Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aonstautinopolitanische Reiseerlebnisse

diesem prachtvollen orientalischen Mädchen zu plaudern, noch dazu in der Mutter¬
sprache, d. h. in meiner, die ihrige hatte sie selbst uicht verstanden. Sie sprach
das geliebte Deutsch ohne fremden Accent fließend, wie eine ihrer Schwestern aus
dem Tiergartenviertel, nur ohne die dort üblichen Berolinismeu. Sie verdankte
ihre gesamte Bildung, beinahe ihr ganzes inneres Leben der deutscheu Schule und
konnte uicht Worte genug finden, diese Anstalt und ihren Leiter, einen Herrn
Swatlo, zu rühmen. Wenn ich je stolz gewesen bin ans meinen Beruf als
deutscher Schulmeister -- man hat ja nicht immer Ursache dazu --, so bin ich es
in dem Wirtschaftsgarten von Prinkipo gewesen, eine etwas ungewöhnliche Stelle
für solchen Berufsstvlz. Fräulein Joaillier -- so nannte ich sie jetzt statt Made¬
moiselle -- hatte auch keineswegs bloß fehlerfreies Sprechen gelernt, sondern auch
mit Liebe und Verständnis unsre Klassiker gelesen, und zwar nicht nur "Die
Glocke" und "Die Bürgschaft," sodaß ich mit Mühe der Versuchung widerstand,
ein kleines Examen zu improvisieren. Nachdem wir eine halbe Stunde im Kreise
dieser liebenswürdigen Menschen verplaudert hatten, mahnte uns die enteilende Zeit
zum Aufbruch. Wir hatte" noch viel vor. Uuter allseitigem Händeschütteln trennten
wir uns mit "an rovoir!" und "Ans Wiedersehen!"

Daraus ist freilich nichts geworden, wenigstens nicht mit meiner schwarz¬
haarigen Nachbarin. Als ich eine Woche später das Joailliersche Geschäft in der
Klnucls ruo als l?srg, betrat, um mir Photographie" zu kaufen, empfing mich Monsieur
Joaillier, den ich durch den Kommis rufen ließ, wieder mit der größten Herzlichkeit
und übergab mich einer andern Tochter, der ältern Schwester meiner noch in
Prinkipo weilende" Bekanntschaft, als Führerin und Beraterin. Nie ist mir das
schwierige Geschäft, photographische Ansichten auszuwählen,' rascher und angenehmer
von statten gegangen als in Begleitung dieses jungen Mädchens, das in der
deutschen Schule ebenso gut Deutsch gelernt hatte wie ihre Schwester. In dem
obern, hübsch eingerichteten Salon führte sie mich vo" einem der dicken Albums
zum andern und beriet mich bei der Zusammenstellung meiner Kollektion mit
größter Liebenswürdigkeit und bester Sachkenntnis. Bei der Bezahlung gewährte
mir Herr Joaillier nicht nnr einen Vorzugspreis (fünf Franken statt sechs für das
Dutzend), sondern gab mir uoch als souvouir zwei Stück extra. Das alles ver¬
dankte ich uicht meinen schöne" Augen, sondern meiner Eigenschaft als deutscher
Schulmann. Man sieht, die deutsche Schule im Austande zieht ihre segnende"
Kreise weiter, als sie selbst ahnt. Heil ihr! Das ist doch noch eine nationale
Propaganda, der auch der enragierteste Sozialdemokrnt keinen Chauvinismus nach¬
sagen kann, eine Propaganda des Geistes, der Bildung, der Kultur, der Menschen-
freundlichkeit. Übrigens klagte Herr Joaillier sehr über den völligen Mangel an
Schutz gegen unberufne Vervielfältigung in der Türkei. Seine mühsamen und oft
mit großen Schwierigkeiten und Unkosten hergestellten Anfunhmen würden ihm oft
vo" dem ersten besten Winkelphotographen abphotogrnphiert, und dieser verkaufe
dann die bequem und kostenlos hergestellten Bilder billiger, als er es könne. Die
anständigen Fremden "ahme" freilich "ur bei ihm. Ich richte also hiermit nu alle
liebe" Landsleute, die in .Konstantinopel Photographien kaufen wollen, die Mahnung,
sich nicht durch den billigern Preis dazu verleiten zu lasse", den unlautern Wett¬
bewerb zu unterstützen. Sie mögen sich ruhig einem der beiden deutsch gebildeten
Fräulein Joaillier anvertrauen und beim Besichtige" ""d Auswählen eine genu߬
reiche Stunde mit der liebenswürdigen jungen Dame verplaudern.

