Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vom Strafmaß

spricht bald davon, daß die Strafe im richtigen Verhältnis zur "Tat" stehn
müsse, bald soll sie ein der "Verschuldung entsprechendes Leiden" sein, und
dann sollen wieder "die Umstände der Tat" die Strafverschärfungen begründen.
Da aber "Verschuldung," "Tatumstände" und "Tat" sehr verschiedne Dinge
sind, fragt es sich, was von den Dreien oder welches Vierte etwa das sein
konnte, wofür durch die Strafe Vergeltung geübt werden soll. Will die Ver-
geltungsthcorie wirklich folgerichtig sein, so darf sie nur den objektiven Erfolg
ins Auge fassen und muß daun endlich bei dem Grundsatz der Talion anlangen
und "Auge um Auge," "Zahn um Zahn" nehmen. Das ist dann zwar nur
ein äußerlicher, aber immerhin ein fester objektiver Maßstab. Daß dieser nicht
in eine Periode hochentwickelter Kultur wie die unsrige paßt, ist klar; man
vergegenwärtige sich nur, was daraus werden sollte, wenn man Eigentums-
vergehn oder politische Delikte nach dem Grundsatz der Talion strafen wollte.
Aber diese Konsequenz ist nur wieder ein neuer Beweis dafür, welcher furchtbare
Kulturrückschritt in der Durchführung des Vergeltungsprinzips liegen würde.
Sowie man aber die subjektive Seite des Verbrechens in die Vergeltungsstrafe
hineinbringen wollte, würde man völlig ins Uferlose geraten, und eine praktische
Lösung der dann entstehenden Strafrechtsvroblemc wäre überhaupt nicht mehr
möglich. Denn auch wenn es gelänge, ein Strasprozeßverfahren zu erfinden,
worin sich mit einiger Genauigkeit und Sicherheit der Grad des Verschuldens
des Tüters feststellen ließe -- ein Erfolg, von dem unser heutiger Strafprozeß
doch noch himmelweit entfernt ist --, so wird sich doch niemals die subjektive
Leidensfähigkeit des Täters, und noch dazu für viele Jahre, also auf einen
vollständig ungewissen und unbekannten Teil seines Lebens hinaus, feststellen
lassen, wie es doch nötig wäre, wollte man in der Strafe ein wirkliches
Äquivalent, eine "gerechte Vergeltung" schaffen.

Mit Recht sagt Liszt: "Die innere UnHaltbarkeit der Vergeltungsidec kann
gar nicht deutlicher demonstriert werden als durch den Fall Dippold. -- Das
Gericht hat auf Grund der Vergeltungsidee, wie aus der Begründung des Urteils
hervorgeht, die Strafe auf acht Jahre Zuchthaus bemessen; Rohland hält auf
Grund derselben Idee das Höchstmaß von fünfzehn Jahren für allein ange¬
messen. Dasselbe Prinzip führt also zu so verschiednen Ergebnissen. -- Das
ist ja unser alter Vorwurf: Die Vergeltung kann uns zwar sagen, daß gestraft
werden soll, sie ist aber ganz unfähig, uns zu sagen, wie die Strafe zu be¬
messen ist."

So weist sich die Vergeltungsidee im letzten Grunde als eine Utopie aus,
die uus daran erinnert, daß das Wort "Die Rache ist mein, ich will vergelten"
nicht dem Menschen gebührt.




Grenzbote" IV 190412
vom Strafmaß

spricht bald davon, daß die Strafe im richtigen Verhältnis zur „Tat" stehn
müsse, bald soll sie ein der „Verschuldung entsprechendes Leiden" sein, und
dann sollen wieder „die Umstände der Tat" die Strafverschärfungen begründen.
Da aber „Verschuldung," „Tatumstände" und „Tat" sehr verschiedne Dinge
sind, fragt es sich, was von den Dreien oder welches Vierte etwa das sein
konnte, wofür durch die Strafe Vergeltung geübt werden soll. Will die Ver-
geltungsthcorie wirklich folgerichtig sein, so darf sie nur den objektiven Erfolg
ins Auge fassen und muß daun endlich bei dem Grundsatz der Talion anlangen
und „Auge um Auge," „Zahn um Zahn" nehmen. Das ist dann zwar nur
ein äußerlicher, aber immerhin ein fester objektiver Maßstab. Daß dieser nicht
in eine Periode hochentwickelter Kultur wie die unsrige paßt, ist klar; man
vergegenwärtige sich nur, was daraus werden sollte, wenn man Eigentums-
vergehn oder politische Delikte nach dem Grundsatz der Talion strafen wollte.
Aber diese Konsequenz ist nur wieder ein neuer Beweis dafür, welcher furchtbare
Kulturrückschritt in der Durchführung des Vergeltungsprinzips liegen würde.
Sowie man aber die subjektive Seite des Verbrechens in die Vergeltungsstrafe
hineinbringen wollte, würde man völlig ins Uferlose geraten, und eine praktische
Lösung der dann entstehenden Strafrechtsvroblemc wäre überhaupt nicht mehr
möglich. Denn auch wenn es gelänge, ein Strasprozeßverfahren zu erfinden,
worin sich mit einiger Genauigkeit und Sicherheit der Grad des Verschuldens
des Tüters feststellen ließe — ein Erfolg, von dem unser heutiger Strafprozeß
doch noch himmelweit entfernt ist —, so wird sich doch niemals die subjektive
Leidensfähigkeit des Täters, und noch dazu für viele Jahre, also auf einen
vollständig ungewissen und unbekannten Teil seines Lebens hinaus, feststellen
lassen, wie es doch nötig wäre, wollte man in der Strafe ein wirkliches
Äquivalent, eine „gerechte Vergeltung" schaffen.

Mit Recht sagt Liszt: „Die innere UnHaltbarkeit der Vergeltungsidec kann
gar nicht deutlicher demonstriert werden als durch den Fall Dippold. — Das
Gericht hat auf Grund der Vergeltungsidee, wie aus der Begründung des Urteils
hervorgeht, die Strafe auf acht Jahre Zuchthaus bemessen; Rohland hält auf
Grund derselben Idee das Höchstmaß von fünfzehn Jahren für allein ange¬
messen. Dasselbe Prinzip führt also zu so verschiednen Ergebnissen. — Das
ist ja unser alter Vorwurf: Die Vergeltung kann uns zwar sagen, daß gestraft
werden soll, sie ist aber ganz unfähig, uns zu sagen, wie die Strafe zu be¬
messen ist."

So weist sich die Vergeltungsidee im letzten Grunde als eine Utopie aus,
die uus daran erinnert, daß das Wort „Die Rache ist mein, ich will vergelten"
nicht dem Menschen gebührt.




Grenzbote» IV 190412
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295310"/>
          <fw type="header" place="top"> vom Strafmaß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_394" prev="#ID_393"> spricht bald davon, daß die Strafe im richtigen Verhältnis zur &#x201E;Tat" stehn<lb/>
müsse, bald soll sie ein der &#x201E;Verschuldung entsprechendes Leiden" sein, und<lb/>
dann sollen wieder &#x201E;die Umstände der Tat" die Strafverschärfungen begründen.<lb/>
Da aber &#x201E;Verschuldung," &#x201E;Tatumstände" und &#x201E;Tat" sehr verschiedne Dinge<lb/>
sind, fragt es sich, was von den Dreien oder welches Vierte etwa das sein<lb/>
konnte, wofür durch die Strafe Vergeltung geübt werden soll. Will die Ver-<lb/>
geltungsthcorie wirklich folgerichtig sein, so darf sie nur den objektiven Erfolg<lb/>
ins Auge fassen und muß daun endlich bei dem Grundsatz der Talion anlangen<lb/>
und &#x201E;Auge um Auge," &#x201E;Zahn um Zahn" nehmen. Das ist dann zwar nur<lb/>
ein äußerlicher, aber immerhin ein fester objektiver Maßstab. Daß dieser nicht<lb/>
in eine Periode hochentwickelter Kultur wie die unsrige paßt, ist klar; man<lb/>
vergegenwärtige sich nur, was daraus werden sollte, wenn man Eigentums-<lb/>
vergehn oder politische Delikte nach dem Grundsatz der Talion strafen wollte.<lb/>
Aber diese Konsequenz ist nur wieder ein neuer Beweis dafür, welcher furchtbare<lb/>
Kulturrückschritt in der Durchführung des Vergeltungsprinzips liegen würde.<lb/>
Sowie man aber die subjektive Seite des Verbrechens in die Vergeltungsstrafe<lb/>
hineinbringen wollte, würde man völlig ins Uferlose geraten, und eine praktische<lb/>
Lösung der dann entstehenden Strafrechtsvroblemc wäre überhaupt nicht mehr<lb/>
möglich. Denn auch wenn es gelänge, ein Strasprozeßverfahren zu erfinden,<lb/>
worin sich mit einiger Genauigkeit und Sicherheit der Grad des Verschuldens<lb/>
des Tüters feststellen ließe &#x2014; ein Erfolg, von dem unser heutiger Strafprozeß<lb/>
doch noch himmelweit entfernt ist &#x2014;, so wird sich doch niemals die subjektive<lb/>
Leidensfähigkeit des Täters, und noch dazu für viele Jahre, also auf einen<lb/>
vollständig ungewissen und unbekannten Teil seines Lebens hinaus, feststellen<lb/>
lassen, wie es doch nötig wäre, wollte man in der Strafe ein wirkliches<lb/>
Äquivalent, eine &#x201E;gerechte Vergeltung" schaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_395"> Mit Recht sagt Liszt: &#x201E;Die innere UnHaltbarkeit der Vergeltungsidec kann<lb/>
gar nicht deutlicher demonstriert werden als durch den Fall Dippold. &#x2014; Das<lb/>
Gericht hat auf Grund der Vergeltungsidee, wie aus der Begründung des Urteils<lb/>
hervorgeht, die Strafe auf acht Jahre Zuchthaus bemessen; Rohland hält auf<lb/>
Grund derselben Idee das Höchstmaß von fünfzehn Jahren für allein ange¬<lb/>
messen. Dasselbe Prinzip führt also zu so verschiednen Ergebnissen. &#x2014; Das<lb/>
ist ja unser alter Vorwurf: Die Vergeltung kann uns zwar sagen, daß gestraft<lb/>
werden soll, sie ist aber ganz unfähig, uns zu sagen, wie die Strafe zu be¬<lb/>
messen ist."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_396"> So weist sich die Vergeltungsidee im letzten Grunde als eine Utopie aus,<lb/>
die uus daran erinnert, daß das Wort &#x201E;Die Rache ist mein, ich will vergelten"<lb/>
nicht dem Menschen gebührt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbote» IV 190412</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0091] vom Strafmaß spricht bald davon, daß die Strafe im richtigen Verhältnis zur „Tat" stehn müsse, bald soll sie ein der „Verschuldung entsprechendes Leiden" sein, und dann sollen wieder „die Umstände der Tat" die Strafverschärfungen begründen. Da aber „Verschuldung," „Tatumstände" und „Tat" sehr verschiedne Dinge sind, fragt es sich, was von den Dreien oder welches Vierte etwa das sein konnte, wofür durch die Strafe Vergeltung geübt werden soll. Will die Ver- geltungsthcorie wirklich folgerichtig sein, so darf sie nur den objektiven Erfolg ins Auge fassen und muß daun endlich bei dem Grundsatz der Talion anlangen und „Auge um Auge," „Zahn um Zahn" nehmen. Das ist dann zwar nur ein äußerlicher, aber immerhin ein fester objektiver Maßstab. Daß dieser nicht in eine Periode hochentwickelter Kultur wie die unsrige paßt, ist klar; man vergegenwärtige sich nur, was daraus werden sollte, wenn man Eigentums- vergehn oder politische Delikte nach dem Grundsatz der Talion strafen wollte. Aber diese Konsequenz ist nur wieder ein neuer Beweis dafür, welcher furchtbare Kulturrückschritt in der Durchführung des Vergeltungsprinzips liegen würde. Sowie man aber die subjektive Seite des Verbrechens in die Vergeltungsstrafe hineinbringen wollte, würde man völlig ins Uferlose geraten, und eine praktische Lösung der dann entstehenden Strafrechtsvroblemc wäre überhaupt nicht mehr möglich. Denn auch wenn es gelänge, ein Strasprozeßverfahren zu erfinden, worin sich mit einiger Genauigkeit und Sicherheit der Grad des Verschuldens des Tüters feststellen ließe — ein Erfolg, von dem unser heutiger Strafprozeß doch noch himmelweit entfernt ist —, so wird sich doch niemals die subjektive Leidensfähigkeit des Täters, und noch dazu für viele Jahre, also auf einen vollständig ungewissen und unbekannten Teil seines Lebens hinaus, feststellen lassen, wie es doch nötig wäre, wollte man in der Strafe ein wirkliches Äquivalent, eine „gerechte Vergeltung" schaffen. Mit Recht sagt Liszt: „Die innere UnHaltbarkeit der Vergeltungsidec kann gar nicht deutlicher demonstriert werden als durch den Fall Dippold. — Das Gericht hat auf Grund der Vergeltungsidee, wie aus der Begründung des Urteils hervorgeht, die Strafe auf acht Jahre Zuchthaus bemessen; Rohland hält auf Grund derselben Idee das Höchstmaß von fünfzehn Jahren für allein ange¬ messen. Dasselbe Prinzip führt also zu so verschiednen Ergebnissen. — Das ist ja unser alter Vorwurf: Die Vergeltung kann uns zwar sagen, daß gestraft werden soll, sie ist aber ganz unfähig, uns zu sagen, wie die Strafe zu be¬ messen ist." So weist sich die Vergeltungsidee im letzten Grunde als eine Utopie aus, die uus daran erinnert, daß das Wort „Die Rache ist mein, ich will vergelten" nicht dem Menschen gebührt. Grenzbote» IV 190412

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/91
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/91>, abgerufen am 29.06.2024.