Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.Aonstantinopolitainsche Reiseerlebnisse Arzte. Der habe nach endlosen Schwierigkeiten und reichlichen Trinkgeldern endlich Aus der Terrasse am Meere schmeckte uns das Mahl herrlich. Dann gingen Während mein Gefährte in dem Kaffenion neben dem Kloster zurückblieb, Auch der Ritt bergab bot nach allen Seiten die entzückendsten Blicke über Grenzboten IV 1904 94
Aonstantinopolitainsche Reiseerlebnisse Arzte. Der habe nach endlosen Schwierigkeiten und reichlichen Trinkgeldern endlich Aus der Terrasse am Meere schmeckte uns das Mahl herrlich. Dann gingen Während mein Gefährte in dem Kaffenion neben dem Kloster zurückblieb, Auch der Ritt bergab bot nach allen Seiten die entzückendsten Blicke über Grenzboten IV 1904 94
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0701" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295920"/> <fw type="header" place="top"> Aonstantinopolitainsche Reiseerlebnisse</fw><lb/> <p xml:id="ID_3491" prev="#ID_3490"> Arzte. Der habe nach endlosen Schwierigkeiten und reichlichen Trinkgeldern endlich<lb/> die Erlaubnis erlangt, dort oben bauen zu dürfen. Dann, als das Haus so weit<lb/> gediehen sei, wie man jetzt sehen könne, sei ihm urplötzlich die Fortsetzung des<lb/> Baues untersagt worden, und bis heute habe er trotz allen Anstrengungen dieses<lb/> Verbot nicht rückgängig machen können. Das Haus stehe nun schon fast zwei Jahre<lb/> so da und sei natürlich schon halb zur Ruine geworden. Er warnte uns dann noch,<lb/> auf der Straße laut über solche oder andre Mißstände zu reden. Das Beste sei<lb/> überhaupt, immer möglichst leise zu sprechen. Denn es wimmle geradezu von<lb/> Geheimpolizisten. Auch sollten wir in den engen Gassen Stambuls ja nicht allein<lb/> oder etwa in der Dunkelheit gehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_3492"> Aus der Terrasse am Meere schmeckte uns das Mahl herrlich. Dann gingen<lb/> wir auf die Platin, wo sich, da es Sonntag war, die ganze Bevölkerung in<lb/> strahlend bunten Gewändern herumtrieb. Auch stand schon eine Menge Esel zum<lb/> Vermieter bereit. Wir wählten uns zwei schmucke Grautiere aus, deren Führer,<lb/> ein halbwüchsiger Junge, einmal wieder „Athanas" hieß. Da nach Doktor Mordt-<lb/> manus Aussage das Reiten mit herunterhängenden Schenkel für mich „das reine<lb/> Gift" sein sollte, so legte ich das verwundete rechte Bein dem Esel auf den Kopf<lb/> zwischen die Ohren und machte damit eine so groteske Figur, daß die Leute stehn<lb/> blieben und mir nachsähen. Leider ließ sich diese Beinstellung nicht lange ertragen,<lb/> sodaß ich häufig wechseln mußte. Unser Ritt ging zuerst durch eine schöne Villen¬<lb/> straße mit ganz modernen Gebäuden und wohlgepflegten Blumengärten, dann durch<lb/> harzduftenden Fichtenwald zum Sattel, wo uns die Wirte der beiden Kaffenien,<lb/> die dort liegen, zu Rast und Erfrischung einluden. Wir strebten aber höher und<lb/> ritten durch Myrten- und Terebinthengebüsch noch weiter hinauf zum Kloster des<lb/> heiligen Georgios, das die höchste Spitze der ganzen Insel krönt, wenn man diesen<lb/> Ausdruck von einem recht dürftigen und ärmlichen Gebäude gebrauchen darf. Einer<lb/> der heiligen Väter führte uns in die Klosterkirche, wo