Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Junge Herzen Ich gab dir eine gute Erziehung: ich ließ dich das Lehrerinnenexamen machen Als mein Mann und ich von der Reise zurückkamen, glaubten alle, daß du Du bist mir auch sehr wenig ähnlich, denn das Herz ist meine starke Seite! Dein Vater ist schon lange tot, und du hast keine Geschwister. Aber außer Du und Desideria, ihr glaubtet, ich würde sterben; ich weiß es recht gut; Anna bleibt vorläufig zuhciuse. Aber sobald ich nach ihr schreibe, kommt sie Erzähle nun deinem Mann und Desideria, was ihnen mitzuteilen du für gut Hier klopfte es an der Tür; die Großmutter öffnete. Ricks und ein andrer Knecht traten ein und trugen die Koffer hinaus. Durch Frau Lönberg sagte mit erregtem Gesicht und bebender Stimme: Geht ins Als die Tür sich wieder geschlossen hatte, sagte Großmutter: Wir fahren mit Ja, natürlich! sagte die Apothekerin, deren Würde während dieser biographischen Junge Herzen Ich gab dir eine gute Erziehung: ich ließ dich das Lehrerinnenexamen machen Als mein Mann und ich von der Reise zurückkamen, glaubten alle, daß du Du bist mir auch sehr wenig ähnlich, denn das Herz ist meine starke Seite! Dein Vater ist schon lange tot, und du hast keine Geschwister. Aber außer Du und Desideria, ihr glaubtet, ich würde sterben; ich weiß es recht gut; Anna bleibt vorläufig zuhciuse. Aber sobald ich nach ihr schreibe, kommt sie Erzähle nun deinem Mann und Desideria, was ihnen mitzuteilen du für gut Hier klopfte es an der Tür; die Großmutter öffnete. Ricks und ein andrer Knecht traten ein und trugen die Koffer hinaus. Durch Frau Lönberg sagte mit erregtem Gesicht und bebender Stimme: Geht ins Als die Tür sich wieder geschlossen hatte, sagte Großmutter: Wir fahren mit Ja, natürlich! sagte die Apothekerin, deren Würde während dieser biographischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296233"/> <fw type="header" place="top"> Junge Herzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1254"> Ich gab dir eine gute Erziehung: ich ließ dich das Lehrerinnenexamen machen<lb/> und verschaffte dir eine ausgezeichnete Stellung. Ja, das ist das einzige, was ich<lb/> mir vorwerfe; denn das Gräfliche konnte die kleine Kutschertochter nicht verdaue».<lb/> Deine Mutter war eine brave Bauerfrau; du hättest dasselbe werden können, wenn<lb/> ich dich nicht adoptiert hätte. Und was war der Dank für meine Güte? Du wurdest<lb/> von Tag zu Tag kühler. Und das gräfliche Kutscherblut, das in deinen Adern<lb/> rollt, knallte wie eine Peitsche auf deiner Zunge, wo es sich um deine Umgebung,<lb/> namentlich um deine Untergebnen handelte. Jetzt aber wendet es sich gegen dich;<lb/> ja, es ist schlimm, wenn man nach andern schlägt, selbst die Peitsche im Gesicht<lb/> zu fühlen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1255"> Als mein Mann und ich von der Reise zurückkamen, glaubten alle, daß du<lb/> unser Kind seiest. Aber als du heranwuchsest, hörte ich oft, daß man sich darüber<lb/> wunderte, wie wenig dn mir glichest.</p><lb/> <p xml:id="ID_1256"> Du bist mir auch sehr wenig ähnlich, denn das Herz ist meine starke Seite!<lb/> Du aber liebst nur die Grafenkrone und dich selbst! Du hast ein lächerliches<lb/> Streben nach Vornehmheit, wie so manche hier in der Gegend.