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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Ronstcmtinopolitanische Reiseerlebnisse

es überall. Übrigens hat auch die Mutter des entthronten Sultans Abdul Asif
hier oben einen hübschen Sommerkiosk. Als es an die Zahlung ging, stellte der
Kaimakam als seinen Grundsatz auf, nie zu fragen, was die Zehrung koste. Das
sei den Orientalen gegenüber nicht angebracht. Er berechne den Preis nach der
landesüblichen Taxe und gebe das Geld einfach hin. Dadurch erziehe man die
Leute zur Solidität. Diese schienen freilich mit solchem pädagogischen Verfahren
keineswegs einverstanden zu sein. Der Cafetier vom Bulgurlu wenigstens wollte
absolut noch einige Piaster mehr herausschlagen und folgte uns jammernd und
bettelnd bis fast hinauf auf den Gipfel. Aber der deutsche Kaimakam setzte sein
Erziehungspriuzip siegreich durch, obwohl wir andern gern nach- und zugegeben
Härten. "Man darf die Leute nicht verwöhnen." Bet diesem guten, altpreußischen
Grundsatze blieb es.

Oben ans dem Gipfel bei den drei Bäumen -- es sind verkrüppelte Pla¬
tanen -- genossen wir dann die weite Aussicht. Die Stadt Skutari breitet sich
fächerförmig vom Bulgurlu nach dem Meere aus. Ihr Name Üsküdar ist übrigens
persischen Ursprungs und bedeutet "Eilbote." Denn hier war die erste Poststation
für die nach Asien gehenden Kuriere. Wir sahen die staubige schlechte Landstraße
durch mattgrüne Felder und kahle Hügelketten ostwärts ziehn, auf der so oft die
Sultane ihre Heere zu Kriegen ins Innere Asiens geführt hatten. Jetzt hält hier
der deutsche Kaimakam, wie er erzählte, sehr häufig mit seinen türkischen Offizier¬
schülern taktische und topographische Übungsritte ab. Er lobte übrigens den Eifer
und die Intelligenz dieser Herren und gab sein Urteil über die türkische Armee
im allgemeinen dahin ab, daß sie weit besser sei, als man im Abendlande oft an¬
nehme, und insonderheit eine kraftvolle, nachhaltige Defensive, wenn sie gut geführt
werde, sehr wohl durchzuführen vermöge. Wenn auch die Kavallerie etwas schwach
sei, so sei doch das Soldatenmaterial vorzüglich.

Nach der andern Seite sieht man das Häuser- und Moscheenmeer von Kon-
stnntinopel, südlich über die Kasernen von Haidar-Pascha hinweg die scharf¬
gezeichneten Prinzeninseln mit ihren Bergen und Spitzen und in weiter Ferne den
im Mai noch schneeglänzenden bithynischen Olymp. Auch vom Bosporus kann man
ein gutes Stück überschauen, und besonders den Jagdpnrk des Mdiskiosk hat man
deutlich vor Augen.

Als wir wieder zu unserm an der Quelle wartenden Wagen zurückkehrten,
erschien der winselnde Kaffeewirt von neuem, aber, obwohl nun auch die Frau
Kaimakam für ihn sprach, die altpreußische Ader siegte auch diesesmal über das
gute Herz. Auf steiler, holpriger und staubiger Landstraße fuhren wir denn zu
der Hauptsehenswürdigkeit von Skutari, dem Friedhof, der der schönste, größte
und berühmteste des ganzen Orients ist. Er dehnt sich eine Stunde in die Länge
und eine halbe Stunde in die Breite und erstreckt sich bis zum Dorfe Haidar-
Pascha. Dieses Totengefilde ist weder umgittert noch ummauert, und zahlreiche
öffentliche Verkehrsstraßen durchkreuzen es. Wir entließe" unsern Wagen am Rande
dieses ungeheuern Allahackers und wanderten staunend in den dreifach übereinander
emporsteigenden Wald hinein. Zu unterst nämlich sehen wir einen Wald von wirrem
Gestrüpp und allerhand Unkrnnt, von dem in den ältern Teilen die Gräber förmlich
überwuchert sind. Darüber erhebt sich der Wald der Grabsteine und Grabplatten,
alle aus weißem oder grauem Marmor, die meisten schief, auch hier Neliefiuschriften,
Muschelwerk, Feste und Turbane. Der höchste und bei weitem schönste Wald ist
der dritte, uralte Zypressen von einer Höhe und Stärke, wie man sie selten findet.
Auf krummen Pfaden oder auch ohne Pfad wandert man in tiefem Halbdunkel
-- denn die ernsten Bäume lassen nur wenig Tageslicht durchscheinen -- wie im
Schattenreiche des Todes. Ab und zu kommt man an einen besonders prachtvollen
Stein oder an ein besser gepflegtes vergittertes Grab oder gar an eine mit Ar¬
kaden geschmückte Turbe. Hier und da stößt man auch auf die Arbeitsplätze der
Steinmetzen, die auf deu länglichen Platten die kunstvollen Schriftreltefs, Muscheln