Doch zurück von dieser photographischen Abschweifung nach Prinkipo. Zu unsrer
Mastixtafelrunde hatte sich "och ein junger Österreicher gesellt, der sich Geschäfte
halber schon längere Zeit in Konstantinopel aufgehalten hatte. Dieser geleitete "us
bis zum nahen Hotel de l'Embarcadere, wo wir unser Mittagbrot verzehren wollten.
Dabei zeigte er uns el" stattliches Haus oben auf der Höhe, dem jedoch das Dach
und die Fenster fehlten. Das sei ein sprechendes Zeugnis türkischer Verwaltnngs-
willlür, sagte er, seine Stimme zum Flüsterton dämpfend. Es gehöre einem griechischen


Aonstautinopolitanische Reiseerlebnisse

diesem prachtvollen orientalischen Mädchen zu plaudern, noch dazu in der Mutter¬
sprache, d. h. in meiner, die ihrige hatte sie selbst uicht verstanden. Sie sprach
das geliebte Deutsch ohne fremden Accent fließend, wie eine ihrer Schwestern aus
dem Tiergartenviertel, nur ohne die dort üblichen Berolinismeu. Sie verdankte
ihre gesamte Bildung, beinahe ihr ganzes inneres Leben der deutscheu Schule und
konnte uicht Worte genug finden, diese Anstalt und ihren Leiter, einen Herrn
Swatlo, zu rühmen. Wenn ich je stolz gewesen bin ans meinen Beruf als
deutscher Schulmeister — man hat ja nicht immer Ursache dazu —, so bin ich es
in dem Wirtschaftsgarten von Prinkipo gewesen, eine etwas ungewöhnliche Stelle
für solchen Berufsstvlz. Fräulein Joaillier — so nannte ich sie jetzt statt Made¬
moiselle — hatte auch keineswegs bloß fehlerfreies Sprechen gelernt, sondern auch
mit Liebe und Verständnis unsre Klassiker gelesen, und zwar nicht nur „Die
Glocke" und „Die Bürgschaft," sodaß ich mit Mühe der Versuchung widerstand,
ein kleines Examen zu improvisieren. Nachdem wir eine halbe Stunde im Kreise
dieser liebenswürdigen Menschen verplaudert hatten, mahnte uns die enteilende Zeit
zum Aufbruch. Wir hatte» noch viel vor. Uuter allseitigem Händeschütteln trennten
wir uns mit „an rovoir!" und „Ans Wiedersehen!"

Daraus ist freilich nichts geworden, wenigstens nicht mit meiner schwarz¬
haarigen Nachbarin. Als ich eine Woche später das Joailliersche Geschäft in der
Klnucls ruo als l?srg, betrat, um mir Photographie» zu kaufen, empfing mich Monsieur
Joaillier, den ich durch den Kommis rufen ließ, wieder mit der größten Herzlichkeit
und übergab mich einer andern Tochter, der ältern Schwester meiner noch in
Prinkipo weilende» Bekanntschaft, als Führerin und Beraterin. Nie ist mir das
schwierige Geschäft, photographische Ansichten auszuwählen,' rascher und angenehmer
von statten gegangen als in Begleitung dieses jungen Mädchens, das in der
deutschen Schule ebenso gut Deutsch gelernt hatte wie ihre Schwester. In dem
obern, hübsch eingerichteten Salon führte sie mich vo» einem der dicken Albums
zum andern und beriet mich bei der Zusammenstellung meiner Kollektion mit
größter Liebenswürdigkeit und bester Sachkenntnis. Bei der Bezahlung gewährte
mir Herr Joaillier nicht nnr einen Vorzugspreis (fünf Franken statt sechs für das
Dutzend), sondern gab mir uoch als souvouir zwei Stück extra. Das alles ver¬
dankte ich uicht meinen schöne» Augen, sondern meiner Eigenschaft als deutscher
Schulmann. Man sieht, die deutsche Schule im Austande zieht ihre segnende»
Kreise weiter, als sie selbst ahnt. Heil ihr! Das ist doch noch eine nationale
Propaganda, der auch der enragierteste Sozialdemokrnt keinen Chauvinismus nach¬
sagen kann, eine Propaganda des Geistes, der Bildung, der Kultur, der Menschen-
freundlichkeit. Übrigens klagte Herr Joaillier sehr über den völligen Mangel an
Schutz gegen unberufne Vervielfältigung in der Türkei. Seine mühsamen und oft
mit großen Schwierigkeiten und Unkosten hergestellten Anfunhmen würden ihm oft
vo» dem ersten besten Winkelphotographen abphotogrnphiert, und dieser verkaufe
dann die bequem und kostenlos hergestellten Bilder billiger, als er es könne. Die
anständigen Fremden »ahme» freilich »ur bei ihm. Ich richte also hiermit nu alle
liebe» Landsleute, die in .Konstantinopel Photographien kaufen wollen, die Mahnung,
sich nicht durch den billigern Preis dazu verleiten zu lasse», den unlautern Wett¬
bewerb zu unterstützen. Sie mögen sich ruhig einem der beiden deutsch gebildeten
Fräulein Joaillier anvertrauen und beim Besichtige» »»d Auswählen eine genu߬
reiche Stunde mit der liebenswürdigen jungen Dame verplaudern.

