Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Junge Herzen Preber war in des Vaters Bett gekrochen, wo er Schutz gegen- das Gewitter Helene schlich lautlos aus dem Zimmer und klopfte bei Großmutter an. Als sie die Tür öffnete, blieb sie erstaunt auf der Schwelle stehn. Das Draußen war es dunkel, der Regen schlug gegen die Fensterscheiben, und in Helene trat ein. Großmutter schloß die Tür ab und bat sie, sich zu setzen. Einen Augenblick saßen sie beide schweigend da und lauschten dem Gewitter. Nach einer Weile sagte sie: Jetzt sollen Sie Großmutters Roman hören! Es ist viele Jahre her. Da traf ich auf einem Ball einen jüngern Mann, Helene -- tun Sie das niemals! Aber es ging doch viel besser, als ich erwartet hatte. Er war ein guter Mann und Dann kam die Zeit, wo wir heiraten wollten. Die Hochzeit sollte im Juni Ich sollte die Veranstaltungen nicht sehen, die ans dem Hofe getroffen wurden, Ich war noch nie so recht eigentlich ans dem Lande gewesen; in der Gegend, Da gewahrte ich plötzlich im Schein eines solchen flammende" Lichtes wie Nach einer Weile kam er zu mir und forderte mich zum Tanz auf. Ich Je mehr der Tag graute, je schwieriger wurde es für mich. Ich hätte ihm ja Junge Herzen Preber war in des Vaters Bett gekrochen, wo er Schutz gegen- das Gewitter Helene schlich lautlos aus dem Zimmer und klopfte bei Großmutter an. Als sie die Tür öffnete, blieb sie erstaunt auf der Schwelle stehn. Das Draußen war es dunkel, der Regen schlug gegen die Fensterscheiben, und in Helene trat ein. Großmutter schloß die Tür ab und bat sie, sich zu setzen. Einen Augenblick saßen sie beide schweigend da und lauschten dem Gewitter. Nach einer Weile sagte sie: Jetzt sollen Sie Großmutters Roman hören! Es ist viele Jahre her. Da traf ich auf einem Ball einen jüngern Mann, Helene — tun Sie das niemals! Aber es ging doch viel besser, als ich erwartet hatte. Er war ein guter Mann und Dann kam die Zeit, wo wir heiraten wollten. Die Hochzeit sollte im Juni Ich sollte die Veranstaltungen nicht sehen, die ans dem Hofe getroffen wurden, Ich war noch nie so recht eigentlich ans dem Lande gewesen; in der Gegend, Da gewahrte ich plötzlich im Schein eines solchen flammende» Lichtes wie Nach einer Weile kam er zu mir und forderte mich zum Tanz auf. Ich Je mehr der Tag graute, je schwieriger wurde es für mich. Ich hätte ihm ja <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296181"/> <fw type="header" place="top"> Junge Herzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1015"> Preber war in des Vaters Bett gekrochen, wo er Schutz gegen- das Gewitter<lb/> gesucht hatte. Und nun schlief er fest und ruhig. Anna war eben im Begriff<lb/> einzuschlafen, als sie aber Helene über sich gebeugt sah, schlang sie die Arme um<lb/> ihren Hals und hielt sie so fest, als handle es sich um eine Trennung für das<lb/> Leben. Dann legte sie sich zurück und schlief gleich ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1016"> Helene schlich lautlos aus dem Zimmer und klopfte bei Großmutter an.</p><lb/> <p xml:id="ID_1017"> Als sie die Tür öffnete, blieb sie erstaunt auf der Schwelle stehn. Das<lb/> Zimmer war strahlend hell erleuchtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1018"> Draußen war es dunkel, der Regen schlug gegen die Fensterscheiben, und in<lb/> der Ferne grollte noch der Donner. Mitten auf dem Tisch aber stand eine Lampe,<lb/> und in ihrem Schein sah Helene eine Schale mit Pfirsichen und Trauben, ein<lb/> Geschenk von der Gräfin, und eine halbe Flasche Champagner mit zwei Gläsern<lb/> stehn. Auf der Kommode und der Konsole standen Lichter und Blumen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1019"> Helene trat ein. Großmutter schloß die Tür ab und bat sie, sich zu setzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1020"> Einen Augenblick saßen sie beide schweigend da und lauschten dem Gewitter.