Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Baumwolle ist weniger wertvoll. In Turkestan hat man mit amerikanischem Für Turkestan ist damit ein neues Zeitalter angebrochen. Zugleich dient Nicht allein wirtschaftliche Gründe waren es, die die transkaspische Eisen¬ Baumwolle ist weniger wertvoll. In Turkestan hat man mit amerikanischem Für Turkestan ist damit ein neues Zeitalter angebrochen. Zugleich dient Nicht allein wirtschaftliche Gründe waren es, die die transkaspische Eisen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296022"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_13" prev="#ID_12"> Baumwolle ist weniger wertvoll. In Turkestan hat man mit amerikanischem<lb/> Samen einen vorzüglichen Spinnstoff erhalten. Jahr für Jahr wächst die<lb/> Erntemenge, und nicht mehr fern ist der Tag, wo Rußland als einziges euro¬<lb/> päisches Land von der amerikanischen Baumwolle unabhängig wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_14"> Für Turkestan ist damit ein neues Zeitalter angebrochen. Zugleich dient<lb/> die transkaspische Eisenbahn dem Absatz russischer Erzeugnisse. Geheizt werden<lb/> die Lokomotiven mit den Rückstünden der Naphthaproduktion von Baku. Auf<lb/> den Güterwagen geht der unschätzbare Leuchtstoff in die Hütten der Kirgisen<lb/> und Sarten wie in die Moscheen von Samarkand und Bokhara. Baumwoll-<lb/> zeng, Papier, Messer, Waffen und andre Metallwaren, Zündhölzer aus Ru߬<lb/> land dringen in die entlegensten Ansiedlungen. Längst sind die Tage ent¬<lb/> schwunden, wo der Turkmene und der Kirgise die fremden Erzeugnisse durch<lb/> den indischen Handel erhielt. Beinahe sein ganzer Bedarf wird jetzt durch die<lb/> Russen gedeckt, denn fremde Waren, die etwa über das Schwarze und das<lb/> Kaspische Meer eindringen wollten, befördert die transkaspische Eisenbahn<lb/> einfach gar nicht. Was das Land an Überschüssen erzeugt, zum Beispiel Wolle,<lb/> Felle, Rinder-, Pferde- und Schafhüute, Talg, das findet alles mit Hilfe der<lb/> transkaspischen Bahn seinen Markt. Sie ist es, die dem russischen Handel<lb/> auch die Wege in das nordöstliche Persien öffnet. Von Askabad aus, der<lb/> Hauptstation zwischen dem Kaspischen Meer und Turkestan, geht jetzt eine<lb/> neuzeitliche Kunststraße nach Mesched, der Hauptstadt der persischen Nord¬<lb/> provinz Khorassan. Sie ist sicher nur ein Vorläufer der Eisenbahn. Schon<lb/> jetzt ist der englisch-indische Handel ans Khorassan fast vollständig verdrängt.<lb/> Die Basare, die einst nur englische Waren und indischen Tee kannten, führen<lb/> jetzt fast nur russische Erzeugnisse und chinesischen Tee, den ihnen der russische<lb/> Handel zuführt. Die Klagen der Engländer über das Vordringen des russischen<lb/> Handels in Persien sind begreiflich. Zugleich ist Persien immer mehr in die<lb/> politische Klientel Rußlands geraten — bis allerdings in der neusten Zeit eine<lb/> Wendung in der entgegengesetzten Richtung eingetreten ist. Rußlands Mi߬<lb/> geschick in Ostasien hat auch seinen Glanz in Persien verringert; Englands<lb/> Politik, vom indischen Vizekönig Curzon geschickt geleitet, bemüht sich, ihren<lb/> Einfluß wieder zu gewinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_15" next="#ID_16"> Nicht allein wirtschaftliche Gründe waren es, die die transkaspische Eisen¬<lb/> bahn ins Leben riefen. Ein Kampf Englands und Rußlands um Indien stand<lb/> immer am Horizont der Zukunft. Solange Rußland darauf angewiesen war,<lb/> die zum Angriff aus Indien bestimmten Truppen durch die furchtbaren Sand¬<lb/> wüsten östlich vom Kaspischen Meer marschieren zu lassen, konnte England<lb/> ruhig schlafen. Die Eisenbahn gab jedoch Verkehrshilfsmittel, die man früher<lb/> gar nicht kannte. Jetzt konnten Truppenmassen, ausgestattet mit Artillerie, in<lb/> kurzer Zeit an der Nordgrenze Afghanistans und des nordwestlichen Winkels<lb/> von Indien gebracht werden, denen schwerlich geeignete Streitkräfte gegenüber¬<lb/> gestellt werden könnten. Ja einige Jahre später baute Rußland eine rein<lb/> strategische Bahn — von Verkehr kann hier gar keine Rede sein — von Merw<lb/> nach Kuschk, dem Grenzplatz von Russisch - Turkestan nach Afghanistan hin.<lb/> Kuscht liegt nnr etwa hundert Kilometer nördlich von der zweiten Hauptstadt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Baumwolle ist weniger wertvoll. In Turkestan hat man mit amerikanischem
Samen einen vorzüglichen Spinnstoff erhalten. Jahr für Jahr wächst die
Erntemenge, und nicht mehr fern ist der Tag, wo Rußland als einziges euro¬
päisches Land von der amerikanischen Baumwolle unabhängig wird.