Ronstcmtinopolitanische Reiseerlebnisse

es überall. Übrigens hat auch die Mutter des entthronten Sultans Abdul Asif
hier oben einen hübschen Sommerkiosk. Als es an die Zahlung ging, stellte der
Kaimakam als seinen Grundsatz auf, nie zu fragen, was die Zehrung koste. Das
sei den Orientalen gegenüber nicht angebracht. Er berechne den Preis nach der
landesüblichen Taxe und gebe das Geld einfach hin. Dadurch erziehe man die
Leute zur Solidität. Diese schienen freilich mit solchem pädagogischen Verfahren
keineswegs einverstanden zu sein. Der Cafetier vom Bulgurlu wenigstens wollte
absolut noch einige Piaster mehr herausschlagen und folgte uns jammernd und
bettelnd bis fast hinauf auf den Gipfel. Aber der deutsche Kaimakam setzte sein
Erziehungspriuzip siegreich durch, obwohl wir andern gern nach- und zugegeben
Härten. „Man darf die Leute nicht verwöhnen." Bet diesem guten, altpreußischen
Grundsatze blieb es.

Oben ans dem Gipfel bei den drei Bäumen — es sind verkrüppelte Pla¬
tanen — genossen wir dann die weite Aussicht. Die Stadt Skutari breitet sich
fächerförmig vom Bulgurlu nach dem Meere aus. Ihr Name Üsküdar ist übrigens
persischen Ursprungs und bedeutet „Eilbote." Denn hier war die erste Poststation
für die nach Asien gehenden Kuriere. Wir sahen die staubige schlechte Landstraße
durch mattgrüne Felder und kahle Hügelketten ostwärts ziehn, auf der so oft die
Sultane ihre Heere zu Kriegen ins Innere Asiens geführt hatten. Jetzt hält hier
der deutsche Kaimakam, wie er erzählte, sehr häufig mit seinen türkischen Offizier¬
schülern taktische und topographische Übungsritte ab. Er lobte übrigens den Eifer
und die Intelligenz dieser Herren und gab sein Urteil über die türkische Armee
im allgemeinen dahin ab, daß sie weit besser sei, als man im Abendlande oft an¬
nehme, und insonderheit eine kraftvolle, nachhaltige Defensive, wenn sie gut geführt
werde, sehr wohl durchzuführen vermöge. Wenn auch die Kavallerie etwas schwach
sei, so sei doch das Soldatenmaterial vorzüglich.

Nach der andern Seite sieht man das Häuser- und Moscheenmeer von Kon-
stnntinopel, südlich über die Kasernen von Haidar-Pascha hinweg die scharf¬
gezeichneten Prinzeninseln mit ihren Bergen und Spitzen und in weiter Ferne den
im Mai noch schneeglänzenden bithynischen Olymp. Auch vom Bosporus kann man
ein gutes Stück überschauen, und besonders den Jagdpnrk des Mdiskiosk hat man
deutlich vor Augen.

Als wir wieder zu unserm an der Quelle wartenden Wagen zurückkehrten,
erschien der winselnde Kaffeewirt von neuem, aber, obwohl nun auch die Frau
Kaimakam für ihn sprach, die altpreußische Ader siegte auch diesesmal über das
gute Herz. Auf steiler, holpriger und staubiger Landstraße fuhren wir denn zu
der Hauptsehenswürdigkeit von Skutari, dem Friedhof, der der schönste, größte
und berühmteste des ganzen Orients ist. Er dehnt sich eine Stunde in die Länge
und eine halbe Stunde in die Breite und erstreckt sich bis zum Dorfe Haidar-
Pascha. Dieses Totengefilde ist weder umgittert noch ummauert, und zahlreiche
öffentliche Verkehrsstraßen durchkreuzen es. Wir entließe» unsern Wagen am Rande
dieses ungeheuern Allahackers und wanderten staunend in den dreifach übereinander
emporsteigenden Wald hinein. Zu unterst nämlich sehen wir einen Wald von wirrem
Gestrüpp und allerhand Unkrnnt, von dem in den ältern Teilen die Gräber förmlich
überwuchert sind. Darüber erhebt sich der Wald der Grabsteine und Grabplatten,
alle aus weißem oder grauem Marmor, die meisten schief, auch hier Neliefiuschriften,
Muschelwerk, Feste und Turbane. Der höchste und bei weitem schönste Wald ist
der dritte, uralte Zypressen von einer Höhe und Stärke, wie man sie selten findet.
Auf krummen Pfaden oder auch ohne Pfad wandert man in tiefem Halbdunkel
— denn die ernsten Bäume lassen nur wenig Tageslicht durchscheinen — wie im
Schattenreiche des Todes. Ab und zu kommt man an einen besonders prachtvollen
Stein oder an ein besser gepflegtes vergittertes Grab oder gar an eine mit Ar¬
kaden geschmückte Turbe. Hier und da stößt man auch auf die Arbeitsplätze der
Steinmetzen, die auf deu länglichen Platten die kunstvollen Schriftreltefs, Muscheln


