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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Aonstantiuopolitcmische Reiseerlebnisse

der bedeutendste und bekannteste Photograph in Konstnntinopel, von dein jeder
Fremde, sei es direkt oder indirekt, seine photographischen Andenken um die Sultans-
stndt bezieht. Er erzählte uus, während sich das übervolle Schiff langsam in Be¬
wegung setzte, daß er seine Frau und Tochter, die nus Prinkipo in der Sommer¬
frische seien, besuchen wolle. Seine Tochter werde sich freuen, mit uus Deutsch zu
sprechen. Deal sie liebe diese Sprache sehr, wenn auch die Unigangssprache der
Familie Französisch sei. Wahrend der Fahrt unterrichtete er uns über alles Wissens¬
werte und machte uns ans alle wichtigen Punkte aufmerksam. Diescsmnl, an dem
schönen, sonnigen Maimorgcn, sahen wir vom Meer aus die Stadt in ihrem vollen,
farbenreichen Glänze, nicht vlosz die Silhouetten, wie bei der Ankunft.

Köstlich war auch die Fahrt über das sanftwogende blaue Meer. Es ging
an Skutari vorbei, dann folgte Hnidar-Pascha, dessen riesige gelbe Kaserne mit
ihren vier Ecktürmen weithin sichtbar ist. Auch eiuen granitnen Obelisk sieht man
um Ufer, unter dem die im Krimkriege gefallnen Engländer bestattet sind. Jetzt
baut man dort einen neuen Hafen als Ausgangspunkt der Anadvlibahn. Dann
kommt Kadiköi, das alte Chalkedon, "die Stadt der Blinden," so nannte sie das
delphische Orakel, weil ihre Gründer den so viel trefflichem Platz am Goldner
Horn nicht gesehen hatten. Immerhin ist es auch den Chalkedoniern ganz gut ge¬
gangen nud geht ihnen noch jetzt gut. Kndiköi ist eine blühende, von wohlhabenden
Griechen und Europäern bewohnte Stadt. Weiter fuhren wir an der lieblichen,
von Rebenhügeln und Feigenplantageu bekränzten Bucht vou Feuer-Bngtsche und
an einem ans vorspringender Landzunge errichteten Leuchtturm vorüber deu rasch
aus dem Meere hervorwachsenden Prinzeninseln zu. Das Schiff landete zuerst nu
dem kahlen, unkultivierten Proti, dann kam das nicht viel besser aussehende Auti-
goni, dann Chalki, wo sich drei sehr verschiedenartige Schulanstnlten angesiedelt
haben, eine griechische Theologenschule sür hundert Studenten, eine ebenfalls griechische
Handelsschule und eine türkische Marineschule mit Minaret. An dein Landungs¬
platze wimmelte eS von Zöglingen aller drei Anstalten bunt durcheinander.

Dann landeten wir auf Prinkipo, der schönsten, größten und höchsten der
Prinzeninseln. Prinkipo heißt "Prinzeniusel." Dieser stolze Name rührt vou sehr
traurigen Ereignissen her, nämlich davon, daß in byzantinischer Zeit die ganze
Gruppe ein beliebter Verbannungsort für gestürzte Kaiser und Prinzen war. Auf
Priukipv speziell haben nicht weniger als drei verbannte und entthronte Kaiserinnen
gelebt: die große Irene, die sich mit Karl dem Großen vermählen wollte, dann
Zoe, die aber nach kurzer Zeit wieder zu Ehren und auf den Thron kam (1042),
und endlich Anna Dalassena, die Mutter der Komuenen (1071). Die Insel besteht
aus zwei dnrch eine Einsnttlnng verbundnen Bergen, trägt drei Klöster, eine kleine,
von Griechen bewohnte Stadt und eine Reihe stattlicher Villen mit hübschen Gärten.
Denn heutzutage ist Priukipv wegen seiner reinen, milden Luft, seiner herrlichen
Vegetation und seiner erquickenden Seebäder ein beliebter Erhvluugs- nud Badeort
für die reichen Kaufleute der Hauptstadt geworden. Jeden Sonntag ist das Dnmps-
schiff überfüllt mit erholuugsbedürftigeu Großstädtern und mit Familienvätern, die
ihre svmmerfrischclnden Angehörigen für einige angenehme Stunden besuche" wollen.