Für Turkestan ist damit ein neues Zeitalter angebrochen. Zugleich dient
die transkaspische Eisenbahn dem Absatz russischer Erzeugnisse. Geheizt werden
die Lokomotiven mit den Rückstünden der Naphthaproduktion von Baku. Auf
den Güterwagen geht der unschätzbare Leuchtstoff in die Hütten der Kirgisen
und Sarten wie in die Moscheen von Samarkand und Bokhara. Baumwoll-
zeng, Papier, Messer, Waffen und andre Metallwaren, Zündhölzer aus Ru߬
land dringen in die entlegensten Ansiedlungen. Längst sind die Tage ent¬
schwunden, wo der Turkmene und der Kirgise die fremden Erzeugnisse durch
den indischen Handel erhielt. Beinahe sein ganzer Bedarf wird jetzt durch die
Russen gedeckt, denn fremde Waren, die etwa über das Schwarze und das
Kaspische Meer eindringen wollten, befördert die transkaspische Eisenbahn
einfach gar nicht. Was das Land an Überschüssen erzeugt, zum Beispiel Wolle,
Felle, Rinder-, Pferde- und Schafhüute, Talg, das findet alles mit Hilfe der
transkaspischen Bahn seinen Markt. Sie ist es, die dem russischen Handel
auch die Wege in das nordöstliche Persien öffnet. Von Askabad aus, der
Hauptstation zwischen dem Kaspischen Meer und Turkestan, geht jetzt eine
neuzeitliche Kunststraße nach Mesched, der Hauptstadt der persischen Nord¬
provinz Khorassan. Sie ist sicher nur ein Vorläufer der Eisenbahn. Schon
jetzt ist der englisch-indische Handel ans Khorassan fast vollständig verdrängt.
Die Basare, die einst nur englische Waren und indischen Tee kannten, führen
jetzt fast nur russische Erzeugnisse und chinesischen Tee, den ihnen der russische
Handel zuführt. Die Klagen der Engländer über das Vordringen des russischen
Handels in Persien sind begreiflich. Zugleich ist Persien immer mehr in die
politische Klientel Rußlands geraten — bis allerdings in der neusten Zeit eine
Wendung in der entgegengesetzten Richtung eingetreten ist. Rußlands Mi߬
geschick in Ostasien hat auch seinen Glanz in Persien verringert; Englands
Politik, vom indischen Vizekönig Curzon geschickt geleitet, bemüht sich, ihren
Einfluß wieder zu gewinnen.
Nicht allein wirtschaftliche Gründe waren es, die die transkaspische Eisen¬
bahn ins Leben riefen. Ein Kampf Englands und Rußlands um Indien stand
immer am Horizont der Zukunft. Solange Rußland darauf angewiesen war,
die zum Angriff aus Indien bestimmten Truppen durch die furchtbaren Sand¬
wüsten östlich vom Kaspischen Meer marschieren zu lassen, konnte England
ruhig schlafen. Die Eisenbahn gab jedoch Verkehrshilfsmittel, die man früher
gar nicht kannte. Jetzt konnten Truppenmassen, ausgestattet mit Artillerie, in
kurzer Zeit an der Nordgrenze Afghanistans und des nordwestlichen Winkels
von Indien gebracht werden, denen schwerlich geeignete Streitkräfte gegenüber¬
gestellt werden könnten. Ja einige Jahre später baute Rußland eine rein
strategische Bahn — von Verkehr kann hier gar keine Rede sein — von Merw
nach Kuschk, dem Grenzplatz von Russisch - Turkestan nach Afghanistan hin.
Kuscht liegt nnr etwa hundert Kilometer nördlich von der zweiten Hauptstadt
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