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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Aonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

öffentlichen Lokale von neugierigen Fremden betrachtet werden würde, er würde sich
wohl gehütet haben, seinen ägyptischen Vorgänger zu verdrängen.

Wenn wir den Serail durch das Bahl Humajum wieder verlassen, so haben
wir das Wunder der Baukunst, den Stolz des Orients vor uns, das schönste und
erhabenste Gotteshaus, das die Erde trägt. Gotische Dome kann man freilich nicht
mit der Agia Sophia vergleichen, sie sind zu verschieden, aber von allen Kuppel-
und Zentralbauten, die es gibt, hält keiner den Vergleich aus mit diesem Tempel,
der der göttlichen Weisheit zu Ehren von der höchsten menschlichen und künstlerischen
Weisheit ersonnen worden ist. Auch hat kein Bauwerk je einen so weitgehenden
und durchgreifenden Einfluß auf die Entwicklung der Architektur ausgeübt wie
dieses. Se. Peter, der Stolz des Abendlandes, hat nur ein Stockwerk im Innern,
und das Detail ist kolossal, die Sophia ist zweistöckig, und das Detail ist mäßig.
Sie erscheint deshalb groß beim ersten Blick, die Peterskirche wird es erst durch
Reflexion, und an feiner Harmonie aller Teile, an ungezwungner Einfachheit der
Anlage, an heiterer Eleganz des Gesamteindrucks, die sich doch mit ernster Würde
Paare, kann der Dom des Papstes Julius es nicht entfernt mit der Kirche Justinians
aufnehmen, durch die dieser Kaiser Salomon besiegt zu haben sich mit Recht rühmen
durfte. Nur sechs Jahre (von 532 bis 537) ist an ihr gebaut worden, und alle
Einkünfte des weiten Reichs wurden auf sie verwandt, ja mehr als diese; neue
Steuern wurden ausgeschrieben, und den Beamten ihre Gehälter gekürzt. Dafür
wurde aber auch nichts gespart an kostbarem Marmor, an Gold, Silber, Perlen
und Edelgestein, an Mosaiken, Kultgeräten, Leuchtern, an Elfenbein, Bernstein,
Zedernhvlz, und was sich sonst an kostbarem Material und Schmuckwerk nur irgend
denken läßt. Wenn man die Berichte über die Ausstattung dieses Gotteshauses
liest, so fällt man ans einem Erstaunen in das andre.

Bei der gewaltsamen Bekehrung zum Islam wurde das Heiligtum freilich
aller seiner äußern Zierden beraubt. Nur die Harmonie und die Großartigkeit
der Verhältnisse konnte ihm der Eroberer nicht nehmen. Wenigstens nicht im
Innern. Von außen allerdings ist der Bau durch Abbrechen der ehemaligen
kirchlichen Nebengebäude und durch Hinzufügen von Schulen, Turben, Armenküchen
und plumpen Stütz- und Strebepfeilern so total verändert worden, daß man sich
von der ursprünglichen Gestalt kaum noch eine Vorstellung machen kann. Vier
Minarets sind wie schlanke, weiße Lanzen in die Erde gespießt als Zeichen der
Eroberung. Auf der Höhe der Kuppel thront ein eherner, fünfzig Ellen breiter
Halbmond, zu dessen Vergoldung 50000 Dukaten verwandt worden sind. Im
südlichen Vorhofe finden wir im Mausoleum Murods des Dritten ein charakteristisches
Denkmal mohammedanischer Bruderliebe, nämlich siebzehn Särge mit den Leichen
der siebzehn Söhne des Herrschers, die ihr ältester Bruder Mohammed der Dritte
am Tage seiner Thronbesteigung hinrichten ließ. Von oben bis unten aber wurde
das Gotteshaus mit einem gelben, rotgestreiften Anputz beworfen, ein Bewurf, der
uns wie ein buntes Strüflingskleid anmutet, wie eine Zwangsjacke, die man der
stolzen Herrin am Tage der Knechtung übergeworfen hat.

Welch überwältigenden Eindruck macht dagegen das Innere! In dem kleinen,
dunkeln, nördlichen Seiteneingang empfängt den Besucher ein düsterer Imam,
nimmt ihm zwei Franken ab, deutet schweigend auf einen Haufen riesiger Filz¬
schuhe und führt ihn, wenn er seine Füße damit bekleidet hat, an den Eingang
des Mittelschiffs. Mit einem Blick überschaut man schon von hier aus fast voll¬
ständig den innern Raum und nahezu die ganze Kuppel. Diese ruht nicht, sondern
schwebt vielmehr, auf vier mächtigen Bogen und mehr als vierzig kleinen gewölbten
Fenstern emporsteigend, frei und leicht über dem großen quadratischen Mittelraum.
Die Kuppel von Se. Peter ist zwar höher (123 Meter gegen 56 Meter vom
Fußboden der Kirche aus), aber man muß unter sie treten, wenn man sie sehen will
und dann sieht man zugleich die riesigen Pfeiler und Stützflächen. Bei der Kupp
der Agia Sophia scheint dagegen die Schwerkraft aufgehoben. Und dann d'.


Aonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

öffentlichen Lokale von neugierigen Fremden betrachtet werden würde, er würde sich
wohl gehütet haben, seinen ägyptischen Vorgänger zu verdrängen.

Wenn wir den Serail durch das Bahl Humajum wieder verlassen, so haben
wir das Wunder der Baukunst, den Stolz des Orients vor uns, das schönste und
erhabenste Gotteshaus, das die Erde trägt. Gotische Dome kann man freilich nicht
mit der Agia Sophia vergleichen, sie sind zu verschieden, aber von allen Kuppel-
und Zentralbauten, die es gibt, hält keiner den Vergleich aus mit diesem Tempel,
der der göttlichen Weisheit zu Ehren von der höchsten menschlichen und künstlerischen
Weisheit ersonnen worden ist. Auch hat kein Bauwerk je einen so weitgehenden
und durchgreifenden Einfluß auf die Entwicklung der Architektur ausgeübt wie
dieses. Se. Peter, der Stolz des Abendlandes, hat nur ein Stockwerk im Innern,
und das Detail ist kolossal, die Sophia ist zweistöckig, und das Detail ist mäßig.
Sie erscheint deshalb groß beim ersten Blick, die Peterskirche wird es erst durch
Reflexion, und an feiner Harmonie aller Teile, an ungezwungner Einfachheit der
Anlage, an heiterer Eleganz des Gesamteindrucks, die sich doch mit ernster Würde
Paare, kann der Dom des Papstes Julius es nicht entfernt mit der Kirche Justinians
aufnehmen, durch die dieser Kaiser Salomon besiegt zu haben sich mit Recht rühmen
durfte. Nur sechs Jahre (von 532 bis 537) ist an ihr gebaut worden, und alle
Einkünfte des weiten Reichs wurden auf sie verwandt, ja mehr als diese; neue
Steuern wurden ausgeschrieben, und den Beamten ihre Gehälter gekürzt. Dafür
wurde aber auch nichts gespart an kostbarem Marmor, an Gold, Silber, Perlen
und Edelgestein, an Mosaiken, Kultgeräten, Leuchtern, an Elfenbein, Bernstein,
Zedernhvlz, und was sich sonst an kostbarem Material und Schmuckwerk nur irgend
denken läßt. Wenn man die Berichte über die Ausstattung dieses Gotteshauses
liest, so fällt man ans einem Erstaunen in das andre.

Bei der gewaltsamen Bekehrung zum Islam wurde das Heiligtum freilich
aller seiner äußern Zierden beraubt. Nur die Harmonie und die Großartigkeit
der Verhältnisse konnte ihm der Eroberer nicht nehmen. Wenigstens nicht im
Innern. Von außen allerdings ist der Bau durch Abbrechen der ehemaligen
kirchlichen Nebengebäude und durch Hinzufügen von Schulen, Turben, Armenküchen
und plumpen Stütz- und Strebepfeilern so total verändert worden, daß man sich
von der ursprünglichen Gestalt kaum noch eine Vorstellung machen kann. Vier
Minarets sind wie schlanke, weiße Lanzen in die Erde gespießt als Zeichen der
Eroberung. Auf der Höhe der Kuppel thront ein eherner, fünfzig Ellen breiter
Halbmond, zu dessen Vergoldung 50000 Dukaten verwandt worden sind. Im
südlichen Vorhofe finden wir im Mausoleum Murods des Dritten ein charakteristisches
Denkmal mohammedanischer Bruderliebe, nämlich siebzehn Särge mit den Leichen
der siebzehn Söhne des Herrschers, die ihr ältester Bruder Mohammed der Dritte
am Tage seiner Thronbesteigung hinrichten ließ. Von oben bis unten aber wurde
das Gotteshaus mit einem gelben, rotgestreiften Anputz beworfen, ein Bewurf, der
uns wie ein buntes Strüflingskleid anmutet, wie eine Zwangsjacke, die man der
stolzen Herrin am Tage der Knechtung übergeworfen hat.

Welch überwältigenden Eindruck macht dagegen das Innere! In dem kleinen,
dunkeln, nördlichen Seiteneingang empfängt den Besucher ein düsterer Imam,
nimmt ihm zwei Franken ab, deutet schweigend auf einen Haufen riesiger Filz¬
schuhe und führt ihn, wenn er seine Füße damit bekleidet hat, an den Eingang
des Mittelschiffs. Mit einem Blick überschaut man schon von hier aus fast voll¬
ständig den innern Raum und nahezu die ganze Kuppel. Diese ruht nicht, sondern
schwebt vielmehr, auf vier mächtigen Bogen und mehr als vierzig kleinen gewölbten
Fenstern emporsteigend, frei und leicht über dem großen quadratischen Mittelraum.
Die Kuppel von Se. Peter ist zwar höher (123 Meter gegen 56 Meter vom
Fußboden der Kirche aus), aber man muß unter sie treten, wenn man sie sehen will
und dann sieht man zugleich die riesigen Pfeiler und Stützflächen. Bei der Kupp
der Agia Sophia scheint dagegen die Schwerkraft aufgehoben. Und dann d'.


