Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Südtirol

italienische Kurse, die der Staat für die Heranbildung seiner Beamten braucht.
Von einer Bewegung gegen die Italiener war an der Universität anfangs keine
Rede, und es ist auch nicht anzunehmen, daß 120 italienische Hörer den
deutschen Charakter einer Stadt von 27000 Einwohnern stark zu beeinflussen
vermöchten. Die Bewegung entstand schließlich an der Universität selbst, und
zwar ursprünglich nicht einmal unter den Studenten, sondern unter den
deutschen Professoren, die durch das Auftreten der in den letzten Jahren an
Zahl vermehrten italienischen Professoren den deutschen Charakter der Univer¬
sität für gefährdet hielten. Sie fanden Unterstützung in der deutschen Bürger¬
schaft und auch unter den deutschen Studenten. Die Italiener verlangen seit
Jahren für sich eine selbständige Universität in Trieft, die österreichische Ne¬
gierung hat aber nicht die geringste Lust, diesem Verlangen zu willfahren,
denn in Trieft würde die Bildungsstätte bei den sattsam bekannten Zuständen
nur zu einem Brutnest des bösartigsten Jrredentismus werden. Unter diefen
Umständen hat die Lösung der italienischen Universitätsfrage in Österreich ihre
besondern Schwierigkeiten, aber begreiflich bleibt der Wunsch der Deutschtiroler,
die Universität nicht im eignen Lande zu haben, wo sie auch nur eine Stütze
der Welschtiroler sein würde. Die österreichische "Volksversöhnung" spiegelt
sich stark im Universitätsleben wieder, und die Jugend handelt nach Stimmungen.
Schon vor einigen Jahren hatten altdeutsche Studenten gegen die italienischen
Vorlesungen in Innsbruck Ausschreitungen begangen, denen regelmäßig österreich¬
feindliche Demonstrationen an italienischen Universitäten folgten. Auch im
Frühjahr 1903 wechselten deutsche Demonstrationen in Innsbruck mit italienischen
in Oberitalien ab und trugen zur gegenseitigen Verstimmung bei. Zum Herbst 1903
war für die italienischen Studenten in Österreich der Ruf "nach Innsbruck"
ausgegeben worden, wo eine "freie italienische Universität" gegründet werden
sollte, und es war vorauszusehen, daß die deutschen Studenten das nicht dulden
würden. Als man in Innsbruck sogenannte "italienische Hochschulkurse" ein¬
zurichten unternahm und der als unklarer Volksredner bekannte Professor
De Guberuatis aus Rom dazu erschien, kam es am 23. und 24. November 1903
zu stürmischen Kundgebungen gegen die Italiener, und der Professor mußte die
Stadt unverrichteter Dinge wieder verlassen. Die gegenseitige Aufreizung und
Verbitterung nahmen überHand, das letzte Sommersemester mußte in Innsbruck
vorzeitig geschlossen werden, und es wurde schließlich notwendig, an die Be¬
seitigung gänzlich unhaltbar gewordner Verhältnisse zu gehn.

Der Ausweg wurde auch bald, wenn auch nicht leicht gefunden. Da die
Regierung an eine italienische Universität in Trieft nicht denken konnte, einigte
man sich im vergangnen Frühjahr dahin, diese in Roveredo zu errichten. Den
Deutschtirolern ist das wohl nicht angenehm, da aber im südlichsten Tirol die
Italiener in geschlossener Masse leben, noch mehr als in Trieft, wohin die
Regierung nicht wollte, und da ihnen als dem zweiten das Land bewohnenden
Stamm das Recht auf eine Universität nicht bestritten werden kann, willigten die
maßgebenden Führer der Deutschen, darunter auch die namhaftesten deutschen
Professoren in Innsbruck, ein. Die Errichtung neuer Universitäten hängt aber
von der Reichsgesetzgebung ab, und unter den obwaltenden Parlamentarischen Ver-


Südtirol

italienische Kurse, die der Staat für die Heranbildung seiner Beamten braucht.
