscheinungen, die mit ihr verkehrt haben, von ihr umarmt und
geküßt worden sein, ja "ihr sogar für Karl den Siebenten zwei reich mit Edel¬
steinen verzierte Goldkronen gebracht haben sollten, durchaus überzeugt war,
und daß sie sich nicht wissentlich zum Werkzeug eines frommen Betrugs her¬
gegeben hatte. Auch als das Opfer eines solchen wohlgemeinten Betrugs oder
gar einer hysterischen Erkrankung möchte man das kerngesunde, überaus scharf
und richtig sehende und urteilende, von jeder persönlichen Eitelkeit freie junge
Mädchen kaum ansehen. Der Versuch, die Jungfran als eine Tochter der
Königin Jsabeau und des Herzogs Ludwig von Orleans darzustellen und die
in Frage kommenden Stimmen und Erscheinungen auf natürlichem Wege durch
die Beteiligung patriotisch gesinnter Adlicher und Geistlicher zu erklären, den
P. Caze in seiner Vsrite «ur ^eaune et'^ro gemacht hat, ist zwar Überraschelid
und durch die Art, wie er geschickt an feststehende geschichtliche Tatsachen an¬
knüpft, sehr verführerisch, aber es fehlt ihm freilich, was die behauptete Kindes-
nnterschiebung in der d'Arcschen Ehe und den Anteil der angeblich beteiligt
gewesnen Parteigänger und Parteigängerinnen anlangt, an jeder beweiskräftigen
Begründung. An sich wäre ja eine solche in politischer Absicht gespickte Komödie
nicht unmöglich, und die Stimmen, die Erscheinungen, ja sogar die beiden Kronen
winden durch eine solche Annahme erklärt werden; nur war die Jungfrau, wie
wir aus ihren eignen Aussagen und aus denen der Zeugen ersehen, nicht dazu
angetan, angeputzte Menschen für himmlische Gestalten anzusehen, und da öfters,
wenn ihr die Erzeuget oder die heiligen Frauen erschienen, der Hintergrund mit
Scharen schwebender Engel erfüllt war, so bliebe doch — auch wenn mau an
eine jedenfalls nicht leicht durchzuführende Komödie glauben wollte — dieses
in das Kapitel der Visionen schlagende Phänomen unerklärt. Das Reich des
Übernatürlichen, zu dem nationale Begeisterung und mystische Frömmigkeit am
leichtesten Eingang verschaffen, enthält so viele ungelöste Rätsel, daß man an
reinen wundertätigen Eingriff des Höchsten zugunsten der am Abgrunde des
Untergangs zitternden französischen Krone zu glauben braucht, um es für möglich
g» halten, daß die dnrch patriotische und fromme Gefühle erregte Einbildungs¬
kraft einer ungewöhnlich begabten, dem Irdischen merkwürdig fremd gegenüber¬
stehenden Jungfrau ihr diese Visionen in dauernder Weise zu Wirklichkeiten
gemacht haben kann. Von dieser ganz allgemeinen Annahme abgesehen, wird
man sich wohl, da beide Prozesse keine erklärenden Einzelheiten zutage gefördert
haben, und da in dem vor dem Bischof von Beauvais und dem Dominikaner-
Prior Le Maitre geführten Verhör die Jungfrau, der die feindlichen Absichten
der Fragesteller klar waren, ihre Aussagen über die gehörten Stimmen und
die gehabten Erscheinungen mit äußerster Vorsicht auf das Unerläßliche beschränkt
hat, darein finden müssen, das Rätsel der Stimmen und Erscheinungen bis auf
weiteres auf sich beruhen zu lassen. Man wird sich lieber damit beschäftigen,


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[0271] Historisch - dramatisches Figurenkabinett die von der Jungfrau berichteten noch unerklärlicher» körperlichen Erscheinungen der Erzengel Michael und Gabriel sowie der heiligen Katharina und Margarete haben die Welt seit dem zweiten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts viel Kopfzerbrechen gekostet. Auch Pius der Zweite, Äneas Sylvius Piccolomini, der auf dem Kongresse zu Arms Gelegenheit gehabt hatte, die Meinung des Kardinals d'Estouteville zu hören — d'Estouteville war bekanntlich als Kardinal¬ legat von Calixtus dem Dritten durch Breve vom 3. Juni 