Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.Vom Strafmaß für gewisse Fälle "die Körperstrafe als wirksame Zugabe zur Freiheitsstrafe Wir möchten wohl wissen, woher Professor von Rohland seine Kenntnisse Professor von Nohland begründet seinen Wunsch nach Einführung der So prägt sich der Kultnrrückschritt des Standpunkts der Vergeltungsthcorie Vom Strafmaß für gewisse Fälle „die Körperstrafe als wirksame Zugabe zur Freiheitsstrafe Wir möchten wohl wissen, woher Professor von Rohland seine Kenntnisse Professor von Nohland begründet seinen Wunsch nach Einführung der So prägt sich der Kultnrrückschritt des Standpunkts der Vergeltungsthcorie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295309"/> <fw type="header" place="top"> Vom Strafmaß</fw><lb/> <p xml:id="ID_390" prev="#ID_389"> für gewisse Fälle „die Körperstrafe als wirksame Zugabe zur Freiheitsstrafe<lb/> zu verhängen, damit der Verbrecher die Strafe auch als ein wirkliches Übel<lb/> empfinde."</p><lb/> <p xml:id="ID_391"> Wir möchten wohl wissen, woher Professor von Rohland seine Kenntnisse<lb/> über den gegenwärtigen Vollzug der Freiheitsstrafe geschöpft hat. Seine An¬<lb/> sichten mögen ja zutreffen, soweit das Universitätskarzcr und die Festungshaft<lb/> in Betracht kommen; vom Zuchthaus aber zu behaupten, daß es eine milde<lb/> Strafe, oder daß es kein „empfindliches Übel" sei, ist gelinde gesagt gedankenlos.<lb/> Hat Nohland vielleicht schon einmal mit einem Menschen gesprochen, der „nur"<lb/> acht Jahre im Zuchthaus zugebracht hat? Kennt er die Sterblichkeitszahlen<lb/> der Gefängnisse und der Zuchthäuser? Hat er schon einmal darüber nachge¬<lb/> dacht, worin das eigentlich besteht, was er so schlankweg „einfache Freiheits¬<lb/> entziehung mit Arbeitszwang" nennt? Hat er das Buch von Hans Leuß ge¬<lb/> lesen „Aus dem Zuchthause"? Wenn er eine einzige dieser Fragen bejahen<lb/> könnte, würde er wohl schwerlich noch daran zweifeln, daß das Zuchthaus<lb/> auch ohne Prügelstrafe eine furchtbar schwere Strafe, ein wirkliches Übel ver¬<lb/> bunden mit „körperlichen Leiden" ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_392"> Professor von Nohland begründet seinen Wunsch nach Einführung der<lb/> Prügelstrafe mit folgenden Worten: „Wer selbst seine Menschenwürde schändet,<lb/> der hat auch den Anspruch auf Achtung derselben seitens anderer verwirkt und<lb/> kein Recht mehr darauf, daß sein Körper für die Strafe ein moll ins tar^ers<lb/> sei." Abgesehen davon, daß es unverständlich ist, was die geschändete Menschen¬<lb/> würde mit dem moll unz temAA-ö des Körpers zu tun hat, muß man fragen,<lb/> was heißt denn das eigentlich: „Seine Menschenwürde schänden"? Tut das<lb/> nicht zum Beispiel jeder, der sich sinnlos betrinkt oder sich sonst zum Sklaven<lb/> irgend eines Lasters macht? Will Herr von Rohland in allen solchen Füllen<lb/> prügeln? Und wenn die Roheit der Gesinnung des Täters entscheiden soll,<lb/> ob er „Prügel verdient" oder nicht, wer soll denn bei einem so subjektiven Be¬<lb/> griff kompetent genug zur Entscheidung sein? Der Herr Professor möge nicht<lb/> vergessen, daß es recht verständige Leute gibt, die die Anwendung der Prügel¬<lb/> strafe auch für eine Roheit halten; so sagt Leuß (S. 118): „Wenige Jahrzehnte<lb/> hinter uns liegt das Anschmieden von Schwerbestraftcn an Eisenkugeln und<lb/> andre Roheiten, deren Erneuerung von einigen politischen Bauern in unwissender<lb/> Gemeinheit verlangt wird." Und Professor von Liszt sagt in einer kurzen<lb/> Entgegnung auf die Nohlandschen Ausführungen (Deutsche Juristenzeitung, 1903,<lb/> Ur. 23): „Wenn die Vergeltungsidee ohne die Prügelstrafe nicht auskommen<lb/> kann, so hat sie sich selbst gerichtet. Folgerichtiger wäre es, gleich zu den<lb/> Leibesstrafen der peinlichen Gerichtsordnung und ihrer öffentlichen Vollziehung<lb/> zurückzukehren."</p><lb/> <p xml:id="ID_393" next="#ID_394"> So prägt sich der Kultnrrückschritt des Standpunkts der Vergeltungsthcorie<lb/> sofort in den ersten praktischen Forderungen aus, die erhoben werden; aber<lb/> mit Recht stellt Liszt fest, daß Nohland noch weit davon entfernt ist, seinen<lb/> Standpunkt konsequent zu vertreten, sonst müßte er noch ganz andre Forderungen<lb/> aufstellen. Er will, daß die Strafe gerechte Vergeltung sei. Wofür? Das ist<lb/> ihn, offenbar selbst noch nicht recht klar, denn er wechselt die Ausdrücke und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
Vom Strafmaß
für gewisse Fälle „die Körperstrafe als wirksame Zugabe zur Freiheitsstrafe
zu verhängen, damit der Verbrecher die Strafe auch als ein wirkliches Übel
empfinde."
