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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Südtirol

hültnisseu war die schleunige Erledigung eines Gesetzentwurfs über die Universität
in Noveredo nicht zu erwarten. Die Regierung wie die Deutschösterrcicher außer¬
halb Tirols wünschten nicht, daß in diesem Falle der hilfreiche Paragraph 14
angewandt werde, weil eine spätere slawenfreundliche Regierung aus diesem
Prcizedenzfall das Recht ableiten könnte, durch dasselbe Mittel etwa in Mähren
eine tschechische Universität ins Leben zu rufen. Man entschied sich darum dahin,
die italienische Universität provisorisch noch in Innsbruck zu lassen, sie aber
organisatorisch und räumlich von der deutschen Universität zu trennen. Der
Dekan der italienischen juristischen Fakultät wurde der Leiter der Anstalt, das
italienische Professorenkollegium bildete einen akademischen Senat für sich, nur
die akademischen Würden sollte die Universität Innsbruck verleihen, da die neue
italienische Universität noch nicht rechtskräftig bestand. Die deutsche Universität
in Innsbruck erklärte sich mit dein Provisorium, das ja nur noch höchstens
einige Jahre in Innsbruck besteh" sollte, vollständig einverstanden. Die "allein¬
deutschen" Kreise in Innsbruck waren das aber nicht, sie benutzten die Stimmung
der Deutschtirolcr, denen die Errichtung einer italienischen Universität im Lande
überhaupt nicht gefiel, und als Schlagwort mußte wieder die Bedrohung des
deutschen Charakters der Stadt Innsbruck herhalten. Die Bekanntmachung des
Provisoriums wurde Ende September 1904 noch ruhig hingenommen, aber die
Verstimmung wuchs auf deutscher wie auf italienischer Seite, denn auch die
eingefleischter Italiener waren mit der Lösung, die nichts von Trieft enthielt,
unzufrieden. Trotzdem wurde die Eröffnung der "neuen italienischen Universität"
am 3. November nicht ohne Auffälligkeit ins Werk gesetzt, italienische Studenten
aus Wien und Graz trafen zur Feier ein. Das scheint dem Fasse den Boden
ausgeschlagen zu haben. Der Eröffnungsakt ging noch ohne Störung vonstatten,
und die frohe Kunde davon wurde eilig in die Welt telegraphiert. Aber am Abend
kam es zu Demonstrationen vor dem Festlokal der Italiener, diese waren auch
gleich mit dem Revolver zur Hand, und schließlich mußte das Militär mit der
Waffe den blutigen Aufruhrszenen ein Ende machen. Die Lage ist durch diese
Ausbrüche langjähriger gegenseitiger Erbitterung sehr verschürft worden, und es
wird der redlichsten Mühe aller Wohldenkenden bedürfen, noch einem friedlichen
Abkommen den Weg zu bahnen. Wie in allen Füllen, wo die Schuld auf beiden
Seiten liegt, sucht sie jeder dein Gegner allein beizumessen. Der glücklichste
Umstand wäre eine rasche Entscheidung des Reichsrath gewesen, aber die Hoffnung
darauf ist nicht groß, und von seinen Verhandlungen ist eher noch eine Ver¬
schlimmerung zu erwarten. Inzwischen hat aber der Neichsrat wieder vertagt
werden müssen. Der Ausgleich kann nur gefunden werden, wenn Deutsche und
Italiener aufhören, die Universitütsfrage, die doch nun einmal gelöst werden
muß, ausschließlich vom politischen Standpunkt aus zu betrachten und der vor
der Hand einzig praktisch möglichen Lösung, der Errichtung der italienischen
U --y- niversität in Roveredo, zustimmen.