<lb/> Helene sah nach dem Fenster hinüber; dort stand der verachtete Kaktus, der hier<lb/> hereingebracht worden war, weil er bei ihr nicht hatte blühen wollen. Großmutter<lb/> folgte der Richtung ihres Blickes: Sehen Sie, da ist eine große Knospe, die bricht<lb/> noch heute Abend auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1021"> Nach einer Weile sagte sie: Jetzt sollen Sie Großmutters Roman hören!</p><lb/> <p xml:id="ID_1022"> Es ist viele Jahre her. Da traf ich auf einem Ball einen jüngern Mann,<lb/> einen einfachen Landmann aus der Umgegend der Provinzstadt, in der wir wohnten.<lb/> Er hielt um mich an, und ich nahm ihn um meiner armen Eltern willen, denn er<lb/> war reich — sehr reich! Aber ich liebte ihn nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1023"> Helene — tun Sie das niemals!</p><lb/> <p xml:id="ID_1024"> Aber es ging doch viel besser, als ich erwartet hatte. Er war ein guter Mann und<lb/> ein edler Charakter. Und ich fand, daß alles schön und herrlich sei. Ich Ärmste,<lb/> ich kannte die Liebe ja noch nicht! Wenn man das große Feuer im Kamin nicht gesehen<lb/> und gefühlt hat, begnügt man sich ja oft mit einem bescheidnen kleinen Ofenfeuer.</p><lb/> <p xml:id="ID_1025"> Dann kam die Zeit, wo wir heiraten wollten. Die Hochzeit sollte im Juni<lb/> stattfinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1026"> Ich sollte die Veranstaltungen nicht sehen, die ans dem Hofe getroffen wurden,<lb/> und wurde deshalb zu meiner Tante nach Fünen geschickt, bei der ich ein paar<lb/> Monate bleiben sollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1027"> Ich war noch nie so recht eigentlich ans dem Lande gewesen; in der Gegend,<lb/> in der das Gut meines Verlobten lag, war es ziemlich langweilig; hier aber<lb/> machten wir Ausflüge in den Wald und nach Aussichtspunkten, Fahrten zu Wagen<lb/> und mit dem Segelboot. Ich machte auch zum erstenmal in meinem Leben einen<lb/> ordentlichen Ball im Walde mit. Es war am 7. Mai. Der Frühling war in<lb/> diesem Jahre früh gekommen, und die Buchen standen in ihrem schönsten frischen<lb/> Grün. Die hellen Nächte hatten eben begnnen, aber die Luft hatte noch nicht<lb/> ihre volle Klarheit erreicht. Es hingen bunte Lampions in den Bäumen, und es<lb/> wurde Feuerwerk und bengalisches Licht abgebrannt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1028"> Da gewahrte ich plötzlich im Schein eines solchen flammende» Lichtes wie<lb/> eine Offenbarung einen jungen Manu — es our, als riesele mir ein Feuerstrom<lb/> durch die Adern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1029"> Nach einer Weile kam er zu mir und forderte mich zum Tanz auf. Ich<lb/> wußte nicht, wie er hieß, und er fragte nicht nach meinem Namen. Wir tanzten<lb/> die ganze Nacht miteinander und schleuderten zusammen durch den Wald. Da ich<lb/> die einzige ans dem Hause meiner Tante our, die an dem Feste teilnahm, ließ<lb/> ich den Wagen nach Hause fahren. Er begleitete mich zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_1030"> Je mehr der Tag graute, je schwieriger wurde es für mich. Ich hätte ihm ja<lb/> sagen müsse«, daß ich nicht frei sei, aber ich konnte es nicht, ich wagte es nicht.<lb/> Mir graute vor dem, was kommen würde.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0170]
Junge Herzen
Preber war in des Vaters Bett gekrochen, wo er Schutz gegen- das Gewitter
gesucht hatte. Und nun schlief er fest und ruhig. Anna war eben im Begriff
einzuschlafen, als sie aber Helene über sich gebeugt sah, schlang sie die Arme um
ihren Hals und hielt sie so fest, als handle es sich um eine Trennung für das
Leben. Dann legte sie sich zurück und schlief gleich ein.