Auch Herr Jociillier hatte diese Absicht. Seine Gattin und Tochter und einige
befreundete Familien empfingen ihn auf der Landungsbrücke; Monsieur Joaillier
stellte uus vor und lud uus zu einem Glase Mastix ein. So säße" wir denn, ehe
wirs uus versahen, im Garten eines Restaurants am Strande in einem uns völlig
fremden Kreise. Die Unterhaltung beschränkte sich zunächst auf ein allseitiges
K votio s-mes, monsieur! oder macki-we!, ans Ausrufe wie gusl boten temxs! uns
bello jouruso!, o'est uns !1e olurrm-litte! u. tgi. Zum Glück war ich jedoch neben
Mademoiselle Joaillier gekommen, eine schöne junge Dame mit üppigem, blau-
schwarzem Haar; ihre Ahnfrnu hatte offenbar dereinst an den Wasserflüssen Babylons
gesessen und ihre Harfen an die Weiden gehängt. Das war aber hier im Orient
gerade recht stilgemüß, und es war mir höchst reizvoll, auf asiatischem Boden mit


Aonstantiuopolitcmische Reiseerlebnisse

der bedeutendste und bekannteste Photograph in Konstnntinopel, von dein jeder
Fremde, sei es direkt oder indirekt, seine photographischen Andenken um die Sultans-
stndt bezieht. Er erzählte uus, während sich das übervolle Schiff langsam in Be¬
wegung setzte, daß er seine Frau und Tochter, die nus Prinkipo in der Sommer¬
frische seien, besuchen wolle. Seine Tochter werde sich freuen, mit uus Deutsch zu
sprechen. Deal sie liebe diese Sprache sehr, wenn auch die Unigangssprache der
Familie Französisch sei. Wahrend der Fahrt unterrichtete er uns über alles Wissens¬
werte und machte uns ans alle wichtigen Punkte aufmerksam. Diescsmnl, an dem
schönen, sonnigen Maimorgcn, sahen wir vom Meer aus die Stadt in ihrem vollen,
farbenreichen Glänze, nicht vlosz die Silhouetten, wie bei der Ankunft.

Köstlich war auch die Fahrt über das sanftwogende blaue Meer. Es ging
an Skutari vorbei, dann folgte Hnidar-Pascha, dessen riesige gelbe Kaserne mit
ihren vier Ecktürmen weithin sichtbar ist. Auch eiuen granitnen Obelisk sieht man
um Ufer, unter dem die im Krimkriege gefallnen Engländer bestattet sind. Jetzt
baut man dort einen neuen Hafen als Ausgangspunkt der Anadvlibahn. Dann
kommt Kadiköi, das alte Chalkedon, „die Stadt der Blinden," so nannte sie das
delphische Orakel, weil ihre Gründer den so viel trefflichem Platz am Goldner
Horn nicht gesehen hatten. Immerhin ist es auch den Chalkedoniern ganz gut ge¬
gangen nud geht ihnen noch jetzt gut. Kndiköi ist eine blühende, von wohlhabenden
Griechen und Europäern bewohnte Stadt. Weiter fuhren wir an der lieblichen,
von Rebenhügeln und Feigenplantageu bekränzten Bucht vou Feuer-Bngtsche und
an einem ans vorspringender Landzunge errichteten Leuchtturm vorüber deu rasch
aus dem Meere hervorwachsenden Prinzeninseln zu. Das Schiff landete zuerst nu
dem kahlen, unkultivierten Proti, dann kam das nicht viel besser aussehende Auti-
goni, dann Chalki, wo sich drei sehr verschiedenartige Schulanstnlten angesiedelt
haben, eine griechische Theologenschule sür hundert Studenten, eine ebenfalls griechische
Handelsschule und eine türkische Marineschule mit Minaret. An dein Landungs¬
platze wimmelte eS von Zöglingen aller drei Anstalten bunt durcheinander.

