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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Uonstantiiiopolitanische Reiseerlebnisse

"süßen Wassern von Europa," um uns dort das mohammedanische Volksleben an¬
zusehen.

Die süßen Wasser von Europa fließen im Tal von Kiathane und ergießen
sich in das Goldne Horn, sind gleichsam dessen Verlängerung. Hier auf den
saftigen Wiesen versammelt sich unter den Baumgruppen jeden Freitag die türkische
Welt, nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder. Da lagern sie auf
Strohmatten und Teppichen und freuen sich in harmlosester Weise, Süßigkeiten
naschend, kühlende Getränke schlürfend und Zigaretten rauchend, des Frühlings
und der Freiheit. Denn dies ist die einzige Gelegenheit, wo sich die Frauen der
bessern Stände freier bewegen und mit andern Menschen zusammenkommen können.
Die vornehmen, kostbar geschmückten Haremsdamen, die sich nicht unter das übrige
Volk setzen dürfen, fahren wenigstens in ihren eleganten Equipagen einen langsamen
Korso, die Gesichter mit sehr dünnen und weiten Schleiern bedeckt, sodaß sie nicht
nur sehen, sondern auch gesehen werden und mit den jungen türkischen Kavalieren
und fränkischen Gescindtschaftsattachüs feurige Blicke tauschen können. An Taschen¬
spielern, tanzenden Zigeunerinnen, fliegenden Kaffeekuchen fehlt es nicht, Wohl aber
an Ausschreitungen, wüstem Lärm und Trunkenheit. Es ist ein kindliches, fröhliches
Getriebe, und auch die kleinen Koketterien sind durchaus nicht als ernste An-
bändeleien gemeint. Es ist kein Wunder, daß sich die türkischen Frauen auf diese
freitägliche Unterbrechung des monotonen Haremslebens die ganze Woche freuen.
Diesesmal sollte ihnen und uns die Freude leider zu Wasser werden.

Unsre kleine Gesellschaft fand sich zur bestimmten Nachmittagsstunde an der
neuen Brücke ein. Ich hatte außer meinem ständigen Gefährten noch einen zweiten
Reisegenossen mitgebracht, der. jugendliche Oberstleutnant brachte einen preußischen
General a. D. mit, einen liebenswürdigen Herrn von kaustischem Witz. So fuhren
wir zu sechs in einem von zwei schnellen Ruderern getriebnen "Sandal" das
Goldne Horn entlang nach seiner Spitze zu. Aber schon bei der Abfahrt lag
hinter uns über Asien dräuend eine schwarze Wolke, und es dauerte nicht lange,
so hatte sie den Bosporus überschritten, und es fing ganz bedenklich an zu
donnern und zu blitzen. Schon begegneten uns einzelne zurückkehrende "Kalks"
mit schwarzverhüllten Frauen, die dem Gewitter entgehn wollten. Wir feuerten
unsre Ruderer zur größten Eile an, aber sehr bald wurde es klar, daß wir dem
Regen nicht entgehn würden. Als die ersten schweren Tropfen niederfielen, fuhren
wir ans Land und stiegen die hölzerne Treppe zu einem Wachtlokal an den
Schiffshäusern hinauf. Hier lag ein Offizier mit einigen Soldaten. Da Hauschild,
der das Türkische mit großem Eifer studiert hatte, den Offizier in seiner Mutter¬
sprache um die Erlaubnis bat, das Unwetter unter seinem schützenden Dache ab¬
warten zu dürfen, so wurden uns mit großer Zuvorkommenheit Rohrschemel an¬
geboten. Wir säße" nun auf der überdachten Holzdiele vor dem eigentlichen
Wächterhaus und schauten auf das Goldne Horn hinaus, das aber heute nichts
weniger als golden, vielmehr bleigrau und trübe aussah. Bald regnete es in
Strömen, und wir hatten nun das Vergnügen, den ungeheuern Zug der eilig
von den süßen Wassern nach Hause Zurückfahrenden an uns Vorübergleiten zu
sehen. Anfangs ließen sich die vorüberfahrenden Boote noch zählen, dann aber
folgten sie sich in dichten Massen, wie ein geschlagnes Heer auf der Flucht. Da
kamen Fahrzeuge von jeder Größe, Gestalt und Schönheit vorüber, vom groben
Transportboot bis zum elegantesten Lustsandal, teils mit Zeltdächern, teils ohne
solche, jedes suchte dem andern zuvorzukommen und hastete mit den Rudern wie
mit aufschlagenden Wasserbeinen nach vorn, wobei es nicht an Kollisionen und
Scheltworten der Schiffer fehlte. Aber das Vergnügen und die Lust waren durch
den Regen keineswegs gänzlich ertränkt worden. Nicht nur, daß von vielen der
Schiffe eine schnarrende, lärmende Musik ertönte, auf einigen größern Fahrzeugen
wurden auf dem Vorderdeck sogar Solotänze aufgeführt, ja auf einem kleinern
Kalk vollführte ein Kerl in buntem Trikot einen veritnbeln Bauchtanz, mitten in


Uonstantiiiopolitanische Reiseerlebnisse

»süßen Wassern von Europa," um uns dort das mohammedanische Volksleben an¬
zusehen.

