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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Sozialdemokraten "die Reizbarkeit ihres Nationalgefühls auch bei andern ihnen
sich bietenden Gelegenheiten zeigen würden." Herr Bebel werde hoffentlich mit
beiden Händen alle Forderungen zu Wasser und zu Lande bewilligen, "um einer
so kriegsbereiten Politik den nötigen Rückhalt zu geben," denn mit dem großen
Munde allein, das werde auch Herr Bebel einräumen, sei es nicht getan.

In der Diätenfrage, die vom Zentrumsreduer und auch von Herrn Bebel
angeschnitten wurde, hat der Reichskanzler im wesentlichen denselben Stand¬
punkt eingenommen, wie er schon so oft in diesen Blättern vertreten worden
und wie er auch wohl der einzig richtige ist. Namentlich sehr dankenswert war
der Hinweis, daß die Herren, die sich so leichten Herzens über eine fundamentale
Bestimmung unsrer Verfassung hinwegsetzen, um die Diätenfrage in ihrem Sinne
zu lösen, außerordentlich empfindlich sind, wenn die Regierungen einzelne Be¬
stimmungen der Verfassung als eiuer Abänderung bedürftig bezeichnen. Jedenfalls
ist es sehr erfreulich, daß die Diäten nicht ebenso hingegeben werden wie das
Erstgeburtsrecht der dreijährigen Dienstzeit gegen das Linsengericht einer minimalen
Armeeverstärkung. Die Geringfügigkeit dieser Kompensatiousforderung ist sogar
von Herrn Bebel mit Erstaunen aufgenommen worden. -- Noch glänzender als
die Abfuhr, die Herrn Bebel zuteil wurde, war die, die Herr von Vollmar
empfing, obgleich oder weil der Reichskanzler dabei deutlich durchblicken ließ, daß
er Herrn von Vollmar als Politiker viel höher einschätze als Herrn Bebel. Auch
spielt bei diesen beiden Männern die Erziehung, die Nachwirkung der Kinderstube,
eine recht unterschiedliche Rolle. Bebel ist, wenigstens während der Wintermonate,
Sozialdemokrat aus Leidenschaft und Weltumstürzler aus Fanatismus, auch hört
er sich gern reden. Im Sommer spielt er auf seiner Villa in Zürich den
Bourgeois, bei dem die Vvrdertrcppe "nur für Herrschaften" bestimmt ist, "Dienst¬
boten und Lieferanten" dagegen auf die Hintertreppe verwiesen werden, eine ganz
"sozialdemokratische" Einrichtung im Singerschen Stil. Herr von Vollmar dagegen
spielt unter den Sozialdemokraten ebenso den Aristokraten wie Singer den Parvenü.
Auch Herr vou Vollmar ist bekanntlich Villenbesitzer; von seinem "Sozialdemv-
kratismus" hat man bisweilen den Eindruck, als ob er ihn nur aus Sport be¬
triebe, vielleicht weil ihm keine andre Partei sympathisch ist. Wenn er diesesmal
eine forschere, heroischere Miene aufsetzte und sich sogar ein "sehr gut" Bebels
zuzog, so mag Herr vou Vollmar seine Gründe für eine solche Haltung haben,
die ihm die Stellung in der Partei zurückgewinnen soll. Trotzdem bleibt an ihm
der "Posa" haften, in dessen Rolle Graf Bülow ihn dem König Philipp-Bebel
gegenüber erscheinen ließ: geben Sie Gedankenfreiheit! -- und Phtlipp-Bebel ant¬
wortet: Sonderbarer Schwärmer!