Von einer Bewegung gegen die Italiener war an der Universität anfangs keine
Rede, und es ist auch nicht anzunehmen, daß 120 italienische Hörer den
deutschen Charakter einer Stadt von 27000 Einwohnern stark zu beeinflussen
vermöchten. Die Bewegung entstand schließlich an der Universität selbst, und
zwar ursprünglich nicht einmal unter den Studenten, sondern unter den
deutschen Professoren, die durch das Auftreten der in den letzten Jahren an
Zahl vermehrten italienischen Professoren den deutschen Charakter der Univer¬
sität für gefährdet hielten. Sie fanden Unterstützung in der deutschen Bürger¬
schaft und auch unter den deutschen Studenten. Die Italiener verlangen seit
Jahren für sich eine selbständige Universität in Trieft, die österreichische Ne¬
gierung hat aber nicht die geringste Lust, diesem Verlangen zu willfahren,
denn in Trieft würde die Bildungsstätte bei den sattsam bekannten Zuständen
nur zu einem Brutnest des bösartigsten Jrredentismus werden. Unter diefen
Umständen hat die Lösung der italienischen Universitätsfrage in Österreich ihre
besondern Schwierigkeiten, aber begreiflich bleibt der Wunsch der Deutschtiroler,
die Universität nicht im eignen Lande zu haben, wo sie auch nur eine Stütze
der Welschtiroler sein würde. Die österreichische „Volksversöhnung" spiegelt
sich stark im Universitätsleben wieder, und die Jugend handelt nach Stimmungen.
Schon vor einigen Jahren hatten altdeutsche Studenten gegen die italienischen
Vorlesungen in Innsbruck Ausschreitungen begangen, denen regelmäßig österreich¬
feindliche Demonstrationen an italienischen Universitäten folgten. Auch im
Frühjahr 1903 wechselten deutsche Demonstrationen in Innsbruck mit italienischen
in Oberitalien ab und trugen zur gegenseitigen Verstimmung bei. Zum Herbst 1903
war für die italienischen Studenten in Österreich der Ruf „nach Innsbruck"
ausgegeben worden, wo eine „freie italienische Universität" gegründet werden
sollte, und es war vorauszusehen, daß die deutschen Studenten das nicht dulden
würden. Als man in Innsbruck sogenannte „italienische Hochschulkurse" ein¬
zurichten unternahm und der als unklarer Volksredner bekannte Professor
De Guberuatis aus Rom dazu erschien, kam es am 23. und 24. November 1903
zu stürmischen Kundgebungen gegen die Italiener, und der Professor mußte die
Stadt unverrichteter Dinge wieder verlassen. Die gegenseitige Aufreizung und
Verbitterung nahmen überHand, das letzte Sommersemester mußte in Innsbruck
vorzeitig geschlossen werden, und es wurde schließlich notwendig, an die Be¬
seitigung gänzlich unhaltbar gewordner Verhältnisse zu gehn.

