Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Historisch - dramatisches Figurenkabinett etwas nachsehen. Voltaire selbst nennt seine einundzwanzig Gesänge einen Domrcmy habe in Lothringen gelegen? Ich habe die Jungfrau zwar auch Wir verdanken bekanntlich den Zeugenaussagen in dem erst von Jules Historisch - dramatisches Figurenkabinett etwas nachsehen. Voltaire selbst nennt seine einundzwanzig Gesänge einen Domrcmy habe in Lothringen gelegen? Ich habe die Jungfrau zwar auch Wir verdanken bekanntlich den Zeugenaussagen in dem erst von Jules <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296281"/> <fw type="header" place="top"> Historisch - dramatisches Figurenkabinett</fw><lb/> <p xml:id="ID_1584" prev="#ID_1583"> etwas nachsehen. Voltaire selbst nennt seine einundzwanzig Gesänge einen<lb/> l)Ä^ingAs; es hat Leute gegeben, und es gibt deren noch, mir daß sie es nicht<lb/> immer Wort haben wollen, denen dieser verpönte vaclinÄAS lieber war und<lb/> lieber ist als die salbungsvollste Schönrednerei, aber freilich eine Fundgrube<lb/> für geschichtliche Tatsachen ist er nicht; schon die Schilderung der geographischen<lb/> Lage Domremys ist irreführend. Denn glaubt man nicht, wenn man liest:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_8" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1585"> Domrcmy habe in Lothringen gelegen? Ich habe die Jungfrau zwar auch<lb/> unzähligemal als 1» Araucls I^orrains preisen, anPosaunen und von tausend¬<lb/> fältigen Hochrufen auf ihren Postamenten nmbrausen hören, es hat mir aber<lb/> allemal geklungen, als wenn man Martin Luther als den großen Preußen<lb/> feiern wollte, weil Eisleben, wo er geboren ist, jetzt zum Königreich Preußen<lb/> gehört. Zu Karls des Großen Zeiten umschloß Lothringen allerdings auch<lb/> das von der obern Maas durchströmte Land, und Domremy gehört heutzutage,<lb/> da es im Departement ach Vo8M8 liegt, zu dem Teile Frankreichs, den man<lb/> in patriotischen Kreisen gern kurzweg mit dem vor der großen Revolution dem<lb/> Gouvernement Nancy beigelegten Namen als ig. I^oirains bezeichnet, ohne daß<lb/> man sich über die Grenzen dieses namentlich in der chauvinistischen Presse eine<lb/> große Rolle spielenden Komplexes recht klar wäre, aber im fünfzehnten Jahr¬<lb/> hundert gehörte der Teil des Dorfes, in dem Johanna, l-z, xotits ^sannstte, am<lb/> 6. Januar 1412 geboren wurde, weder zum Herzogtum Lothringen noch — wie<lb/> auch unter andern Schlosser zu glnubeu scheint — zum Herzogtum Bnr, sondern<lb/> zu dem im Osten der Champagne liegenden Ländchen Bassigny, das direkt unter<lb/> den französischen Königen stand, und dessen letzter Karl dem Siebenten verbliebner<lb/> Rest die Schloßhauptmannschaft (enAtslIöniö) von Vaueonleurs war. Es ist<lb/> leine müßige Kleinigkeitskrämerei, wenn man das hervorhebt, da die Begeisterung<lb/> der Jungfrau für das Haus und für den Thron der Valois, als der nach<lb/> ihrer Meinung einzig legitimen Vertreter Christi, des obersten Lehnsherrn über<lb/> Frankreich, zum Teil den königstreuen Gesinnungen ihrer Umgebung entsprungen<lb/> zu sein scheint, die durch die Privilegien einer, wie wir sagen würden, reichs-<lb/> unmittelbaren Landschaft beeinflußt war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1586" next="#ID_1587"> Wir verdanken bekanntlich den Zeugenaussagen in dem erst von Jules<lb/> Quicherat in seinem vollen Umfange veröffentlichten Rehabilitierungsprozeß eine<lb/> Menge wertvoller und authentischer Nachrichten über die Familie und die Jugend¬<lb/> jahre der Jungfrau. Das Bild, das sich uns zeigt, ist überaus anmutig und<lb/> entspricht in den Hauptzügen dem, das uns in Schillers Prolog in so meister¬<lb/> hafter Weise vor Augen gestellt wird. Es fehlen weder der uralte, von der<lb/> Bevölkerung mit allerhand Zauber in Verbindung gebrachte Baum, noch dde<lb/> geliebte Herde, noch der über das fülle Tal hinziehende, zum Gebet labende<lb/> Klang der Mittags- und Abendglocke, noch endlich der beharrliche, nicht nn-<lb/> genommne und anch nicht endgiltig zurückgewiesue Freier. Zwei Herzens-<lb/> sreuudinnen, die Nachbarstvchter Mengette und Johannas „Spezi" Hauviette<lb/> sowie die von Pereeval de Boulainvilliers in einem Briefe beiläufig konstatierte<lb/> Tatsache, daß die Jungfrau ihre Altersgenossinnen im Wettlauf aufstand und<lb/> geradezu „zu fliegen schien," bringen uns die Heldin menschlich näher. Es<lb/> war im Jahre 1425, dem dreizehnten in Johannas so kurzem und doch so<lb/> ereignisreichen Leben, daß sie zum erstenmal die Stimmen zu hören glaubte,<lb/> die sie aus der Heimat weg — und zur Erfüllung einer uns allerdings wie<lb/> lustigste Legende anmutenden, aber sich vor unsern erstaunten Angen in" harte,<lb/> handgreifliche Tatsache umsetzenden Sendung ausriefen. Diese Stimme» und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0270]