Die süßen Wasser von Europa fließen im Tal von Kiathane und ergießen
sich in das Goldne Horn, sind gleichsam dessen Verlängerung. Hier auf den
saftigen Wiesen versammelt sich unter den Baumgruppen jeden Freitag die türkische
Welt, nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder. Da lagern sie auf
Strohmatten und Teppichen und freuen sich in harmlosester Weise, Süßigkeiten
naschend, kühlende Getränke schlürfend und Zigaretten rauchend, des Frühlings
und der Freiheit. Denn dies ist die einzige Gelegenheit, wo sich die Frauen der
bessern Stände freier bewegen und mit andern Menschen zusammenkommen können.
Die vornehmen, kostbar geschmückten Haremsdamen, die sich nicht unter das übrige
Volk setzen dürfen, fahren wenigstens in ihren eleganten Equipagen einen langsamen
Korso, die Gesichter mit sehr dünnen und weiten Schleiern bedeckt, sodaß sie nicht
nur sehen, sondern auch gesehen werden und mit den jungen türkischen Kavalieren
und fränkischen Gescindtschaftsattachüs feurige Blicke tauschen können. An Taschen¬
spielern, tanzenden Zigeunerinnen, fliegenden Kaffeekuchen fehlt es nicht, Wohl aber
an Ausschreitungen, wüstem Lärm und Trunkenheit. Es ist ein kindliches, fröhliches
Getriebe, und auch die kleinen Koketterien sind durchaus nicht als ernste An-
bändeleien gemeint. Es ist kein Wunder, daß sich die türkischen Frauen auf diese
freitägliche Unterbrechung des monotonen Haremslebens die ganze Woche freuen.
Diesesmal sollte ihnen und uns die Freude leider zu Wasser werden.

Unsre kleine Gesellschaft fand sich zur bestimmten Nachmittagsstunde an der
neuen Brücke ein. Ich hatte außer meinem ständigen Gefährten noch einen zweiten
Reisegenossen mitgebracht, der. jugendliche Oberstleutnant brachte einen preußischen
General a. D. mit, einen liebenswürdigen Herrn von kaustischem Witz. So fuhren
wir zu sechs in einem von zwei schnellen Ruderern getriebnen „Sandal" das
Goldne Horn entlang nach seiner Spitze zu. Aber schon bei der Abfahrt lag
hinter uns über Asien dräuend eine schwarze Wolke, und es dauerte nicht lange,
so hatte sie den Bosporus überschritten, und es fing ganz bedenklich an zu
donnern und zu blitzen. Schon begegneten uns einzelne zurückkehrende „Kalks"
mit schwarzverhüllten Frauen, die dem Gewitter entgehn wollten. Wir feuerten
unsre Ruderer zur größten Eile an, aber sehr bald wurde es klar, daß wir dem
Regen nicht entgehn würden. Als die ersten schweren Tropfen niederfielen, fuhren
wir ans Land und stiegen die hölzerne Treppe zu einem Wachtlokal an den
Schiffshäusern hinauf. Hier lag ein Offizier mit einigen Soldaten. Da Hauschild,
der das Türkische mit großem Eifer studiert hatte, den Offizier in seiner Mutter¬
sprache um die Erlaubnis bat, das Unwetter unter seinem schützenden Dache ab¬
warten zu dürfen, so wurden uns mit großer Zuvorkommenheit Rohrschemel an¬
geboten. Wir säße» nun auf der überdachten Holzdiele vor dem eigentlichen
Wächterhaus und schauten auf das Goldne Horn hinaus, das aber heute nichts
weniger als golden, vielmehr bleigrau und trübe aussah. Bald regnete es in
Strömen, und wir hatten nun das Vergnügen, den ungeheuern Zug der eilig
von den süßen Wassern nach Hause Zurückfahrenden an uns Vorübergleiten zu
sehen. Anfangs ließen sich die vorüberfahrenden Boote noch zählen, dann aber
folgten sie sich in dichten Massen, wie ein geschlagnes Heer auf der Flucht. Da
kamen Fahrzeuge von jeder Größe, Gestalt und Schönheit vorüber, vom groben
Transportboot bis zum elegantesten Lustsandal, teils mit Zeltdächern, teils ohne
solche, jedes suchte dem andern zuvorzukommen und hastete mit den Rudern wie
mit aufschlagenden Wasserbeinen nach vorn, wobei es nicht an Kollisionen und
Scheltworten der Schiffer fehlte. Aber das Vergnügen und die Lust waren durch
den Regen keineswegs gänzlich ertränkt worden. Nicht nur, daß von vielen der
Schiffe eine schnarrende, lärmende Musik ertönte, auf einigen größern Fahrzeugen
wurden auf dem Vorderdeck sogar Solotänze aufgeführt, ja auf einem kleinern
Kalk vollführte ein Kerl in buntem Trikot einen veritnbeln Bauchtanz, mitten in