Der Ausweg wurde auch bald, wenn auch nicht leicht gefunden. Da die
Regierung an eine italienische Universität in Trieft nicht denken konnte, einigte
man sich im vergangnen Frühjahr dahin, diese in Roveredo zu errichten. Den
Deutschtirolern ist das wohl nicht angenehm, da aber im südlichsten Tirol die
Italiener in geschlossener Masse leben, noch mehr als in Trieft, wohin die
Regierung nicht wollte, und da ihnen als dem zweiten das Land bewohnenden
Stamm das Recht auf eine Universität nicht bestritten werden kann, willigten die
maßgebenden Führer der Deutschen, darunter auch die namhaftesten deutschen
Professoren in Innsbruck, ein. Die Errichtung neuer Universitäten hängt aber
von der Reichsgesetzgebung ab, und unter den obwaltenden Parlamentarischen Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0735" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295954"/>
          <fw type="header" place="top"> Südtirol</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3709" prev="#ID_3708"> italienische Kurse, die der Staat für die Heranbildung seiner Beamten braucht.<lb/>
Von einer Bewegung gegen die Italiener war an der Universität anfangs keine<lb/>
Rede, und es ist auch nicht anzunehmen, daß 120 italienische Hörer den<lb/>
deutschen Charakter einer Stadt von 27000 Einwohnern stark zu beeinflussen<lb/>
vermöchten.  Die Bewegung entstand schließlich an der Universität selbst, und<lb/>
zwar ursprünglich nicht einmal unter den Studenten, sondern unter den<lb/>
deutschen Professoren, die durch das Auftreten der in den letzten Jahren an<lb/>
Zahl vermehrten italienischen Professoren den deutschen Charakter der Univer¬<lb/>
sität für gefährdet hielten. Sie fanden Unterstützung in der deutschen Bürger¬<lb/>
schaft und auch unter den deutschen Studenten. Die Italiener verlangen seit<lb/>
Jahren für sich eine selbständige Universität in Trieft, die österreichische Ne¬<lb/>
gierung hat aber nicht die geringste Lust, diesem Verlangen zu willfahren,<lb/>
denn in Trieft würde die Bildungsstätte bei den sattsam bekannten Zuständen<lb/>
nur zu einem Brutnest des bösartigsten Jrredentismus werden.  Unter diefen<lb/>
Umständen hat die Lösung der italienischen Universitätsfrage in Österreich ihre<lb/>
besondern Schwierigkeiten, aber begreiflich bleibt der Wunsch der Deutschtiroler,<lb/>
die Universität nicht im eignen Lande zu haben, wo sie auch nur eine Stütze<lb/>
der Welschtiroler sein würde.  Die österreichische &#x201E;Volksversöhnung" spiegelt<lb/>
sich stark im Universitätsleben wieder, und die Jugend handelt nach Stimmungen.<lb/>
Schon vor einigen Jahren hatten altdeutsche Studenten gegen die italienischen<lb/>
Vorlesungen in Innsbruck Ausschreitungen begangen, denen regelmäßig österreich¬<lb/>
feindliche Demonstrationen an italienischen Universitäten folgten.  Auch im<lb/>
Frühjahr 1903 wechselten deutsche Demonstrationen in Innsbruck mit italienischen<lb/>
in Oberitalien ab und trugen zur gegenseitigen Verstimmung bei. Zum Herbst 1903<lb/>
war für die italienischen Studenten in Österreich der Ruf &#x201E;nach Innsbruck"<lb/>
ausgegeben worden, wo eine &#x201E;freie italienische Universität" gegründet werden<lb/>
sollte, und es war vorauszusehen, daß die deutschen Studenten das nicht dulden<lb/>
würden.  Als man in Innsbruck sogenannte &#x201E;italienische Hochschulkurse" ein¬<lb/>
zurichten unternahm und der als unklarer Volksredner bekannte Professor<lb/>
De Guberuatis aus Rom dazu erschien, kam es am 23. und 24. November 1903<lb/>
zu stürmischen Kundgebungen gegen die Italiener, und der Professor mußte die<lb/>
Stadt unverrichteter Dinge wieder verlassen.  Die gegenseitige Aufreizung und<lb/>
Verbitterung nahmen überHand, das letzte Sommersemester mußte in Innsbruck<lb/>
vorzeitig geschlossen werden, und es wurde schließlich notwendig, an die Be¬<lb/>
seitigung gänzlich unhaltbar gewordner Verhältnisse zu gehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3710" next="#ID_3711"> Der Ausweg wurde auch bald, wenn auch nicht leicht gefunden. Da die<lb/>
Regierung an eine italienische Universität in Trieft nicht denken konnte, einigte<lb/>
man sich im vergangnen Frühjahr dahin, diese in Roveredo zu errichten. Den<lb/>