ein in Gold getauchter<lb/> heiliger Georg seinen Drachen ersticht, und eine nahezu mohrenhafte Pcmagia in<lb/> steifleinener Würde vor sich hinstiert. Vom Eingang aus konnten wir in das ge¬<lb/> öffnete Speisezimmer sehen, wo die Mönche um einen Rundtisch saßen und ihr in<lb/> einer einzigen Schüssel aufgetragnes Mahl verzehrten. Das Kloster hat nur noch<lb/> fünf Mönche, die beiden andern Klöster, die es auf Prinkipo gibt, das Christus-<lb/> und das Nikolaskloster, noch je einen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3493"> Während mein Gefährte in dem Kaffenion neben dem Kloster zurückblieb,<lb/> kletterte ich auf der schmalen Berghöhe entlang, teils durch Gestrüpp, teils über<lb/> glatte Felsen, bis zum steil abfallenden Endpunkte. Von hier sah ich jenseits des<lb/> Sattels ein riesiges, noch im Bau begriffnes Hotel und links davon noch höher<lb/> das Christuskloster. Der Hotelunternehmer scheint kein Fuchs zu sein. Sonst<lb/> würden ihn „die Spuren schrecken," nämlich das inhibierte Haus des Arztes. Wer<lb/> auf türkischem Boden baut, der baut auf den Sand der Rechtlosigkeit. Zum<lb/> Kaffenion zurückgekehrt, genoß ich dann den trefflichen Landwein und die noch<lb/> trefflichere Aussicht auf die flache asiatische Festlandsküste mit der Stadt Tusla<lb/> und weiter uach Süden auf die bithynischen Berge mit dem mächtigen Olympos,<lb/> auch den Eingang zur Bucht von Jsmid, dem alten Nikomedien, sieht man, während<lb/> Niccia in den Bergen verborgen liegt. Chalkedon hatten wir auf der andern Seite<lb/> hinter uns. Lauter Konzilstädte! Welch reges Leben entfaltete damals die jetzt<lb/> so veräußerlichte, tote oder wenigstens scheintote griechische Kirche! Fast unmittelbar<lb/> zu unsern Füßen aber lag das kleine grüne Eiland Anterobintos in der blauen Flut.</p><lb/> <p xml:id="ID_3494" next="#ID_3495"> Auch der Ritt bergab bot nach allen Seiten die entzückendsten Blicke über<lb/> die Gipfel der Bäume hinweg auf den blauen Spiegel und in die weite see-<lb/> flimmernde Ferne, auf die Nachbarinseln und die sanftgeschwungnen Buchten der<lb/> Festlandsküste. Wir ritten vom Sattel aus auf einem andern Wege links herum<lb/> und kamen dabei, wie es schien, in den mehr abgelegnen türkischen Teil der Villen¬<lb/> stadt. Denn hier saßen in den dunkeln Lauben der Blumengärten um plätschernden</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1904 94</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0701]
Aonstantinopolitainsche Reiseerlebnisse
Arzte. Der habe nach endlosen Schwierigkeiten und reichlichen Trinkgeldern endlich
die Erlaubnis erlangt, dort oben bauen zu dürfen. Dann, als das Haus so weit
gediehen sei, wie man jetzt sehen könne, sei ihm urplötzlich die Fortsetzung des
Baues untersagt worden, und bis heute habe er trotz allen Anstrengungen dieses
Verbot nicht rückgängig machen können. Das Haus stehe nun schon fast zwei Jahre
so da und sei natürlich schon halb zur Ruine geworden. Er warnte uns dann noch,
auf der Straße laut über solche oder andre Mißstände zu reden. Das Beste sei
überhaupt, immer möglichst leise zu sprechen. Denn es wimmle geradezu von
Geheimpolizisten. Auch sollten wir in den engen Gassen Stambuls ja nicht allein
oder etwa in der Dunkelheit gehn.
