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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Südtirol

in die Minderheit gedrängt. Aber die Hoffnung der Welschtiroler, daß unter
den geänderten Verhältnissen die Regierung ihre Forderungen erfüllen werde,
erfüllte sich nicht, und die Abgeordneten des "Trentino" traten abermals aus
dem Landtage aus. Graf Badeni nahm die Unterhandlungen mit ihnen wieder
auf, kam jedoch damit zu keinem Ergebnis, denn die Welschtiroler verlangten
nichts weniger als die Teilung des Landtags in eine deutsche und eine
italienische Kurie und dementsprechend die Teilung aller Geschäfte der Landes¬
verwaltung mit Ausnahme der Landesverteidigung. Unter dem Ministerium
Thun begannen die Verhandlungen mit den Welschtirolern wieder und wurden
meist von dem deutschklerikalen Abgeordneten Dr. Kathrein im Auftrage der
Regierung geführt. Um dem Lande endlich den Frieden zu bringen, kam auch
er den Italienern ziemlich weit entgegen; diese erklärten sich wohl bereit, seine
Vorschläge als Grundlage für weitere Verhandlungen anzunehmen, forderten
aber nach wie vor die Abtrennung des Trentino als besondres Verwaltungs¬
gebiet von der Statthaltern in Innsbruck. Wie in allen österreichischen
Ländern liegt auch in Südtirol der Nationalitütenfrage der Kampf um die
Herrschaft zugrunde, um die "historischen Rechte" der einzelnen Königreiche und
Länder, die man im Gegensatz zu den modernen Forderungen des Staates
erwerben oder verteidigen will, um auf sie gestützt die Herrschaft auszuüben.
Trotz den keineswegs sehr erfreulichen Zuständen in Osterreich dürfte nur
wenigen Jtalianissimi in Südtirol ernstlich in den Sinn kommen, das Land mit
dem doch keineswegs beneidenswerten Italien zu vereinigen, aber eine Sonder¬
provinz Südtirol möchte man haben, denn die schafft neue Stellen, die man
selbst oder ein guter Freund einnehmen könnte. Der Partikularismus ist nie
ein Beweis für ungefülschte nationale Gesinnung gewesen. Aber die Leute, die
so naheliegende Interessen haben, wühlen unter hochtönenden Phrasen und
wählen wegen der kleinlichsten Vorteile. Es ist schwer, unter solchen Ver¬
hältnissen, die der Offenheit entbehren, mutvoll an die Lösung der Nativnali-
tätenfrage heranzutreten, wie von allen Seiten in Österreich von jeder einzelnen
Regierung verlangt worden ist.

Nach dem Ende des Ministeriums Thun kam die südtirolische Frage
einigermaßen ins Stocken, und sie ist erst neuerdings unter dem Ministerium
Körber wieder aufgenommen worden. Die von ihm eingehaltne Politik be¬
absichtigt selbstverständlich auf keinem einzelnen Gebiete eine positive Lösung
der Sprachen- und Nationalitätenfrage, sondern will nnr die dnrch frühere
Fehler der Regierenden wie der Regierten begangnen Mißgriffe und aufgeworfnen
Schwierigkeiten beseitigen und Kompromisse zustande bringen, damit endlich
einmal Zeit und Stimmung komme, in denen auch die gemeinsamen Angelegen¬
heiten des Staates wieder regelrecht behandelt werden können. Was Südtirol
betrifft, so hatten sich die Landtagsabgeordneten von dort die neue politische
Methode der Obstruktion angeeignet; sie blieben einfach weg und machten
damit den Landtag beschlußunfähig. Auch trotz den Bemühungen des Abge¬
ordneten Dr. Kathrein, der wieder zu vermitteln und die Italiener zum Auf¬
geben der Obstruktion zu bewegen suchte, und trotz dem Entgegenkommen des
Ministeriums, das einen Halbitaliener, den Sektionsrat Freiherrn Forstner