Vollmar hat im vorigen Jahre abgelehnt, der deutsche Millerand zu werden,
jetzt erscheint er in dem von ihm der Sozialdemokratie umgehängten patriotischen
Mäntelchen als deutscher Innres. Daß Graf Bülow diese Gelegenheit benutzte, auf
den Zusammenhang gewisser Unterströmungen in Frankreich mit den Hetzereien in
englischen Blättern hinzuweisen, verdient volle Beachtung. "So friedlich wie Herr
von Vollmar vermag ich die Situation jenseits der Vogesen nicht anzusehen." Ein
solches Wort aus dem Munde der höchsten amtlichen Autorität in Deutschland,
öffentlich gesprochen, sollte doch Wohl zu denken geben. Jedenfalls hatte der Reichs¬
kanzler Recht mit dem Ausspruch, daß ein schwaches Deutschland eine Gefahr für
deu Frieden, für den europäischen wie für den Weltfrieden sein würde. Das gilt
nicht nur für Frankreich, sondern auch für England, dessen Freundschaftsbedürfnis
für uns mit jedem neuen deutschen Linienschiff, das dienstbereit die Flagge hißt,
wachsen wird. Bisher haben wir unsre Flotteiwermehruug etwas geräuschvoll be¬
trieben. Die Stapelläufe der letzten Jahre sind im Auslande aufgefallen, weil sie
mit einer gewissen Umständlichkeit und Feierlichkeit zu einem Ereignis gemacht
wurden. Für den deutschen Hausgebrauch mag das nützlich sein, nach außen
Wirkt es nachteilig. Wir haben eine Neubewaffnung der Artillerie durchgeführt,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Sozialdemokraten „die Reizbarkeit ihres Nationalgefühls auch bei andern ihnen
sich bietenden Gelegenheiten zeigen würden." Herr Bebel werde hoffentlich mit
beiden Händen alle Forderungen zu Wasser und zu Lande bewilligen, „um einer
so kriegsbereiten Politik den nötigen Rückhalt zu geben," denn mit dem großen
Munde allein, das werde auch Herr Bebel einräumen, sei es nicht getan.

In der Diätenfrage, die vom Zentrumsreduer und auch von Herrn Bebel
angeschnitten wurde, hat der Reichskanzler im wesentlichen denselben Stand¬
punkt eingenommen, wie er schon so oft in diesen Blättern vertreten worden
und wie er auch wohl der einzig richtige ist. Namentlich sehr dankenswert war
der Hinweis, daß die Herren, die sich so leichten Herzens über eine fundamentale
Bestimmung unsrer Verfassung hinwegsetzen, um die Diätenfrage in ihrem Sinne
zu lösen, außerordentlich empfindlich sind, wenn die Regierungen einzelne Be¬
stimmungen der Verfassung als eiuer Abänderung bedürftig bezeichnen. Jedenfalls
ist es sehr erfreulich, daß die Diäten nicht ebenso hingegeben werden wie das
Erstgeburtsrecht der dreijährigen Dienstzeit gegen das Linsengericht einer minimalen
Armeeverstärkung. Die Geringfügigkeit dieser Kompensatiousforderung ist sogar
von Herrn Bebel mit Erstaunen aufgenommen worden. — Noch glänzender als
die Abfuhr, die Herrn Bebel zuteil wurde, war die, die Herr von Vollmar
empfing, obgleich oder weil der Reichskanzler dabei deutlich durchblicken ließ, daß
er Herrn von Vollmar als Politiker viel höher einschätze als Herrn Bebel. Auch
spielt bei diesen beiden Männern die Erziehung, die Nachwirkung der Kinderstube,
eine recht unterschiedliche Rolle. Bebel ist, wenigstens während der Wintermonate,
Sozialdemokrat aus Leidenschaft und Weltumstürzler aus Fanatismus, auch hört
er sich gern reden. Im Sommer spielt er auf seiner Villa in Zürich den
Bourgeois, bei dem die Vvrdertrcppe „nur für Herrschaften" bestimmt ist, „Dienst¬
boten und Lieferanten" dagegen auf die Hintertreppe verwiesen werden, eine ganz
„sozialdemokratische" Einrichtung im Singerschen Stil. Herr von Vollmar dagegen
spielt unter den Sozialdemokraten ebenso den Aristokraten wie Singer den Parvenü.
