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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ohne daß die Welt davon erfuhr, von der Militärverwaltung war mit der be¬
treffenden Firma kein einziges Schriftstück in dieser Angelegenheit gewechselt worden.
Der damalige Kriegsminister schrieb in das Notizbuch des Vertreters der Firma
nur die Stückzahl der Geschütze, den Einheitspreis und fügte seine Namenschiffer
hinzu. Das Ausland erfuhr von dieser Neubewaffnung erst, als sie bei einer Anzahl
Armeekorps schon durchgeführt worden war, und als der Kaiser die fremden Militär-
bevollmächtigten nach Jüterbog einlud, um ihnen dort eine neue Batterie vorzu¬
stellen. Könnte in ähnlicher Geräuschlosigkeit nicht auch die weitere Vermehrung
der Flotte durchgeführt werden? Freilich müssen wir dann darauf verzichten, jeden
Stapellauf als einen nationalen Geburtstag zu begehen. Die englische Flotte läßt
alljährlich das Drei- oder Mehrfache an Schiffen zu Wasser, aber niemals werden
die höchsten Personen des Landes oder auch nur der Telegraphendraht deshalb in
Bewegung gesetzt. Lernen wir auch davon! Je mehr wir diesen Dingen den
ernstern Charakter verleihen und sie des ornamentalen Beiwerks entkleiden, desto
ernster wird das Land sie auffassen. Wer heute noch nicht von der Notwendigkeit
einer starken Flotte überzeugt ist, und zwar in der doppelten Stärke als die Novelle
von 1900 sie vorsieht, der wird durch noch so geräuschvolle Stapelläufe nicht über¬
zeugt werden.

Der Tod des Abgeordneten Hannacher ruft noch einmal die Erinnerung an
die Blütezeit der nationnlliberalen Partei zurück, wo diese die stolze Trägerin des
nationalen Gedankens und die Hauptstütze der Reichspolitik war. An bedeutenden
Geistern reicher als irgend eine andre Partei, repräsentierte sie mit in der ersten
Reihe die Glanzperiode des Reichstags. Dann ist sie von ihrer Höhe gesunken,
wohl weil sie zu zahlreich geworden war, die Führung infolgedessen an Einfluß
verlor und die Parteidoktriu den Staatssinn überwucherte, der bis dahin der Leit¬
stern der Partei gewesen war. Die Reichstngsfraktiou in ihrer Mehrheit verlernte,
das Erreichbare von dem Wünschenswerten zu unterscheiden, sie verfiel in den alten
deutschen Erbfehler, sich durch Zukunftsträume über deu Wert der Gegenwart, durch
Ideale über die Bedeutung der Tatsachen zu täuschen. Als Bismarck Bennigsen
das Finanzministerium anbot, verlangte dieser den Miteintritt von Forckenbeck und
Stauffenberg in die Negierung. Bismarck lehnte das ab, schon aus dem Grunde,
daß er dazu die Zustimmung des Kaisers niemals erlangt haben würde. Dann
führte das Verhalten der Partei in der Frage des Sozialistengesetzes bekanntlich
zu einer Neichstagsauflösung, und die Zolltarifreform zu einer Spaltung. Bismarck
sah sich gezwungen, die Zolltarifreform mit dem Zentrum zu machen. Die Ab¬
stimmung der nationalliberalen Fraktion zum Zolltarif hatte dann bekanntlich den
Austritt von fünfzehn Mitgliedern, die für deu Tarif gestimmt hatten, zur Folge.
Ebenso erklärte Treitschke in einem offnen Briefe, "daß die Fraktion wider den
Willen vieler ihrer Mitglieder durch ihre Abstimmung über die Zolltarifvorlage in
die Stellung einer geschlossenen Oppositionspartei hinübergedrängt werde. Getreu
seiner Überzeugung halte er diese Wendung für einen Verhängnisvolleu politischen
Fehler und fühle sich außerstande, dabei mitzuwirken."

In Konsequenz ihrer damit eingenommnen Haltung stimmte die Fraktion im
Jahre 1882 auch gegen das Tabakmonopol, eine Abstimmung, die Bismarck, wie
er im Herbst jenes Jahres in Gastein zum Feldmarschall von Manteuffel sagte,
"niemals für möglich gehalten hätte." Wie anders wäre heute die finanzpolitische
Lage des Reichs, wäre damals das Tabakmonopol zur Annahme gelangt! Es
dürfte heute auch unter den Nationalliberalen nicht wenige geben, die die Ab¬
stimmung von 1882 tief beklagen. Die Partei selbst hat diese Abstimmung mit
dem Verlust des Einflusses auf den Gang der politischen Entwicklung bezahlt, der
ihr nach ihrer geschichtlichen und sozialen Bedeutung als der eigentlichen Vertreterin
der gebildeten und der bürgerliche" Klassen der Nation von Rechts wegen zustünde.
Die Geschichte von dem Steigen und dem Fallen der Reiche gilt auch für das Steigen
und das Fallen politischer Parteien, die sich in ihrer Bedeutung nur auf dem