Doch zurück von dieser photographischen Abschweifung nach Prinkipo. Zu unsrer
Mastixtafelrunde hatte sich »och ein junger Österreicher gesellt, der sich Geschäfte
halber schon längere Zeit in Konstantinopel aufgehalten hatte. Dieser geleitete »us
bis zum nahen Hotel de l'Embarcadere, wo wir unser Mittagbrot verzehren wollten.
Dabei zeigte er uns el» stattliches Haus oben auf der Höhe, dem jedoch das Dach
und die Fenster fehlten. Das sei ein sprechendes Zeugnis türkischer Verwaltnngs-
willlür, sagte er, seine Stimme zum Flüsterton dämpfend. Es gehöre einem griechischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0700" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295919"/>
          <fw type="header" place="top"> Aonstautinopolitanische Reiseerlebnisse</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3488" prev="#ID_3487"> diesem prachtvollen orientalischen Mädchen zu plaudern, noch dazu in der Mutter¬<lb/>
sprache, d. h. in meiner, die ihrige hatte sie selbst uicht verstanden. Sie sprach<lb/>
das geliebte Deutsch ohne fremden Accent fließend, wie eine ihrer Schwestern aus<lb/>
dem Tiergartenviertel, nur ohne die dort üblichen Berolinismeu. Sie verdankte<lb/>
ihre gesamte Bildung, beinahe ihr ganzes inneres Leben der deutscheu Schule und<lb/>
konnte uicht Worte genug finden, diese Anstalt und ihren Leiter, einen Herrn<lb/>
Swatlo, zu rühmen. Wenn ich je stolz gewesen bin ans meinen Beruf als<lb/>
deutscher Schulmeister &#x2014; man hat ja nicht immer Ursache dazu &#x2014;, so bin ich es<lb/>
in dem Wirtschaftsgarten von Prinkipo gewesen, eine etwas ungewöhnliche Stelle<lb/>
für solchen Berufsstvlz. Fräulein Joaillier &#x2014; so nannte ich sie jetzt statt Made¬<lb/>
moiselle &#x2014; hatte auch keineswegs bloß fehlerfreies Sprechen gelernt, sondern auch<lb/>
mit Liebe und Verständnis unsre Klassiker gelesen, und zwar nicht nur &#x201E;Die<lb/>
Glocke" und &#x201E;Die Bürgschaft," sodaß ich mit Mühe der Versuchung widerstand,<lb/>
ein kleines Examen zu improvisieren. Nachdem wir eine halbe Stunde im Kreise<lb/>
dieser liebenswürdigen Menschen verplaudert hatten, mahnte uns die enteilende Zeit<lb/>
zum Aufbruch. Wir hatte» noch viel vor. Uuter allseitigem Händeschütteln trennten<lb/>
wir uns mit &#x201E;an rovoir!" und &#x201E;Ans Wiedersehen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3489"> Daraus ist freilich nichts geworden, wenigstens nicht mit meiner schwarz¬<lb/>
haarigen Nachbarin. Als ich eine Woche später das Joailliersche Geschäft in der<lb/>
Klnucls ruo als l?srg, betrat, um mir Photographie» zu kaufen, empfing mich Monsieur<lb/>
Joaillier, den ich durch den Kommis rufen ließ, wieder mit der größten Herzlichkeit<lb/>
und übergab mich einer andern Tochter, der ältern Schwester meiner noch in<lb/>
Prinkipo weilende» Bekanntschaft, als Führerin und Beraterin. Nie ist mir das<lb/>
schwierige Geschäft, photographische Ansichten auszuwählen,' rascher und angenehmer<lb/>
von statten gegangen als in Begleitung dieses jungen Mädchens, das in der<lb/>
deutschen Schule ebenso gut Deutsch gelernt hatte wie ihre Schwester. In dem<lb/>
obern, hübsch eingerichteten Salon führte sie mich vo» einem der dicken Albums<lb/>
zum andern und beriet mich bei der Zusammenstellung meiner Kollektion mit<lb/>
größter Liebenswürdigkeit und bester Sachkenntnis. Bei der Bezahlung gewährte<lb/>
mir Herr Joaillier nicht nnr einen Vorzugspreis (fünf Franken statt sechs für das<lb/>
Dutzend), sondern gab mir uoch als souvouir zwei Stück extra. Das alles ver¬<lb/>
dankte ich uicht meinen schöne» Augen, sondern meiner Eigenschaft als deutscher<lb/>
Schulmann. Man sieht, die deutsche Schule im Austande zieht ihre segnende»<lb/>
Kreise weiter, als sie selbst ahnt. Heil ihr! Das ist doch noch eine nationale<lb/>
Propaganda, der auch der enragierteste Sozialdemokrnt keinen Chauvinismus nach¬<lb/>
sagen kann, eine Propaganda des Geistes, der Bildung, der Kultur, der Menschen-<lb/>
freundlichkeit. Übrigens klagte Herr Joaillier sehr über den völligen Mangel an<lb/>
Schutz gegen unberufne Vervielfältigung in der Türkei. Seine mühsamen und oft<lb/>
mit großen Schwierigkeiten und Unkosten hergestellten Anfunhmen würden ihm oft<lb/>
vo» dem ersten besten Winkelphotographen abphotogrnphiert, und dieser verkaufe<lb/>
dann die bequem und kostenlos hergestellten Bilder billiger, als er es könne. Die<lb/>
anständigen Fremden »ahme» freilich »ur bei ihm. Ich richte also hiermit nu alle<lb/>
liebe» Landsleute, die in .Konstantinopel Photographien kaufen wollen, die Mahnung,<lb/>
sich nicht durch den billigern Preis dazu verleiten zu lasse», den unlautern Wett¬<lb/>
bewerb zu unterstützen. Sie mögen sich ruhig einem der beiden deutsch gebildeten<lb/>
Fräulein Joaillier anvertrauen und beim Besichtige» »»d Auswählen eine genu߬<lb/>
reiche Stunde mit der liebenswürdigen jungen Dame verplaudern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3490" next="#ID_3491"> Doch zurück von dieser photographischen Abschweifung nach Prinkipo. Zu unsrer<lb/>
Mastixtafelrunde hatte sich »och ein junger Österreicher gesellt, der sich Geschäfte<lb/>
halber schon längere Zeit in Konstantinopel aufgehalten hatte. Dieser geleitete »us<lb/>
bis zum nahen Hotel de l'Embarcadere, wo wir unser Mittagbrot verzehren wollten.<lb/>
Dabei zeigte er uns el» stattliches Haus oben auf der Höhe, dem jedoch das Dach<lb/>
und die Fenster fehlten. Das sei ein sprechendes Zeugnis türkischer Verwaltnngs-<lb/>
willlür, sagte er, seine Stimme zum Flüsterton dämpfend. Es gehöre einem griechischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0700] Aonstautinopolitanische Reiseerlebnisse diesem prachtvollen orientalischen Mädchen zu plaudern, noch dazu in der Mutter¬ sprache, d. h. in meiner, die ihrige hatte sie selbst uicht verstanden. Sie sprach das geliebte Deutsch ohne fremden Accent fließend, wie eine ihrer Schwestern aus dem Tiergartenviertel, nur ohne die dort üblichen Berolinismeu. Sie verdankte ihre gesamte Bildung, beinahe ihr ganzes inneres Leben der deutscheu Schule und konnte uicht Worte genug finden, diese Anstalt und ihren Leiter, einen Herrn Swatlo, zu rühmen. Wenn ich je stolz gewesen bin ans meinen Beruf als deutscher Schulmeister — man hat ja nicht immer Ursache dazu —, so bin ich es in dem Wirtschaftsgarten von Prinkipo gewesen, eine etwas ungewöhnliche Stelle für solchen Berufsstvlz. Fräulein Joaillier — so nannte ich sie jetzt statt Made¬ moiselle — hatte auch keineswegs bloß fehlerfreies Sprechen gelernt, sondern auch mit Liebe und Verständnis unsre Klassiker gelesen, und zwar nicht nur „Die Glocke" und „Die Bürgschaft," sodaß ich mit Mühe der Versuchung widerstand, ein kleines Examen zu