Südtirol

hültnisseu war die schleunige Erledigung eines Gesetzentwurfs über die Universität
in Noveredo nicht zu erwarten. Die Regierung wie die Deutschösterrcicher außer¬
halb Tirols wünschten nicht, daß in diesem Falle der hilfreiche Paragraph 14
angewandt werde, weil eine spätere slawenfreundliche Regierung aus diesem
Prcizedenzfall das Recht ableiten könnte, durch dasselbe Mittel etwa in Mähren
eine tschechische Universität ins Leben zu rufen. Man entschied sich darum dahin,
die italienische Universität provisorisch noch in Innsbruck zu lassen, sie aber
organisatorisch und räumlich von der deutschen Universität zu trennen. Der
Dekan der italienischen juristischen Fakultät wurde der Leiter der Anstalt, das
italienische Professorenkollegium bildete einen akademischen Senat für sich, nur
die akademischen Würden sollte die Universität Innsbruck verleihen, da die neue
italienische Universität noch nicht rechtskräftig bestand. Die deutsche Universität
in Innsbruck erklärte sich mit dein Provisorium, das ja nur noch höchstens
einige Jahre in Innsbruck besteh« sollte, vollständig einverstanden. Die „allein¬
deutschen" Kreise in Innsbruck waren das aber nicht, sie benutzten die Stimmung
der Deutschtirolcr, denen die Errichtung einer italienischen Universität im Lande
überhaupt nicht gefiel, und als Schlagwort mußte wieder die Bedrohung des
deutschen Charakters der Stadt Innsbruck herhalten. Die Bekanntmachung des
Provisoriums wurde Ende September 1904 noch ruhig hingenommen, aber die
Verstimmung wuchs auf deutscher wie auf italienischer Seite, denn auch die
eingefleischter Italiener waren mit der Lösung, die nichts von Trieft enthielt,
unzufrieden. Trotzdem wurde die Eröffnung der „neuen italienischen Universität"
am 3. November nicht ohne Auffälligkeit ins Werk gesetzt, italienische Studenten
aus Wien und Graz trafen zur Feier ein. Das scheint dem Fasse den Boden
ausgeschlagen zu haben. Der Eröffnungsakt ging noch ohne Störung vonstatten,
und die frohe Kunde davon wurde eilig in die Welt telegraphiert. Aber am Abend
kam es zu Demonstrationen vor dem Festlokal der Italiener, diese waren auch
gleich mit dem Revolver zur Hand, und schließlich mußte das Militär mit der
Waffe den blutigen Aufruhrszenen ein Ende machen. Die Lage ist durch diese
Ausbrüche langjähriger gegenseitiger Erbitterung sehr verschürft worden, und es
wird der redlichsten Mühe aller Wohldenkenden bedürfen, noch einem friedlichen
Abkommen den Weg zu bahnen. Wie in allen Füllen, wo die Schuld auf beiden
Seiten liegt, sucht sie jeder dein Gegner allein beizumessen. Der glücklichste
Umstand wäre eine rasche Entscheidung des Reichsrath gewesen, aber die Hoffnung
darauf ist nicht groß, und von seinen Verhandlungen ist eher noch eine Ver¬
schlimmerung zu erwarten. Inzwischen hat aber der Neichsrat wieder vertagt
werden müssen. Der Ausgleich kann nur gefunden werden, wenn Deutsche und
Italiener aufhören, die Universitütsfrage, die doch nun einmal gelöst werden
muß, ausschließlich vom politischen Standpunkt aus zu betrachten und der vor
der Hand einzig praktisch möglichen Lösung, der Errichtung der italienischen
U —y- niversität in Roveredo, zustimmen.




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[0736] Südtirol hültnisseu war die schleunige Erledigung eines Gesetzentwurfs über die Universität in Noveredo nicht zu erwarten. Die Regierung wie die Deutschösterrcicher außer¬ halb Tirols wünschten nicht, daß in diesem Falle der hilfreiche Paragraph 14 angewandt werde, weil eine spätere slawenfreundliche Regierung aus diesem Prcizedenzfall das Recht ableiten könnte, durch dasselbe Mittel etwa in Mähren eine tschechische Universität ins Leben zu rufen. Man entschied sich darum dahin, die italienische Universität provisorisch noch in Innsbruck zu lassen, sie aber organisatorisch und räumlich von der deutschen Universität zu trennen. Der Dekan der italienischen juristischen Fakultät wurde der Leiter der Anstalt, das italienische Professorenkollegium bildete einen akademischen Senat für sich, nur die akademischen Würden sollte die Universität Innsbruck verleihen, da die neue italienische Universität noch nicht rechtskräftig bestand. Die deutsche Universität in Innsbruck erklärte sich mit dein Provisorium, das ja nur noch höchstens einige Jahre in Innsbruck besteh« sollte, vollständig einverstanden. Die „allein¬ deutschen" Kreise in Innsbruck waren das aber nicht, sie benutzten die Stimmung der Deutschtirolcr, denen die Errichtung einer italienischen Universität im Lande überhaupt nicht gefiel, und als Schlagwort mußte wieder die Bedrohung des deutschen Charakters der Stadt Innsbruck herhalten. Die Bekanntmachung des Provisoriums wurde Ende September 1904 noch ruhig hingenommen, aber die Verstimmung wuchs auf deutscher wie auf italienischer Seite, denn auch die eingefleischter Italiener waren mit der Lösung, die nichts von Trieft enthielt, unzufrieden. Trotzdem wurde die Eröffnung der „neuen italienischen Universität" am 3. November nicht ohne Auffälligkeit ins Werk gesetzt, italienische Studenten aus Wien und Graz trafen zur Feier ein. Das scheint dem Fasse den Boden ausgeschlagen zu haben. Der Eröffnungsakt ging noch ohne Störung vonstatten, und die frohe Kunde davon wurde eilig in die Welt telegraphiert. Aber am Abend kam es zu Demonstrationen vor dem Festlokal der Italiener, diese waren auch gleich mit dem Revolver zur Hand, und schließlich mußte das Militär mit der Waffe den blutigen Aufruhrszenen ein Ende machen. Die Lage ist durch diese Ausbrüche langjähriger gegenseitiger Erbitterung sehr verschürft worden, und es wird der redlichsten Mühe aller Wohldenkenden bedürfen, noch einem friedlichen Abkommen den Weg zu bahnen. Wie in allen Füllen, wo die Schuld auf beiden Seiten liegt, sucht sie jeder dein Gegner allein beizumessen. Der glücklichste Umstand wäre eine rasche Entscheidung des Reichsrath gewesen, aber die Hoffnung darauf ist nicht groß, und von seinen Verhandlungen ist eher noch eine Ver¬ schlimmerung zu erwarten. Inzwischen hat aber der Neichsrat wieder vertagt werden müssen. Der Ausgleich kann nur gefunden werden, wenn Deutsche und Italiener aufhören, die Universitütsfrage, die doch nun einmal gelöst werden muß, ausschließlich vom politischen Standpunkt aus zu betrachten und der vor der Hand einzig praktisch möglichen Lösung, der Errichtung der italienischen U —y- niversität in Roveredo, zustimmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/736>, abgerufen am 29.06.2024.