Südtirol

in die Minderheit gedrängt. Aber die Hoffnung der Welschtiroler, daß unter
den geänderten Verhältnissen die Regierung ihre Forderungen erfüllen werde,
erfüllte sich nicht, und die Abgeordneten des „Trentino" traten abermals aus
dem Landtage aus. Graf Badeni nahm die Unterhandlungen mit ihnen wieder
auf, kam jedoch damit zu keinem Ergebnis, denn die Welschtiroler verlangten
nichts weniger als die Teilung des Landtags in eine deutsche und eine
italienische Kurie und dementsprechend die Teilung aller Geschäfte der Landes¬
verwaltung mit Ausnahme der Landesverteidigung. Unter dem Ministerium
Thun begannen die Verhandlungen mit den Welschtirolern wieder und wurden
meist von dem deutschklerikalen Abgeordneten Dr. Kathrein im Auftrage der
Regierung geführt. Um dem Lande endlich den Frieden zu bringen, kam auch
er den Italienern ziemlich weit entgegen; diese erklärten sich wohl bereit, seine
Vorschläge als Grundlage für weitere Verhandlungen anzunehmen, forderten
aber nach wie vor die Abtrennung des Trentino als besondres Verwaltungs¬
gebiet von der Statthaltern in Innsbruck. Wie in allen österreichischen
Ländern liegt auch in Südtirol der Nationalitütenfrage der Kampf um die
Herrschaft zugrunde, um die „historischen Rechte" der einzelnen Königreiche und
Länder, die man im Gegensatz zu den modernen Forderungen des Staates
erwerben oder verteidigen will, um auf sie gestützt die Herrschaft auszuüben.
Trotz den keineswegs sehr erfreulichen Zuständen in Osterreich dürfte nur
wenigen Jtalianissimi in Südtirol ernstlich in den Sinn kommen, das Land mit
dem doch keineswegs beneidenswerten Italien zu vereinigen, aber eine Sonder¬
provinz Südtirol möchte man haben, denn die schafft neue Stellen, die man
selbst oder ein guter Freund einnehmen könnte. Der Partikularismus ist nie
ein Beweis für ungefülschte nationale Gesinnung gewesen. Aber die Leute, die
so naheliegende Interessen haben, wühlen unter hochtönenden Phrasen und
wählen wegen der kleinlichsten Vorteile. Es ist schwer, unter solchen Ver¬
hältnissen, die der Offenheit entbehren, mutvoll an die Lösung der Nativnali-
tätenfrage heranzutreten, wie von allen Seiten in Österreich von jeder einzelnen
Regierung verlangt worden ist.

Nach dem Ende des Ministeriums Thun kam die südtirolische Frage
einigermaßen ins Stocken, und sie ist erst neuerdings unter dem Ministerium
Körber wieder aufgenommen worden. Die von ihm eingehaltne Politik be¬
absichtigt selbstverständlich auf keinem einzelnen Gebiete eine positive Lösung
der Sprachen- und Nationalitätenfrage, sondern will nnr die dnrch frühere
Fehler der Regierenden wie der Regierten begangnen Mißgriffe und aufgeworfnen
Schwierigkeiten beseitigen und Kompromisse zustande bringen, damit endlich
einmal Zeit und Stimmung komme, in denen auch die gemeinsamen Angelegen¬
heiten des Staates wieder regelrecht behandelt werden können. Was Südtirol
betrifft, so hatten sich die Landtagsabgeordneten von dort die neue politische
Methode der Obstruktion angeeignet; sie blieben einfach weg und machten
damit den Landtag beschlußunfähig. Auch trotz den Bemühungen des Abge¬
ordneten Dr. Kathrein, der wieder zu vermitteln und die Italiener zum Auf¬
geben der Obstruktion zu bewegen suchte, und trotz dem Entgegenkommen des
Ministeriums, das einen Halbitaliener, den Sektionsrat Freiherrn Forstner


