Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Junge Herzen Sind die Kinder noch nicht auf? Nein, sie schlafen noch; ich denke, das ist eine Folge des gestrigen Gewitters. Ja, es war ein schwüler Tag, aber das Gewitter hat die Luft gereinigt. Frau Lönberg, die jetzt einsah, daß Großmutter ihr letztes Wort geredet hatte, Nach einer Weile kam Helene reisefertig gekleidet zu Großmutter herein, und Großmutter erzählte Helene, was sie von dem eben geschehenen zu wissen Nach einer Weile sagte er: Ich hörte so ein Gerummel, und da sah ich Ricks Wieder ein heftiger Anfall. Großmutter ließ ihn sich ausweinen. Dann beugte sie sich zu ihm hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Da sprang er auf und sagte: Ja, da kannst du Gift drauf nehmen; ich will Und mit einem Satz war er zur Tür hinaus. Währenddes saß Helene in ihrem Zimmer. Sie dachte an alle die Stunden, Da hörte sie Schritte im Zimmer. Und vor ihr stand Anna, bleich und still, Helene nahm sie auf den Schoß und zog sie an sich: Anna, sei jetzt vernünftig, Das weiß ich ganz gut. Ich bin ja auch gar nicht -- so eigentlich -- traurig, Nach einer Weile sah sie auf und suchte zu lächeln; dann sagte sie. halb unter¬ ^ Sie küßte Helene herzlich, sah ihr lange in die Augen, stand dann auf und . Sie tat ein paar Schritte und sagte dann mit schwachem Lächeln: So, jetzt Helene nickte. Junge Herzen Sind die Kinder noch nicht auf? Nein, sie schlafen noch; ich denke, das ist eine Folge des gestrigen Gewitters. Ja, es war ein schwüler Tag, aber das Gewitter hat die Luft gereinigt. Frau Lönberg, die jetzt einsah, daß Großmutter ihr letztes Wort geredet hatte, Nach einer Weile kam Helene reisefertig gekleidet zu Großmutter herein, und Großmutter erzählte Helene, was sie von dem eben geschehenen zu wissen Nach einer Weile sagte er: Ich hörte so ein Gerummel, und da sah ich Ricks Wieder ein heftiger Anfall. Großmutter ließ ihn sich ausweinen. Dann beugte sie sich zu ihm hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Da sprang er auf und sagte: Ja, da kannst du Gift drauf nehmen; ich will Und mit einem Satz war er zur Tür hinaus. Währenddes saß Helene in ihrem Zimmer. Sie dachte an alle die Stunden, Da hörte sie Schritte im Zimmer. Und vor ihr stand Anna, bleich und still, Helene nahm sie auf den Schoß und zog sie an sich: Anna, sei jetzt vernünftig, Das weiß ich ganz gut. Ich bin ja auch gar nicht — so eigentlich — traurig, Nach einer Weile sah sie auf und suchte zu lächeln; dann sagte sie. halb unter¬ ^ Sie küßte Helene herzlich, sah ihr lange in die Augen, stand dann auf und . Sie tat ein paar Schritte und sagte dann mit schwachem Lächeln: So, jetzt Helene nickte. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0223" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296234"/> <fw type="header" place="top"> Junge Herzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1266"> Sind die Kinder noch nicht auf?</p><lb/> <p xml:id="ID_1267"> Nein, sie schlafen noch; ich denke, das ist eine Folge des gestrigen Gewitters.</p><lb/> <p xml:id="ID_1268"> Ja, es war ein schwüler Tag, aber das Gewitter hat die Luft gereinigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1269"> Frau Lönberg, die jetzt einsah, daß Großmutter ihr letztes Wort geredet hatte,<lb/> schwankte wie berauscht zum Zimmer hinaus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1270"> Nach einer Weile kam Helene reisefertig gekleidet zu Großmutter herein, und<lb/> nun brachte Stine den Tee. 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Gro߬<lb/> mutter, nimm mich mit, ich kann es, weiß Gott, hier nicht aushalten, wenn du<lb/> fortgehst!</p><lb/> <p xml:id="ID_1273"> Wieder ein heftiger Anfall.</p><lb/> <p xml:id="ID_1274"> Großmutter ließ ihn sich ausweinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1275"> Dann beugte sie sich zu ihm hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr.</p><lb/> <p xml:id="ID_1276"> Da sprang er auf und sagte: Ja, da kannst du Gift drauf nehmen; ich will<lb/> ^es schon dahinterklemmen! Glaubst du, daß ich Apotheker werden will? Nein,<lb/> ne Studentenmütze will ich haben — so ne weiße mit rotem Rand, nach der alle<lb/> Äamen gucken —, und dann will ich mit dir in der Östergade spazieren gehn.<lb/> Und wenn ich erst was bin, sollst du bei mir wohnen und die ganze untre Etage<lb/> yaoen, und ich selbst wohne auf dem Boden. Aber jetzt denke ich bloß ans Gym-<lb/> nasmm. Das ist fein! 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Junge Herzen
Sind die Kinder noch nicht auf?