Grenzboten IV 1904 gg
Maßgebliches und Unmaßgebliches

ohne daß die Welt davon erfuhr, von der Militärverwaltung war mit der be¬
treffenden Firma kein einziges Schriftstück in dieser Angelegenheit gewechselt worden.
Der damalige Kriegsminister schrieb in das Notizbuch des Vertreters der Firma
nur die Stückzahl der Geschütze, den Einheitspreis und fügte seine Namenschiffer
hinzu. Das Ausland erfuhr von dieser Neubewaffnung erst, als sie bei einer Anzahl
Armeekorps schon durchgeführt worden war, und als der Kaiser die fremden Militär-
bevollmächtigten nach Jüterbog einlud, um ihnen dort eine neue Batterie vorzu¬
stellen. Könnte in ähnlicher Geräuschlosigkeit nicht auch die weitere Vermehrung
der Flotte durchgeführt werden? Freilich müssen wir dann darauf verzichten, jeden
Stapellauf als einen nationalen Geburtstag zu begehen. Die englische Flotte läßt
alljährlich das Drei- oder Mehrfache an Schiffen zu Wasser, aber niemals werden
die höchsten Personen des Landes oder auch nur der Telegraphendraht deshalb in
Bewegung gesetzt. Lernen wir auch davon! Je mehr wir diesen Dingen den
ernstern Charakter verleihen und sie des ornamentalen Beiwerks entkleiden, desto
ernster wird das Land sie auffassen. Wer heute noch nicht von der Notwendigkeit
einer starken Flotte überzeugt ist, und zwar in der doppelten Stärke als die Novelle
von 1900 sie vorsieht, der wird durch noch so geräuschvolle Stapelläufe nicht über¬
zeugt werden.

Der Tod des Abgeordneten Hannacher ruft noch einmal die Erinnerung an
die Blütezeit der nationnlliberalen Partei zurück, wo diese die stolze Trägerin des
nationalen Gedankens und die Hauptstütze der Reichspolitik war. An bedeutenden
Geistern reicher als irgend eine andre Partei, repräsentierte sie mit in der ersten
Reihe die Glanzperiode des Reichstags. Dann ist sie von ihrer Höhe gesunken,
wohl weil sie zu zahlreich geworden war, die Führung infolgedessen an Einfluß
verlor und die Parteidoktriu den Staatssinn überwucherte, der bis dahin der Leit¬
stern der Partei gewesen war. Die Reichstngsfraktiou in ihrer Mehrheit verlernte,
das Erreichbare von dem Wünschenswerten zu unterscheiden, sie verfiel in den alten
deutschen Erbfehler, sich durch Zukunftsträume über deu Wert der Gegenwart, durch
Ideale über die Bedeutung der Tatsachen zu täuschen. Als Bismarck Bennigsen
das Finanzministerium anbot, verlangte dieser den Miteintritt von Forckenbeck und
Stauffenberg in die Negierung. Bismarck lehnte das ab, schon aus dem Grunde,
daß er dazu die Zustimmung des Kaisers niemals erlangt haben würde. Dann
führte das Verhalten der Partei in der Frage des Sozialistengesetzes bekanntlich
zu einer Neichstagsauflösung, und die Zolltarifreform zu einer Spaltung. Bismarck
sah sich gezwungen, die Zolltarifreform mit dem Zentrum zu machen. Die Ab¬
stimmung der nationalliberalen Fraktion zum Zolltarif hatte dann bekanntlich den
Austritt von fünfzehn Mitgliedern, die für deu Tarif gestimmt hatten, zur Folge.
Ebenso erklärte Treitschke in einem offnen Briefe, „daß die Fraktion wider den
Willen vieler ihrer Mitglieder durch ihre Abstimmung über die Zolltarifvorlage in
die Stellung einer geschlossenen Oppositionspartei hinübergedrängt werde. Getreu
seiner Überzeugung halte er diese Wendung für einen Verhängnisvolleu politischen
Fehler und fühle sich außerstande, dabei mitzuwirken."

In Konsequenz ihrer damit eingenommnen Haltung stimmte die Fraktion im
Jahre 1882 auch gegen das Tabakmonopol, eine Abstimmung, die Bismarck, wie
er im Herbst jenes Jahres in Gastein zum Feldmarschall von Manteuffel sagte,
„niemals für möglich gehalten hätte." Wie anders wäre heute die finanzpolitische
Lage des Reichs, wäre damals das Tabakmonopol zur Annahme gelangt! Es
dürfte heute auch unter den Nationalliberalen nicht wenige geben, die die Ab¬
stimmung von 1882 tief beklagen. Die Partei selbst hat diese Abstimmung mit
dem Verlust des Einflusses auf den Gang der politischen Entwicklung bezahlt, der
ihr nach ihrer geschichtlichen und sozialen Bedeutung als der eigentlichen Vertreterin
der gebildeten und der bürgerliche» Klassen der Nation von Rechts wegen zustünde.
Die Geschichte von dem Steigen und dem Fallen der Reiche gilt auch für das Steigen
und das Fallen politischer Parteien, die sich in ihrer Bedeutung nur auf dem


