Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren Droschkenkutscher, der schon mehrere Fahrgäste hatte, ob er mich nach Benet mit¬ In Elberfeld fand ich einen Brief und zehn Mark Reisegeld von Mutter Es gefiel mir ja in Harburg im großen und ganzen gut, ich war mit der Im Kondor hörte ich, daß leider alle Stellen besetzt seien. Ich fuhr deshalb Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren Droschkenkutscher, der schon mehrere Fahrgäste hatte, ob er mich nach Benet mit¬ In Elberfeld fand ich einen Brief und zehn Mark Reisegeld von Mutter Es gefiel mir ja in Harburg im großen und ganzen gut, ich war mit der Im Kondor hörte ich, daß leider alle Stellen besetzt seien. Ich fuhr deshalb <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296227"/> <fw type="header" place="top"> Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_1207" prev="#ID_1206"> Droschkenkutscher, der schon mehrere Fahrgäste hatte, ob er mich nach Benet mit¬<lb/> nehmen wollte. Da er dies bejahte und sich auch erbot, meinen Koffer zu be¬<lb/> fördern, setzte ich mich zu ihm auf den Bock und fuhr zum Beucler Bahnhof.<lb/> Dort löste ich ein Billett nach Köln, versäumte aber in Deich aufzusteigen, da ich<lb/> annahm, daß der Zug über die Brücke fahre» würde, und gelangte so wider meinen<lb/> Willen nach Mülheim am Rhein. Hier mußte ich zwanzig Pfennige nachzählen,<lb/> lud meinen Koffer auf die Schulter und fuhr noch an demselben Abend mit dem<lb/> Schiff nach Köln, wo ich in der Herberge zur Heimat zu Abend aß, einer Andacht<lb/> beiwohnte und übernachtete. In Köln waren damals gerade die beiden Zirkusse<lb/> Carr^, und Cvrty-Althoff angekommen, bei denen ich vergebens um Arbeit vorsprach.<lb/> Ich schrieb deshalb an Mutter Kitzmann nach Harburg und bot ihr meine Dienste<lb/> an, indem ich sie bat, mir die Antwort postlagernd nach Aachen zu senden. Ich<lb/> ließ meinen Koffer in Köln stehn und reiste auf Schusters Rappen über Düren<lb/> und Eschweiler nach Aachen und von dort nach Elberfeld; dabei ging ich nicht nur<lb/> auf meinen eignen, sondern auch auf fremden Tappen, wodurch ich zu billigen<lb/> Mahlzeiten kam, da ich bei den Bäckern Brötchen, bei den Fleischern Wurst und<lb/> bei den Bierbrauern Bier erhielt. Dabei gebrauchte ich die Vorsicht, eine seidne<lb/> Mütze und ein rotseidnes Halstuch zu tragen, sodaß ich mehr einem Fleischer als<lb/> einem Bäcker ähnlich sah. Ich bestach also durch mein Äußeres die Fleischer,<lb/> konnte mich aber bei den Bäckern ordnungsgemäß legitimieren und betrachtete<lb/> meine vierzehntägige Wanderung als eine Erholungsreise nach den langen Mühen<lb/> meiner vielseitigen Tätigkeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1208"> In Elberfeld fand ich einen Brief und zehn Mark Reisegeld von Mutter<lb/> Kitzmann vor, fuhr nach Harburg und kam dort am späten Nachmittag an. Ich<lb/> besuchte dann sofort Mutter Kitzmann in der Lindenstraße, wo ich mit großer<lb/> Freude aufgenommen wurde. Abends beim Essen mußte ich meine mannigfaltigen<lb/> Erlebnisse erzählen und fand nachher eine hübsche Schlafkammer für mich bereit.