Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Zunge Herzen Die Medizinalrätin sagte: Darf ich die Herrschaften bitten, zu Tische zu Ein neuer Donner machte das Haus erbeben. Die Türen zu der erleuchteten Eßstube wurden geöffnet. Indem man hinein¬ Als man sich zu Tische gesetzt hatte, kam ein Mädchen in die Stube, um die Ob nun der Wind wieder gut machen wollte, was er angerichtet hatte, wollen Der Zufall wollte nun, daß Holmsted ans dem Heimwege von einem Kranken¬ Auf einmal wurde es ganz still. Da wehte ihm ein Stück Papier ins Gesicht. Er griff danach, sah. daß es beschrieben war, und überflog es schnell. Einen Augenblick besann er sich, dann schwang er sich aufs Rad und fuhr Und nun leben Sie wohl und sorgen Sie, daß Sie aus dem Bett sind, wenn Er eilte die Treppe hinab und fuhr unter strömendem Gewitterregen nach Von Zeit zu Zeit sah er zum Fenster hinaus, nach dem fernen Nakkerup hinüber, Als Großmutter Helenens Brief gelesen hatte, sagte sie mit strahlendem 23. Die Aönigin der Nacht Es war an demselben Abend gegen neun Uhr. Das Gewitter hatte etwas Da klopfte es an die Tür, und herein trat Großmutter in einem hellen und Helene sprang auf; sie sah auf den ersten Blick, daß Großmutter die alte war Ich habe mich sehr erholt, sagte sie. Auch mein Fuß scheint eine ungewohnte Helene umarmte sie erfreut. Dann sagte Großmutter: Kommen Sie zu mir Als Helene gegangen war, sah Großmutter mit glänzenden Augen das Bild Zunge Herzen Die Medizinalrätin sagte: Darf ich die Herrschaften bitten, zu Tische zu Ein neuer Donner machte das Haus erbeben. Die Türen zu der erleuchteten Eßstube wurden geöffnet. Indem man hinein¬ Als man sich zu Tische gesetzt hatte, kam ein Mädchen in die Stube, um die Ob nun der Wind wieder gut machen wollte, was er angerichtet hatte, wollen Der Zufall wollte nun, daß Holmsted ans dem Heimwege von einem Kranken¬ Auf einmal wurde es ganz still. Da wehte ihm ein Stück Papier ins Gesicht. Er griff danach, sah. daß es beschrieben war, und überflog es schnell. Einen Augenblick besann er sich, dann schwang er sich aufs Rad und fuhr Und nun leben Sie wohl und sorgen Sie, daß Sie aus dem Bett sind, wenn Er eilte die Treppe hinab und fuhr unter strömendem Gewitterregen nach Von Zeit zu Zeit sah er zum Fenster hinaus, nach dem fernen Nakkerup hinüber, Als Großmutter Helenens Brief gelesen hatte, sagte sie mit strahlendem 23. Die Aönigin der Nacht Es war an demselben Abend gegen neun Uhr. Das Gewitter hatte etwas Da klopfte es an die Tür, und herein trat Großmutter in einem hellen und Helene sprang auf; sie sah auf den ersten Blick, daß Großmutter die alte war Ich habe mich sehr erholt, sagte sie. Auch mein Fuß scheint eine ungewohnte Helene umarmte sie erfreut. Dann sagte Großmutter: Kommen Sie zu mir Als Helene gegangen war, sah Großmutter mit glänzenden Augen das Bild <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296180"/> <fw type="header" place="top"> Zunge Herzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_995"> Die Medizinalrätin sagte: Darf ich die Herrschaften bitten, zu Tische zu<lb/> kommen?</p><lb/> <p xml:id="ID_996"> Ein neuer Donner machte das Haus erbeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_997"> Die Türen zu der erleuchteten Eßstube wurden geöffnet. Indem man hinein¬<lb/> ging, sagte Fräulein Ipser lachend: In der Regel pflegt ein Angestellter beim<lb/> Abgang ein Zeugnis zu bekommen, hier ist es aber wohl die Herrschaft, der die<lb/> Leviten gelesen werden!</p><lb/> <p xml:id="ID_998"> Als man sich zu Tische gesetzt hatte, kam ein Mädchen in die Stube, um die<lb/> Fensterbretter abzutrocknen, da der Regen durchzusickern Pflegte. Sie öffnete ein<lb/> Fenster und nahm die Handschuhe weg; da sie aber die Tür nach der Diele hatte<lb/> °sser stehn lassen, entstand starker Zug.</p><lb/> <p xml:id="ID_999"> Ob nun der Wind wieder gut machen wollte, was er angerichtet hatte, wollen<lb/> wir unentschieden lassen. Als aber das Fenster geöffnet wurde, nahm der Zug<lb/> den Brief mit hinaus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1000"> Der Zufall wollte nun, daß Holmsted ans dem Heimwege von einem Kranken¬<lb/> besuch an der Wohnung des Medizinalrath vorüberkam, gerade als das Gewitter<lb/> von neuem auszubrechen drohte. Er radelte in die Allee, die an Naerums Hause<lb/> vorüberführte, und suchte Schutz unter den Bäumen. Da klang der Lärm aus den<lb/> Zimmern zu ihm heraus, und er erkannte Fräulein Jpsens Stimme.</p><lb/> <p xml:id="ID_1001"> Auf einmal wurde es ganz still.</p><lb/> <p xml:id="ID_1002"> Da wehte ihm ein Stück Papier ins Gesicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1003"> Er griff danach, sah. daß es beschrieben war, und überflog es schnell.</p><lb/> <p xml:id="ID_1004"> Einen Augenblick besann er sich, dann schwang er sich aufs Rad und fuhr<lb/> trotz Blitz und Donner zur Apotheke, wo er sich bei Großmutter melden ließ. Er<lb/> erzählte ihr. wo er das Dokument gefunden habe, und daß er Fräulein Jpsens<lb/> Stimme gehört hätte. Mit den Worten: Sie werden das Papier sicher in die<lb/> rechten Hände legen! schloß er seinen Bericht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1005"> Und nun leben Sie wohl und sorgen Sie, daß Sie aus dem Bett sind, wenn<lb/> ich das nächstemal komme!</p><lb/> <p xml:id="ID_1006"> Er eilte die Treppe hinab und fuhr unter strömendem Gewitterregen nach<lb/> Hause, wo er fast die ganze Nacht im Zimmer auf und nieder wanderte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1007"> Von Zeit zu Zeit sah er zum Fenster hinaus, nach dem fernen Nakkerup hinüber,<lb/> wo hin und wieder ein Blitzstrahl den weißen Giebel der Apotheke erhellte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1008"> Als Großmutter Helenens Brief gelesen hatte, sagte sie mit strahlendem<lb/> Lächeln: Die Frucht ist reif; jetzt können wir den Baum schütteln!</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 23. Die Aönigin der Nacht</head><lb/> <p xml:id="ID_1009"> Es war an demselben Abend gegen neun Uhr. Das Gewitter hatte etwas<lb/> nachgelassen. 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Zunge Herzen
Die Medizinalrätin sagte: Darf ich die Herrschaften bitten, zu Tische zu
kommen?