</p><lb/> <p xml:id="ID_1257"> Dein Vater ist schon lange tot, und du hast keine Geschwister. Aber außer<lb/> mir lebt noch einer, der von deiner Geburt und Herkunft weiß: der brave alte<lb/> Pfarrer des Kirchspiels auf Fünen, wo du geboren bist. Er hat dich getauft und<lb/> wird jeden Augenblick die Richtigkeit meiner Aussage bescheinigen können. Und so<lb/> wahr ich hier sitze, es soll hier in der ganzen Gegend bekannt gemacht und gerichtlich<lb/> veröffentlicht werden, sobald du die geringste Einwendung gegen die Dispositionen<lb/> machst, die ich jetzt zu treffen gedenke.</p><lb/> <p xml:id="ID_1258"> Du und Desideria, ihr glaubtet, ich würde sterben; ich weiß es recht gut;<lb/> und deswegen mißhandeltet ihr beide das arme Mädchen, das euch nie etwas<lb/> andres als gutes getan hat. Jetzt fahre ich zu Rechtsanwalt Krarup. Das Geld,<lb/> das ich in die Apotheke eingeschossen habe, kann stehn bleiben. Aber in meinem<lb/> Testament werden Anna, Preber und — eine Dritte, deren Name hier im Hause<lb/> verpönt ist, meine drei Haupterben sein. Ich trage von nun an die Kosten für Annas<lb/> und Prebens Ausbildung. Preber soll nach den Sommerferien aufs Gymnasium.</p><lb/> <p xml:id="ID_1259"> Anna bleibt vorläufig zuhciuse. Aber sobald ich nach ihr schreibe, kommt sie<lb/> zu mir, wo ich auch sein mag, und bleibt bis zu ihrer Konfirmation bei mir. Mit<lb/> Ausnahme der Ferien, wo sie nach Hause reist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1260"> Erzähle nun deinem Mann und Desideria, was ihnen mitzuteilen du für gut<lb/> befindest. Deine Herkunft will ich weder ihm noch andern gegenüber erwähnen,<lb/> falls du es nicht selber wünschen solltest. Sollte das aber geschehen, so hoffe ich,<lb/> daß du deiner Familie die gebührende Ehrfurcht erweist und an meiner Stelle die<lb/> Schwester deiner Mutter in dein Haus aufnimmst. Ich weiß nämlich, daß sie<lb/> augenblicklich gräfliche Gartenarbeiterin auf Fünen ist. Sie kann ja passenderweise<lb/> die Honneurs machen, wenn deine gräflichen Bekannten dich besuchen. Wenn sie<lb/> auch noch etwas Unkraut hier in der Apotheke und in der Umgegend ausjäten<lb/> kann, so füllt sie ja ihren Platz gut aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1261"> Hier klopfte es an der Tür; die Großmutter öffnete.</p><lb/> <p xml:id="ID_1262"> Ricks und ein andrer Knecht traten ein und trugen die Koffer hinaus. Durch<lb/> die offne Tür sah man ans dem Boden den Apotheker und Desideria mit dem<lb/> Ausdruck höchsten Erstaunens in ihren Mienen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1263"> Frau Lönberg sagte mit erregtem Gesicht und bebender Stimme: Geht ins<lb/> Boudoir hinab, ich komme gleich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1264"> Als die Tür sich wieder geschlossen hatte, sagte Großmutter: Wir fahren mit<lb/> dem Zug, der zehn Uhr dreißig Minuten von der Station abgeht, also werden<lb/> wir in einer halben Stunde fahren müssen. Ich hoffe, ihr erlaubt, daß ich über<lb/> Ricks disponiere.</p><lb/> <p xml:id="ID_1265"> Ja, natürlich! sagte die Apothekerin, deren Würde während dieser biographischen<lb/> Mitteilungen auf ein Minimum gesunken war.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0222]
Junge Herzen
Ich gab dir eine gute Erziehung: ich ließ dich das Lehrerinnenexamen machen
und verschaffte dir eine ausgezeichnete Stellung. Ja, das ist das einzige, was ich
mir vorwerfe; denn das Gräfliche konnte die kleine Kutschertochter nicht verdaue».