Grenzboten IV 1904 gg
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[0657] Maßgebliches und Unmaßgebliches ohne daß die Welt davon erfuhr, von der Militärverwaltung war mit der be¬ treffenden Firma kein einziges Schriftstück in dieser Angelegenheit gewechselt worden. Der damalige Kriegsminister schrieb in das Notizbuch des Vertreters der Firma nur die Stückzahl der Geschütze, den Einheitspreis und fügte seine Namenschiffer hinzu. Das Ausland erfuhr von dieser Neubewaffnung erst, als sie bei einer Anzahl Armeekorps schon durchgeführt worden war, und als der Kaiser die fremden Militär- bevollmächtigten nach Jüterbog einlud, um ihnen dort eine neue Batterie vorzu¬ stellen. Könnte in ähnlicher Geräuschlosigkeit nicht auch die weitere Vermehrung der Flotte durchgeführt werden? Freilich müssen wir dann darauf verzichten, jeden Stapellauf als einen nationalen Geburtstag zu begehen. Die englische Flotte läßt alljährlich das Drei- oder Mehrfache an Schiffen zu Wasser, aber niemals werden die höchsten Personen des Landes oder auch nur der Telegraphendraht deshalb in Bewegung gesetzt. Lernen wir auch davon! Je mehr wir diesen Dingen den ernstern Charakter verleihen und sie des ornamentalen Beiwerks entkleiden, desto ernster wird das Land sie auffassen. Wer heute noch nicht von der Notwendigkeit einer starken Flotte überzeugt ist, und zwar in der doppelten Stärke als die Novelle von 1900 sie vorsieht, der wird durch noch so geräuschvolle Stapelläufe nicht über¬ zeugt werden. Der Tod des Abgeordneten Hannacher ruft noch einmal die Erinnerung an die Blütezeit der nationnlliberalen Partei zurück, wo diese die stolze Trägerin des nationalen Gedankens und die Hauptstütze der Reichspolitik war. An bedeutenden Geistern reicher als irgend eine andre Partei, repräsentierte sie mit in der ersten Reihe die Glanzperiode des Reichstags. Dann ist sie von ihrer Höhe gesunken, wohl weil sie zu zahlreich geworden war, die Führung infolgedessen an Einfluß verlor und die Parteidoktriu den Staatssinn überwucherte, der bis dahin der Leit¬ stern der Partei gewesen war. Die Reichstngsfraktiou in ihrer Mehrheit verlernte, das Erreichbare von dem Wünschenswerten zu unterscheiden, sie verfiel in den alten deutschen Erbfehler, sich durch Zukunftsträume über deu Wert der Gegenwart, durch Ideale über die Bedeutung der Tatsachen zu täuschen. Als Bismarck Bennigsen das Finanzministerium anbot, verlangte dieser den Miteintritt von Forckenbeck und Stauffenberg in die Negierung. Bismarck lehnte das ab, schon aus dem Grunde, daß er dazu die Zustimmung des Kaisers niemals erlangt haben würde. Dann führte das Verhalten der Partei in der Frage des Sozialistengesetzes bekanntlich zu einer Neichstagsauflösung, und die Zolltarifreform zu einer Spaltung. Bismarck sah sich gezwungen, die Zolltarifreform mit dem Zentrum zu machen. Die Ab¬ stimmung der nationalliberalen Fraktion zum Zolltarif hatte dann bekanntlich den Austritt von fünfzehn Mitgliedern, die für deu Tarif gestimmt hatten, zur Folge. Ebenso erklärte Treitschke in einem offnen Briefe, „daß die Fraktion wider den Willen vieler ihrer Mitglieder durch ihre Abstimmung über die Zolltarifvorlage in die Stellung einer geschlossenen Oppositionspartei hinübergedrängt werde. Getreu seiner Überzeugung halte er diese Wendung für einen Verhängnisvolleu politischen Fehler und fühle sich außerstande, dabei mitzuwirken." In Konsequenz ihrer damit eingenommnen Haltung stimmte die Fraktion im Jahre 1882 auch gegen das Tabakmonopol, eine Abstimmung, die Bismarck, wie er im Herbst jenes Jahres in Gastein zum Feldmarschall von Manteuffel sagte, „niemals für möglich gehalten hätte." Wie anders wäre heute die finanzpolitische Lage des Reichs, wäre damals das Tabakmonopol zur Annahme gelangt! Es dürfte heute auch unter den Nationalliberalen nicht wenige geben, die die Ab¬ stimmung von 1882 tief beklagen. Die Partei selbst hat diese Abstimmung mit dem Verlust des Einflusses auf den Gang der politischen Entwicklung bezahlt, der ihr nach ihrer geschichtlichen und sozialen Bedeutung als der eigentlichen Vertreterin der gebildeten und der bürgerliche» Klassen der Nation von Rechts wegen zustünde. Die Geschichte von dem Steigen und dem Fallen der Reiche gilt auch für das Steigen und das Fallen politischer Parteien, die sich in ihrer Bedeutung nur auf dem Grenzboten IV 1904 gg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/657>, abgerufen am 29.06.2024.