1455 beauftragt worden, den Rehabilitieruugsprozeß einzuleiten —, hat über die Frage, ob man diese Stimmen und Erscheinungen als Wunder im Sinne der katholischen Kirche ansehen solle oder nicht, nicht zu entscheiden gewagt. Er sagt im sechsten Buche seiner Memoiren: vivinuiu oxus an Kuumnum invsutnin euern, äWoile- -Mrirmvsriui. Eines wird wohl allen, die die beiden Prozesse, den Ver- dammungs- und den Rehabilitierungsprozeß keimen, klar geworden sein: daß die Jungfrau von der Wirklichkeit der von ihr vernommnen Stimmen und der himmlischen Erscheinungen, die mit ihr verkehrt haben, von ihr umarmt und geküßt worden sein, ja "ihr sogar für Karl den Siebenten zwei reich mit Edel¬ steinen verzierte Goldkronen gebracht haben sollten, durchaus überzeugt war, und daß sie sich nicht wissentlich zum Werkzeug eines frommen Betrugs her¬ gegeben hatte. Auch als das Opfer eines solchen wohlgemeinten Betrugs oder gar einer hysterischen Erkrankung möchte man das kerngesunde, überaus scharf und richtig sehende und urteilende, von jeder persönlichen Eitelkeit freie junge Mädchen kaum ansehen. Der Versuch, die Jungfran als eine Tochter der Königin Jsabeau und des Herzogs Ludwig von Orleans darzustellen und die in Frage kommenden Stimmen und Erscheinungen auf natürlichem Wege durch die Beteiligung patriotisch gesinnter Adlicher und Geistlicher zu erklären, den P. Caze in seiner Vsrite «ur ^eaune et'^ro gemacht hat, ist zwar Überraschelid und durch die Art, wie er geschickt an feststehende geschichtliche Tatsachen an¬ knüpft, sehr verführerisch, aber es fehlt ihm freilich, was die behauptete Kindes- nnterschiebung in der d'Arcschen Ehe und den Anteil der angeblich beteiligt gewesnen Parteigänger und Parteigängerinnen anlangt, an jeder beweiskräftigen Begründung. An sich wäre ja eine solche in politischer Absicht gespickte Komödie nicht unmöglich, und die Stimmen, die Erscheinungen, ja sogar die beiden Kronen winden durch eine solche Annahme erklärt werden; nur war die Jungfrau, wie wir aus ihren eignen Aussagen und aus denen der Zeugen ersehen, nicht dazu angetan, angeputzte Menschen für himmlische Gestalten anzusehen, und da öfters, wenn ihr die Erzeuget oder die heiligen Frauen erschienen, der Hintergrund mit Scharen schwebender Engel erfüllt war, so bliebe doch — auch wenn mau an eine jedenfalls nicht leicht durchzuführende Komödie glauben wollte — dieses in das Kapitel der Visionen schlagende Phänomen unerklärt. Das Reich des Übernatürlichen, zu dem nationale Begeisterung und mystische Frömmigkeit am leichtesten Eingang verschaffen, enthält so viele ungelöste Rätsel, daß man an reinen wundertätigen Eingriff des Höchsten zugunsten der am Abgrunde des Untergangs zitternden französischen Krone zu glauben braucht, um es für möglich g» halten, daß die dnrch patriotische und fromme Gefühle erregte Einbildungs¬ kraft einer ungewöhnlich begabten, dem Irdischen merkwürdig fremd gegenüber¬ stehenden Jungfrau ihr diese Visionen in dauernder Weise zu Wirklichkeiten gemacht haben kann. Von dieser ganz allgemeinen Annahme abgesehen, wird man sich wohl, da beide Prozesse keine erklärenden Einzelheiten zutage gefördert haben, und da in dem vor dem Bischof von Beauvais und dem Dominikaner- Prior Le Maitre geführten Verhör die Jungfrau, der die feindlichen Absichten der Fragesteller klar waren, ihre Aussagen über die gehörten Stimmen und die gehabten Erscheinungen mit äußerster Vorsicht auf das Unerläßliche beschränkt hat, darein finden müssen, das Rätsel der Stimmen und Erscheinungen bis auf weiteres auf sich beruhen zu lassen. Man wird sich lieber damit beschäftigen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/271>, abgerufen am 15.01.2025.