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[0581] Aonstantinopolitanische Reiseerlebnisse öffentlichen Lokale von neugierigen Fremden betrachtet werden würde, er würde sich wohl gehütet haben, seinen ägyptischen Vorgänger zu verdrängen. Wenn wir den Serail durch das Bahl Humajum wieder verlassen, so haben wir das Wunder der Baukunst, den Stolz des Orients vor uns, das schönste und erhabenste Gotteshaus, das die Erde trägt. Gotische Dome kann man freilich nicht mit der Agia Sophia vergleichen, sie sind zu verschieden, aber von allen Kuppel- und Zentralbauten, die es gibt, hält keiner den Vergleich aus mit diesem Tempel, der der göttlichen Weisheit zu Ehren von der höchsten menschlichen und künstlerischen Weisheit ersonnen worden ist. Auch hat kein Bauwerk je einen so weitgehenden und durchgreifenden Einfluß auf die Entwicklung der Architektur ausgeübt wie dieses. Se. Peter, der Stolz des Abendlandes, hat nur ein Stockwerk im Innern, und das Detail ist kolossal, die Sophia ist zweistöckig, und das Detail ist mäßig. Sie erscheint deshalb groß beim ersten Blick, die Peterskirche wird es erst durch Reflexion, und an feiner Harmonie aller Teile, an ungezwungner Einfachheit der Anlage, an heiterer Eleganz des Gesamteindrucks, die sich doch mit ernster Würde Paare, kann der Dom des Papstes Julius es nicht entfernt mit der Kirche Justinians aufnehmen, durch die dieser Kaiser Salomon besiegt zu haben sich mit Recht rühmen durfte. Nur sechs Jahre (von 532 bis 537) ist an ihr gebaut worden, und alle Einkünfte des weiten Reichs wurden auf sie verwandt, ja mehr als diese; neue Steuern wurden ausgeschrieben, und den Beamten ihre Gehälter gekürzt. Dafür wurde aber auch nichts gespart an kostbarem Marmor, an Gold, Silber, Perlen und Edelgestein, an Mosaiken, Kultgeräten, Leuchtern, an Elfenbein, Bernstein, Zedernhvlz, und was sich sonst an kostbarem Material und Schmuckwerk nur irgend denken läßt. Wenn man die Berichte über die Ausstattung dieses Gotteshauses liest, so fällt man ans einem Erstaunen in das andre. Bei der gewaltsamen Bekehrung zum Islam wurde das Heiligtum freilich aller seiner äußern Zierden beraubt. Nur die Harmonie und die Großartigkeit der Verhältnisse konnte ihm der Eroberer nicht nehmen. Wenigstens nicht im Innern. Von außen allerdings ist der Bau durch Abbrechen der ehemaligen kirchlichen Nebengebäude und durch Hinzufügen von Schulen, Turben, Armenküchen und plumpen Stütz- und Strebepfeilern so total verändert worden, daß man sich von der ursprünglichen Gestalt kaum noch eine Vorstellung machen kann. Vier Minarets sind wie schlanke, weiße Lanzen in die Erde gespießt als Zeichen der Eroberung. Auf der Höhe der Kuppel thront ein eherner, fünfzig Ellen breiter Halbmond, zu dessen Vergoldung 50000 Dukaten verwandt worden sind. Im südlichen Vorhofe finden wir im Mausoleum Murods des Dritten ein charakteristisches Denkmal mohammedanischer Bruderliebe, nämlich siebzehn Särge mit den Leichen der siebzehn Söhne des Herrschers, die ihr ältester Bruder Mohammed der Dritte am Tage seiner Thronbesteigung hinrichten ließ. Von oben bis unten aber wurde das Gotteshaus mit einem gelben, rotgestreiften Anputz beworfen, ein Bewurf, der uns wie ein buntes Strüflingskleid anmutet, wie eine Zwangsjacke, die man der stolzen Herrin am Tage der Knechtung übergeworfen hat. Welch überwältigenden Eindruck macht dagegen das Innere! In dem kleinen, dunkeln, nördlichen Seiteneingang empfängt den Besucher ein düsterer Imam, nimmt ihm zwei Franken ab, deutet schweigend auf einen Haufen riesiger Filz¬ schuhe und führt ihn, wenn er seine Füße damit bekleidet hat, an den Eingang des Mittelschiffs. Mit einem Blick überschaut man schon von hier aus fast voll¬ ständig den innern Raum und nahezu die ganze Kuppel. Diese ruht nicht, sondern schwebt vielmehr, auf vier mächtigen Bogen und mehr als vierzig kleinen gewölbten Fenstern emporsteigend, frei und leicht über dem großen quadratischen Mittelraum. Die Kuppel von Se. Peter ist zwar höher (123 Meter gegen 56 Meter vom Fußboden der Kirche aus), aber man muß unter sie treten, wenn man sie sehen will und dann sieht man zugleich die riesigen Pfeiler und Stützflächen. Bei der Kupp der Agia Sophia scheint dagegen die Schwerkraft aufgehoben. Und dann d'.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/581>, abgerufen am 23.07.2024.