Auch Herr vou Vollmar ist bekanntlich Villenbesitzer; von seinem „Sozialdemv-
kratismus" hat man bisweilen den Eindruck, als ob er ihn nur aus Sport be¬
triebe, vielleicht weil ihm keine andre Partei sympathisch ist. Wenn er diesesmal
eine forschere, heroischere Miene aufsetzte und sich sogar ein „sehr gut" Bebels
zuzog, so mag Herr vou Vollmar seine Gründe für eine solche Haltung haben,
die ihm die Stellung in der Partei zurückgewinnen soll. Trotzdem bleibt an ihm
der „Posa" haften, in dessen Rolle Graf Bülow ihn dem König Philipp-Bebel
gegenüber erscheinen ließ: geben Sie Gedankenfreiheit! — und Phtlipp-Bebel ant¬
wortet: Sonderbarer Schwärmer!

Vollmar hat im vorigen Jahre abgelehnt, der deutsche Millerand zu werden,
jetzt erscheint er in dem von ihm der Sozialdemokratie umgehängten patriotischen
Mäntelchen als deutscher Innres. Daß Graf Bülow diese Gelegenheit benutzte, auf
den Zusammenhang gewisser Unterströmungen in Frankreich mit den Hetzereien in
englischen Blättern hinzuweisen, verdient volle Beachtung. „So friedlich wie Herr
von Vollmar vermag ich die Situation jenseits der Vogesen nicht anzusehen." Ein
solches Wort aus dem Munde der höchsten amtlichen Autorität in Deutschland,
öffentlich gesprochen, sollte doch Wohl zu denken geben. Jedenfalls hatte der Reichs¬
kanzler Recht mit dem Ausspruch, daß ein schwaches Deutschland eine Gefahr für
deu Frieden, für den europäischen wie für den Weltfrieden sein würde. Das gilt
nicht nur für Frankreich, sondern auch für England, dessen Freundschaftsbedürfnis
für uns mit jedem neuen deutschen Linienschiff, das dienstbereit die Flagge hißt,
wachsen wird. Bisher haben wir unsre Flotteiwermehruug etwas geräuschvoll be¬
trieben. Die Stapelläufe der letzten Jahre sind im Auslande aufgefallen, weil sie
mit einer gewissen Umständlichkeit und Feierlichkeit zu einem Ereignis gemacht
wurden. Für den deutschen Hausgebrauch mag das nützlich sein, nach außen
Wirkt es nachteilig. Wir haben eine Neubewaffnung der Artillerie durchgeführt,


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[0656] Maßgebliches und Unmaßgebliches Sozialdemokraten „die Reizbarkeit ihres Nationalgefühls auch bei andern ihnen sich bietenden Gelegenheiten zeigen würden." Herr Bebel werde hoffentlich mit beiden Händen alle Forderungen zu Wasser und zu Lande bewilligen, „um einer so kriegsbereiten Politik den nötigen Rückhalt zu geben," denn mit dem großen Munde allein, das werde auch Herr Bebel einräumen, sei es nicht getan. In der Diätenfrage, die vom Zentrumsreduer und auch von Herrn Bebel angeschnitten wurde, hat der Reichskanzler im wesentlichen denselben Stand¬ punkt eingenommen, wie er schon so oft in diesen Blättern vertreten worden und wie er auch wohl der einzig richtige ist. Namentlich sehr dankenswert war der Hinweis, daß die Herren, die sich so leichten Herzens über eine fundamentale Bestimmung unsrer Verfassung hinwegsetzen, um die Diätenfrage in ihrem Sinne zu lösen, außerordentlich empfindlich sind, wenn die Regierungen einzelne Be¬ stimmungen der Verfassung als eiuer Abänderung bedürftig bezeichnen. Jedenfalls ist es sehr erfreulich, daß die Diäten nicht ebenso hingegeben werden wie das Erstgeburtsrecht