Ein neuer Donner machte das Haus erbeben.
Die Türen zu der erleuchteten Eßstube wurden geöffnet. Indem man hinein¬
ging, sagte Fräulein Ipser lachend: In der Regel pflegt ein Angestellter beim
Abgang ein Zeugnis zu bekommen, hier ist es aber wohl die Herrschaft, der die
Leviten gelesen werden!
Als man sich zu Tische gesetzt hatte, kam ein Mädchen in die Stube, um die
Fensterbretter abzutrocknen, da der Regen durchzusickern Pflegte. Sie öffnete ein
Fenster und nahm die Handschuhe weg; da sie aber die Tür nach der Diele hatte
°sser stehn lassen, entstand starker Zug.
Ob nun der Wind wieder gut machen wollte, was er angerichtet hatte, wollen
wir unentschieden lassen. Als aber das Fenster geöffnet wurde, nahm der Zug
den Brief mit hinaus.
Der Zufall wollte nun, daß Holmsted ans dem Heimwege von einem Kranken¬
besuch an der Wohnung des Medizinalrath vorüberkam, gerade als das Gewitter
von neuem auszubrechen drohte. Er radelte in die Allee, die an Naerums Hause
vorüberführte, und suchte Schutz unter den Bäumen. Da klang der Lärm aus den
Zimmern zu ihm heraus, und er erkannte Fräulein Jpsens Stimme.
Auf einmal wurde es ganz still.
Da wehte ihm ein Stück Papier ins Gesicht.
Er griff danach, sah. daß es beschrieben war, und überflog es schnell.
Einen Augenblick besann er sich, dann schwang er sich aufs Rad und fuhr
trotz Blitz und Donner zur Apotheke, wo er sich bei Großmutter melden ließ. Er
erzählte ihr. wo er das Dokument gefunden habe, und daß er Fräulein Jpsens
Stimme gehört hätte. Mit den Worten: Sie werden das Papier sicher in die
rechten Hände legen! schloß er seinen Bericht.
Und nun leben Sie wohl und sorgen Sie, daß Sie aus dem Bett sind, wenn
ich das nächstemal komme!
Er eilte die Treppe hinab und fuhr unter strömendem Gewitterregen nach
Hause, wo er fast die ganze Nacht im Zimmer auf und nieder wanderte.
Von Zeit zu Zeit sah er zum Fenster hinaus, nach dem fernen Nakkerup hinüber,
wo hin und wieder ein Blitzstrahl den weißen Giebel der Apotheke erhellte.
Als Großmutter Helenens Brief gelesen hatte, sagte sie mit strahlendem
Lächeln: Die Frucht ist reif; jetzt können wir den Baum schütteln!
23. Die Aönigin der Nacht
Es war an demselben Abend gegen neun Uhr. Das Gewitter hatte etwas
nachgelassen. Helene saß in ihrem Zimmer und sah in die Nacht hinaus, die hin
und wieder von einem flammenden Blitz erhellt wurde.
Da klopfte es an die Tür, und herein trat Großmutter in einem hellen und
strahlenden Gewände, keinen Stock in der Hand.
Helene sprang auf; sie sah auf den ersten Blick, daß Großmutter die alte war
und doch wie verjüngt.
Ich habe mich sehr erholt, sagte sie. Auch mein Fuß scheint eine ungewohnte
Kraft bekommen zu haben. Vor mehreren Jahren wurde mir von einem Arzt in
einem deutschen Badeort gesagt, daß ich möglicherweise durch mehrmonatiges Liegen
geheilt werden könnte. Das ist nun geschehen. Und ich werde in Zukunft den
Stock wohl nur noch beim Treppensteigen benutzen müssen.
Helene umarmte sie erfreut. Dann sagte Großmutter: Kommen Sie zu mir
in mein Zimmer, sehen Sie aber erst nach, ob die Kinder schlafen.
Als Helene gegangen war, sah Großmutter mit glänzenden Augen das Bild
von Helenens Vater an. Daraus wandte sie sich schnell um und verließ das
Zimmer.
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