Helene schlich lautlos aus dem Zimmer und klopfte bei Großmutter an.
Als sie die Tür öffnete, blieb sie erstaunt auf der Schwelle stehn. Das
Zimmer war strahlend hell erleuchtet.
Draußen war es dunkel, der Regen schlug gegen die Fensterscheiben, und in
der Ferne grollte noch der Donner. Mitten auf dem Tisch aber stand eine Lampe,
und in ihrem Schein sah Helene eine Schale mit Pfirsichen und Trauben, ein
Geschenk von der Gräfin, und eine halbe Flasche Champagner mit zwei Gläsern
stehn. Auf der Kommode und der Konsole standen Lichter und Blumen.
Helene trat ein. Großmutter schloß die Tür ab und bat sie, sich zu setzen.
Einen Augenblick saßen sie beide schweigend da und lauschten dem Gewitter.
Helene sah nach dem Fenster hinüber; dort stand der verachtete Kaktus, der hier
hereingebracht worden war, weil er bei ihr nicht hatte blühen wollen. Großmutter
folgte der Richtung ihres Blickes: Sehen Sie, da ist eine große Knospe, die bricht
noch heute Abend auf.
Nach einer Weile sagte sie: Jetzt sollen Sie Großmutters Roman hören!
Es ist viele Jahre her. Da traf ich auf einem Ball einen jüngern Mann,
einen einfachen Landmann aus der Umgegend der Provinzstadt, in der wir wohnten.
Er hielt um mich an, und ich nahm ihn um meiner armen Eltern willen, denn er
war reich — sehr reich! Aber ich liebte ihn nicht.
Helene — tun Sie das niemals!
Aber es ging doch viel besser, als ich erwartet hatte. Er war ein guter Mann und
ein edler Charakter. Und ich fand, daß alles schön und herrlich sei. Ich Ärmste,
ich kannte die Liebe ja noch nicht! Wenn man das große Feuer im Kamin nicht gesehen
und gefühlt hat, begnügt man sich ja oft mit einem bescheidnen kleinen Ofenfeuer.
Dann kam die Zeit, wo wir heiraten wollten. Die Hochzeit sollte im Juni
stattfinden.
Ich sollte die Veranstaltungen nicht sehen, die ans dem Hofe getroffen wurden,
und wurde deshalb zu meiner Tante nach Fünen geschickt, bei der ich ein paar
Monate bleiben sollte.
Ich war noch nie so recht eigentlich ans dem Lande gewesen; in der Gegend,
in der das Gut meines Verlobten lag, war es ziemlich langweilig; hier aber
machten wir Ausflüge in den Wald und nach Aussichtspunkten, Fahrten zu Wagen
und mit dem Segelboot. Ich machte auch zum erstenmal in meinem Leben einen
ordentlichen Ball im Walde mit. Es war am 7. Mai. Der Frühling war in
diesem Jahre früh gekommen, und die Buchen standen in ihrem schönsten frischen
Grün. Die hellen Nächte hatten eben begnnen, aber die Luft hatte noch nicht
ihre volle Klarheit erreicht. Es hingen bunte Lampions in den Bäumen, und es
wurde Feuerwerk und bengalisches Licht abgebrannt.
Da gewahrte ich plötzlich im Schein eines solchen flammende» Lichtes wie
eine Offenbarung einen jungen Manu — es our, als riesele mir ein Feuerstrom
durch die Adern.
Nach einer Weile kam er zu mir und forderte mich zum Tanz auf. Ich
wußte nicht, wie er hieß, und er fragte nicht nach meinem Namen. Wir tanzten
die ganze Nacht miteinander und schleuderten zusammen durch den Wald. Da ich
die einzige ans dem Hause meiner Tante our, die an dem Feste teilnahm, ließ
ich den Wagen nach Hause fahren. Er begleitete mich zurück.
Je mehr der Tag graute, je schwieriger wurde es für mich. Ich hätte ihm ja
sagen müsse«, daß ich nicht frei sei, aber ich konnte es nicht, ich wagte es nicht.
Mir graute vor dem, was kommen würde.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |