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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Aonstantiiwxoliwnische Reiseerlebnisse

und Blumen herausmeißeln. Die vornehmen Moslemin lassen sich und ihre Familien
hier auf asiatischem Boden mit Vorliebe beerdigen, weil sie glauben, daß Europa
einst doch wieder dem Kreuze zufallen werde. Ja der Sultan Mahmud hat hier
an einer Wegkreuzuug sogar sein Liebliugsroß bestatten lassen und über dem Grabe
des Tieres eine auf Marmorsäulen ruhende Kuppel errichtet. Neben diesem Pferde¬
mausoleum erwartete uns ein alter Türke mit einer schöugeschnitzten Tabakdose und
fing ihretwegen einen laugen Handel an, währenddessen es mir glückte, die höchst
charakteristische Erscheinung meuchlings abzuphotographieren.

Allmählich drangen wir dann durch die Stein- und Zypressenwildnis des
Todes bis zu dem Telle (Kloster) durch, dessen Derwische einmal in der Woche
zur Ehre Gottes heulen. Das niedrige Gebäude liegt uoch auf dem Friedhofe und
ist von einer hohen Mauer umgeben. Wir erfuhren hier, daß wir es einmal
wieder mit der Zeit versehen hatten. Die Zeremonie sollte erst um acht Uhr
türkisch, das war um vier Uhr Nachmittags beginnen. Wir hatten noch reichlich
zwei Stunden Zeit bis dahin und begaben uus deshalb zu einem dem Telle schräg
gegenüber gelegnen Kaffeehaus. An einem Tisch im Freien neben einem leicht
plätschernden Springbrunnen sitzend freuten wir uns des mächtigen Zypressenwaldes
um uns her und seines würzigen Duftes. Leider war die Verpflegung mehr als
mäßig. Wir hatten sämtlich einen tüchtigen Hunger mitgebracht, aber es gab nur
Eier, Brot und als herzhaftestes Getränk Limonade Gazeuse, was für germanischen
Geschmack nicht ganz ausreicht. Die Eier wurden uns auf einem Teller serviert
ohne jedes weitere Eßgerät, und als wir um Löffel baten, bekam jeder einen
uesigen hölzernen Rührlöffel, was besonders die gnädige Frau höchlichst amüsierte.
Allmählich fanden sich immer mehr Europäer ein, auch mehrere Damen, und um
vier Uhr öffnete sich uns die Pforte des Telle gegen Erlegung eines Quartciki.

Was wir nun während der nächsten zwei Stunden zu sehe" bekamen, gehört
zu dem sonderbarsten und Aufregendsten, was man überhaupt sehen kann, ein
Gottesdienst, so originell und angreifend, wie es Wohl kaum einen zweiten auf
Erden gibt. Wir wurden auf eine schmale Galerie zu ebner Erde geführt, die ein
hölzernes Gitter vou dein Hauptraume trennte. Uns gegenüber sammelten sich auf einer
unvergitterten Estrade die mohammedanischen Zuschauer. Oberhalb wnreu dicht ver¬
gatterte Logen angebracht für die Frnueu. Wir hatten glücklich noch auf der vor¬
dersten Bank unsre Plätze bekommen und konnten somit das Schauspiel aus
unmittelbarster Nähe betrachten. Ich suchte mein verwundetes Bein in eine möglichst
horizontale Lage zu bringen und steckte es zu diesem Zwecke durch das Gitter.
Aber sofort schritt eiuer der Derwische auf mich los mit einer Miene, als wolle
er mir das Bein bei lebendigem Leibe abhacken, sodaß ich es schleunigst einzog.
Die Zeremonie begann inzwischen höchst langweilig. Die Derwische hockten in eiuer
Reihe auf schwarzwolligen Lammfellen, angetan mit laugen Gewändern und bedeckt
mit grauen, von weißen Tüchern umwundnen Filzkappen. In der Gebetsuische, dem
sogenannten Mihrüb, hockte der würdige Scheik mit besserer Kleidung und besserm
Turban auf einem bessern Lammfell, über ihm in der Nische hingen krumme Säbel
Pistolen und Fahnen -- der Islam verleugnet seine kriegerische Natur auch im
Kloster nicht --, darüber war ein Spruch an die Wand gemalt, den uus Herr
Hauschild so verdeutschte: "Deu Geboten des Propheten sollen wir folgen." Davor
stand ein glimmendes Räuchergefäß. Der Scheik selbst begann nun eine Predigt,
und zwar eine ebenso endlose, wie man sie bisweilen in unsern Kirchen zu hören
bekommt, über das Thema "Tugend und Almosen," ganz wie bei uns in der
guten alten rationalistischen Zeit. Herr Hauschild strengte sich aufs äußerste an
der Predigt zu folgen, aber es wurde ihm schwer, weil sie stark mit arabischen
Ausdrücken und Sprüchen durchsetzt war. Endlich machte der Prediger zu all-
gemeiner Befriedigung Schluß und erhob sich. Darauf setzten sich zwei Vorsänger
in die Mitte des Lokals auf zwei Felle und begannen mit nicht unmelodischer
wenn auch stark näselnder Stimmen einen Wechselgesang, die Derwische wiegten


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und Blumen herausmeißeln. Die vornehmen Moslemin lassen sich und ihre Familien
hier auf asiatischem Boden mit Vorliebe beerdigen, weil sie glauben, daß Europa
einst doch wieder dem Kreuze zufallen werde. Ja der Sultan Mahmud hat hier
an einer Wegkreuzuug sogar sein Liebliugsroß bestatten lassen und über dem Grabe
des Tieres eine auf Marmorsäulen ruhende Kuppel errichtet. Neben diesem Pferde¬
mausoleum erwartete uns ein alter Türke mit einer schöugeschnitzten Tabakdose und
fing ihretwegen einen laugen Handel an, währenddessen es mir glückte, die höchst
charakteristische Erscheinung meuchlings abzuphotographieren.

Allmählich drangen wir dann durch die Stein- und Zypressenwildnis des
Todes bis zu dem Telle (Kloster) durch, dessen Derwische einmal in der Woche
zur Ehre Gottes heulen. Das niedrige Gebäude liegt uoch auf dem Friedhofe und
ist von einer hohen Mauer umgeben. Wir erfuhren hier, daß wir es einmal
wieder mit der Zeit versehen hatten. Die Zeremonie sollte erst um acht Uhr
türkisch, das war um vier Uhr Nachmittags beginnen. Wir hatten noch reichlich
zwei Stunden Zeit bis dahin und begaben uus deshalb zu einem dem Telle schräg
gegenüber gelegnen Kaffeehaus. An einem Tisch im Freien neben einem leicht
plätschernden Springbrunnen sitzend freuten wir uns des mächtigen Zypressenwaldes
um uns her und seines würzigen Duftes. Leider war die Verpflegung mehr als
mäßig. Wir hatten sämtlich einen tüchtigen Hunger mitgebracht, aber es gab nur
Eier, Brot und als herzhaftestes Getränk Limonade Gazeuse, was für germanischen
Geschmack nicht ganz ausreicht. Die Eier wurden uns auf einem Teller serviert
ohne jedes weitere Eßgerät, und als wir um Löffel baten, bekam jeder einen
uesigen hölzernen Rührlöffel, was besonders die gnädige Frau höchlichst amüsierte.
Allmählich fanden sich immer mehr Europäer ein, auch mehrere Damen, und um
vier Uhr öffnete sich uns die Pforte des Telle gegen Erlegung eines Quartciki.

Was wir nun während der nächsten zwei Stunden zu sehe» bekamen, gehört
zu dem sonderbarsten und Aufregendsten, was man überhaupt sehen kann, ein
Gottesdienst, so originell und angreifend, wie es Wohl kaum einen zweiten auf
Erden gibt. Wir wurden auf eine schmale Galerie zu ebner Erde geführt, die ein
hölzernes Gitter vou dein Hauptraume trennte. Uns gegenüber sammelten sich auf einer
unvergitterten Estrade die mohammedanischen Zuschauer. Oberhalb wnreu dicht ver¬
gatterte Logen angebracht für die Frnueu. Wir hatten glücklich noch auf der vor¬
dersten Bank unsre Plätze bekommen und konnten somit das Schauspiel aus
unmittelbarster Nähe betrachten. Ich suchte mein verwundetes Bein in eine möglichst
horizontale Lage zu bringen und steckte es zu diesem Zwecke durch das Gitter.
Aber sofort schritt eiuer der Derwische auf mich los mit einer Miene, als wolle
er mir das Bein bei lebendigem Leibe abhacken, sodaß ich es schleunigst einzog.
Die Zeremonie begann inzwischen höchst langweilig. Die Derwische hockten in eiuer
Reihe auf schwarzwolligen Lammfellen, angetan mit laugen Gewändern und bedeckt
mit grauen, von weißen Tüchern umwundnen Filzkappen. In der Gebetsuische, dem
sogenannten Mihrüb, hockte der würdige Scheik mit besserer Kleidung und besserm
Turban auf einem bessern Lammfell, über ihm in der Nische hingen krumme Säbel
Pistolen und Fahnen — der Islam verleugnet seine kriegerische Natur auch im
Kloster nicht —, darüber war ein Spruch an die Wand gemalt, den uus Herr
Hauschild so verdeutschte: „Deu Geboten des Propheten sollen wir folgen." Davor
stand ein glimmendes Räuchergefäß. Der Scheik selbst begann nun eine Predigt,
und zwar eine ebenso endlose, wie man sie bisweilen in unsern Kirchen zu hören
bekommt, über das Thema „Tugend und Almosen," ganz wie bei uns in der
guten alten rationalistischen Zeit. Herr Hauschild strengte sich aufs äußerste an
der Predigt zu folgen, aber es wurde ihm schwer, weil sie stark mit arabischen
Ausdrücken und Sprüchen durchsetzt war. Endlich machte der Prediger zu all-
gemeiner Befriedigung Schluß und erhob sich. Darauf setzten sich zwei Vorsänger
in die Mitte des Lokals auf zwei Felle und begannen mit nicht unmelodischer
wenn auch stark näselnder Stimmen einen Wechselgesang, die Derwische wiegten


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[0755] Aonstantiiwxoliwnische Reiseerlebnisse und Blumen herausmeißeln. Die vornehmen Moslemin lassen sich und ihre Familien hier auf asiatischem Boden mit Vorliebe beerdigen, weil sie glauben, daß Europa einst doch wieder dem Kreuze zufallen werde. Ja der Sultan Mahmud hat hier an einer Wegkreuzuug sogar sein Liebliugsroß bestatten lassen und über dem Grabe des Tieres eine auf Marmorsäulen ruhende Kuppel errichtet. Neben diesem Pferde¬ mausoleum erwartete uns ein alter Türke mit einer schöugeschnitzten Tabakdose und fing ihretwegen einen laugen Handel an, währenddessen es mir glückte, die höchst charakteristische Erscheinung meuchlings abzuphotographieren. Allmählich drangen wir dann durch die Stein- und Zypressenwildnis des Todes bis zu dem Telle (Kloster) durch, dessen Derwische einmal in der Woche zur Ehre Gottes heulen. Das niedrige Gebäude liegt uoch auf dem Friedhofe und ist von einer hohen Mauer umgeben. Wir erfuhren hier, daß wir es einmal wieder mit der Zeit versehen hatten. Die Zeremonie sollte erst um acht Uhr türkisch, das war um vier Uhr Nachmittags beginnen. Wir hatten noch reichlich zwei Stunden Zeit bis dahin und begaben uus deshalb zu einem dem Telle schräg gegenüber gelegnen Kaffeehaus. An einem Tisch im Freien neben einem leicht plätschernden Springbrunnen sitzend freuten wir uns des mächtigen Zypressenwaldes um uns her und seines würzigen Duftes. Leider war die Verpflegung mehr als mäßig. Wir hatten sämtlich einen tüchtigen Hunger mitgebracht, aber es gab nur Eier, Brot und als herzhaftestes Getränk Limonade Gazeuse, was für germanischen Geschmack nicht ganz ausreicht. Die Eier wurden uns auf einem Teller serviert ohne jedes weitere Eßgerät, und als wir um Löffel baten, bekam jeder einen uesigen hölzernen Rührlöffel, was besonders die gnädige Frau höchlichst amüsierte. Allmählich fanden sich immer mehr Europäer ein, auch mehrere Damen, und um vier Uhr öffnete sich uns die Pforte des Telle gegen Erlegung eines Quartciki. Was wir nun während der nächsten zwei Stunden zu sehe» bekamen, gehört zu dem sonderbarsten und Aufregendsten, was man überhaupt sehen kann, ein Gottesdienst, so originell und angreifend, wie es Wohl kaum einen zweiten auf Erden gibt. Wir wurden auf eine schmale Galerie zu ebner Erde geführt, die ein hölzernes Gitter vou dein Hauptraume trennte. Uns gegenüber sammelten sich auf einer unvergitterten Estrade die mohammedanischen Zuschauer. Oberhalb wnreu dicht ver¬ gatterte Logen angebracht für die Frnueu. Wir hatten glücklich noch auf der vor¬ dersten Bank unsre Plätze bekommen und konnten somit das Schauspiel aus unmittelbarster Nähe betrachten. Ich suchte mein verwundetes Bein in eine möglichst horizontale Lage zu bringen und steckte es zu diesem Zwecke durch das Gitter. Aber sofort schritt eiuer der Derwische auf mich los mit einer Miene, als wolle er mir das Bein bei lebendigem Leibe abhacken, sodaß ich es schleunigst einzog. Die Zeremonie begann inzwischen höchst langweilig. Die Derwische hockten in eiuer Reihe auf schwarzwolligen Lammfellen, angetan mit laugen Gewändern und bedeckt mit grauen, von weißen Tüchern umwundnen Filzkappen. In der Gebetsuische, dem sogenannten Mihrüb, hockte der würdige Scheik mit besserer Kleidung und besserm Turban auf einem bessern Lammfell, über ihm in der Nische hingen krumme Säbel Pistolen und Fahnen — der Islam verleugnet seine kriegerische Natur auch im Kloster nicht —, darüber war ein Spruch an die Wand gemalt, den uus Herr Hauschild so verdeutschte: „Deu Geboten des Propheten sollen wir folgen." Davor stand ein glimmendes Räuchergefäß. Der Scheik selbst begann nun eine Predigt, und zwar eine ebenso endlose, wie man sie bisweilen in unsern Kirchen zu hören bekommt, über das Thema „Tugend und Almosen," ganz wie bei uns in der guten alten rationalistischen Zeit. Herr Hauschild strengte sich aufs äußerste an der Predigt zu folgen, aber es wurde ihm schwer, weil sie stark mit arabischen Ausdrücken und Sprüchen durchsetzt war. Endlich machte der Prediger zu all- gemeiner Befriedigung Schluß und erhob sich. Darauf setzten sich zwei Vorsänger in die Mitte des Lokals auf zwei Felle und begannen mit nicht unmelodischer wenn auch stark näselnder Stimmen einen Wechselgesang, die Derwische wiegten

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/755>, abgerufen am 01.07.2024.