Dann landeten wir auf Prinkipo, der schönsten, größten und höchsten der
Prinzeninseln. Prinkipo heißt „Prinzeniusel." Dieser stolze Name rührt vou sehr
traurigen Ereignissen her, nämlich davon, daß in byzantinischer Zeit die ganze
Gruppe ein beliebter Verbannungsort für gestürzte Kaiser und Prinzen war. Auf
Priukipv speziell haben nicht weniger als drei verbannte und entthronte Kaiserinnen
gelebt: die große Irene, die sich mit Karl dem Großen vermählen wollte, dann
Zoe, die aber nach kurzer Zeit wieder zu Ehren und auf den Thron kam (1042),
und endlich Anna Dalassena, die Mutter der Komuenen (1071). Die Insel besteht
aus zwei dnrch eine Einsnttlnng verbundnen Bergen, trägt drei Klöster, eine kleine,
von Griechen bewohnte Stadt und eine Reihe stattlicher Villen mit hübschen Gärten.
Denn heutzutage ist Priukipv wegen seiner reinen, milden Luft, seiner herrlichen
Vegetation und seiner erquickenden Seebäder ein beliebter Erhvluugs- nud Badeort
für die reichen Kaufleute der Hauptstadt geworden. Jeden Sonntag ist das Dnmps-
schiff überfüllt mit erholuugsbedürftigeu Großstädtern und mit Familienvätern, die
ihre svmmerfrischclnden Angehörigen für einige angenehme Stunden besuche» wollen.

Auch Herr Jociillier hatte diese Absicht. Seine Gattin und Tochter und einige
befreundete Familien empfingen ihn auf der Landungsbrücke; Monsieur Joaillier
stellte uus vor und lud uus zu einem Glase Mastix ein. So säße» wir denn, ehe
wirs uus versahen, im Garten eines Restaurants am Strande in einem uns völlig
fremden Kreise. Die Unterhaltung beschränkte sich zunächst auf ein allseitiges
K votio s-mes, monsieur! oder macki-we!, ans Ausrufe wie gusl boten temxs! uns
bello jouruso!, o'est uns !1e olurrm-litte! u. tgi. Zum Glück war ich jedoch neben
Mademoiselle Joaillier gekommen, eine schöne junge Dame mit üppigem, blau-
schwarzem Haar; ihre Ahnfrnu hatte offenbar dereinst an den Wasserflüssen Babylons
gesessen und ihre Harfen an die Weiden gehängt. Das war aber hier im Orient
gerade recht stilgemüß, und es war mir höchst reizvoll, auf asiatischem Boden mit