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[0754] Ronstcmtinopolitanische Reiseerlebnisse es überall. Übrigens hat auch die Mutter des entthronten Sultans Abdul Asif hier oben einen hübschen Sommerkiosk. Als es an die Zahlung ging, stellte der Kaimakam als seinen Grundsatz auf, nie zu fragen, was die Zehrung koste. Das sei den Orientalen gegenüber nicht angebracht. Er berechne den Preis nach der landesüblichen Taxe und gebe das Geld einfach hin. Dadurch erziehe man die Leute zur Solidität. Diese schienen freilich mit solchem pädagogischen Verfahren keineswegs einverstanden zu sein. Der Cafetier vom Bulgurlu wenigstens wollte absolut noch einige Piaster mehr herausschlagen und folgte uns jammernd und bettelnd bis fast hinauf auf den Gipfel. Aber der deutsche Kaimakam setzte sein Erziehungspriuzip siegreich durch, obwohl wir andern gern nach- und zugegeben Härten. „Man darf die Leute nicht verwöhnen." Bet diesem guten, altpreußischen Grundsatze blieb es. Oben ans dem Gipfel bei den drei Bäumen — es sind verkrüppelte Pla¬ tanen — genossen wir dann die weite Aussicht. Die Stadt Skutari breitet sich fächerförmig vom Bulgurlu nach dem Meere aus. Ihr Name Üsküdar ist übrigens persischen Ursprungs und bedeutet „Eilbote." Denn hier war die erste Poststation für die nach Asien gehenden Kuriere. Wir sahen die staubige schlechte Landstraße durch mattgrüne Felder und kahle Hügelketten ostwärts ziehn, auf der so oft die Sultane ihre Heere zu Kriegen ins Innere Asiens geführt hatten. Jetzt hält hier der deutsche Kaimakam, wie er erzählte, sehr häufig mit seinen türkischen Offizier¬ schülern taktische und topographische Übungsritte ab. Er lobte übrigens den Eifer und die Intelligenz dieser Herren und gab sein Urteil über die türkische Armee im allgemeinen dahin ab, daß sie weit besser sei, als man im Abendlande oft an¬ nehme, und insonderheit eine kraftvolle, nachhaltige Defensive, wenn sie gut geführt werde, sehr wohl durchzuführen vermöge. Wenn auch die Kavallerie etwas schwach sei, so sei doch das Soldatenmaterial vorzüglich. Nach der andern Seite sieht man das Häuser- und Moscheenmeer von Kon- stnntinopel, südlich über die Kasernen von Haidar-Pascha hinweg die scharf¬ gezeichneten Prinzeninseln mit ihren Bergen und Spitzen und in weiter Ferne den im Mai noch schneeglänzenden bithynischen Olymp. Auch vom Bosporus kann man ein gutes Stück überschauen, und besonders den Jagdpnrk des Mdiskiosk hat man deutlich vor Augen. Als wir wieder zu unserm an der Quelle wartenden Wagen zurückkehrten, erschien der winselnde Kaffeewirt von neuem, aber, obwohl nun auch die Frau Kaimakam für ihn sprach, die altpreußische Ader siegte auch diesesmal über das gute Herz. Auf steiler, holpriger und staubiger Landstraße fuhren wir denn zu der Hauptsehenswürdigkeit von Skutari, dem Friedhof, der der schönste, größte und berühmteste des ganzen Orients ist. Er dehnt sich eine Stunde in die Länge und eine halbe Stunde in die Breite und erstreckt sich bis zum Dorfe Haidar- Pascha. Dieses Totengefilde ist weder umgittert noch ummauert, und zahlreiche öffentliche Verkehrsstraßen durchkreuzen es. Wir entließe» unsern Wagen am Rande dieses ungeheuern Allahackers und wanderten staunend in den dreifach übereinander emporsteigenden Wald hinein. Zu unterst nämlich sehen wir einen Wald von wirrem Gestrüpp und allerhand Unkrnnt, von dem in den ältern Teilen die Gräber förmlich überwuchert sind. Darüber erhebt sich der Wald der Grabsteine und Grabplatten, alle aus weißem oder grauem Marmor, die meisten schief, auch hier Neliefiuschriften, Muschelwerk, Feste und Turbane. Der höchste und bei weitem schönste Wald ist der dritte, uralte Zypressen von einer Höhe und Stärke, wie man sie selten findet. Auf krummen Pfaden oder auch ohne Pfad wandert man in tiefem Halbdunkel — denn die ernsten Bäume lassen nur wenig Tageslicht durchscheinen — wie im Schattenreiche des Todes. Ab und zu kommt man an einen besonders prachtvollen Stein oder an ein besser gepflegtes vergittertes Grab oder gar an eine mit Ar¬ kaden geschmückte Turbe. Hier und da stößt man auch auf die Arbeitsplätze der Steinmetzen, die auf deu länglichen Platten die kunstvollen Schriftreltefs, Muscheln

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/754>, abgerufen am 01.07.2024.