Nein, sie schlafen noch; ich denke, das ist eine Folge des gestrigen Gewitters.
Ja, es war ein schwüler Tag, aber das Gewitter hat die Luft gereinigt.
Frau Lönberg, die jetzt einsah, daß Großmutter ihr letztes Wort geredet hatte,
schwankte wie berauscht zum Zimmer hinaus.
Nach einer Weile kam Helene reisefertig gekleidet zu Großmutter herein, und
nun brachte Stine den Tee. Als sie das Teebrett hingestellt hatte, brach sie in
Tränen aus und eilte aus dein Zimmer.
Großmutter erzählte Helene, was sie von dem eben geschehenen zu wissen
brauchte. Dann ging sie in ihr Zimmer. Kaum aber hatte sie eine Weile da¬
gesessen, als Preber in Hemdärmeln, die Hosenträger vom Rücken herabhängend,
hereingestürzt kam und sich mit einem Ungestüm, das ihm sonst fremd war, ihr
schluchzend in den Schoß warf.
Nach einer Weile sagte er: Ich hörte so ein Gerummel, und da sah ich Ricks
und Michel deinen großen Koffer mit den Messingplatten hernnterschleppen. Gro߬
mutter, nimm mich mit, ich kann es, weiß Gott, hier nicht aushalten, wenn du
fortgehst!
Wieder ein heftiger Anfall.
Großmutter ließ ihn sich ausweinen.
Dann beugte sie sich zu ihm hinab und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Da sprang er auf und sagte: Ja, da kannst du Gift drauf nehmen; ich will
^es schon dahinterklemmen! Glaubst du, daß ich Apotheker werden will? Nein,
ne Studentenmütze will ich haben — so ne weiße mit rotem Rand, nach der alle
Äamen gucken —, und dann will ich mit dir in der Östergade spazieren gehn.
Und wenn ich erst was bin, sollst du bei mir wohnen und die ganze untre Etage
yaoen, und ich selbst wohne auf dem Boden. Aber jetzt denke ich bloß ans Gym-
nasmm. Das ist fein! Ich will gleich runter und es Didrik erzählen!
Und mit einem Satz war er zur Tür hinaus.
Währenddes saß Helene in ihrem Zimmer. Sie dachte an alle die Stunden,
^ sie hier verbracht hatte, und an ihre Lieben daheim. Da schien wie am ersten
^age hier im Hause die Sonne wieder auf die ferne Grönager Kirche. Hatte sie
wirklich ein Opfer gebracht? — Ja, es war doch möglich! — War es denn auch
ein Opfer? — Nein, sicher nicht. — Ja, was dann?
Da hörte sie Schritte im Zimmer. Und vor ihr stand Anna, bleich und still,
Jehör wie ein Taufengel in ihrem weißen Gewände. Sie sagte mit ihrer sanften
stimme: Sie wollten also abreisen, ohne mir Lebewohl zu sagen?
Helene nahm sie auf den Schoß und zog sie an sich: Anna, sei jetzt vernünftig,
ich wollte dich ja nur schonen!
Das weiß ich ganz gut. Ich bin ja auch gar nicht — so eigentlich — traurig,
pissen Sie; denn ich weiß jn, daß Sie es nun gut haben werden. Darüber freue ich
"und so. so schrecklich, daß ich ... und schluchzend barg sie sich an Helenens Brust.
Nach einer Weile sah sie auf und suchte zu lächeln; dann sagte sie. halb unter¬
brochen von den Nachwehen des Weinens: Aber es tut mir doch so furchtbar leid,
°W wir uns trennen sollen. Sie müssen mir ja schreiben, wie es Ihnen geht. ...
^es kann ja nicht ... schreiben, wie ich es fühle; aber ich will immer an Sie denken.
^>cum da ist kein einziger Mensch, den ich so lieb gehabt hätte wie Sie, Fräulein....
^c>, Großmutter ist die einzige; sie hat mir das Ganze erzählt; und wir werden
es wohl gut zusammen bekommen.
^ Sie küßte Helene herzlich, sah ihr lange in die Augen, stand dann auf und
>"gte: Adieu sage ich Ihnen nicht, denn wie weit Sie auch reisen, und wo Sie
«und in der Welt hinkommen mögen, ich bin immer bei Ihnen.
. Sie tat ein paar Schritte und sagte dann mit schwachem Lächeln: So, jetzt
°w ich doch vernünftig.
Helene nickte.
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