Deine Mutter war eine brave Bauerfrau; du hättest dasselbe werden können, wenn
ich dich nicht adoptiert hätte. Und was war der Dank für meine Güte? Du wurdest
von Tag zu Tag kühler. Und das gräfliche Kutscherblut, das in deinen Adern
rollt, knallte wie eine Peitsche auf deiner Zunge, wo es sich um deine Umgebung,
namentlich um deine Untergebnen handelte. Jetzt aber wendet es sich gegen dich;
ja, es ist schlimm, wenn man nach andern schlägt, selbst die Peitsche im Gesicht
zu fühlen!
Als mein Mann und ich von der Reise zurückkamen, glaubten alle, daß du
unser Kind seiest. Aber als du heranwuchsest, hörte ich oft, daß man sich darüber
wunderte, wie wenig dn mir glichest.
Du bist mir auch sehr wenig ähnlich, denn das Herz ist meine starke Seite!
Du aber liebst nur die Grafenkrone und dich selbst! Du hast ein lächerliches
Streben nach Vornehmheit, wie so manche hier in der Gegend.
Dein Vater ist schon lange tot, und du hast keine Geschwister. Aber außer
mir lebt noch einer, der von deiner Geburt und Herkunft weiß: der brave alte
Pfarrer des Kirchspiels auf Fünen, wo du geboren bist. Er hat dich getauft und
wird jeden Augenblick die Richtigkeit meiner Aussage bescheinigen können. Und so
wahr ich hier sitze, es soll hier in der ganzen Gegend bekannt gemacht und gerichtlich
veröffentlicht werden, sobald du die geringste Einwendung gegen die Dispositionen
machst, die ich jetzt zu treffen gedenke.
Du und Desideria, ihr glaubtet, ich würde sterben; ich weiß es recht gut;
und deswegen mißhandeltet ihr beide das arme Mädchen, das euch nie etwas
andres als gutes getan hat. Jetzt fahre ich zu Rechtsanwalt Krarup. Das Geld,
das ich in die Apotheke eingeschossen habe, kann stehn bleiben. Aber in meinem
Testament werden Anna, Preber und — eine Dritte, deren Name hier im Hause
verpönt ist, meine drei Haupterben sein. Ich trage von nun an die Kosten für Annas
und Prebens Ausbildung. Preber soll nach den Sommerferien aufs Gymnasium.
Anna bleibt vorläufig zuhciuse. Aber sobald ich nach ihr schreibe, kommt sie
zu mir, wo ich auch sein mag, und bleibt bis zu ihrer Konfirmation bei mir. Mit
Ausnahme der Ferien, wo sie nach Hause reist.
Erzähle nun deinem Mann und Desideria, was ihnen mitzuteilen du für gut
befindest. Deine Herkunft will ich weder ihm noch andern gegenüber erwähnen,
falls du es nicht selber wünschen solltest. Sollte das aber geschehen, so hoffe ich,
daß du deiner Familie die gebührende Ehrfurcht erweist und an meiner Stelle die
Schwester deiner Mutter in dein Haus aufnimmst. Ich weiß nämlich, daß sie
augenblicklich gräfliche Gartenarbeiterin auf Fünen ist. Sie kann ja passenderweise
die Honneurs machen, wenn deine gräflichen Bekannten dich besuchen. Wenn sie
auch noch etwas Unkraut hier in der Apotheke und in der Umgegend ausjäten
kann, so füllt sie ja ihren Platz gut aus.
Hier klopfte es an der Tür; die Großmutter öffnete.
Ricks und ein andrer Knecht traten ein und trugen die Koffer hinaus. Durch
die offne Tür sah man ans dem Boden den Apotheker und Desideria mit dem
Ausdruck höchsten Erstaunens in ihren Mienen.
Frau Lönberg sagte mit erregtem Gesicht und bebender Stimme: Geht ins
Boudoir hinab, ich komme gleich.
Als die Tür sich wieder geschlossen hatte, sagte Großmutter: Wir fahren mit
dem Zug, der zehn Uhr dreißig Minuten von der Station abgeht, also werden
wir in einer halben Stunde fahren müssen. Ich hoffe, ihr erlaubt, daß ich über
Ricks disponiere.
Ja, natürlich! sagte die Apothekerin, deren Würde während dieser biographischen
Mitteilungen auf ein Minimum gesunken war.
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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