Aus der Terrasse am Meere schmeckte uns das Mahl herrlich. Dann gingen
wir auf die Platin, wo sich, da es Sonntag war, die ganze Bevölkerung in
strahlend bunten Gewändern herumtrieb. Auch stand schon eine Menge Esel zum
Vermieter bereit. Wir wählten uns zwei schmucke Grautiere aus, deren Führer,
ein halbwüchsiger Junge, einmal wieder „Athanas" hieß. Da nach Doktor Mordt-
manus Aussage das Reiten mit herunterhängenden Schenkel für mich „das reine
Gift" sein sollte, so legte ich das verwundete rechte Bein dem Esel auf den Kopf
zwischen die Ohren und machte damit eine so groteske Figur, daß die Leute stehn
blieben und mir nachsähen. Leider ließ sich diese Beinstellung nicht lange ertragen,
sodaß ich häufig wechseln mußte. Unser Ritt ging zuerst durch eine schöne Villen¬
straße mit ganz modernen Gebäuden und wohlgepflegten Blumengärten, dann durch
harzduftenden Fichtenwald zum Sattel, wo uns die Wirte der beiden Kaffenien,
die dort liegen, zu Rast und Erfrischung einluden. Wir strebten aber höher und
ritten durch Myrten- und Terebinthengebüsch noch weiter hinauf zum Kloster des
heiligen Georgios, das die höchste Spitze der ganzen Insel krönt, wenn man diesen
Ausdruck von einem recht dürftigen und ärmlichen Gebäude gebrauchen darf. Einer
der heiligen Väter führte uns in die Klosterkirche, wo ein in Gold getauchter
heiliger Georg seinen Drachen ersticht, und eine nahezu mohrenhafte Pcmagia in
steifleinener Würde vor sich hinstiert. Vom Eingang aus konnten wir in das ge¬
öffnete Speisezimmer sehen, wo die Mönche um einen Rundtisch saßen und ihr in
einer einzigen Schüssel aufgetragnes Mahl verzehrten. Das Kloster hat nur noch
fünf Mönche, die beiden andern Klöster, die es auf Prinkipo gibt, das Christus-
und das Nikolaskloster, noch je einen.
Während mein Gefährte in dem Kaffenion neben dem Kloster zurückblieb,
kletterte ich auf der schmalen Berghöhe entlang, teils durch Gestrüpp, teils über
glatte Felsen, bis zum steil abfallenden Endpunkte. Von hier sah ich jenseits des
Sattels ein riesiges, noch im Bau begriffnes Hotel und links davon noch höher
das Christuskloster. Der Hotelunternehmer scheint kein Fuchs zu sein. Sonst
würden ihn „die Spuren schrecken," nämlich das inhibierte Haus des Arztes. Wer
auf türkischem Boden baut, der baut auf den Sand der Rechtlosigkeit. Zum
Kaffenion zurückgekehrt, genoß ich dann den trefflichen Landwein und die noch
trefflichere Aussicht auf die flache asiatische Festlandsküste mit der Stadt Tusla
und weiter uach Süden auf die bithynischen Berge mit dem mächtigen Olympos,
auch den Eingang zur Bucht von Jsmid, dem alten Nikomedien, sieht man, während
Niccia in den Bergen verborgen liegt. Chalkedon hatten wir auf der andern Seite
hinter uns. Lauter Konzilstädte! Welch reges Leben entfaltete damals die jetzt
so veräußerlichte, tote oder wenigstens scheintote griechische Kirche! Fast unmittelbar
zu unsern Füßen aber lag das kleine grüne Eiland Anterobintos in der blauen Flut.
Auch der Ritt bergab bot nach allen Seiten die entzückendsten Blicke über
die Gipfel der Bäume hinweg auf den blauen Spiegel und in die weite see-
flimmernde Ferne, auf die Nachbarinseln und die sanftgeschwungnen Buchten der
Festlandsküste. Wir ritten vom Sattel aus auf einem andern Wege links herum
und kamen dabei, wie es schien, in den mehr abgelegnen türkischen Teil der Villen¬
stadt. Denn hier saßen in den dunkeln Lauben der Blumengärten um plätschernden
Grenzboten IV 1904 94
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