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[0705] Uonstantiiiopolitanische Reiseerlebnisse »süßen Wassern von Europa," um uns dort das mohammedanische Volksleben an¬ zusehen. Die süßen Wasser von Europa fließen im Tal von Kiathane und ergießen sich in das Goldne Horn, sind gleichsam dessen Verlängerung. Hier auf den saftigen Wiesen versammelt sich unter den Baumgruppen jeden Freitag die türkische Welt, nicht nur Männer, sondern auch Frauen und Kinder. Da lagern sie auf Strohmatten und Teppichen und freuen sich in harmlosester Weise, Süßigkeiten naschend, kühlende Getränke schlürfend und Zigaretten rauchend, des Frühlings und der Freiheit. Denn dies ist die einzige Gelegenheit, wo sich die Frauen der bessern Stände freier bewegen und mit andern Menschen zusammenkommen können. Die vornehmen, kostbar geschmückten Haremsdamen, die sich nicht unter das übrige Volk setzen dürfen, fahren wenigstens in ihren eleganten Equipagen einen langsamen Korso, die Gesichter mit sehr dünnen und weiten Schleiern bedeckt, sodaß sie nicht nur sehen, sondern auch gesehen werden und mit den jungen türkischen Kavalieren und fränkischen Gescindtschaftsattachüs feurige Blicke tauschen können. An Taschen¬ spielern, tanzenden Zigeunerinnen, fliegenden Kaffeekuchen fehlt es nicht, Wohl aber an Ausschreitungen, wüstem Lärm und Trunkenheit. Es ist ein kindliches, fröhliches Getriebe, und auch die kleinen Koketterien sind durchaus nicht als ernste An- bändeleien gemeint. Es ist kein Wunder, daß sich die türkischen Frauen auf diese freitägliche Unterbrechung des monotonen Haremslebens die ganze Woche freuen. Diesesmal sollte ihnen und uns die Freude leider zu Wasser werden. Unsre kleine Gesellschaft fand sich zur bestimmten Nachmittagsstunde an der neuen Brücke ein. Ich hatte außer meinem ständigen Gefährten noch einen zweiten Reisegenossen mitgebracht, der. jugendliche Oberstleutnant brachte einen preußischen General a. D. mit, einen liebenswürdigen Herrn von kaustischem Witz. So fuhren wir zu sechs in einem von zwei schnellen Ruderern getriebnen „Sandal" das Goldne Horn entlang nach seiner Spitze zu. Aber schon bei der Abfahrt lag hinter uns über Asien dräuend eine schwarze Wolke, und es dauerte nicht lange, so hatte sie den Bosporus überschritten, und es fing ganz bedenklich an zu donnern und zu blitzen. Schon begegneten uns einzelne zurückkehrende „Kalks" mit schwarzverhüllten Frauen, die dem Gewitter entgehn wollten. Wir feuerten unsre Ruderer zur größten Eile an, aber sehr bald wurde es klar, daß wir dem Regen nicht entgehn würden. Als die ersten schweren Tropfen niederfielen, fuhren wir ans Land und stiegen die hölzerne Treppe zu einem Wachtlokal an den Schiffshäusern hinauf. Hier lag ein Offizier mit einigen Soldaten. Da Hauschild, der das Türkische mit großem Eifer studiert hatte, den Offizier in seiner Mutter¬ sprache um die Erlaubnis bat, das Unwetter unter seinem schützenden Dache ab¬ warten zu dürfen, so wurden uns mit großer Zuvorkommenheit Rohrschemel an¬ geboten. Wir säße» nun auf der überdachten Holzdiele vor dem eigentlichen Wächterhaus und schauten auf das Goldne Horn hinaus, das aber heute nichts weniger als golden, vielmehr bleigrau und trübe aussah. Bald regnete es in Strömen, und wir hatten nun das Vergnügen, den ungeheuern Zug der eilig von den süßen Wassern nach Hause Zurückfahrenden an uns Vorübergleiten zu sehen. Anfangs ließen sich die vorüberfahrenden Boote noch zählen, dann aber folgten sie sich in dichten Massen, wie ein geschlagnes Heer auf der Flucht. Da kamen Fahrzeuge von jeder Größe, Gestalt und Schönheit vorüber, vom groben Transportboot bis zum elegantesten Lustsandal, teils mit Zeltdächern, teils ohne solche, jedes suchte dem andern zuvorzukommen und hastete mit den Rudern wie mit aufschlagenden Wasserbeinen nach vorn, wobei es nicht an Kollisionen und Scheltworten der Schiffer fehlte. Aber das Vergnügen und die Lust waren durch den Regen keineswegs gänzlich ertränkt worden. Nicht nur, daß von vielen der Schiffe eine schnarrende, lärmende Musik ertönte, auf einigen größern Fahrzeugen wurden auf dem Vorderdeck sogar Solotänze aufgeführt, ja auf einem kleinern Kalk vollführte ein Kerl in buntem Trikot einen veritnbeln Bauchtanz, mitten in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/705>, abgerufen am 29.06.2024.