<lb/> Einer der Söhne hatte ein kleines Karussell und eine Schießbude in Sanssouci<lb/> bei Harburg. Mutter Kitzmanu selbst betrieb eine Schießbude und ein Karussell<lb/> in Witsdorf, womit sie aber nur Sonntags zu tun hatte. Ich arbeitete nun<lb/> längere Zeit bei den verschiednen Geschäften der Familie und half dann bei dem<lb/> Planieren eines Platzes, ans dem ein andrer Sohn namens Willy eine Eisbahn<lb/> eröffnen wollte. Bei Eintritt der Kälte wurde der Platz bewässert, und wir mußten<lb/> die Nächte über aufbleiben, um öfters das Wasser mit einem Schlauch über die<lb/> Fläche zu verteilen. Da häufig Schneefälle eintraten, hatten wir viel Arbeit, weil<lb/> der Schnee auf große Haufen zusammengeschaufelt werden mußte, die vorläufig auf<lb/> der Eisbahn liegen blieben, und zwischen denen sich die Schlittschuhläufer hin und<lb/> her bewegten. Abends wurde der Platz durch alte Karusselllaternen erleuchtet.<lb/> Ich erhielt bei Mutter Kitzmann Logis und vorzügliche Kost und die Woche<lb/> drei Mark Lohn. An Sonntagen verdiente ich sechs bis sieben Mark mit<lb/> Schlittschuhanschnallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1209"> Es gefiel mir ja in Harburg im großen und ganzen gut, ich war mit der<lb/> Kost und der Behandlung sehr zufrieden, aber mein Verdienst war doch so gering,<lb/> daß ich beschloß, mich nach einer andern Stelle umzusehen. Ich fuhr deshalb<lb/> wieder einmal nach Hamburg hinüber und sprach in dem großen Etablissement von<lb/> Hagenbeck, das damals noch auf dem Pferdemarkt stand, um Arbeit vor.</p><lb/> <p xml:id="ID_1210" next="#ID_1211"> Im Kondor hörte ich, daß leider alle Stellen besetzt seien. Ich fuhr deshalb<lb/> nach Harburg zurück und schrieb an Bertrams Tierhandlnng in Braunschweig, die<lb/> mich auch engagierte und mir fünf Mark Reisegeld vergütete. Sobald ich den<lb/> Brief erhielt, teilte ich Mutter Kitzmann mit, daß ich eine Stelle gefunden habe<lb/> und am nächsten Morgen abreisen wolle. Sie nahm diese Nachricht zunächst mit<lb/> Gleichmut auf, als ich mich aber am andern Tage verabschiedete, weinte die alte<lb/> Frau wie ein kleines Kind. Sie mochte dabei an unsre gemeinsamen Erlebnisse<lb/> und früherer Zeiten gedenken und besonders an mein Zusammenwirken mit ihrem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0216]
Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren
Droschkenkutscher, der schon mehrere Fahrgäste hatte, ob er mich nach Benet mit¬
nehmen wollte. Da er dies bejahte und sich auch erbot, meinen Koffer zu be¬
fördern, setzte ich mich zu ihm auf den Bock und fuhr zum Beucler Bahnhof.
Dort löste ich ein Billett nach Köln, versäumte aber in Deich aufzusteigen, da ich
annahm, daß der Zug über die Brücke fahre» würde, und gelangte so wider meinen
Willen nach Mülheim am Rhein. Hier mußte ich zwanzig Pfennige nachzählen,
lud meinen Koffer auf die Schulter und fuhr noch an demselben Abend mit dem
Schiff nach Köln, wo ich in der Herberge zur Heimat zu Abend aß, einer Andacht
beiwohnte und übernachtete. In Köln waren damals gerade die beiden Zirkusse
Carr^, und Cvrty-Althoff angekommen, bei denen ich vergebens um Arbeit vorsprach.