Deutschtirolern ist das wohl nicht angenehm, da aber im südlichsten Tirol die<lb/>
Italiener in geschlossener Masse leben, noch mehr als in Trieft, wohin die<lb/>
Regierung nicht wollte, und da ihnen als dem zweiten das Land bewohnenden<lb/>
Stamm das Recht auf eine Universität nicht bestritten werden kann, willigten die<lb/>
maßgebenden Führer der Deutschen, darunter auch die namhaftesten deutschen<lb/>
Professoren in Innsbruck, ein. Die Errichtung neuer Universitäten hängt aber<lb/>
von der Reichsgesetzgebung ab, und unter den obwaltenden Parlamentarischen Ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0735] Südtirol italienische Kurse, die der Staat für die Heranbildung seiner Beamten braucht. Von einer Bewegung gegen die Italiener war an der Universität anfangs keine Rede, und es ist auch nicht anzunehmen, daß 120 italienische Hörer den deutschen Charakter einer Stadt von 27000 Einwohnern stark zu beeinflussen vermöchten. Die Bewegung entstand schließlich an der Universität selbst, und zwar ursprünglich nicht einmal unter den Studenten, sondern unter den deutschen Professoren, die durch das Auftreten der in den letzten Jahren an Zahl vermehrten italienischen Professoren den deutschen Charakter der Univer¬ sität für gefährdet hielten. Sie fanden Unterstützung in der deutschen Bürger¬ schaft und auch unter den deutschen Studenten. Die Italiener verlangen seit Jahren für sich eine selbständige Universität in Trieft, die österreichische Ne¬ gierung hat aber nicht die geringste Lust, diesem Verlangen zu willfahren, denn in Trieft würde die Bildungsstätte bei den sattsam bekannten Zuständen nur zu einem Brutnest des bösartigsten Jrredentismus werden. Unter diefen Umständen hat die Lösung der italienischen Universitätsfrage in Österreich ihre besondern Schwierigkeiten, aber begreiflich bleibt der Wunsch der Deutschtiroler, die Universität nicht im eignen Lande zu haben, wo sie auch nur eine Stütze der Welschtiroler sein würde. Die österreichische „Volksversöhnung" spiegelt sich stark im Universitätsleben wieder, und die Jugend handelt nach Stimmungen. Schon vor einigen Jahren hatten altdeutsche Studenten gegen die italienischen Vorlesungen in Innsbruck Ausschreitungen begangen, denen regelmäßig österreich¬ feindliche Demonstrationen an italienischen Universitäten folgten. Auch im Frühjahr 1903 wechselten deutsche Demonstrationen in Innsbruck mit italienischen in Oberitalien ab und trugen zur gegenseitigen Verstimmung bei. Zum Herbst 1903 war für die italienischen Studenten in Österreich der Ruf „nach Innsbruck" ausgegeben worden, wo eine „freie italienische Universität" gegründet werden sollte, und es war vorauszusehen, daß die deutschen Studenten das nicht dulden würden. Als man in Innsbruck sogenannte „italienische Hochschulkurse" ein¬ zurichten unternahm und der als unklarer Volksredner bekannte Professor De Guberuatis aus Rom dazu erschien, kam es am 23. und 24. November 1903 zu stürmischen Kundgebungen gegen die Italiener, und der Professor mußte die Stadt unverrichteter Dinge wieder verlassen. Die gegenseitige Aufreizung und Verbitterung nahmen überHand, das letzte Sommersemester mußte in Innsbruck vorzeitig geschlossen werden, und es wurde schließlich notwendig, an die Be¬ seitigung gänzlich unhaltbar gewordner Verhältnisse zu gehn. Der Ausweg wurde auch bald, wenn auch nicht leicht gefunden. Da die Regierung an eine italienische Universität in Trieft nicht denken konnte, einigte man sich im vergangnen Frühjahr dahin, diese in Roveredo zu errichten. Den Deutschtirolern ist das wohl nicht angenehm, da aber im südlichsten Tirol die Italiener in geschlossener Masse leben, noch mehr als in Trieft, wohin die Regierung nicht wollte, und da ihnen als dem zweiten das Land bewohnenden Stamm das Recht auf eine Universität nicht bestritten werden kann, willigten die maßgebenden Führer der Deutschen, darunter auch die namhaftesten deutschen Professoren in Innsbruck, ein. Die Errichtung neuer Universitäten hängt aber von der Reichsgesetzgebung ab, und unter den obwaltenden Parlamentarischen Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/735
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/735>, abgerufen am 01.07.2024.