improvisieren. Nachdem wir eine halbe Stunde im Kreise dieser liebenswürdigen Menschen verplaudert hatten, mahnte uns die enteilende Zeit zum Aufbruch. Wir hatte» noch viel vor. Uuter allseitigem Händeschütteln trennten wir uns mit „an rovoir!" und „Ans Wiedersehen!" Daraus ist freilich nichts geworden, wenigstens nicht mit meiner schwarz¬ haarigen Nachbarin. Als ich eine Woche später das Joailliersche Geschäft in der Klnucls ruo als l?srg, betrat, um mir Photographie» zu kaufen, empfing mich Monsieur Joaillier, den ich durch den Kommis rufen ließ, wieder mit der größten Herzlichkeit und übergab mich einer andern Tochter, der ältern Schwester meiner noch in Prinkipo weilende» Bekanntschaft, als Führerin und Beraterin. Nie ist mir das schwierige Geschäft, photographische Ansichten auszuwählen,' rascher und angenehmer von statten gegangen als in Begleitung dieses jungen Mädchens, das in der deutschen Schule ebenso gut Deutsch gelernt hatte wie ihre Schwester. In dem obern, hübsch eingerichteten Salon führte sie mich vo» einem der dicken Albums zum andern und beriet mich bei der Zusammenstellung meiner Kollektion mit größter Liebenswürdigkeit und bester Sachkenntnis. Bei der Bezahlung gewährte mir Herr Joaillier nicht nnr einen Vorzugspreis (fünf Franken statt sechs für das Dutzend), sondern gab mir uoch als souvouir zwei Stück extra. Das alles ver¬ dankte ich uicht meinen schöne» Augen, sondern meiner Eigenschaft als deutscher Schulmann. Man sieht, die deutsche Schule im Austande zieht ihre segnende» Kreise weiter, als sie selbst ahnt. Heil ihr! Das ist doch noch eine nationale Propaganda, der auch der enragierteste Sozialdemokrnt keinen Chauvinismus nach¬ sagen kann, eine Propaganda des Geistes, der Bildung, der Kultur, der Menschen- freundlichkeit. Übrigens klagte Herr Joaillier sehr über den völligen Mangel an Schutz gegen unberufne Vervielfältigung in der Türkei. Seine mühsamen und oft mit großen Schwierigkeiten und Unkosten hergestellten Anfunhmen würden ihm oft vo» dem ersten besten Winkelphotographen abphotogrnphiert, und dieser verkaufe dann die bequem und kostenlos hergestellten Bilder billiger, als er es könne. Die anständigen Fremden »ahme» freilich »ur bei ihm. Ich richte also hiermit nu alle liebe» Landsleute, die in .Konstantinopel Photographien kaufen wollen, die Mahnung, sich nicht durch den billigern Preis dazu verleiten zu lasse», den unlautern Wett¬ bewerb zu unterstützen. Sie mögen sich ruhig einem der beiden deutsch gebildeten Fräulein Joaillier anvertrauen und beim Besichtige» »»d Auswählen eine genu߬ reiche Stunde mit der liebenswürdigen jungen Dame verplaudern. Doch zurück von dieser photographischen Abschweifung nach Prinkipo. Zu unsrer Mastixtafelrunde hatte sich »och ein junger Österreicher gesellt, der sich Geschäfte halber schon längere Zeit in Konstantinopel aufgehalten hatte. Dieser geleitete »us bis zum nahen Hotel de l'Embarcadere, wo wir unser Mittagbrot verzehren wollten. Dabei zeigte er uns el» stattliches Haus oben auf der Höhe, dem jedoch das Dach und die Fenster fehlten. Das sei ein sprechendes Zeugnis türkischer Verwaltnngs- willlür, sagte er, seine Stimme zum Flüsterton dämpfend. Es gehöre einem griechischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/700
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/700>, abgerufen am 01.07.2024.