Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Junge Herzen Ich will sie schon wecken, darauf kannst du dich verlassen. Mit diesen Worten ging die Kanzleirätin stolz die Treppe hinauf und klopfte Niemand antwortete drinnen. Sie klopfte abermals und noch stärker. Als noch immer niemand antwortete, Da tat sich die Tür auf, und als die Apothekerin eintrat, stand sie Großmutter es glaubte, es sei -- die Gouvernante! stammelte Frau Lönberg ganz entsetzt. ^a, das ist es ja gerade! Jetzt habe ich doch mit eignen Ohren gehört, wie Die Apothekerin stutzte. Großmutter war in Reisetoilette, Helenens zwei Koffer Wo ist die Gouvernante? fragte sie ängstlich. Zu ihrem Entsetzen schloß Großmutter die Tür ab und sagte: In meinem Die Apothekerin sah jetzt, daß sie in eine Falle gegangen war, sah aber keinen Setzen Sie sich, Frau Kanzleirätin, sagte Großmutter mit einer Stimme, die Großmutter fuhr fort: Um es gleich zu sagen: ich verlasse heute dieses Haus. Du weißt aber nicht, daß die Gouvernante einen niederträchtigen Brief über Wahrscheinlich von Fräulein Ipser! Weshalb glaubst du das? Weil sie die einzige "zufällig vorüberkommende" war, die hier in der Gegend Leider ist es auf eine uns unbegreifliche Weise gestern Abend verschwunden. Das ist sehr schade, da ihr ja doch beschlossen hattet, ihr zu kündigen. Woher weißt du das? Das kann ich mir denken! Aber ob es Wohl nicht das beste für alle Teile Ein Jahr nach unsrer Verheiratung hielten mein Mann und ich uus um die Die Apothekerin war graugrün geworden, ihre Hände waren eiskalt, und die Fall nur nicht in Ohnmacht, sagte Großmutter, das hilft dir doch nichts -- Frau Junge Herzen Ich will sie schon wecken, darauf kannst du dich verlassen. Mit diesen Worten ging die Kanzleirätin stolz die Treppe hinauf und klopfte Niemand antwortete drinnen. Sie klopfte abermals und noch stärker. Als noch immer niemand antwortete, Da tat sich die Tür auf, und als die Apothekerin eintrat, stand sie Großmutter es glaubte, es sei — die Gouvernante! stammelte Frau Lönberg ganz entsetzt. ^a, das ist es ja gerade! Jetzt habe ich doch mit eignen Ohren gehört, wie Die Apothekerin stutzte. Großmutter war in Reisetoilette, Helenens zwei Koffer Wo ist die Gouvernante? fragte sie ängstlich. Zu ihrem Entsetzen schloß Großmutter die Tür ab und sagte: In meinem Die Apothekerin sah jetzt, daß sie in eine Falle gegangen war, sah aber keinen Setzen Sie sich, Frau Kanzleirätin, sagte Großmutter mit einer Stimme, die Großmutter fuhr fort: Um es gleich zu sagen: ich verlasse heute dieses Haus. Du weißt aber nicht, daß die Gouvernante einen niederträchtigen Brief über Wahrscheinlich von Fräulein Ipser! Weshalb glaubst du das? Weil sie die einzige „zufällig vorüberkommende" war, die hier in der Gegend Leider ist es auf eine uns unbegreifliche Weise gestern Abend verschwunden. Das ist sehr schade, da ihr ja doch beschlossen hattet, ihr zu kündigen. Woher weißt du das? Das kann ich mir denken! Aber ob es Wohl nicht das beste für alle Teile Ein Jahr nach unsrer Verheiratung hielten mein Mann und ich uus um die Die Apothekerin war graugrün geworden, ihre Hände waren eiskalt, und die Fall nur nicht in Ohnmacht, sagte Großmutter, das hilft dir doch nichts — Frau <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296232"/> <fw type="header" place="top"> Junge Herzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1230"> Ich will sie schon wecken, darauf kannst du dich verlassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1231"> Mit diesen Worten ging die Kanzleirätin stolz die Treppe hinauf und klopfte<lb/> kräftig an die Tür zum Zimmer der Gouvernante.</p><lb/> <p xml:id="ID_1232"> Niemand antwortete drinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1233"> Sie klopfte abermals und noch stärker. 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Junge Herzen
Ich will sie schon wecken, darauf kannst du dich verlassen.