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[0733] Südtirol in die Minderheit gedrängt. Aber die Hoffnung der Welschtiroler, daß unter den geänderten Verhältnissen die Regierung ihre Forderungen erfüllen werde, erfüllte sich nicht, und die Abgeordneten des „Trentino" traten abermals aus dem Landtage aus. Graf Badeni nahm die Unterhandlungen mit ihnen wieder auf, kam jedoch damit zu keinem Ergebnis, denn die Welschtiroler verlangten nichts weniger als die Teilung des Landtags in eine deutsche und eine italienische Kurie und dementsprechend die Teilung aller Geschäfte der Landes¬ verwaltung mit Ausnahme der Landesverteidigung. Unter dem Ministerium Thun begannen die Verhandlungen mit den Welschtirolern wieder und wurden meist von dem deutschklerikalen Abgeordneten Dr. Kathrein im Auftrage der Regierung geführt. Um dem Lande endlich den Frieden zu bringen, kam auch er den Italienern ziemlich weit entgegen; diese erklärten sich wohl bereit, seine Vorschläge als Grundlage für weitere Verhandlungen anzunehmen, forderten aber nach wie vor die Abtrennung des Trentino als besondres Verwaltungs¬ gebiet von der Statthaltern in Innsbruck. Wie in allen österreichischen Ländern liegt auch in Südtirol der Nationalitütenfrage der Kampf um die Herrschaft zugrunde, um die „historischen Rechte" der einzelnen Königreiche und Länder, die man im Gegensatz zu den modernen Forderungen des Staates erwerben oder verteidigen will, um auf sie gestützt die Herrschaft auszuüben. Trotz den keineswegs sehr erfreulichen Zuständen in Osterreich dürfte nur wenigen Jtalianissimi in Südtirol ernstlich in den Sinn kommen, das Land mit dem doch keineswegs beneidenswerten Italien zu vereinigen, aber eine Sonder¬ provinz Südtirol möchte man haben, denn die schafft neue Stellen, die man selbst oder ein guter Freund einnehmen könnte. Der Partikularismus ist nie ein Beweis für ungefülschte nationale Gesinnung gewesen. Aber die Leute, die so naheliegende Interessen haben, wühlen unter hochtönenden Phrasen und wählen wegen der kleinlichsten Vorteile. Es ist schwer, unter solchen Ver¬ hältnissen, die der Offenheit entbehren, mutvoll an die Lösung der Nativnali- tätenfrage heranzutreten, wie von allen Seiten in Österreich von jeder einzelnen Regierung verlangt worden ist. Nach dem Ende des Ministeriums Thun kam die südtirolische Frage einigermaßen ins Stocken, und sie ist erst neuerdings unter dem Ministerium Körber wieder aufgenommen worden. Die von ihm eingehaltne Politik be¬ absichtigt selbstverständlich auf keinem einzelnen Gebiete eine positive Lösung der Sprachen- und Nationalitätenfrage, sondern will nnr die dnrch frühere Fehler der Regierenden wie der Regierten begangnen Mißgriffe und aufgeworfnen Schwierigkeiten beseitigen und Kompromisse zustande bringen, damit endlich einmal Zeit und Stimmung komme, in denen auch die gemeinsamen Angelegen¬ heiten des Staates wieder regelrecht behandelt werden können. Was Südtirol betrifft, so hatten sich die Landtagsabgeordneten von dort die neue politische Methode der Obstruktion angeeignet; sie blieben einfach weg und machten damit den Landtag beschlußunfähig. Auch trotz den Bemühungen des Abge¬ ordneten Dr. Kathrein, der wieder zu vermitteln und die Italiener zum Auf¬ geben der Obstruktion zu bewegen suchte, und trotz dem Entgegenkommen des Ministeriums, das einen Halbitaliener, den Sektionsrat Freiherrn Forstner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/733>, abgerufen am 23.07.2024.