Wir möchten wohl wissen, woher Professor von Rohland seine Kenntnisse
über den gegenwärtigen Vollzug der Freiheitsstrafe geschöpft hat. Seine An¬
sichten mögen ja zutreffen, soweit das Universitätskarzcr und die Festungshaft
in Betracht kommen; vom Zuchthaus aber zu behaupten, daß es eine milde
Strafe, oder daß es kein „empfindliches Übel" sei, ist gelinde gesagt gedankenlos.
Hat Nohland vielleicht schon einmal mit einem Menschen gesprochen, der „nur"
acht Jahre im Zuchthaus zugebracht hat? Kennt er die Sterblichkeitszahlen
der Gefängnisse und der Zuchthäuser? Hat er schon einmal darüber nachge¬
dacht, worin das eigentlich besteht, was er so schlankweg „einfache Freiheits¬
entziehung mit Arbeitszwang" nennt? Hat er das Buch von Hans Leuß ge¬
lesen „Aus dem Zuchthause"? Wenn er eine einzige dieser Fragen bejahen
könnte, würde er wohl schwerlich noch daran zweifeln, daß das Zuchthaus
auch ohne Prügelstrafe eine furchtbar schwere Strafe, ein wirkliches Übel ver¬
bunden mit „körperlichen Leiden" ist.
Professor von Nohland begründet seinen Wunsch nach Einführung der
Prügelstrafe mit folgenden Worten: „Wer selbst seine Menschenwürde schändet,
der hat auch den Anspruch auf Achtung derselben seitens anderer verwirkt und
kein Recht mehr darauf, daß sein Körper für die Strafe ein moll ins tar^ers
sei." Abgesehen davon, daß es unverständlich ist, was die geschändete Menschen¬
würde mit dem moll unz temAA-ö des Körpers zu tun hat, muß man fragen,
was heißt denn das eigentlich: „Seine Menschenwürde schänden"? Tut das
nicht zum Beispiel jeder, der sich sinnlos betrinkt oder sich sonst zum Sklaven
irgend eines Lasters macht? Will Herr von Rohland in allen solchen Füllen
prügeln? Und wenn die Roheit der Gesinnung des Täters entscheiden soll,
ob er „Prügel verdient" oder nicht, wer soll denn bei einem so subjektiven Be¬
griff kompetent genug zur Entscheidung sein? Der Herr Professor möge nicht
vergessen, daß es recht verständige Leute gibt, die die Anwendung der Prügel¬
strafe auch für eine Roheit halten; so sagt Leuß (S. 118): „Wenige Jahrzehnte
hinter uns liegt das Anschmieden von Schwerbestraftcn an Eisenkugeln und
andre Roheiten, deren Erneuerung von einigen politischen Bauern in unwissender
Gemeinheit verlangt wird." Und Professor von Liszt sagt in einer kurzen
Entgegnung auf die Nohlandschen Ausführungen (Deutsche Juristenzeitung, 1903,
Ur. 23): „Wenn die Vergeltungsidee ohne die Prügelstrafe nicht auskommen
kann, so hat sie sich selbst gerichtet. Folgerichtiger wäre es, gleich zu den
Leibesstrafen der peinlichen Gerichtsordnung und ihrer öffentlichen Vollziehung
zurückzukehren."
So prägt sich der Kultnrrückschritt des Standpunkts der Vergeltungsthcorie
sofort in den ersten praktischen Forderungen aus, die erhoben werden; aber
mit Recht stellt Liszt fest, daß Nohland noch weit davon entfernt ist, seinen
Standpunkt konsequent zu vertreten, sonst müßte er noch ganz andre Forderungen
aufstellen. Er will, daß die Strafe gerechte Vergeltung sei. Wofür? Das ist
ihn, offenbar selbst noch nicht recht klar, denn er wechselt die Ausdrücke und
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