Mit diesen Worten ging die Kanzleirätin stolz die Treppe hinauf und klopfte
kräftig an die Tür zum Zimmer der Gouvernante.
Niemand antwortete drinnen.
Sie klopfte abermals und noch stärker. Als noch immer niemand antwortete,
sagte sie: Der Schlüssel steckt von innen, Sie müssen also da sein. Und wach werden
Sie um diese Zeit des Tages wohl sein; jedenfalls habe ich nicht die Absicht, mich
hier von Ihnen zum Narren halten zu lassen. Wollen Sie wohl augenblicklich —
Da tat sich die Tür auf, und als die Apothekerin eintrat, stand sie Großmutter
von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Diese maß sie mit einem sonderbaren Blick.
es glaubte, es sei — die Gouvernante! stammelte Frau Lönberg ganz entsetzt.
^a, das ist es ja gerade! Jetzt habe ich doch mit eignen Ohren gehört, wie
du ste anredest! ^ >
Die Apothekerin stutzte. Großmutter war in Reisetoilette, Helenens zwei Koffer
standen im Zimmer, und — der gräfliche Ahne hing wieder an seinem alten Platz.
Wo ist die Gouvernante? fragte sie ängstlich.
Zu ihrem Entsetzen schloß Großmutter die Tür ab und sagte: In meinem
Zimmer! Während du über deinen schändlichen Plänen brütetest, haben wir
Kämmerchenvermieten gespielt.
Die Apothekerin sah jetzt, daß sie in eine Falle gegangen war, sah aber keinen
Ausweg, auf dem sie wieder hinauskommen konnte.
Setzen Sie sich, Frau Kanzleirätin, sagte Großmutter mit einer Stimme, die
keinen Widerspruch duldete. Frau Löuberg sank auf einen Stuhl nieder.
Großmutter fuhr fort: Um es gleich zu sagen: ich verlasse heute dieses Haus.
Zehn Jahre bin ich hier gewesen und habe mich niemals sonderlich wohl gefühlt;
jetzt aber haben die Grafenlauuen und deine Bosheit gegen Helene Rörby mir deinen
Charakter in einem solchen Lichte gezeigt, daß alles zwischen uns aus ist.
Du weißt aber nicht, daß die Gouvernante einen niederträchtigen Brief über
uns alle geschrieben hat; ein Bruchstück davon ist gestern von einer zufällig vorüber¬
kommenden gefunden worden.
Wahrscheinlich von Fräulein Ipser!
Weshalb glaubst du das?
Weil sie die einzige „zufällig vorüberkommende" war, die hier in der Gegend
alles aufschnüffelt. Zeige mir das Dokument!
Leider ist es auf eine uns unbegreifliche Weise gestern Abend verschwunden.
Das ist sehr schade, da ihr ja doch beschlossen hattet, ihr zu kündigen.
Woher weißt du das?
Das kann ich mir denken! Aber ob es Wohl nicht das beste für alle Teile
ist, daß das Papier verschwunden ist? Eine gewisse Kanzleirätin wird vermutlich
uicht allzu schmeichelhaft erwähnt sein! Diese Dame muß sich in Zukunft etwas
mehr in acht nehmen. Aber damit du mich und den Schritt, den ich vorzunehmen
gedenke, richtig verstehn kannst, muß ich weit zurückgreifen und dir ein wenig von
deiner Kindheit erzählen, was ein gewisses Interesse für dich haben dürfte.
Ein Jahr nach unsrer Verheiratung hielten mein Mann und ich uus um die
Herbstzeit in Fünen auf. Dort erkrankte ich plötzlich und brachte ein kleines Mädchen
zur Welt, das gleich nach der Geburt starb. Da hörten wir, daß der gräfliche
Kutscher auf dem benachbarten Gut an demselben Tage seine Frau verloren hatte,
die ein neugebornes Kind, ebenfalls ein kleines Mädchen, hinterließ. Das brachte
man mir in dunkler Nacht, nachdem mein eignes Kind in aller Stille begraben
war. Dieses Kind wurde Henriette Mathem getauft und sitzt jetzt als Frau Kanzlei¬
rat Lönberg hier vor mir.
Die Apothekerin war graugrün geworden, ihre Hände waren eiskalt, und die
Augen starrten sonderbar gläsern.
Fall nur nicht in Ohnmacht, sagte Großmutter, das hilft dir doch nichts — Frau
Kanzleirätin! Von nun an bist du für mich eine Fremde!
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