Historisch - dramatisches Figurenkabinett
etwas nachsehen. Voltaire selbst nennt seine einundzwanzig Gesänge einen
l)Ä^ingAs; es hat Leute gegeben, und es gibt deren noch, mir daß sie es nicht
immer Wort haben wollen, denen dieser verpönte vaclinÄAS lieber war und
lieber ist als die salbungsvollste Schönrednerei, aber freilich eine Fundgrube
für geschichtliche Tatsachen ist er nicht; schon die Schilderung der geographischen
Lage Domremys ist irreführend. Denn glaubt man nicht, wenn man liest:
Domrcmy habe in Lothringen gelegen? Ich habe die Jungfrau zwar auch
unzähligemal als 1» Araucls I^orrains preisen, anPosaunen und von tausend¬
fältigen Hochrufen auf ihren Postamenten nmbrausen hören, es hat mir aber
allemal geklungen, als wenn man Martin Luther als den großen Preußen
feiern wollte, weil Eisleben, wo er geboren ist, jetzt zum Königreich Preußen
gehört. Zu Karls des Großen Zeiten umschloß Lothringen allerdings auch
das von der obern Maas durchströmte Land, und Domremy gehört heutzutage,
da es im Departement ach Vo8M8 liegt, zu dem Teile Frankreichs, den man
in patriotischen Kreisen gern kurzweg mit dem vor der großen Revolution dem
Gouvernement Nancy beigelegten Namen als ig. I^oirains bezeichnet, ohne daß
man sich über die Grenzen dieses namentlich in der chauvinistischen Presse eine
große Rolle spielenden Komplexes recht klar wäre, aber im fünfzehnten Jahr¬
hundert gehörte der Teil des Dorfes, in dem Johanna, l-z, xotits ^sannstte, am
6. Januar 1412 geboren wurde, weder zum Herzogtum Lothringen noch — wie
auch unter andern Schlosser zu glnubeu scheint — zum Herzogtum Bnr, sondern
zu dem im Osten der Champagne liegenden Ländchen Bassigny, das direkt unter
den französischen Königen stand, und dessen letzter Karl dem Siebenten verbliebner
Rest die Schloßhauptmannschaft (enAtslIöniö) von Vaueonleurs war. Es ist
leine müßige Kleinigkeitskrämerei, wenn man das hervorhebt, da die Begeisterung
der Jungfrau für das Haus und für den Thron der Valois, als der nach
ihrer Meinung einzig legitimen Vertreter Christi, des obersten Lehnsherrn über
Frankreich, zum Teil den königstreuen Gesinnungen ihrer Umgebung entsprungen
zu sein scheint, die durch die Privilegien einer, wie wir sagen würden, reichs-
unmittelbaren Landschaft beeinflußt war.
Wir verdanken bekanntlich den Zeugenaussagen in dem erst von Jules
Quicherat in seinem vollen Umfange veröffentlichten Rehabilitierungsprozeß eine
Menge wertvoller und authentischer Nachrichten über die Familie und die Jugend¬
jahre der Jungfrau. Das Bild, das sich uns zeigt, ist überaus anmutig und
entspricht in den Hauptzügen dem, das uns in Schillers Prolog in so meister¬
hafter Weise vor Augen gestellt wird. Es fehlen weder der uralte, von der
Bevölkerung mit allerhand Zauber in Verbindung gebrachte Baum, noch dde
geliebte Herde, noch der über das fülle Tal hinziehende, zum Gebet labende
Klang der Mittags- und Abendglocke, noch endlich der beharrliche, nicht nn-
genommne und anch nicht endgiltig zurückgewiesue Freier. Zwei Herzens-
sreuudinnen, die Nachbarstvchter Mengette und Johannas „Spezi" Hauviette
sowie die von Pereeval de Boulainvilliers in einem Briefe beiläufig konstatierte
Tatsache, daß die Jungfrau ihre Altersgenossinnen im Wettlauf aufstand und
geradezu „zu fliegen schien," bringen uns die Heldin menschlich näher. Es
war im Jahre 1425, dem dreizehnten in Johannas so kurzem und doch so
ereignisreichen Leben, daß sie zum erstenmal die Stimmen zu hören glaubte,
die sie aus der Heimat weg — und zur Erfüllung einer uns allerdings wie
lustigste Legende anmutenden, aber sich vor unsern erstaunten Angen in" harte,
handgreifliche Tatsache umsetzenden Sendung ausriefen. Diese Stimme» und
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