Ich schrieb deshalb an Mutter Kitzmann nach Harburg und bot ihr meine Dienste
an, indem ich sie bat, mir die Antwort postlagernd nach Aachen zu senden. Ich
ließ meinen Koffer in Köln stehn und reiste auf Schusters Rappen über Düren
und Eschweiler nach Aachen und von dort nach Elberfeld; dabei ging ich nicht nur
auf meinen eignen, sondern auch auf fremden Tappen, wodurch ich zu billigen
Mahlzeiten kam, da ich bei den Bäckern Brötchen, bei den Fleischern Wurst und
bei den Bierbrauern Bier erhielt. Dabei gebrauchte ich die Vorsicht, eine seidne
Mütze und ein rotseidnes Halstuch zu tragen, sodaß ich mehr einem Fleischer als
einem Bäcker ähnlich sah. Ich bestach also durch mein Äußeres die Fleischer,
konnte mich aber bei den Bäckern ordnungsgemäß legitimieren und betrachtete
meine vierzehntägige Wanderung als eine Erholungsreise nach den langen Mühen
meiner vielseitigen Tätigkeit.
In Elberfeld fand ich einen Brief und zehn Mark Reisegeld von Mutter
Kitzmann vor, fuhr nach Harburg und kam dort am späten Nachmittag an. Ich
besuchte dann sofort Mutter Kitzmann in der Lindenstraße, wo ich mit großer
Freude aufgenommen wurde. Abends beim Essen mußte ich meine mannigfaltigen
Erlebnisse erzählen und fand nachher eine hübsche Schlafkammer für mich bereit.
Einer der Söhne hatte ein kleines Karussell und eine Schießbude in Sanssouci
bei Harburg. Mutter Kitzmanu selbst betrieb eine Schießbude und ein Karussell
in Witsdorf, womit sie aber nur Sonntags zu tun hatte. Ich arbeitete nun
längere Zeit bei den verschiednen Geschäften der Familie und half dann bei dem
Planieren eines Platzes, ans dem ein andrer Sohn namens Willy eine Eisbahn
eröffnen wollte. Bei Eintritt der Kälte wurde der Platz bewässert, und wir mußten
die Nächte über aufbleiben, um öfters das Wasser mit einem Schlauch über die
Fläche zu verteilen. Da häufig Schneefälle eintraten, hatten wir viel Arbeit, weil
der Schnee auf große Haufen zusammengeschaufelt werden mußte, die vorläufig auf
der Eisbahn liegen blieben, und zwischen denen sich die Schlittschuhläufer hin und
her bewegten. Abends wurde der Platz durch alte Karusselllaternen erleuchtet.
Ich erhielt bei Mutter Kitzmann Logis und vorzügliche Kost und die Woche
drei Mark Lohn. An Sonntagen verdiente ich sechs bis sieben Mark mit
Schlittschuhanschnallen.
Es gefiel mir ja in Harburg im großen und ganzen gut, ich war mit der
Kost und der Behandlung sehr zufrieden, aber mein Verdienst war doch so gering,
daß ich beschloß, mich nach einer andern Stelle umzusehen. Ich fuhr deshalb
wieder einmal nach Hamburg hinüber und sprach in dem großen Etablissement von
Hagenbeck, das damals noch auf dem Pferdemarkt stand, um Arbeit vor.
Im Kondor hörte ich, daß leider alle Stellen besetzt seien. Ich fuhr deshalb
nach Harburg zurück und schrieb an Bertrams Tierhandlnng in Braunschweig, die
mich auch engagierte und mir fünf Mark Reisegeld vergütete. Sobald ich den
Brief erhielt, teilte ich Mutter Kitzmann mit, daß ich eine Stelle gefunden habe
und am nächsten Morgen abreisen wolle. Sie nahm diese Nachricht zunächst mit
Gleichmut auf, als ich mich aber am andern Tage verabschiedete, weinte die alte
Frau wie ein kleines Kind. Sie mochte dabei an unsre gemeinsamen Erlebnisse
und früherer Zeiten gedenken und besonders an mein Zusammenwirken mit ihrem
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