der dreijährigen Dienstzeit gegen das Linsengericht einer minimalen Armeeverstärkung. Die Geringfügigkeit dieser Kompensatiousforderung ist sogar von Herrn Bebel mit Erstaunen aufgenommen worden. — Noch glänzender als die Abfuhr, die Herrn Bebel zuteil wurde, war die, die Herr von Vollmar empfing, obgleich oder weil der Reichskanzler dabei deutlich durchblicken ließ, daß er Herrn von Vollmar als Politiker viel höher einschätze als Herrn Bebel. Auch spielt bei diesen beiden Männern die Erziehung, die Nachwirkung der Kinderstube, eine recht unterschiedliche Rolle. Bebel ist, wenigstens während der Wintermonate, Sozialdemokrat aus Leidenschaft und Weltumstürzler aus Fanatismus, auch hört er sich gern reden. Im Sommer spielt er auf seiner Villa in Zürich den Bourgeois, bei dem die Vvrdertrcppe „nur für Herrschaften" bestimmt ist, „Dienst¬ boten und Lieferanten" dagegen auf die Hintertreppe verwiesen werden, eine ganz „sozialdemokratische" Einrichtung im Singerschen Stil. Herr von Vollmar dagegen spielt unter den Sozialdemokraten ebenso den Aristokraten wie Singer den Parvenü. Auch Herr vou Vollmar ist bekanntlich Villenbesitzer; von seinem „Sozialdemv- kratismus" hat man bisweilen den Eindruck, als ob er ihn nur aus Sport be¬ triebe, vielleicht weil ihm keine andre Partei sympathisch ist. Wenn er diesesmal eine forschere, heroischere Miene aufsetzte und sich sogar ein „sehr gut" Bebels zuzog, so mag Herr vou Vollmar seine Gründe für eine solche Haltung haben, die ihm die Stellung in der Partei zurückgewinnen soll. Trotzdem bleibt an ihm der „Posa" haften, in dessen Rolle Graf Bülow ihn dem König Philipp-Bebel gegenüber erscheinen ließ: geben Sie Gedankenfreiheit! — und Phtlipp-Bebel ant¬ wortet: Sonderbarer Schwärmer! Vollmar hat im vorigen Jahre abgelehnt, der deutsche Millerand zu werden, jetzt erscheint er in dem von ihm der Sozialdemokratie umgehängten patriotischen Mäntelchen als deutscher Innres. Daß Graf Bülow diese Gelegenheit benutzte, auf den Zusammenhang gewisser Unterströmungen in Frankreich mit den Hetzereien in englischen Blättern hinzuweisen, verdient volle Beachtung. „So friedlich wie Herr von Vollmar vermag ich die Situation jenseits der Vogesen nicht anzusehen." Ein solches Wort aus dem Munde der höchsten amtlichen Autorität in Deutschland, öffentlich gesprochen, sollte doch Wohl zu denken geben. Jedenfalls hatte der Reichs¬ kanzler Recht mit dem Ausspruch, daß ein schwaches Deutschland eine Gefahr für deu Frieden, für den europäischen wie für den Weltfrieden sein würde. Das gilt nicht nur für Frankreich, sondern auch für England, dessen Freundschaftsbedürfnis für uns mit jedem neuen deutschen Linienschiff, das dienstbereit die Flagge hißt, wachsen wird. Bisher haben wir unsre Flotteiwermehruug etwas geräuschvoll be¬ trieben. Die Stapelläufe der letzten Jahre sind im Auslande aufgefallen, weil sie mit einer gewissen Umständlichkeit und Feierlichkeit zu einem Ereignis gemacht wurden. Für den deutschen Hausgebrauch mag das nützlich sein, nach außen Wirkt es nachteilig. Wir haben eine Neubewaffnung der Artillerie durchgeführt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/656>, abgerufen am 01.07.2024.