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[0699] Aonstantiuopolitcmische Reiseerlebnisse der bedeutendste und bekannteste Photograph in Konstnntinopel, von dein jeder Fremde, sei es direkt oder indirekt, seine photographischen Andenken um die Sultans- stndt bezieht. Er erzählte uus, während sich das übervolle Schiff langsam in Be¬ wegung setzte, daß er seine Frau und Tochter, die nus Prinkipo in der Sommer¬ frische seien, besuchen wolle. Seine Tochter werde sich freuen, mit uus Deutsch zu sprechen. Deal sie liebe diese Sprache sehr, wenn auch die Unigangssprache der Familie Französisch sei. Wahrend der Fahrt unterrichtete er uns über alles Wissens¬ werte und machte uns ans alle wichtigen Punkte aufmerksam. Diescsmnl, an dem schönen, sonnigen Maimorgcn, sahen wir vom Meer aus die Stadt in ihrem vollen, farbenreichen Glänze, nicht vlosz die Silhouetten, wie bei der Ankunft. Köstlich war auch die Fahrt über das sanftwogende blaue Meer. Es ging an Skutari vorbei, dann folgte Hnidar-Pascha, dessen riesige gelbe Kaserne mit ihren vier Ecktürmen weithin sichtbar ist. Auch eiuen granitnen Obelisk sieht man um Ufer, unter dem die im Krimkriege gefallnen Engländer bestattet sind. Jetzt baut man dort einen neuen Hafen als Ausgangspunkt der Anadvlibahn. Dann kommt Kadiköi, das alte Chalkedon, „die Stadt der Blinden," so nannte sie das delphische Orakel, weil ihre Gründer den so viel trefflichem Platz am Goldner Horn nicht gesehen hatten. Immerhin ist es auch den Chalkedoniern ganz gut ge¬ gangen nud geht ihnen noch jetzt gut. Kndiköi ist eine blühende, von wohlhabenden Griechen und Europäern bewohnte Stadt. Weiter fuhren wir an der lieblichen, von Rebenhügeln und Feigenplantageu bekränzten Bucht vou Feuer-Bngtsche und an einem ans vorspringender Landzunge errichteten Leuchtturm vorüber deu rasch aus dem Meere hervorwachsenden Prinzeninseln zu. Das Schiff landete zuerst nu dem kahlen, unkultivierten Proti, dann kam das nicht viel besser aussehende Auti- goni, dann Chalki, wo sich drei sehr verschiedenartige Schulanstnlten angesiedelt haben, eine griechische Theologenschule sür hundert Studenten, eine ebenfalls griechische Handelsschule und eine türkische Marineschule mit Minaret. An dein Landungs¬ platze wimmelte eS von Zöglingen aller drei Anstalten bunt durcheinander. Dann landeten wir auf Prinkipo, der schönsten, größten und höchsten der Prinzeninseln. Prinkipo heißt „Prinzeniusel." Dieser stolze Name rührt vou sehr traurigen Ereignissen her, nämlich davon, daß in byzantinischer Zeit die ganze Gruppe ein beliebter Verbannungsort für gestürzte Kaiser und Prinzen war. Auf Priukipv speziell haben nicht weniger als drei verbannte und entthronte Kaiserinnen gelebt: die große Irene, die sich mit Karl dem Großen vermählen wollte, dann Zoe, die aber nach kurzer Zeit wieder zu Ehren und auf den Thron kam (1042), und endlich Anna Dalassena, die Mutter der Komuenen (1071). Die Insel besteht aus zwei dnrch eine Einsnttlnng verbundnen Bergen, trägt drei Klöster, eine kleine, von Griechen bewohnte Stadt und eine Reihe stattlicher Villen mit hübschen Gärten. Denn heutzutage ist Priukipv wegen seiner reinen, milden Luft, seiner herrlichen Vegetation und seiner erquickenden Seebäder ein beliebter Erhvluugs- nud Badeort für die reichen Kaufleute der Hauptstadt geworden. Jeden Sonntag ist das Dnmps- schiff überfüllt mit erholuugsbedürftigeu Großstädtern und mit Familienvätern, die ihre svmmerfrischclnden Angehörigen für einige angenehme Stunden besuche» wollen. Auch Herr Jociillier hatte diese Absicht. Seine Gattin und Tochter und einige befreundete Familien empfingen ihn auf der Landungsbrücke; Monsieur Joaillier stellte uus vor und lud uus zu einem Glase Mastix ein. So säße» wir denn, ehe wirs uus versahen, im Garten eines Restaurants am Strande in einem uns völlig fremden Kreise. Die Unterhaltung beschränkte sich zunächst auf ein allseitiges K votio s-mes, monsieur! oder macki-we!, ans Ausrufe wie gusl boten temxs! uns bello jouruso!, o'est uns !1e olurrm-litte! u. tgi. Zum Glück war ich jedoch neben Mademoiselle Joaillier gekommen, eine schöne junge Dame mit üppigem, blau- schwarzem Haar; ihre Ahnfrnu hatte offenbar dereinst an den Wasserflüssen Babylons gesessen und ihre Harfen an die Weiden gehängt. Das war aber hier im Orient gerade recht stilgemüß, und es war mir höchst reizvoll, auf asiatischem Boden mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/699>, abgerufen am 29.06.2024.